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Musiktheater
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Die Walküre

Erster Tag des Bühnenfestspiels
"Der Ring des Nibelungen"
Text und Musik von Richard Wagner

Aufführungsdauer: ca. 5 Stunden  (zwei Pausen)

Premiere in der Staatsoper Hannover am 23. Mai 2010

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Staatsoper Hannover
(Homepage)

Brünnhilde auf der Tankstelle

Von Bernd Stopka / Fotos Thomas M. Jauk

Nach dem fulminanten „Rheingold“ wurde die „Walküre“ in Hannover mit außerordentlicher Hochspannung erwartet. Regisseur Barrie Kosky hatte mit dem Auftakt seiner „Ring“-Inszenierung die Erwartungen auf die folgenden Teile der Tetralogie sehr hoch geschraubt. Doch während im „Rheingold“ die Ideen übersprudelten, Handlungsstränge und –ebenen spannend beleuchtet und verknüpft wurden, legt Kosky in der „Walküre“ zunächst eine Pause ein, so dass man glauben könnte, er hätte das Musiktheater auf Diät gesetzt. Auch Bühnenbildner Klaus Grünberg hat eher spartanische Bilder entwickelt.


Vergrößerung in neuem Fenster In Hundings Bungalow: Sieglinde (Kelly God, auf dem Sofa),
Siegmund (Vincent Wolfsteiner (vor dem Fenster)
 
Im ersten Akt treffen wir wieder auf den Kasten als Bühne auf der Bühne, der hier als eleganter Bungalow mit Ledergarnitur, Fensterfront und Baseball auf dem Kunstrasen dahinter ausgestattet ist. Sieglinde, deren billiges Kleid so gar nicht zu diesem edlen Schick passen will, ist auf dem Sofa eingenickt. Mit Siegmunds Erscheinen beginnt ein wilder Aktionismus, der dem Zwillingspaar offensichtlich als Erbschaft mitgegeben worden ist. Vielleicht erkennen sie sich ja auch daran als Geschwister wieder: Beide stehen in geradezu neurotischer Form unter ständigem Angstzittern wie verfolgte, verängstigte Tiere. Das macht Siegmund – den echtestes Helden des Nibelungen-Zyklus’ – zum echtesten Antihelden.


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Nothungs Geburt: Siegmund (Vincent Wolfsteiner)

Hunding ist ein brutaler, neureicher Macho, der seiner Gattin und sich auf dem Heimweg von dubiosen Geschäften fünf Portionen Chinafood mitbringt und dazu ein Bier nach dem anderen serviert bekommt. Mit seinem Gürtel verprügelt er Sieglinde hinter dem Sofa, dort, wo später der inzestuöse Ehebruch stattfindet.

Nachdem Sieglinde sich um Siegmunds blutende Hände gekümmert hat – ein Bild, das unweigerlich an Christi Wundmale erinnert – und nachdem der Lenz in Form einer giftgrünen Bühnenbeleuchtung in den Saal gelacht hat, greift Siegmund tief in eine die Zimmerdecke durchbrechende Wurzelspitze (oder sonstige biologische Beule) und zieht das bisher unsichtbar gebliebene Schwert geburtsähnlich und mit viel gelblicher Flüssigkeit hervor. Das ist kein besonders angenehmer Anblick – zumal dadurch das schöne Ledersofa verdorben wird. Dass während des anschließenden Zeugungsaktes weitere Flüssigkeit nachfließt, macht das Bild vielleicht erklärlicher aber nicht ästhetischer.

Vergrößerung in neuem Fenster Zweikampf: Hunding (Albert Pesendorfer),
Sieglinde (Kelly God), Siegmund (Vincent Wolfsteiner)

Der zweite Aufzug ist am treffendsten mit „Vorhang auf – Vorhang zu Vorhang auf – Vorhang zu...“ beschrieben. Ein erhöhter, bühnenbreiter Weg mit Mitteltreppe und Geländer ist die Spielfläche – variiert durch vier verschiedene Vorhänge, die sich je nach Stimmungs- und Lebenssituation öffnen und schließen. Wotan ist ebenso wie Hunding ein Geschäftsmann – jedoch ein edlerer. Beim Joggen wird er von Security-Männern begleitet, die ihm Wasser und Handtuch hinterhertragen. Sein Fitnessprogramm wird vom Schneider, von der Sekretärin und nicht zuletzt von der Gattin (im orangefarbenen Kleid mit lila Pumps) gestört.

Während Wotan bei Brünnhilde (in Lederjacke mit Motorradhelm) seine Lebensbeichte ablegt, verfängt er sich im roten Bühnenvorhang. („In eig’ner“ Fessel fing ich mich…“). Sinnig. Und wenn er dann vom „freien Helden“ spricht, öffnet sich der Vorhang wieder. Noch sinniger. Zur Todesverkündigung erhellt eine einsame Lampe ihr Licht von rot zu orange. Da Wotan (natürlich) keinen Speer besitzt, kann Siegmunds Schwert Nothung auch nicht planmäßig daran zerschellen. Es bricht trotzdem und gibt Hunding die Gelegenheit, Siegmund in unbändiger Wut brutal zu meucheln, bevor er unter irrem Lachen selbst das Leben aushaucht.

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Wild: Walküren

Den „Knaller“ haben sich Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner für den Schluss aufgespart: Als „Walküren-Felsen“ sehen wir eine durch und durch elfenbeinfarbene Tankstelle. 17 Walküren aus dem Punkermilieu (mit Brünnhilde sind es später 18) rennen wie eine wild gewordene Mädchengang über die Bühne. 8 singen 9 kreischen (hat da jede eine Auszubildende oder Praktikantin?). Sie sind wirr und verdreckt und machen sich an blutüberströmten splitternackten Jungmännerleichen in vielfältiger Weise zu schaffen. Elfenbeinfarbene Autos passieren die Tankstelle. Einige bringen Heldennachschub.

Ganz eigeninitiativ zieht sich Brünnhilde am Schluss ihre Lederjacke wieder an und legt sich auf den harten Beton neben die Zapfsäule, aus der Wotan mit Benzin einen nassen Kreis um die unartige Tochter zieht – nicht ohne ihr vorher den Motorradhelm aufgesetzt zu haben. Sicherheit muss sein. Aber keine Angst (oder Hoffnung): Der Feuerzauber fällt bescheiden aus, denn Wotan drückt Brünnhilde lediglich eine Fackel in die Hand.

Die ganze Geschichte spielt in heutiger Zeit. An Stelle eines Feuerkreises gibt es einen nassen Kreis, statt eines Helden einen Neurotiker. Statt hehrer Kampfesmaiden durchgeknallte Teenies. Bringt uns das weiter? Und wenn ja, wohin? Ein bisschen wirken diese Bilder wie verpuffte Provokationen. War die Personenregie im „Rheingold“ noch das große Plus in der Waagschale, wirkt sie hier weniger subtil als plakativ, ja zuweilen deutlich überzogen. Und – und das war am allerwenigsten zu erwarten – über lange Strecken ist die Inszenierung einfach langweilig. Der Kontrast zwischen Langeweile und Überdrehtheit entzündet nicht einmal einen spannenden Funken. Das ist alles in allem szenisch doch sehr enttäuschend.

Vergrößerung in neuem FensterTodesverkündigung: Siegmund (Vincent Wolfsteiner)
und Brünnhilde (Brigitte Hahn)

Doch zum Glück gibt es ja auch die musikalische Seite dieser Produktion. Und da ist an vorderster Stelle Vincent Wolfsteiner zu nennen, der ein phänomenales Debüt als Siegmund gab. Sein glanzvoller, in allen Lagen ansprechender und sicherer Tenor hat ein ausgesprochen angenehmes Timbre. Er verfügt gleichermaßen über strahlende Höhen und warme, lyrische Töne. Dabei gestaltet er seine Partie sehr durchdacht und uneitel, so dass auch die phantastischen „Wälse“-Rufe nicht geprahlt wirken.

 Ebenfalls als Rollendebüt gestaltet Brigitte Hahn die Brünnhilde, deren substanzreicher Sopran über viele Farben verfügt und die die Partie mit unglaublicher Präzision singt, ohne dabei die emotionalen Aspekte zu vernachlässigen. Auch Robert Bork debütiert in seiner Partie und besticht mit seinem noblen Bass-Bariton als Wotan. Nach kurzen anfänglichen Unsicherheiten überzeugte er sowohl im wohltönenden Sprechgesang des zweiten Aktes (mit exzellenter Wortverständlichkeit) als auch mit den großen Bögen und Ausbrüchen des Schlußbildes.


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Die zwei von der Tankstelle:
Wotan (Robert Bork),
 Brünnhilde (Brigitte Hahn)

Albert Pesendorfer ist ein stimmgewaltiger und doch kultiviert singender Hunding. Kelly God gestaltet die Sieglinde sehr intensiv, klingt wunderschön im Piano, in den Höhen aber immer wieder angestrengt. Im Walküren-Oktett vereinen sich die individuellen Stimmen zu einem harmonischen Ganzen. Über Khatuna Mikaberidzes Fricka schweigt des Rezensenten Höflichkeit, es kommt immer wieder vor, dass Ensemblemitglieder Partien übernehmen müssen, die ihre stimmlichen Möglichkeiten überschreiten.

GMD Wolfgang Bozic spart nicht mit blühenden Kantilenen und harten Orchesterschlägen, spannende, die Partitur analysierende Akzente hört man jedoch nicht. Sein Dirigat ist zuverlässig und sängerfreundlich und er hält die musikalische Seite in sicheren Händen – auch dann, wenn das Orchester patzt, was am Premierenabend keine Seltenheit war.


FAZIT

Szenisch kann diese „Walküre“ dem „Rheingold“ nicht das Wasser reichen. Die Regie schwankt unausgewogen zwischen schrill und langweilig. Die musikalische Seite ist überwiegend erfreulicher. Herausragend: Vincent Wolfsteiners phänomenales Rollendebüt als Siegmund.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Wolfgang Bozic

Inszenierung
Barrie Kosky

Bühnenbild
Klaus Grünberg

Kostüme
Klaus Bruns

Licht
Klaus Grünberg
Susanne Rheinhardt

Dramaturgie
Ulrich Lenz
 

Statisterie der
Staatsoper Hannover

Niedersächsisches
Staatsorchester Hannover


Solisten

Siegmund
Vincent Wolfsteiner

Sieglinde
Kelly God

Hunding
Albert Pesendorfer

Wotan
Robert Bork

Brünnhilde
Brigitte Hahn

Fricka
Khatuna Mikaberidze

Helmwige
Arantxa Armentia

Gerhilde
Karen Frankenstein 

Ortlinde
Carmen Fuggis

Waltraute
Monika Walerowicz

Siegrune
Mareike Morr

Rossweiße
Julia Faylenbogen

Grimgerde
Valentina Kutzarova

Schwertleite
Sandra Fechner




Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Hannover
(Homepage)




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