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Der Freischütz

Romantische Oper in drei Aufzügen
Libretto von Friedrich Kind
Musik von Carl Maria von Weber


Aufführungsdauer: ca. 2h 45' (eine Pause)


Premiere im Theater Hagen am 29. Mai 2010
(rezensierte Aufführung: 2. Juni 2010)

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Theater Hagen
(Homepage)
Tatort Deutschland

Von Ursula Decker-Bönniger / Fotos von Stefan Kühle (© Theater Hagen)

Nie habe ein deutscherer Komponist gelebt, fasste Richard Wagner die nationalkulturellen Errungenschaften Carl Maria von Webers in seiner 1821 uraufgeführten Oper Der Freischütz zusammen – anlässlich einer Trauerrede, die er 1844 anlässlich der Überführung der sterblichen Überreste des Komponisten von England nach Dresden hielt. Später verengte sich eine in der Rezeptionshaltung deutlich werdende romantische Sehnsucht nach Vereinigung mit der Natur auf die musikalische Schilderung einer mit Hornklängen, Jagdlust, böhmischen Tänzen, mitternächtlichem Spuk belebten Waldatmosphäre ohne die Zeit – Webers Freischütz spielt nach dem Dreißigjährigen Krieg – zu berücksichtigen.

Vergrößerung in neuem Fenster Undurchsichtige Zweierbeziehung: Kaspar (Rolf A. Scheider) und Agathe (Dagmar Hesse)

Die entscheidende, das Unbehagen formulierende Kehrtwende in der Rezeption der Oper kam nach der Zeit des Nationalsozialismus und der Kriegserfahrung des zweiten Weltkriegs: Anfang der 1960er Jahre verglich Elias Canetti „die Liebe der Deutschen für den Wald, für das Rigide und Parallele der aufrechtstehenden Bäume“ mit der „Liebe für das Heer, den marschierenden Wald“. Seit dieser Zeit wird der Wald im Freischütz immer wieder neu entrümpelt, und neben der Musik sind es die Kontraste, Brüche, Widersprüche, neuen Schwerpunkte und aktualisierten Auseinandersetzungen mit der Zeitgeschichte, die eine Freischütz-Inszenierung sehenswert macht.

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Waidmannswerk: Ännchen (Tanja Schun, links), Agathe (Dagmar Hesse) und Hirsch

Beverly Blankenships Inszenierung in Hagen ist ein solches, die Nachkriegszeit fokussierendes Zeitdokument, wirft einen Blick hinter die Fassade der zu Beginn ausgelassenen, bunten Feiergesellschaft. Engagiert beleuchtet die Regisseurin Kriegstraumata, Gewalt, gesellschaftliche Zwänge und menschliche Beziehungen in einer verstaubten, in Ritualen erstarrten Gesellschaft: Max ist den gesellschaftlichen Anforderungen nicht gewachsen. Er leidet am Misserfolg beim Probeschießen, wird verlacht, ist verzweifelt und fürchtet, seine Angebetete nicht ehelichen zu können. Auch Kaspar ist ein gebrochener Mann. Seit Agathe ihn zugunsten von Max abgewiesen hat und er die nackte Überlebensangst im Krieg durch das Schießen mit Freikugeln zu behaupten glaubte, hadert er mit der Gesellschaft, will die Freikugeln an Max weitergeben, um sich für das Ausspannen seiner Freundin zu rächen und freizukaufen. Ein altgedienter, zurückgezogen lebender Soldat, zu dem Agathe ein väterlich freundschaftliches Verhältnis pflegt und mit dem Kaspar seit Kriegszeiten verbunden ist, tritt auf, wenn in der Oper der schwarze Jäger Samiel erscheint oder der Eremit.

Vergrößerung in neuem Fenster In der Wolfsschlucht: Max (Mark Adler) und Kaspar (Rolf A. Scheider)

Die Dialoge sind auf ein, zum Verständnis des Geschehens notwendiges Minimum gekürzt. Kein deutscher Wald, kein Schießstand zu Beginn der Oper, keine Waldschenke, wo das Schützenfest gefeiert wird, kein Spinnrad, kein Forsthaus, keine Hirschgeweihe, kein Hausaltar. Das Bühnenbild beschränkt sich auf ergänzende Anspielungen: das Jagdwild im letzten Akt ist zu einer skurrilen Skulptur aufgetürmt; Kuno und Kaspar bedienen sich aus einer ordentlich ausgerichteten Waffensammlung; der starre Bühnenvorhang ist in gleich große Streifen unterteilt, dessen Bewegungen die Buntheit der wechselnden Ereignisse zusammenhält. Zu den mitreißenden Klängen der Ouvertüre prangt dem Zuschauer eine überdimensionale, an den Fernseh-Tatort-Beginn erinnernde Zielscheibe aus Metall entgegen.

In ästhetischen, plakativen, hervorragend ausgeleuchteten, eindringlichen Bildern führt Beverly Blankenship Alpträume und Erinnerungen, die möglichen und realen Tatorte, vor: Z.B. greift der vom Spottchor und Bauer Kilian provozierte Max zum Messer, zielt am Ende der zurückgezogen lebende Veteran mit seinem Gewehr auf den Fürsten Ottokar – eine Interpretation, die die musikalische Verwandtschaft des Ottokar-Motivs mit denen der „finsteren Mächte“ nahe legen kann.

Die Wolfschlucht hat sich in einen, mit rotem Vollmond beleuchteten, ehemaligen Kampfschauplatz, ein Trümmerfeld aus Skeletteilen und Schädeln verwandelt. Geschickt wird die Szene von Geräuschen marschierender Truppen und Maschinengewehrsalven eingeleitet, der Kugelguss von Schuss- und Knallgeräuschen untermalt. Der emotionalen Zuspitzung der melodramatischen Situation kann man sich kaum entziehen. Kaspars Tod am Schluss der Oper wird nicht von der geballten, drohend gen Himmel gerichteten Faust begleitet. Während Agathe zum Leben erwacht und Max seine Fehler eingesteht, die Oper mit musikalisch mit Dankesgesängen und strahlender Jubelsteigerung ausklingt, hält der alte Kriegsveteran seinen verstorbenen Kamerad in den Armen. Agathe und Max werden getrennte Wege gehen.

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Agathe mit Brautjungfern

Musikalisch passend dazu die Interpretation des Orchesters. Unter der Leitung von Florian Ludwig leben insbesondere die Kontraste zwischen trocken, kurz, rhythmisch akzentuierter Dramatik und einfacher, im Tempo angezogener Liedhaftigkeit auf. Hinzu kommt ein engagiert spielen- und singendes, weitestgehend textverständlich artikulierendes Ensemble aus Chor, Extrachor und Solisten. Dagmar Hesse ist eine dramatisch differenziert gestaltende Agathe, deren tiefgründiger Sopran auch in dem liedhaften Gebet sinnlich, verführerisch schillert. Mark Adler ist ein stimmlich heldenhaft strahlender, kraftvoller Max. Rolf A. Scheider gestaltet die Figur des Kaspar passend zu seinem eher lyrisch timbrierten Bassbariton weniger als Rächer denn als gebrochenen Außenseiter. Tanja Schun stellt ein soubrettenhaft leichtes, sorgloses Ännchen da. Die Rolle des Eremiten, bzw. zurückgezogen lebenden Veteran spielte in dieser Aufführung der erkrankte Orlando Mason, sängerisch übernahm seine Partie Marko Spehar am Bühnenrand stehend mit weich schwingendem, tiefgründigem Basstimbre. Die Rolle des in langem Ledermantel auftretenden Fürsten Ottokar übernahm in der hier besprochenen Vorstellung Heikki Kilpeläinen. Ein homogener Chorklang mit akzentuiertem, dynamisch kontrolliert gesteigertem beißenden Spottgesang oder beherzt und doch leicht klingendem Jägerhalali komplettiert das erfreuliche Bild des Abends.


FAZIT

Eine sehens- und hörenswerte Produktion.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Florian Ludwig

Inszenierung
Beverly Blankenship

Ausstattung
Peer Palmowski

Licht
Ulrich Schneider

Choreinstudierung
Wolfgang Müller-Salow

Dramaturgie
Birgitta Franzen


Chorund Extrachor
des Theater Hagen

Philharmonisches
Orchester Hagen


Solisten

* Besetzung der
rezensierten Aufführung


Ottokar
Raymond Ayers /
* Heikki Kilpeläinen

Kuno
Frank Dolphin Wong

Agathe
Dagmar Hesse

Ännchen
Tanja Schun

Kaspar
Rolf A. Scheider

Max
Mark Adler

Ein Eremit
Orlando Mason (spielt)
Marko Špehar a.G. (singt)

Kilian
Richard van Gemert

Brautjungfern
Andrea Kleinmann
Seija Koecher
Gisela Ribbert
Dorothee Ueter


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Hagen (Homepage)




Da capo al Fine

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