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Musiktheater
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Siegfried
Zweiter Tag des Bühnenfestspiels
„Der Ring des Nibelungen“
von Richard Wagner

In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln
Aufführungsdauer: ca. 5 ¼ Stunden (zwei Pausen)

Premiere am 18. Oktober 2009
Besuchte Vorstellung: 1. November 2009

Logo: Staatsoper Hamburg

Hamburgische Staatsoper
(Homepage)

Das schlimme Kind

Von Christoph Wurzel / Fotos von Monika Rittershaus

Wie zwei Plüschtiere setzt Siegfried nach vollendetem Mord und Totschlag seine beiden Opfer Fafner und Mime aufrecht sitzend einander gegenüber. Dann betrachtet er sie mit unverkennbar verwundertem Bedauern. Zu begreifen scheint er seine ungeheure Tat nicht; ebenso wenig, wie er begreift, was er angerichtet hat, als er den Speer des Wanderers zerschlug ("Solang ich lebe, stand mir ein Alter im Weg"). Und begreifen kann er auch nicht, wohin er geraten ist, als er zum ersten Mal ("Das ist kein Mann!") eine Frau vor sich sieht. Hier jetzt fürchtet er sich - zum ersten Mal in seinem Leben. In dieser Szene fließt zusammen, was dieser ungestüm unreife junge Mann in sich nicht vereinigen kann: Gefühl und Verstand, Empathie und Klugheit. Er ist einfach ein Haudrauf, wenn auch einer mit sympathischen Zügen. Claus Guth entwickelt in seiner Regie Siegfrieds Charakter ganz aus einem Punkt: seiner Verletzung als elternloses, der Liebe entbehrendes Kind, das Vater und vor allem Mutter nachsinnt und nachtrauert. So sind es auch die Szenen, in denen Siegfried seiner Eltern gedenkt, die am meisten anrühren. Hier entwickelt auch Christian Franz sein berückend schönes lyrisches Potential, das ihn neben seiner heldischen Stimmpracht zu einem idealen Siegfried-Sängerdarsteller macht.

Foto kommt später Was hat der "Held" (Mitte: Christian Franz) da angerichtet?
Fafner (links: Diogenes Randes) und
Mime (Peter Galliard) erschlagen.

Statt Held also ein verletztes Kind. Diesen psychologischen Ansatz entwickelt Claus Guth schlüssig und in intensiven Bildern auf der Bühne der Hamburgischen Staatsoper. Schon im ersten Akt erwehrt sich Siegfried seiner prekären Lebenssituation mit dem angstneurotischen, tablettensüchtigen Ziehvater Mime (ein darstellerisch wie sängerisch gleichermaßen großartiges Rollendebut von Peter Galliard), nur mittels grober Gewalt und rüpelhaften Benehmens. Mit ihm muss er in einem Slum-Unterschlupf zwischen Gerümpel und Lumpen hausen. Das Heft des Handelns reißt er an sich, als er seine Chance erkennt, das Schwert zu schmieden. Dafür verfeuert er alles, was er finden kann, auch Mimes Bücher. Aus einer Orgie der Zerstörung erwächst für Siegfried eigenes Selbstbewusstsein. Immer auch aber klammert er sich an eine Puppe, die aussieht wie sein Ebenbild, als habe er nur sich selbst, der ihn liebt. Mit Sicherheit nicht diesen Mime, für den er nur Verachtung übrig hat. So stürzt er planlos und ohne Orientierung in die Welt hinaus.

Und die besteht zuerst (im 2. Akt) aus einer Art Treibhaus, wo hinter einer großen Glasscheibe ein Urwald gleichsam ausgestellt ist - Reminiszenz an ursprüngliche Natur. Irgendwo dahinter muss sich das mythische Ungetüm Fafner, der Wurm, verbergen (in nötiger Schwärze und Behäbigkeit: Tigran Martirossian). Den Zugang dazu belauert Alberich, ein heruntergekommener Alk und Kettenpaffer, den Wolfgang Koch großartig echt spielt und präsent bedrohlich singt. Hier spielen sich dann Siegfrieds erste "Heldentaten" ab mit den oben genannten Folgen.

Wieder in einem lyrischen, szenisch breit ausgespielten Intermezzo kommt Siegfried zu sich selbst und erfährt durch den Gesang des Waldvogels mehr über sich, erfährt sich als Mann. Dieser Gesang erscheint hier mehr Zwiesprache mit sich selbst (das Kostüm ist dem Siegfrieds ganz gleich) als Zuspruch von außen zu sein. Die Koreanerin Ha Young Lee singt die Rolle frisch und ermunternd mit strahlend hellem Timbre. Und im Orchester blühen die klanglichen Schönheiten des Waldwebens auf.

Foto kommt später

Siegfried (vorn: Christian Franz)
biegt sich sein Schwert zurecht.
Im Hintergrund lauert Mime (Peter Galliard).

In der dramaturgisch lang ausgebreiteten Erkennungs-, Annäherungs- und Liebesszene mit Brünnhilde (stimmstrahlend und darstellerisch präsent: Catherine Foster) findet die Inszenierung auch dort vielerlei schlüssige Bilder, wo andere Regisseure über dauerndes Ansingen oder ödes Herumstehen kaum hinausfinden. Es ist eine Qualität dieser Arbeit, dass sie handlungserhellend ist, ohne gewaltsam konzeptversessen zu sein.

Die andere Welt ist die Wotans, dessen Stern im Sinken ist. Die Szene mit Erda ist hier in einer Bibliothek angesiedelt, deren Bestand schon merklich ausgedünnt ist. Der Welt melden Weise bereits hier nicht mehr viel, ehe das Seil des Wissens in der "Götterdämmerung" gänzlich zerreißt. Erda, als Verwalterin des restlichen Wissens, zeigt sich hier als graue Bürodienerin im Kostüm der unauffälligen 5oiger-Jahre-Mode, deren beste Tage auch hinter ihr liegen. Gesungen wird sie von Deborah Humble in klarem, warmen und sinnlichen Mezzoton. Falk Struckmann bietet in der Rolle des Wotan zwar Stimmgewalt auf, drückt die Töne aber bisweilen etwas kehlig heraus. Darstellerisch aber beeindruckt auch er mit starker Bühnenpräsenz und die Szene der Wissenswette wird mit ihm und auch dank des intensiv agierenden Peter Galliard als Mime zu einer spannenden musiktheatralischen Episode.

Foto kommt später Wer bin ich? Wer bist du?:
Siegfried (Christian Franz)
und Brünnhilde (Caterine Foster)

Spannend wird der Opernabend aber auch nicht zuletzt wegen des zwingenden Dirigats von Simone Young, die die Partitur mal mit dramatischem Feuer, mal in lyrischer Zartheit angeht. Ihr intensives, genaues Studium der Handschriften und Originalpartituren im Gralstempel Bayreuth kommt einem ausdrucksstarken Spiel der Hamburger Philharmoniker zugute. Zwar zeigten sie sich am Abend der gesehenen Aufführung technisch nicht unbedingt in Hochform (es wackelte vor allem zu oft in den Bläsern), aber insgesamt wurde doch ein transparenter, plastischer Orchesterklang in einem lebhaft artikulierten Duktus verwirklicht, was gerade die vielgestaltige "Siegfried"-Musik zum großen Hörereignis machte.


FAZIT

Den Hamburger "Ring" verbindet keine Einheitsidee, ein "Konzept-Ring" will er ausdrücklich nicht sein. Aber in der Zeichnung der Charaktere und der Erhellung der Handlung bietet er viel. Hier im "Siegfried" begegnet uns ein interessantes Portrait des Helden als einem vor allem sensiblen Menschen.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Simone Young

Inszenierung
Claus Guth

Bühnenbild und Kostüme
Christian Schmidt

Licht
Michael Bauer

Spielleitung
Petra Müller

Dramaturgie
Hella Bartnig



Hamburger Philharmoniker


Solisten

Siegfried
Christian Franz

Mime
Peter Galliard

Der Wanderer
Falk Struckmann

Alberich
Wolfgang Koch

Fafner
Tigran Martirossian
(für den erkrankten Diogenes Randes)

Erda
Deborah Humble

Brünnhilde
Catherine Foster

Stimme des Waldvogels
Ha Young Lee


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Hamburgischen Staatsoper
(Homepage)





Da capo al Fine

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