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Boris Godunow


Oper in sieben Bildern
Libretto von Modest Mussorgskij nach Alexander Puschkin und Nikolaj Karamsin
Musik von Modest Mussorgskij
"Urfassung" mit Ergänzungen aus der "Originalfassung"


in russischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 h (eine Pause)

Kooperation mit dem Stadttheater Klagenfurt
Premiere im Großen Haus der Städtischen Bühnen am 13. Juni 2010


Logo: Städtische Bühnen Münster

Städtische Bühnen Münster
(Homepage)
Das Rad der russischen Geschichte

Von Ursula Decker-Bönniger / Fotos von Michael Hörnschemeyer


Die Oper Boris Godunow von Modest Mussorgski, Münsters letzte musiktheatrale Inszenierung der Spielzeit, lässt in Anlehnung an Puschkins gleichnamiges Drama und die historischen Aufzeichnungen Nikolaj Karamsins den Vorwurf wieder aufleben, Boris Godunow, der 1580 Bojar wurde und seit 1584 faktisch die Führung Russlands übernahm und im Anschluss an eine 5 Tage währende Volksversammlung 1598 zum Zaren gewählt wurde, habe den jüngsten Zarensohn Iwans des Schrecklichen, Zarewitsch Dimitrij, ermorden lassen, um die Macht an sich zu reißen. Diesen Vorwurf schüren einerseits Bojarenfamilien wie die Romanows und Schuiskijs, um dem unliebsam gewordenen Boris zu schaden, seine krankhaften, paranoiden Verfolgungsängste zu beschleunigen und ihre Anwartschaft auf den Zarenthron zu erneuern. Andererseits bekräftigen Hungersnöte, Missernten und politische Aufstände Anfang des 17.Jahrhunderts Gerüchte im Volke, die Herrschaft Godunows sei illegitim und eine Gottesstrafe. Zugleich gibt sich der nach Polen entflohene Mönch Grigorij als noch lebender Zarewitsch Dimitrij aus, führt einen erfolgreichen, von Polen unterstützten Feldzug gegen Moskau und lässt sich – Boris Godunow stirbt 1605 an Gicht – noch im selben Jahr zum Kaiser krönen.

Vergrößerung in neuem Fenster Grigorij Otrepjew (Daniel Brenna)

Der der münsterschen Neuinszenierung zugrunde liegende Ur-Boris, so wird die aus vier Akten mit sieben Bildern bestehende, ursprüngliche Fassung der Oper von 1869 bezeichnet, beginnt mit der Krönung und endet mit dem Tode des Zaren Boris Godunow. 1870 lehnte die Mariinski-Theaterdirektion eine Uraufführung mit der Begründung ab, „die Chöre und Ensembles seien zu stark vertreten bei auffällig wenigen Szenen, in denen einzelne Personen agierten“. 1872 legte Mussorgski eine durch mehrere Lieder (u.a. das Lied der Schenkwirtin, das Lied vom gefangenen Enterich, das Mückenlied und das Lied des Zarewitsch – „Klatschhändchenspiel“) und Szenen ergänzte zweite Fassung vor, den sogenannten Original-Boris, der 1874 erfolgreich uraufgeführt wurde. Von dieser Fassung nicht unerheblich abweichend existiert noch ein vom Komponisten im selben Jahr redigierter Klavierauszug (letzte Hand). Auf was soll man für eine an Originalität orientierte Aufführung des Werkes zurückgreifen? Münster entschied sich für eine Version, die das Nationalkolorit der Oper betont. Die entstandene Mischung verzichtet auf den musikalisch kontrastreichen „Polenakt" der Originalversion, übernimmt das Schenken- und Kreml-Bild in der „Redaktion der Originalfassung" und bezieht das Bild vor der Kathedrale aus dem Ur- sowie das Schlussbild „Waldlichtung bei Kromy" aus dem Original-Boris mit ein.

Vergrößerung in neuem Fenster

Gottesnarr (Fritz Steinbacher) und Kinderchor

Ob Historiengemälde, Individualtragödie oder „musikalisches Volksdrama“, wie Nikolaj Rimskij-Korssakow die Oper nennt, in der aus lose miteinander verknüpften Einzelszenen gebauten Mischung überwiegen schwerlastige, bedrückende Massenszenen. Viele melodische und harmonische Wendungen, unregelmäßige, ungradtaktig gebaute Perioden, Synkopen und Taktwechsel sind russischer Kirchen- und Volksmusik entnommen.

Regisseur Andreas Baesler zeigt - statt Bilderfluten oder ästhetischer Traumfabrik Oper - plakative Anspielungen auf Gewalt, Reichtum und Armut, bzw. Verelendung, setzt in seiner Inszenierung auf wenig differenzierte, einfach gestellte Massenszenen. Mal stehen sie in Reih und Glied geordnet, mal bilden sie eine Gasse, um den gerade ausgerufenen Zaren zu ehren. Lediglich das erste Bild, wo der Gießvorgang und das Anrollen der Krönungsglocke auf Schienensträngen anschaulich erzählt werden und das Anarchie und Aufruhr vermittelnde, letzte Bild zeigen einen ästhetischen Aufbau.

Die Bühne stellt das Innere eines, trübe beleuchteten, nach hinten geöffneten Schiffsbauches dar. Zarte, fast verblichene Schwarz-Weiß Projektionen wie z.B. eine an die Potemkinsche Treppe erinnernde, perspektivisch angeordnete Freitreppe und die verblichene, schwarz-gau-blaue Arbeitskleidung der Massen, verweisen auf das Ende des 19.Jahrhunderts entstehende Proletariat. Die im letzten Bild geschwungene, vom polnischen Doppeladler befreite, rote Fahne erinnert an die Revolution Anfang des 20.Jahrhunderts und die in moderne Anzüge gekleideten Bojaren an heutige Verhältnisse, während das Innere des Zarengemaches im Moskauer Kreml mit einem prunkvoll dekorierten Schreibtisch und –stuhl ausgestattet ist. Weitere Requisiten, wie etwa der Cola-Automat in der Schenkszene, Computer und schillernde Diskette in der Klosterszene konterkarieren allerdings eine zeitlich und örtlich der Puschkin-Intention der Historie entsprechende Zuordnung. Bis auf die Krönungsglocke, die getragenen Kreuze und ein rotes, ewiges Licht am Bühnenrand wird die Welt des Religiösen konsequent von der Bildfläche verbannt.

Vergrößerung in neuem Fenster Waldlichtung bei Kromy, Aufruhr (Ensemble)

Dass die Oper neben dem Volksdrama auch das persönliche Leid eines an seinen paranoiden Angstzuständen zerbrechenden Herrschers schildert, verdeutlicht vor allem die transparente, manchmal fast kammermusikalisch differenzierte, viele dynamische Schattierungen und klangfarbliche Zwischentöne herausarbeitende Gestaltung des Sinfonieorchesters Münster unter der Leitung Hendrik Vestmanns. Hinzu kommen die zahlreichen Auftritte des Volkes, die Choräle und Hymnen, die die textverständlich singenden Chöre mit fast feierlicher Ruhe vortragen. Der Kontrast zum ausgezeichneten, sehr lebendigen Kinderchor bringt Passivität, Leid noch eindringlicher zur Geltung.

Alexander Teliga kann mit seinem lyrischen Basstimbre und der weichen, klangschönen Artikulation der russischen Sprache den Zerfall des Zaren Boris glaubhaft machen, die Wahnsinnsszene, alptraumatischen Ausbrüche hätten jedoch kraftvollerer, dramatischer Gestaltung bedurft. Daniel Brenna ist ein klangschöner, differenziert gestaltender, falscher Dimitrij, handwerklich solide auch die Darbietungen der übrigen Ensemblemitglieder.


FAZIT

Eine in Regie und Personenführung wenig differenzierende, zu plakative Inszenierung.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Hendrik Vestmann

Regie
Andreas Baesler

Bühne
Andreas Wilkens

Kostüme
Gabriele Heimann

Chor
Donka Miteva

Kinderchor
Jörg von Wensierski

Dramaturgie
Jens Ponath


Chor und Extrachor der
Städtischen Bühnen Münster

Sängerinnen und Sänger
des ChorWerk Ruhr

Theaterkinderchor des
Gymnasiums Paulinum

Sinfonieorchester
der Stadt Münster


Solisten

* Besetzung der Premiere

Boris Godunow
Alexander Teliga

Fjodor
Judith Gennrich

Xenia
*Henrieke Jakob/
Annette Johansson

Schuiskij
Andrea Shin

Schtschelkalow/ Niklitsch/
Hauptmann / Leibbojar/
Chruschtschow
Matteo Suk

Pimen
Plamen Hidjov

Grigorij
Daniel Brenna

Warlam/ Mitjuch
Roman Ialcic/
*Johannes Schwärsky

Missail
Thomas Stückemann

Schenkwirtin 
Suzanne McLeod

Gottesnarr
Fritz Steinbacher

Lowitzkij 
Donald Rutherford

Der junge Dimitrij
Gaspard Neuhaus/
Jannis Raschat



Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Städtische Bühnen Münster
(Homepage)



Da capo al Fine

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