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Parsifal


Bühnenweihfestspiel in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner



in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 5 h 15' (zwei Pausen)

Premiere im Großen Haus der Städtischen Bühnen am 28. März 2010
(rezensierte Aufführung: 13. Mai 2010)


Logo: Städtische Bühnen Münster

Städtische Bühnen Münster
(Homepage)
Stairway to heaven

Von Stefan Schmöe / Fotos von Michael Hörnschemeyer


„Wer ist der Gral?“ fragt Parsifal. „Das sagt sich nicht“, antwortet Gurnemanz reichlich unbestimmt und spielt den Ball damit elegant den Regisseuren zu, von denen das Publikum szenische Antworten erwartet wie jetzt in Münster von Frank Martin Widmaier. Der zitiert obige Textzeilen im Programmheft, um postwendend (von wegen: „Das sagt sich nicht“) die passende Erläuterung zu geben: „Der Gral als empfänglicher weiblicher Teil und der Speer als phallisches Machtsymbol repräsentieren die beiden Pole des Weiblichen und des Männlichen, die in eins gehören.“ Na ja, als genial neu wird man diesen Ansatz nicht bezeichnen wollen, aber ebenso wenig in Münster eine Neudeutung dieser thematisch ja nun ausgesprochen sperrigen Oper erwarten.

Vergrößerung in neuem Fenster 1. Aufzug: Gurnemanz (hier: Reinhard Hagen) und Knappen

Widmaier bleibt in seiner Deutung nah am Werk, sucht nach passenden szenischen Bildern, die das Geschehen abstrahieren. In der Aussage bleibt das sehr pauschal – was natürlich auch am inhaltlich wie textlich verquasten Stoff dieses „Bühnenweihfestspiels“ liegt. Widmaier gelingt es allerdings nicht, das ist das eine große Problem dieser Inszenierung, seine Ansätze so zu bündeln, dass daraus eine visuell tragfähige Idee entstehen könnte. Die Sexual- und Geschlechtssymbolik zeigt sich vor allem darin, dass der Gral das stilisierte Portrait einer zunächst jungen, im dritten Akt offenbar deutlich gealterten Frau ist. Dieses an sich eindrucksvolle Bild wird aber durch nichts vorbereitet, es hat keinen erkennbaren Bezug zur sonstigen Regie – zum Speer etwa, gemäß dem Zitat eigentlich das männliche Gegenstück, der aber eben nur ein klassischer Speer ist: Da läuft der Ansatz der Umdeutung schnell ins Leere.

Klingsors Turm ist ein Würfel (ästhetisch entwertet durch eine alberne Leiterkonstruktion), auf dem Fragmente des Frauenportraits aufgeklebt sind, aber das ist nicht mehr als ein Zitat; die Blumenmädchen ziehen schnell einen Vorhang auf, der mit – nun ja, Blumen bemalt ist, was ja richtig ist, aber eben eine andere Bild- (und keine Symbol-) Sprache. Und im Schlussbild gesellen sich zur degenerierten Männergesellschaft die Damen und Mädchen des Chores und blicken auf geradezu Brechtsche Weise Lösungen heischend ins Publikum, was für sich auch wieder eine hübsche Idee ist - nur lenkt die Regie gleichzeitig ab durch eine Treppe zum Himmel, auf der Parsifal unmotiviert entschwindet: Sein ganz persönlicher „stairway to heaven“.

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1. Aufzug: Gralsenthüllung, in der Mitte Titurel (Jurij Zinovenko)

Eine zweite Leitidee wird repräsentiert durch einen großen Kubus im ersten Akt, auf dessen Wänden Texte des Islam, Christentum, Judentum und Hinduismus abgebildet sind. „Ich wollte diese Urtexte als Hintergrund der Handlung präsent halten, nicht dekorativ, sondern inhaltlich gedacht, als Folie der Entwicklung unserer Kultur“, lässt der Regisseur (der sein eigener Bühnenbildner ist) sich im Programmheft zitieren. Wann aber ist ein Bühnenelement mehr als nur dekorativ? Doch wohl, wenn es funktionell wird, zumindest aber irgendwelche erkennbaren Auswirkungen auf die Regie hat. Danach sucht man hier aber vergebens, sieht man einmal davon ab, dass im dritten Akt ständig Papierblätter mit aufgedruckten Schriftzeichen vom Bühnenhimmel fallen (weil sie irgendwann auch auf dem Boden auftreffen, geht das nicht geräuschlos und ist ausgesprochen störend). Die Personenregie, soweit eine solche überhaupt erkennbar ist, zeigt sich unbeeindruckt von solchen Überlegungen. Die recht unglücklichen Kostüme (Patricia Walczak) – Parsifal in Latzhose, die Knappen wie chinesische Arbeiter – tragen da nicht zur Erhellung bei und wirken doch sehr beliebig.

Das andere Problem sind handwerkliche Unzulänglichkeiten auf allen Ebenen. Die Beleuchtung ist durchgehend eine Spur zu bunt. Die schlecht tapezierten Schriften auf dem Kubus werfen Wellen. Der erwähnte Blumenvorhang sieht aus wie ein Duschvorhang. Die zeitlichen Abläufe bei den „theatralischen“ Momenten (Fangen des Speers, Enthüllung des Grals) sind zu ungenau. Der Kubus schränkt die Spielmöglichkeiten räumlich so ein, dass die Gurnemanz-Erzählung im ersten Akt (lediglich mit ein paar unmotiviert choreographierten Gesten kommentiert) zu quälender Langeweile gerät. Noch dazu ist Widmaier als Bühnenbildner nicht vor Kitsch gefreit, wenn plötzlich Theaterblut aus den Schriftzeichen oder aus dem Auge des Gralsbildes fließt. Und der aus geschwungenem Plexiglas designte heilige Quell ist, vorsichtig gesagt, Geschmackssache.

Vergrößerung in neuem Fenster 2. Aufzug: Kundry (Elizabeth Whitehouse) und Parsifal (hier: Paul McNamara)

Da dürfte es an dieser ziemlich hilflos daherkommenden Inszenierung liegen, dass diese Vorstellung (und offenbarauch andere), gemessen an dem großen Aufwand, doch enttäuschend schlecht besucht sind – denn musikalisch ist die Produktion sehr beachtlich. Vor allem das Sinfonieorchester Münster und das entspannte, in großen Bögen eine „unendliche Melodie“ zelebrierende Dirigat von Fabrizio Ventura. Er musiziert sehr sängerfreundlich, nimmt das Orchester fast durchgehend zurück, setzt die Musik wie einen zusätzlichen Kommentar neben die Szene, keineswegs weihevoll, aber trotz flüssiger Tempi mit großer Ruhe. Großartig sind auch die im Foyer postierten Frauen- und Kinderchöre mit ätherisch entrücktem, leuchtenden Klang wie vom Himmel (der Herrenchor auf der Bühne dagegen sang in der hier besprochenen Aufführung im ersten Akt recht hemdsärmlig und trotz großer Nähe zum Dirigenten immer wieder zu schnell; im dritten Akt gelang es um einiges besser).

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3. Aufzug: Amfortas (Matteo Suk, r.) mit dem mumifizierten Titurel (Jurij Zinovenko)

Auch das Sängerensemble ist sehr ordentlich. Jon Ketilsson beginnt die Titelpartie verhalten, beweist in seinen großen Szenen mit seinem recht hellen und nicht allzu schweren Tenor dann aber Standfestigkeit und Durchhaltevermögen. Elizabeth Withehouse ist eine optisch arg in die Jahre gekommene Kundry (nicht ohne Zutun von Kostüm- und Maskenbildner); stimmlich bewältigt sie die vertrackte Partie aber eindrucksvoll, sowohl mit volltönendem Mezzo im getragenen ersten Teil als auch mit dramatischer Attacke im zweiten Teil ihrer großen Szene im zweiten Aufzug. Hier und da klingt die Stimme etwas brüchig, aber insgesamt ist das sehr souverän gestaltet. Wieland Satter ist ein zupackender, nicht allzu dunkler Klingsor. Aus dem eigenen Ensemble besetzt sind der kreuzsolide, im Ausdruck etwas pauschale, aber stimmlich präsente Plamen Hidjov als Gurnemanz und Matteo Suk als schlanker, aber eindringlich singender Amfortas.


FAZIT

Der Regie gelingt es nicht, die im Programmheft wiedergegebenen konzeptionellen Ansätze auf der Bühne umzusetzen - da bleibt vieles Stückwerk und die Regie insgesamt belanglos. Musikalisch ist dieser Parsifal nicht nur des guten Orchesters wegen hörenswert.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Fabrizio Ventura

Regie und Bühne
Frank Martin Widmaier

Kostüme
Patricia Walczak

Mitarbeit Bühne
Kerstin Bayer

Chor
Donka Miteva

Dramaturgie
Jens Ponath


Chor und Extrachor der
Städtischen Bühnen Münster

Philharmonischer Chor Münster

Konzertchor Münster

Theaterkinderchor des
Gymnasiums Paulinum Münster

Sinfonieorchester
der Stadt Münster


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Amfortas
Matteo Suk

Titurel
Jurij Zinovenko

Gurnemanz
Reinhardt Hagen /
* Plamen Hidjov

Parsifal
Paul McNamara /
* Jon Ketilsson

Klingsor
Wieland Satter

Kundry
Elizabeth Whitehouse

1. Gralsritter
Jin-Chul Jung

2. Gralsritter
Hee-Sung Yoon

Blumenmädchen
Julia Klein
Christina Lee
Judith Gennrich
Hellen Cho
Annette Johansson
Makiko Tanaka

Vier Knappen
Annette Johansson
Judith Gennrich
Andrea Shin
Fritz Steinbacher

Stimme aus der Höhe
Ute Hopp



Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Städtische Bühnen Münster
(Homepage)



Da capo al Fine

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