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Elektra lebt
Von Thomas Tillmann
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Fotos von Hans Jörg Michel
Keine Absage führte Noch-Intendant Alexander Pereira vor den Vorhang, sondern die sehr herzliche Begrüßung Daniele Gattis, der (in der Nachfolge von Franz Welser-Möst und bis zum Antritt von Fabio Luisi als Generalmusikdirektor) drei Jahre lang als Chefdirigent einen Zyklus von sechs Opernproduktionen und sechs Konzerten mit dem Schwerpunkt Verdi und Wagner dirigieren wird und sich nun mit der Neueinstudierung der Elektra an der Limmat vorstellte, mit eben jenem Werk also, das er im Sommer auch bei den Salzburger Festspielen leiten wird (wo wiederum Pereira nach zwanzig Jahren in der Schweiz ab 2011 neuer Intendant sein wird, das internationale Opernkarussel dreht sich). Gatti, der seit einigen Jahren an den allerersten Häusern enorm gefragt ist, vermied jede Hektik und widerstand der Versuchung, die durchaus grellen Effekte der Partitur herauszustellen, sondern initiierte einen geheimnisvoll-üppigen, sehr sinnlichen und gleichzeitig transparenten Klang und schien aufzeigen zu wollen, wie schön diese Musik doch klingen kann, besonders natürlich in der Wiedererkennensszene. Während er den Damen Johansson und Baltsa immer wieder Möglichkeiten zu zarten Pianopassagen eröffnete, hatte Emily Magee mit der Wucht des überaus konzentriert musizierenden Orchesters mehr zu kämpfen, wenn sie auch nicht in dieser unterging. Die von ihm angekündigten "Fragezeichen in Herz und Hirn" stellten sich bei mir indes nicht, auch kein "positiver Schock", eher die Freude über eine sehr solide, hochkarätige, aber eben auch nicht spektakuläre Wiedergabe des Werks. Elektra (Eva Johannson) erinnert sich an die Ermordung des Vaters.
Nicht neu ist Martin Kusejs Sicht der Straussoper, die Produktion, die im Dezember 2003 Premiere hatte, ist auch auf DVD festgehalten (allerdings mit Melanie Diener als Chrysothemis, Marjana Lipovsek als Klytämnestra, Alfred Muff als Orest und Christoph von Dohnányi am Pult). Es ist eine dieser Inszenierungen, die gewinnt, je mehr man an erklärenden Bemerkungen des Regisseurs gelesen und nachvollzogen hat (und er äußert sich im Programmheft sehr dezidiert und klug zur Vorlage), die aber beim bloßen Betrachten die Erwartungen nicht durchgängig erfüllte, hinter dem selbst formulierten Anspruch zurückblieb und zumindest den Rezensenten nicht durchgängig fesselte (wobei Kusej, designierter Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels München, vermutlich nicht mehr selber die Aufsicht über die Einstudierung übernommen, sondern dies an zwei Spielleiter abgegeben hat, was häufig bei allem Bemühen der Verantwortlichen zu Qualitätsverlusten führt). Szenen von großer, aber leider nicht durchgängig erfüllter, sondern szenischen Leerlauf bedeutender Ruhe, in denen die Darsteller sich selber überlassen wirken, wechselten sich ab mit hektischen, bei denen die Dienerschaft über die Bühne rennt, sich mehr und mehr auszieht und in immer neuen Konstellationen kopuliert. Es herrscht "eine extreme Kälte, aber voll glatter Schönheit, die sich ... durch andauernden Sex zu beglücken versucht", ein "durch Medien und Werbung provozierter sexueller Wahn" (wie der Regisseur weiß). Klytämnestra (Agnes Baltsa, rechts) sucht die Nähe ihrer Tochter Elektra (Eva Johannson, links). Hinsichtlich der "Dimension des Schreckens aus Mord, Inzest, Ehebruch und Kannibalismus" hat sich nach Kusej bis heute nichts geändert, "nur die Frequenz dieser elementarsten Tabuverletzungen einer Gesellschaft hat sich rasend verschärft; und was früher Bestandteil der Herrscherdynastien war, findet nun im Internet, auf Autobahnraststätten, in Arztpraxen und, ja, auch in Jedermanns Wohn- bzw. Schlafzimmer statt", und so versteht er den Mythos als "theatralische Reise durch ein blutiges Fenster in uns selbst", das Stück als "Kamerafahrten durch lange Flure, obskure Räume, Keller und Hinterhöfe, in denen sich Gefühle als Naturgewalten widerspiegeln". Klytämnestras Hof ist "gekennzeichnet durch Weiblichkeit", "korrumpiert durch Männer, die sich in diesem System eingenistet haben" - auf der Bühne verkleiden sie sich als Frauen, auch Orest, der aus dem Nichts auftaucht und vielleicht nichts weiter ist als eine "Ausgeburt der irren Sehnsucht" seiner Schwester, die sich den Realitäten ein weiteres Mal nicht stellen mag, trägt Rock, Bluse und Perücke zum Bart und hat Blumen im Arm (der Darsteller wirkte sehr erleichtert, nachdem er all dies ablegen durfte). Elektra lebt in dieser "an sich korrumpierten, verdrängenden und verfaulenden Gesellschaft und ist gleichzeitig ihre schlimmste Ausformung", sie steht von Beginn an in ihrer extremen Einsamkeit wie ein Mahnmal auf der Bühne, trägt schwarze Hosen, Stiefel, eine gelbe Kapuzenjacke, Handschuhe ohne Finger und offenes, strähnig-blondes Haar (Kostüme: Heidi Hackl) - der Protest gegen die Mutter wird also auch rein optisch formuliert. "Allein" ist ihr erstes Wort, allein bleibt sie auch am Ende (nachdem sie eine brasilianische Sambagruppe zurecht vertreibt, die die euphorische Schlussmusik "aufwerten" soll), und die Regie verweigert ihr, über Hofmannsthal hinausgehend, nach dem die gesellschaftliche Ordnung nach dem Tod Klytämnestras, Aegisths und Elektras wieder hergestellt werden könnte, auch den Tod. Großartig ist der nach hinten auf ein Tor zulaufende, hermetisch abgeriegelte Korridor von Rolf Glittenberg, dem man nur durch massive Türen entkommen kann, über den Lichtschachte angebracht sind und der mit den gepolsterten Wänden wie eine psychatrische Klinik, ein Gefängnis oder auch ein nüchtern-düsteres Hotel wirkt. Optisch interessant ist zweifellos auch der wellig-unebene Boden, der an Erdhaufen unter dem Teppich denken lässt und in den Elektra sich eine Art Grab als provisorischen Ort des Rückzugs und des Sammelns gebuddelt hat - für das Bühnenpersonal, das nie festen Halt unter den Füßen hat, ist er vermutlich nichts anderes als eine Zumutung, denn es geht und läuft sich offensichtlich sehr schlecht auf diesem Untergrund. Orest (Martin Gantner) ist zu Elektra (Eva Johannson) zurückgekehrt.
Eva Johanssons bald sehr gerade, bald vibratoreich geführte Stimme mag nicht jedermanns Geschmack sein, die Piani und die messa-di-voce-Effekte mögen auf den einen oder die andere etwas manieriert wirken, das Forte sehr hart klingen und das zeitweilige Anbohren von Tönen irritieren, aber man kann der Dänin nicht vorwerfen, dass sie sich nicht unter Totaleinsatz auf die monströse Partie einlässt, ihr keinen Ton schuldig bleibt (namentlich die vielen beherzt attackierten Acuti bleiben lange im Ohr), keinerlei wirkliche Schwächen erkennen lässt und einiges Charisma entwickelt - eine große Leistung zweifellos. Emily Magee, eben noch für ihre Kaiserin in der Zürcher Frau ohne Schatten gefeiert und demnächst hier auch wieder als Tosca zu erleben, ist bei ihrem Rollendebüt eine sehr engagierte, ja fast zu viel machende Chrysothemis mit immer schlankem, die hohe Tessitura problemlos bewältigenden, mitunter auch dunkel leuchtenden, manchmal aber auch ziemlich hart klingenden Sopran, dem für mein Empfinden ein wenig Üppigkeit und Wärme fehlen, die dieser Partie so gut anstehen. Viel Erfahrung mit der Mutterrolle hat inzwischen Agnes Baltsa, die über weite Strecken mit feinerem Pinsel malte, als ich erwartet hatte, erst in den letzten Minuten ihres Auftritts "würzte" sie ihre Interpretation mit Interpolationen wie Stöhnen und Lachen, die die Partitur nicht vorsieht und die Susan Sontag wohl als "campy" bezeichnet hätte. Die Künstlerin, deren hochgetriebene Bruststimme mitunter ein merkwürdig chansonettenhaftes Timbre annimmt und in der Höhe jetzt doch an Grenzen kommt, gab sich auch erstaunlich viel Mühe mit dem Text, für den nach wie vor starken griechischen Akzent kann sie ja nichts (dass die Kranken am "Teiche", nicht am "Deiche" sitzen, hätte ihr freilich jemand sagen können). Auch nach dem Tod des verbrecherischen Paares bleibt Elektra (Eva Johannson) allein. Martin Gantner (auch er debütierte an diesem Abend in seiner Rolle) überzeugte als Orest mit eher hellem, aber vollen Bariton, dem man die lyrische Vergangenheit anhört und dem die untere Terz seiner Partie natürlich nicht leicht fällt, und exzellenter Diktion, Ensemblemitglied Rudolf Schasching wiederholte ohne nervige Übertreibung seinen sehr soliden Aegisth. Unter den Mägden tat sich verständlicherweise die fünfte hervor, Sen Guo formulierte ihre Wertschätzung für Elektra mit durchdringendem lyrischen Sopran. Margaret Chalker, die 1987 in Zürich debütierte und in über 50 Rollen in mehr als 600 Vorstellungen zu erleben war (allein 55 Mal war sie Pamina!), brachte ihre ganze Erfahrung in ihre Gestaltung der Aufseherin ein.
Daniele Gatti hatte mit dieser Neueinstudierung der Elektra einen guten, aber keinen sensationellen Einstand als Chefdirigent der Oper Zürich - gleiches gilt als Beschreibung für den ganzen Abend. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Spielleitung
Bühnenbild
Kostüme
Lichtgestaltung
Chor
Dramaturgie
Solisten
Klytämnestra
Elektra
Chrysothemis
Aegisth
Orest
Der Pfleger des Orest
Die Vertraute
Die Schleppträgerin
Ein junger Diener
Ein alter Diener
Die Aufseherin
1. Magd
2. Magd
3. Magd
4. Magd
5. Magd
Bewegungschor
Benjamin Altorfer Gerhard Hänfling
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