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Die Arroganz der Mächtigen
Von Joachim Lange
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Fotos von Monika Rittershaus
Die Trikolore der Franzosen ist eigentlich ein Symbol für die Freiheit, für das Gute. Sie wird zum rettenden Trompetenstoß der Befreiung in letzter Minute geschwungen. Selbst wenn der Befreier Napoleon heißt. In Verdis Sizilianischer Vesper, mit der der da schon berühmte Italiener 1855 im Format der Grand opéra deren Platzhalter in der Opernhauptstadt Paris, Giacomo Meyerbeer, unverhohlen in den Ring forderte, sind die Franzosen die Bösen. Sie sind es auch in Christof Loys Amsterdamer Neu-Inszenierung. Obwohl Ursula Renzenbrink sie in Abendgarderobe von heute gesteckt hat, verhalten sie sich eindeutig: Sie sind diejenigen, die in Johannes Leiackers bedrückender Bühnenbreitband-Beklemmung Flaschen und Gläser zertreten und nach einem Moment, in der es sogar der Musik die Sprache verschlägt, sizilianische Bräute darüber kriechen lassen, bis diese an Händen und Knien bluten. Nur scheinbar allein - Hélène (Barbara Haveman) einsam im Widerstand
Auch die Pritschen mit den Anschnallgurten, die sie für die Hinrichtung der Anführer der Revolte durch die Giftspritze zur Hand haben, verfehlen ihre assoziative Signalwirkung nicht. Das sind einprägsame Chiffren der Demütigung des Menschen durch die Arroganz der Macht. Wer aber auf Effekthascherei aus wäre, der würde hier Abu-Ghuraib-Zipfelmützen und Guantanamo-Orange bemühen. Christof Loy hält stattdessen ästhetisch wohltuend Maß mit dem metaphorischen Schrecken. Er will (mit Erfolg) auf eine subtilere Wirkung hinaus. Der diskursive szenische Minimalismus, der seine Inszenierung immer häufiger durchweht, lässt in diesem Falle immer die Möglichkeit offen, ja fordert sie geradezu ein, dass sich der Zuschauer von heute aus in das Geschehen auf der Bühne projiziert und (zumindest für sich selbst) Stellung bezieht und sich fragt, wie weit er sich dem Druck der Gruppe (ganz gleich welcher) zu konformem Verhalten beugen würde. Sizilianer (links) gegen Franzosen (rechts) Schon bei Eugène Scribe und Verdi ist die Geschichte verfahren, der politische Kompromiss durch den Terror auf beiden Seiten Illusion. Und auch bei Loy bleibt sie es. Das exemplarisch Tragische von verfahrenen Verhältnissen für ein normales Leben wird eher noch deutlicher, weil er die (erstaunlich dahin plätschernde und trällernde) Ballettmusik nutzt, um die Alternative eines richtigen Lebens als Traum zu zeigen. In den Räumen der Kindheit mit ihren Blümchentapeten und dem Kochgeschirr der Mutter, den unbeschwerten Kinderspielen und den Träumen vom kleinen Glück. Utopie als Balletttraum in den Schutzräumen der Kindheit
Jenseits dieses geträumten Schutzraums aber tun die Besatzer und ihr sadistischer Anführer alles, um den Hass der Sizilianer zu schüren, den vor allem die Herzogin Hélène und der in seine Heimat zurückkehrende Arzt Procida (Balint Szabo) bündeln und zur Befreiungstat führen wollen. Der in Hélène verliebte Henri wird in seinem aufständischen Furor ausgebremst, als ihm der verhasste Gouverneur eröffnet, dass er dessen leiblicher Sohn ist. Zum Tyrannenmord wäre er fähig, zum Vatermord aber nicht. Als er ihn, wie verlangt, endlich als Vater anspricht und um Gnade bittet, gewährt der Gouverneur Generalpardon und willigt sogar in die Verbindung von Henri und Hélène ein. Doch dieser Weg zu einer vermeintlichen Umkehr ist schon mit zu vielen Toten gepflastert. Die Sizilianer schlagen zu, als die Glocken die Versöhnung einläuten: Dem Gouverneur wird die Kehle durchgeschnitten. Am Ende geht der Bösewicht zu Boden (Alejandro Marco-Buhrmester) Auch am Pult des Nederlands Philharmonisch Orkest überzeugt Paolo Carignani, weil er dem Protagonisten-Ensemble Raum zur Entfaltung gibt, unaufgeregt und federnd begleitet, aber auch die große Emotion entfesselt. Unter den Protagonisten macht vor allem die dunkel leuchtende Eloquenz von Barbara Haveman die Hélène zum Ereignis. Auch ihre Gegenfigur, der Gouverneur Guy de Montefort, hat bei Alejandro Marco-Buhrmester stimmliches Charisma. Zwischen den Fronten verblüfft Burkhard Fritz als (Hélène und die sizilianische Freiheit liebender, aber von Montefort durch Vergewaltigung seiner Mutter abstammender) Henri mit tenoraler Wucht und erstaunlicher Leichtigkeit.
Mit dieser Sizilianischen Vesper ist der Oper in Amsterdam auf hohem musikalischem Niveau ein Wurf gelungen. Christof Loys packende Regiehandschrift war für manchen, an Pierre Audis Bildertheater gewöhnten Amsterdamer so ungewohnt, dass es auch ein paar Buhs gab. Es ist gleichwohl eine der besten Inszenierungen von Christof Loy. Sie macht neugierig auf seinen in Genf anstehenden Ring. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Video
Choreografie
Ballett-Libretto
Chor
Dramaturgie
Solisten
Hélène
Ninetta
Henri
Guy de Montfort
Jean Procida
Thibault
Danieli
Mainfroid
Robert
Le Sire de Béthune
Le Comte de Vaudemont
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