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Hérodiade

Oper in vier Akten
Text von Paul Milliet und Henri Grémont nach Gustave Flauberts Hérodias

Musik von Jules Massenet


in französischer Sprache mit niederländischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 50' (eine Pause)

Premiere in der Vlaamse Opera Gent am 11. Februar 2011
Übernahmepremiere in der Vlaamse Opera Antwerpen am 25. Februar 2011
(rezensierte Aufführung: 27.02.2011)

 




Vlaamse Opera
(Homepage)
Die ganz andere Salome

Von Thomas Molke / Fotos von Annemie Augustijns

Er wolle ein musikalisch großartiges Werk der französischen Oper wieder in das Theater-Repertoire zurückholen. Diese Absicht äußerte der neue GMD der Vlaamse Opera, Dmitri Jurowski, zur Motivation, warum diese so selten gespielte Oper Massenets jetzt auf dem Spielplan stehe. In der Tat zeigt dieses Werk in den grandiosen Chorpassagen, dass es den Opern Verdis durchaus ebenbürtig ist, mit seiner Leitmotivik auch bei Richard Wagner gelernt und die orientalischen Klänge von Bizets Les pêcheurs des perles weiterentwickelt hat. Auch steht es in seinem Aufbau noch in der Tradition der grand opéra. Schade ist, dass es durch Richard Strauss' 24 Jahre später erschienenes Werk Salome nahezu vollständig von den Spielplänen verschwunden ist und nur einzelne Arien den Weg in die Gala-Konzerte geschafft haben. Ob Jurowskis ohne Zweifel verdientes Ansinnen, dem Werk die Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die es folgerichtig verdient, von Erfolg gekrönt sein wird, bleibt abzuwarten.

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Hérodiade (Julia Gertseva) befragt Phanuel (Petri Lindroos) über die geheimnisvolle junge Frau.

Inhaltlich folgt Massenet im Gegensatz zu Strauss, dessen Oper auf dem gleichnamigen Bühnenstück von Oscar Wilde basiert, der Erzählung Hérodias von Gustave Flaubert, die 1877 in den Trois contes erschienen ist. Diese Variante unterscheidet sich in einigen Punkten von der biblischen Vorlage und auch von dem 1891 erschienen Bühnenstück von Oscar Wilde. Im Zentrum steht Hérodiade, die Ehefrau des jüdischen Tetrarchen Hérode. Sie hatte damals Rom und ihre Tochter Salomé verlassen, um an der Seite ihres Schwagers Hérode, den politischen und finanziellen Einfluss zu erlangen, der ihr bei ihrem ersten Ehemann verwehrt blieb. Jean, Johannes der Täufer, kritisiert öffentlich ihr unsittliches Verhalten und schafft sich damit eine gefährliche Feindin. Doch zunächst genießt Jean noch Hérodes Protektion, da dieser ihn für den Ausbau seiner eigenen Macht missbrauchen möchte. Mittlerweile kommt Salomé auf der Suche nach ihrer Mutter nach Judäa und erregt das Interesse des Hérode. Allerdings ist sie von Jean und seinen Reden so fasziniert, dass sie die Annäherungsversuche des Tetrarchen barsch zurückweist und schließlich  gemeinsam mit dem Propheten eingesperrt wird. Während Hérodiade mit Unterstützung des römischen Konsuls Vitellius Jeans  Enthauptung erwirkt, kann sie durchsetzen, dass Salomé freigelassen wird. Doch Salomé dankt es ihrer Mutter nicht, verflucht sie und richtet sich selbst.

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Salomé (Carmen Giannattasio) auf der Suche nach Jean (an der Wand: Animaux (Anna Tenta, Slawek Bendrat)).

Das Regieteam um Joachim Schlömer hat dramaturgisch einige Veränderungen am Werk vorgenommen. So wird die drei Jahre später für die Pariser Fassung komponierte achte Szene, der Beginn des dritten Aktes, anstelle der Ouvertüre als ein Prolog an den Anfang gestellt. Der Priester Phanuel befragt die Sterne nach der Zukunft für das israelische Volk. Dabei hantiert er in einem feinen schwarzen Anzug mit zwei goldenen Kugeln, die wohl den Lauf der Sterne andeuten sollen. Hérodiade erscheint, um ihn nach der Herkunft der seltsamen jungen Frau zu befragen, die seit einiger Zeit in ihrem Ehemann eine unerwünschte Leidenschaft erregt - warum sie in dieser Szene rauchend auf der Bühne stehen muss, bleibt unklar. Phanuel offenbart ihr, dass das junge Mädchen ihre lange für tot gehaltene Tochter Salomé aus erster Ehe ist. Schlömer glaubt, Hérodiades Motivation für ihr Handeln plausibler zu machen, indem er diese Information an den Anfang des Stückes stellt. Dennoch hätte man für eine Wiederentdeckung des Werkes gerne gehört, was die Ouvertüre so zu bieten gehabt hätte.

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Hérode (Philippe Rouillon) begehrt Salomé (Carmen Giannattasio) (im Hintergrund: die Animaux (Anna Tenta, Slawek Bendrat)).

Die im Libretto vorgesehenen klassischen Balletteinlagen hat Schlömer gestrichen, dafür jedoch zwei Tänzer eingeführt, die das Geschehen kommentieren sollen. Für Schlömer symbolisieren sie die Freiheit des Individuums, was bis zur Pause allerdings schwer nachvollziehbar bleibt, da sie entweder als Rehe im Wald auftauchen, die immer dann zu kopulieren scheinen, wenn Hérode sein Verlangen nach Salomé beschreibt, oder sich in Hérodes modern eingerichtetem Loft als undefinierbare rosafarbene Plüschtiere mit Hasenohren als Haustiere auf dem Sofa räkeln. Mit Freiheit hat das nicht viel zu tun. Wenn sie nach der Pause allerdings sehr akrobatisch eine senkrechte Wand nach oben steigen, während Salomé auf der Suche nach Jean ist, lässt sich dieser Ansatz - wenn man es weiß - nachvollziehen. Überhaupt spielt die Tiermetaphorik in Schlömers Inszenierung eine sehr große Rolle. So tritt am Ende nach Salomés Tod der Chor mit Schweinemasken auf, um das bestialische Verhalten der Menschen nachzuzeichnen. Wieso im letzten Akt ein Film auf einer Leinwand läuft, in dem neben Einspielungen einer Hollywood-Verfilmung der Salome-Geschichte mit Rita Hayworth von 1953 Hasen als Playboy-Bunnys, als kopulierende Kaninchen in freier Wildbahn, als Beute und als zuzubereitender Hasenbraten gezeigt werden, bleibt völlig unklar und erinnert schon fast an Christoph Schlingensiefs Parsifal in Bayreuth.

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Salomé (Carmen Giannattasio) liebt Jean (Zoran Todorovich).

Für die Römer hat Schlömer lateinische Textpassagen in die Inszenierung integriert. So zitiert der Konsul Vitellius bei seinem ersten Auftritt, nachdem er aus dem Schnürboden in beigefarbenem Jägeroutfit mit Lorbeerkranz hinabgelassen worden ist, zunächst einmal Ciceros De officiis und erklärt dessen Auffassung, dass menschliches Zusammenleben nur funktioniert, wenn keiner versucht, sich auf Kosten des anderen zu bereichern und dass eine Gesellschaft, in der jeder nur an seinem eigenen Vorteil interessiert ist, zum Scheitern verdammt ist. Dieser Auszug passt folgerichtig zu Vitellius' späterer Handlung, dass er nämlich den Juden ihren Tempel zurückgibt. Den römischen Soldatenchor im zweiten Bild des vierten Aktes haben Schlömer und sein Dramaturg Xavier Zuber sogar ins Lateinische übersetzt und lassen ihn als Sprechgesang ertönen, der nur von Schlagzeug begleitet wird. Damit wird unterstrichen, dass die Römer im Werk eine ganz andere Sprache sprechen als die Juden.

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Hérodiade (Julia Gertseva) hält ihre tote Tochter Salomé (Carmen Giannattasio) in den Armen (im Hintergrund: der Chor mit Schweinemasken).

Die Kostüme von Dagmar Morell und Jens Kilian siedeln die Handlung nicht in biblischer Zeit an. So ist der Chor in zeitlose Anzüge gekleidet. Hérode wirkt im ersten Teil wie ein Hausmann, bevor er dann eine grüne Generaluniform trägt. Nur Jean und Salomé stechen durch ein nicht in das Bild passendes Outfit heraus. So trägt Jean ein weites weißes Gewand, das ihn als unschuldigen Propheten erscheinen lässt. Salomé bringt mit ihren feuerroten Haaren zum einen Farbe ins Spiel, zeigt aber zum anderen auch, dass sie nicht in diese Gesellschaft passt. Das Bühnenbild von Jens Kilian zeigt in den Waldszenen kahle Baumstämme, die gefällt auf der Bühne liegen und zwischen denen sich die Figuren bewegen. Hérodes Loft befindet sich auf einem Podest, das vom Schnürboden herabgelassen werden kann und ein sehr abstraktes modernes Ambiente in sterilem Weiß offenbart. Wieso Hérode sich bei seinem ersten Auftritt als Koch beim Gemüseschneiden zeigt, bleibt unmotiviert.

Die besuchte Aufführung hatte mit einer besonderen Schwierigkeit zu kämpfen, da die Darstellerin der Salomé, Carmen Giannattasio, leider erkrankt war. Die extra eingeflogene Sopranistin Barbara Haveman konnte die Partie zwar singen, war aber nicht in die Inszenierung eingearbeitet, so dass die szenische Darstellung durch die Regieassistentin Victoria Pfortmüller erfolgte. Letztere stattete das junge Mädchen mit sehr viel Charme aus. Hinzu kam Barbara Havemans mädchenhaft strahlender Sopran, der sowohl die lyrischen Passagen als auch die dramatischen Ausbrüche stimmlich ganz hervorragend auslotete, so dass sie für ihre innige Rolleninterpretation gerade bei ihrer Auftrittsarie "Il est doux, il est bon!" großen Szenenapplaus bekam. Besonders innig gerieten ihre Duette mit Zoran Todorovich als Jean. Todorovich verlieh dem Propheten großen tenoralen Schmelz, meisterte die hohen Töne, ohne zu pressen, und verlieh der Figur den strahlenden Glanz, den dieser Prophet haben muss, um die Massen zu bewegen.

Auch der Bariton Philippe Rouillon wusste als Hérode in vollem Maße zu überzeugen. Besonders innig gelang ihm seine, vielleicht aus Gala-Konzerten bekannte, Arie "Vision fugitive", in der er durch einen Trank, den ihm eine junge babylonische Priesterin verabreicht hat, eine Vision der von ihm vergötterten Salomé hat. Überhaupt ist diese Szene mit den spielfreudigen Damen des Chores und der sich sehr sinnlich bewegenden und mit beweglichem Sopran intonierenden Julianne Gearhart als Jeune Babylonienne ein weiterer Höhepunkt des Abends. Auch Petri Lindroos als Phanuel und Igor Bakan als Vitellius meisterten die kleineren Rollen sehr gut.

Streitpunkt der Vorstellung blieb Julia Gertseva in der Titelrolle. Während sie in den tieferen Passagen ihren Mezzo sehr gut fließen ließ, wurde er in den dramatischen Höhen etwas eng, was einzelne Zuschauer so verärgerte, dass Gertseva am Ende einige Buhrufe entgegennehmen musste. Die Heftigkeit der Buhrufe war aber doch etwas übertrieben, weil Gertseva alles in allem die nicht unproblematische Rolle recht passabel meisterte. Das Orchester unter der musikalischen Leitung von Dmitri Jurowski arbeitete die Vielschichtigkeit der Partitur sehr präzise heraus. Auch der Chor war von Yannis Pouspourikas sehr homogen einstudiert, so dass die musikalische Gestaltung des Abends die inszenatorischen Schwächen sehr schnell vergessen ließ und beim Publikum einen heftigen, wenn auch nur kurzen Applaus auslöste.


FAZIT

Massenets Musik hat vor allem im Jean-Thema einen gewissen Ohrwurmcharakter, so dass es schön wäre, wenn dieses Werk den Weg ins Repertoire zurückfinden könnte. Musikalisch ist es Strauss' Salome sicherlich ebenbürtig. Über die Inszenierung kann man geteilter Meinung sein.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
*Dmitri Jurowski /
Yannis Pouspourikas

Inszenierung / Choreographie
Joachim Schlömer

Bühne und Kostüme
Jens Kilian

Kostüme
Dagmar Morell

Chorleitung
Yannis Pouspourikas

Licht
David Finn

Dramaturgie
Xavier Zuber

 



Chor der Vlaamse Opera

Symphonisches Orchester
der Vlaamse Opera


Solisten

*Besetzung der rezensierten Aufführung

Salomé
Carmen Giannattasio /

*Barbara Haveman

Jean
Zoran Todorovich

Hérode
Philippe Rouillon

Hérodiade
Julia Gertseva

Phanuel
Petri Lindroos

Vitellius
Igor Bakan

Jeune Babylonienne
Julianne Gearhart

Le Grand Prêtre
*Thierry Vallier / Guido Verbelen

Animaux / Dansers
*Anna Tenta / Philine Janssens
*Slawek Bendrat / Erwin Wauters






Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Vlaamse Opera (Homepage)




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