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Jeanne d’Arc – Szenen aus dem Leben der Heiligen Johanna

Text und Musik von Walter Braunfels


In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln
Aufführungsdauer: 3 Stunden – eine Pause

Premiere am 27. April 2008
Besuchte (7.) Aufführung am 3. November 2010


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Deutsche Oper Berlin
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Prozession mit Kuh und Ziegen

Von Christoph Wurzel / Fotos: Thomas Aurin
 

So viel Schlingensief war wohl nie in Berlin. Nach seinem Tod ist Christoph Schlingensief in der Berliner Bühnenwelt in diesem Herbst höchst präsent. Die Staatsoper startete in ihre erste Saison im Ausweichquartier des Schillertheaters mit der Uraufführung von Jens Joneleits Musiktheaterstück Metanoia, dessen Regiekonzeption Schlingensief noch entworfen hatte, das aber nur als eine Art Regiefragment realisiert werden konnte, weil er unmittelbar vor Probenbeginn am 21.August verstarb. Anfang November fand zu seinem Gedenken in der Berliner Volksbühne, wo Schlingensief nach seinen Filmanfängen erst zum Theatermann wurde, ein Gedächtnisabend statt. Und am 3. November hatte sich seine Gemeinde zur Wiederaufnahme seiner Inszenierung der szenischen Uraufführung der Johanna-Oper von Walter Braunfels versammelt, die dort 2008 herausgekommen war.

Lange - zu lange, wenn man dessen musikalische Qualitäten betrachtet – hatte dieses Werk in der Vergessenheit geschlummert. Walter Braunfels gehört zu den doppelten Opfern der nationalsozialistischen Kulturbarbarei: Vom Regime von Anfang an verfehmt (im März 1933 wurde er aus seinem Amt als Direktor der Kölner Musikhochschule entlassen) musste er, dessen Musik in der Weimarer Republik hoch anerkannt und viel gespielt war, in die Innere Emigration gehen und fand im Nachkriegsdeutschland nach seinem Tod im Jahre 1954 mit seinen Werken fast gar kein Gehör mehr. Bis in die jüngsten Jahre hinein taucht der Name Walter Braunfels selbst in einschlägigen  Fachlexika nicht mehr auf.

Vergrößerung in neuem Fenster

Johanna gefangen auf der Intensivstation: Mary Mills mit Ensemble

Seine Musik ist keineswegs „neutönerisch“. Im Gegenteil, Braunfels fühlte sich eher der spätromantischen Tradition verpflichtet, ja wird als ein Konservativer eingestuft. In der Johanna-Oper hat er ein großes Strauss-Orchester eingesetzt und entfesselt massig voluminöse Klänge, die aber zugleich in ihrer prächtigen Farbigkeit und rhythmischen Raffinesse außerordentlich effektvoll sind.  Wesentliches Charakteristikum seiner Musik ist ihre faszinierende Bühnenwirksamkeit. Obwohl die Faktur äußerst diffizil und gekonnt ausgearbeitet ist, wirkt diese Musik höchst eingängig und suggestiv. Große Massenszenen wie die Huldigungsszene, mit der der 2. Teil endet, haben fast  filmisches Format. An anderen Stellen gibt Braunfels in  arienartigen Monologen mit subtilen Mitteln feinste Charakterzeichnungen der Figuren, in jeweils genau individualisierender Tonsprache. Ulf Schirmer, der die Musik bis ins Kleinste hinein analysiert hat, stellte mit dem Orchester der Deutschen Oper die dramatische Kraft und den schillernden Farbenreichtum der Partitur eindrucksvoll heraus.

Braunfels’ Johanna-Oper ist dramaturgisch ein Bilderbogen, der in drei Teilen mit insgesamt acht Szenen den Weg Johannas schildert: von der Berufung des schlichten Bauernmädchens durch die Engelsstimmen über ihren Triumph nach der Eroberung der von den Engländern belagerten Stadt Orléans und der Krönung Karls von Valois zum französischen König in Reims bis zu ihrer Gefangennahme nach der Niederlage vor Paris durch die Engländer und ihre Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen in Rouen. Es ist ein sperriges Werk, gebaut aus Genreszenen, reflektierenden Monologen, quasi liturgisch oratorischen Sequenzen und groß angelegten Chorszenen. In seinem Libretto geht es Braunfels allerdings weniger um die lineare Abfolge einer äußeren Handlung. Größeres Augenmerk richtet er auf die innere Entwicklung Johannas, auf ihre Mission, ihre Selbstzweifel und schließlich ihre endgültige Hinwendung an ihre himmlische Sendung.

Thematisch steht im Mittelpunkt die Frage nach der Wahrheit von Johannas göttlicher Sendung, die - von mehreren Seiten her geprüft – dann doch offen bleibt. Braunfels, ursprünglich jüdischer Abstammung und später zum Katholizismus konvertiert, stellt in der Oper den individuellen Glauben Johannas der kollektiven Begeisterung über ihre Erscheinung gegenüber. Genau in der Mitte der Handlung steht ein bezeichnender Monolog, in dem der Skeptiker Trémouille über den politischen Missbrauch von Johannas Charisma sinniert und Braunfels eine eindeutige Parallele zur Massenverführung durch den Faschismus zieht.

Foto

Königskrönung und andere Rituale: Daniel Kirch (König Karl von Valois, sitzend) und Nathan De’Shon Myers (Erzbischof von Reims) mit Ensemble

Für diese Massenszenen hat Schlingensief Bilder quasi liturgischen Formats entworfen, wie er sie ein Jahr später in das Zentrum seines Fluxus-Oratoriums „Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“ gestellt hat. Bischöfe, Priester, Mönche, Nonnen, Ministranten – das ganze Klerikerpersonal marschiert in vollem Ornat auf der Bühne auf, groß- und kleinwüchsig, auch Gestalten religiöser Riten anderer Kulturen. Zu Beginn schon flimmern Filmsequenzen über Leichenverbrennungen in Nepal auf dem Vorhang, die Schlingensief selbst mit verwackelter Camera aufgenommen hat. Mitunter winkt er daraus auch munter ins Publikum. Für die ländlichen Genreszenen werden lebende Tiere aufgeboten. Zur ironischen Brechung wird mit Mitteln des Pop und Trash gearbeitet. Zu ihrem Schlussmonolog („...bis in den Tod mit Gott verbunden“) entsteigt Johanna einer riesigen Hochzeitstorte. Ununterbrochen jagen sich Anspielungen, die sich mehr oder weniger, manchmal  auch gar nicht erschließen. Mit seiner eigenen Krankengeschichte hat Schlingensief im 3. Teil „Leiden“ die Szene überlagert. Das Thema, das in all seinen weiteren Theaterarbeiten zentral wurde: „Wer seine Wunde zeigt, wird geheilt.“ Johannas Gefängnis ist die Intensivstation und als Symbol drohenden Unheils wird vom Schnürboden ein zerfressener, schwarzer Lungenflügel heruntergefahren. Kurz vor dem Beginn der Arbeit an dieser Produktion hatte Schlingensief seine Krebsdiagnose erfahren.

Schlingensiefs assoziative Art, zahllose theatralische Mittel zu addieren, setzt zweifellos enormes Phantasiepotential frei, macht aber das Verständnis von Braunfels’ schwierigem Werk nicht gerade leichter. Nicht Pointierung, sondern Diffusion ist das Prinzip dieser Inszenierung. Eine „visuelle Musik“ soll die auditive ergänzen, wie Dramaturg Carl Hegemann im Programmheft schreibt. Man könnte diese Regietechnik auch als Ablenkung oder Wegführung empfinden, als Reizüberflutung, durch die man sich am Ende multimedial erschlagen fühlt.

Ein Kollektiv eminent engagierter Darsteller macht dieses Opern-Spektakel zum solitären Ereignis.  Herausragend ist die Darstellung der Johanna, für die Mary Mills mit eindrucksvollen stimmlichen Qualitäten die richtige Mischung aus entschlossenem Sendungswillen und frommer Hingabe aufbringt. Daniel Kirch singt die Tenorrolle des Königs lyrisch schön. Den draufgängerisch groben Gilles de Rais, dem Braunfels hier eine zentrale Rolle als Anheizer von Johannas Feldzug zugewiesen hat und der später als historische Figur zum blutrünstigen “Blaubart” wird, gibt in mächtiger Erscheinung im Phantomkostüm Morten Frank Larsen.


FAZIT

Hat man diese Produktion gesehen, dann hat man eine Art Memorial für Christoph Schlingensief erlebt, ein lebendiges Dokument seiner einmalig kreativen Theaterkunst. Das Werk an sich könnte eine stringent entwickelte und seine Vielschichtigkeit erarbeitende weitere Inszenierung durchaus vertragen. Dass diese bald auf einer Bühne erscheint, bleibt zu hoffen. Immerhin gibt es seit Kurzem eine CD-Aufnahme der Oper.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Ulf Schirmer

Inszenierung (Idee und Konzeption)
Christoph Schlingensief

Regieteam 
Anna- Sophie Mahler,
Soren Schuhmacher,
Carl Hegemann

Spielleitung
Claudia Gotta

Konzeption der Bühne
Thomas Goerge
Thekla von Mülheim

Inszenierung (Idee und Konzeption)
Christoph Schlingensief

Kostüme 
Aino Laberenz

Film/Video
Kathrin Krottenthaler

Chöre
William Spaulding

Dramaturgie
Carl Hegemann
Katharina John



Statisterie der
Deutschen Oper Berlin

Chor der Deutschen Oper
Berlin

Kinderchor der Deutschen Oper
Berlin

Orchester der
Deutschen Oper Berlin


Solisten

Hl. Michael
Thomas Blondelle

Hl. Katharina
Anna Schoeck

Hl. Margarete
Julia Benzinger

Karl von Valois, König
Daniel Kirch

Erzbischof von Reims
Nathan De’Shon Myers

Cauchon, Bischof von Beauvais
Peter Maus

Vicar-Inquisitor
Simon Pauly

Johanna
Mary Mills

Jacobus von Arc
Ante Jerkunica

Colin
Paul Kaufmann

Gilles de Rais
Morten Frank Larsen

Herzog de la Trémouille
Lenus Carlson

Herzog von Alencon
Jörg Schörner

Ritter Baudricourt
Markus Brück

Lison
Katarina Bradic

Bertrand de Poulengy
Clemens Bieber

Florent d’Illiers
Nathan De’Shon Myers

Page
Laura Borgwardt

Salisbury, Hauptmann
Nathan De’Shon Myers

Hohepriesterin
Karin Witt

Tänzer
Marcos Abranches

Zalzal
Jens-Eric Schulze







Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Deutschen Oper Berlin
(Homepage)



Da capo al Fine

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