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Die Meistersinger von Nürnberg
Oper in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner


In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 5 Stunden 30 Minuten (zwei Pausen)

Premiere am 26. September 2010 an der Komischen Oper Berlin


Homepage

Komische Oper Berlin
(Homepage)
Wo Menschen fühlen, da tanzen die Häuser

Von Roberto Becker / Fotos von Monika Rittershaus

Natürlich kann man fragen, ob auch noch an der Komischen Oper in Berlin Wagners Meistersinger von Nürnberg sein müssen. Oder ob die nicht an der Deutschen Oper – und, wenn es denn sein muss, auch an der Lindenoper - besser aufgehoben wären. Aber wenn man schon von dem Hausgebot, Wagner beim Spielplan an diesem Haus außen vor zu lassen, abweicht, dann ist es die Handwerker- und Deutsche-Kunst-Oper, die hierher passt. Natürlich als Chefsache auf der Bühne und am Pult. Dass der lange Zeit Walter Felsensteins Haus dominierende Harry Kupfer hier vor fast dreißig Jahren schon mal einen Coup damit gelandet hat, mag für den bald in Richtung Zürich scheidenden Andreas Homoki ein zusätzlicher, verborgener persönlicher Anreiz gewesen sein, es auch damit zu versuchen. Mit seiner Version hat er jedenfalls die seltene Chance, die in der Erinnerung immer glorioser werdende Vorgänger-Inszenierung Kupfers in der Musiktheater-Gegenwart nicht nur in der Gunst des Publikums sogar zu überbieten. Einen solchen Triumph für eine Regiearbeit des Hausherrn und deren musikalische Qualität ist in der Komischen Oper jedenfalls eine seltene Ausnahme!

Vergrößerung Eva (Ina Kringelborn) und Sachs (Tómas Tómasson)

Dabei hat Homoki nicht einmal einen besonders verqueren oder originellen, konzeptionellen Einfall oder den Ehrgeiz, einen dezidierten Beitrag zum Diskurs über das etwas diffus mäandernde kulturelle Selbstverständnis der Deutschen abzuliefern. Oder vielleicht doch?

Jedenfalls betrachtet er die chauvinistischen Untertöne der Schlussansprache von Hans Sachs mit ihrem antifranzösischen Tuch offenbar als hinreichend erörtert. Was auch stimmt. Ob nun bei Peter Konwitschny ganz direkt als Unterbrechung des Stückes mitten in der rezeptionsgeschichtlich kontaminierten Ansprache. Oder bei Katharina Wagner als radikale Umkehrung des gewohnten Gut-und-Böse-Schemas der Figuren und der quasi therapeutischen Freilegung des Reaktionärs im versöhnlerischen, notorischen Gutmenschen Hans Sachs. Auch, dass das Brandenburger Tor, das Hans Neuenfels in seine Stuttgarter Deutschstunde hineinprojiziert hatte, nur einen Steinwurf entfernt von der Komischen Oper steht, interessiert Homoki nicht.

Vergrößerung

Walther von Stolzing (Marco Jentzsch)

Die Nürnberger Bürgerhäuser, die ihm Frank Philipp Schlössmann gebaut hat, haben aber auch keine historischen Gesichter. Kein Giebel, keine Butze, Nirgends. Doch diese fahrbaren, über zweieinhalb Akte schlichtweißen und dann festwiesenbunten Hausmodelle samt Kirchturm haben einen Inhalt. Sogar einen erstaunlich lebendigen, liebenden und ein wenig intrigierenden, auf Bewährtem beharrenden, das Neue fürchtenden, sich neckenden und manchmal auch austricksenden, sehr menschlichen Inhalt. Dabei sieht Homoki in Hans Sachs durchaus etwas von dem Spitzbuben, als den Beckmesser seinen populären Meisterkollegen erkannt zu haben glaubt. Homoki belässt aber auch diesem Beckmesser durchaus seine Würde. Er ist ein im Grunde seriöser, wenn auch etwas kauziger Außenseiter. Die Konturen der anderen Meister sind allerdings insgesamt mit einer so spitzen Feder zwischen skurrilem Bilderbogen und liebenswürdiger Karikatur nachgezogen, dass der dürrbeinige Stadtschreiber mit seinen langen wehenden Frackschößen gar nicht so sehr aus der Rolle fällt.

Vergrößerung Chor

Auch das Verhältnis zwischen dem einfachen Volk und den herrschenden Meistern wird hier nicht als verdeckter Klassenkampf ausgemacht. Selbst wenn die Lehrbuben beim Aufmarsch zur Festwiese so tun, als hätten die Meister kein Publikum, und sich zu deren Verblüffung verstecken, dann schwingt selbst in diesem Schabernack immer noch Respekt mit. Dieses Nürnberg ist eine zwar gegliederte, aber keineswegs untereinander verfeindete Gesellschaft. Hier weiß oder ahnt jeder, was er am anderen hat. Hier ahnt (Pogner mit seiner absonderlichen Idee, seine Tochter als Preis zu stiften) oder weiß (Sachs im Wahnmonolog) man aber auch, dass sich etwas ändern muss, damit alles so bleiben kann.

Und Andreas Homoki wagt es, die Utopie einer Erneuerung durch den Einbruch innovativer Kunst (Stolzings Überraschungserfolg) als These ernst zu nehmen. So wie der stürmisch liebende, junge (Ritters-)Mann Walther von Stolzing den lebensklug, auf einen realen Versuch mit Eva verzichtenden, erfahren liebenden Mann Sachs als ernsthaften Konkurrenten um Evas Liebe ernst nimmt. Damit wird die Walters Zurückweisung der Meisterehre nach seinem durchschlagenden Erfolg auf der Festwiese in dieser Lesart nicht nur zum Politikum. Sie hat auch eine rein private Komponente. Beim „Will ohne Meister glücklich sein“, klingt das „Meister“ diesmal wie Singular. Er meint vor allem den einen Meister. Nicht den Titel an sich. Stolzing respektiert Sachs, aber er will ihn nicht als Nachbarn, vor allem nicht, als dauernden Vergleich mit sich selbst vor Evas Nase haben.

Vergrößerung

Chor

In solchen Momenten wird der besondere Charme von Homokis Inszenierung besonders deutlich. Er hat nämlich die Meistersinger als Wagners menschlichstes, der Komödie am nächsten kommendes Werk ernst genommen und mit leichter Hand als an- und wirklich berührendes Kammerspiel auf die Bühne gebracht. Bei all dem Menscheln unterschlägt er freilich auch die dunklen Seiten nicht. Bei ihm sind es latente Gefährdungen. Dieses Nürnberg kann abweisend sein. Nachdem Stolzig in der Singschule gescheitert ist, formieren sich die Häuser zu einer uneinnehmbaren Festung. Und wenn es dann in der Johannisnacht drunter und drüber geht, dann geraten die wohlgeordneten bürgerlichen (Häuser-)Fassaden auch schon mal ziemlich aus der Vertikalen. Es gelingt den Bürgern allerdings auch schnell, die Ordnung wieder her- und ihre Häuser wieder aufzustellen.

Dass ganz am Ende der Schutzraum der bürgerlichen Behausungen überhaupt verschwindet, sprich die Bühne völlig leer ist, Walther von Stolzing auf den Schultern enthusiastischer Massen davon getragen wird und Sachs und Beckmesser allein und verlassen zurückbleiben, gewinnt über die anrührend versöhnliche Geste zwischen diesen beiden hinaus, dann doch noch eine subtile politische Dimension: Es gibt offenbar auch ganz andere Gefahren für ein Gemeinwesen, als die äußere Bedrohung durch ungebetene Eindringlinge oder den ominösen welschen Dunst und Tand, den Hans Sachs gerade in seiner Schlussansprache beschwört. Das hat Andreas Homoki exemplarisch vorgeführt. Und zwar ohne den belehrenden Holzhammer.

Vergrößerung Beckmesser und Sachs

Diese Meistersinger sind aber auch ein musikalischer Glücksfall für die Komische Oper. Der neue GMD Patrick Lange hatte nach einigen Irritationen in der Ouvertüre das Orchester beindruckend im Griff, packte kräftig zu, überdeckte dabei aber die Sänger nicht. Dass der Chor dieses Hauses all seine schauspielerische Erfahrung einbringen würde, war zu erwarten und gehört ebenso auf die Habenseite dieser Produktion wie das Protagonisten-Ensemble. Jeder einzelne Meister nutzt hier die Chance, sein Profil auch stimmlich zu beglaubigen. Das gelingt neben dem Pogner dem sonoren Dimitry Invshchenko, besonders überzeugend aber dem agilen Günter Papendell als Fritz Kothner. Tom Erik Lie übertrifft sich selbst als beweglich spielender und jeder stimmlichen Herausforderung gewachsener Sixtus Beckmesser. Als David und Magdalena nuten auch Thomas Ebenstein und Karolina Gumos in Chance zu einprägsamen Rollenporträts. Die Eva von Ina Kringelborn hätte man sich mit etwas mehr Glanz in der Höhe gewünscht, doch fügt auch sie sich in das Ensemble ein, das obendrein rein optisch wie beim Filmcasting zusammengestellt wirkt.

Marco Jentsch hatte als Walther schon in der Kölner Meistersinger-Inszenierung aufhorchen lassen, hat inzwischen aber noch deutlich an Stolzing-Souveränität und müheloser Strahlkraft hinzugewonnen. Das Kraftzentrum des Ensembles freilich ist der Sachs von Tómas Tómasson. Eloquenz und Stimmfarbe, Ausdruckskraft und Glaubwürdigkeit vereinen sich hier in einer nahezu idealen Weise. Selbst minimale Abweichungen vom deutschen Idiom lassen bei ihm die Figur noch wachsen.


FAZIT

Diese Meistersinger an der Komischen Oper sind ein Wurf. Es ist nicht nur eine von Homokis besten Inszenierungen geworden, sondern obendrein auch musikalisch ein gelungener Einstand für den neuen GMD Patrick Lange.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Patrick Lange

Inszenierung
Andreas Homoki

Bühnenbild
Frank Philipp Schlößmann

Kostüme
Christine Mayer

Licht
Frank Evin

Chöre
Robert Heimann

Dramaturgie
Werner Hintze



Chor und Chorsolisten der
Komischen Oper Berlin

Orchester der
Komischen Oper Berlin


Solisten

Hans Sachs
Tómas Tómasson

Veit Pogner 
Dimitry Ivashchenko

Kunz Vogelgesang
Christoph Schröter

Konrad Nachtigall
Carsten Sabrowski

Sixtus Beckmesser
Tom Erik Lie

Fritz Kothner
Günter Papendell

Balthasar Zorn
Peter Renz

Ulrich Eißlinger
Stephan Spiewok

Augustin Moser
Thomas Scheler

Hermann Ortel
Karsten Küsters

Hans Schwarz
Hans-Peter Scheidegger

Hans Foltz
Hans-Martin Nau

Walther von Stolzing
Marco Jentzsch

David
Thomas Ebenstein

Eva
Ina Kringelborn



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Komischen Oper Berlin
(Homepage)



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