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Wo der Kaiser zu Fuß hinmarschiert
Von Roberto Becker Wenn sich ein Regisseur wie Sebastian Baumgarten ausgerechnet das gute alte Weiße Rößl zur Brust nimmt, dann liegen Freund und Feind auf der Lauer und fragen sich, was er mit diesem unverwüstlichen Stück wohl anfangen, ja ob man es überhaupt noch wiedererkennen würde. Zu den Spezialitäten des ehemaligen Meininger Chefregisseurs gehört ja das Aufbrechen der Struktur einer Vorlage und die ästhetische Öffnung zu einer auf den ersten Blick erkennbaren Gegenwart hin. Auch jubelt er den betagten Texten gerne Gegenwartsphilosophie unter. Beim Musiktheater ist das nicht ganz so einfach, denn da setzten die musikalischen Vorgaben diesem Deutungsfuror Grenzen. An der Komischen Oper in Berlin hat Baumgarten den prominentesten Operetten-Schimmel jetzt aber weder wie von manchen befürchtet - zur Schlachtbank geführt, noch hat er ihn wie von anderen erhofft - in der Arena der Geschichte und Entstehungszeitkritik wirklich aufregende Pirouetten drehen lassen. Das Verblüffende an dem Abend war, wie dicht Baumgarten neben der Vorlage herläuft, und wie knapp er die Zügel dabei hält. Natürlich ist das alles leicht verfremdet. Die an der Seite auf Leinwände projizierten Kitsch-Postkarten vom Wolfgangsee, die sind vergilbt, der Kaiser kommt mit dem Zeppelin, das Rößl selbst ist eine Mehrzweckberghütte (Bühne: Janina Audick) mit ausgeschnittenem Herzchen, Balkonzimmer und integriertem Kuhstall in der ersten Etage. Der Orchestergraben ist - ganz touristenfreundlich wie ein Swimmingpool eingefasst, nebst zwei Sprungbrettern Richtung Publikum. Manchmal nimmt dort auch jemand einen gehörigen Anlauf, kann sich dann aber an der Logenverkleidung gerade noch festhalten. Und dann gibt es da auf der linken Seite auch noch eine (etwas überstrapazierte) Drehtür für das stille Örtchen, wo dann tatsächlich auch der Kaiser zu Fuß hingeht. Die Revue-Operette wurde 1930 uraufgeführt und im Handumdrehen zum Welterfolg für den Theaterunternehmer Erik Charell. Hatte er doch mit einem Massenaufgebot an Darstellern, Tänzern, Revue-Girls und Musikern ein großstädtisch-mondänes Alpenvergnügen geboten, das auch am Broadway gute Figur machte. Für die Nazis war das nichts, sie ließen dieses Rößl verschwinden. Als es nach dem Krieg wieder auftauchte, wurde es als harmlose Schmonzette fast zu Tode verfilmt. Manchmal erinnert eine kurze Sequenz an die Entstehungszeit 1930 und ihre Folgen. Da zuckt etwa der Arm des Oberkellners zwischendurch mal nach vorne rechts, oder seine Stimme schnarrt für einen Moment wie in einer Hitlerparodie. Und wenn der Chor der Salzkammergut-Bewohner so betont schmuck blondbezopft oder einheitlich kurzbehost und mit weißem Hemd aufmarschiert, um den Kaiser zu begrüßen, dann verweist das schon die Moden der späteren Dreißiger Jahre. Aber das sind eher Fußnoten. Im Wesentlichen bleibt Ralph Benatzkys Singspiel schon bei seinen Ohrwürmern und beim Revueschmiss. Selbst die Verächter der Operette könnten die Gassenhauer wie Die ganze Welt ist himmelblau, Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist oder eben einfach Im Weißen Rössl am Wolfgangsee . mitsingen. Dafür haben schon die weichgespült instrumentierten und auf heile Welt getrimmten Verfilmungen nach dem Krieg gesorgt. Gerade hier aber bietet die Berliner Inszenierung frischen (alten) Wind. Es wird nämlich die 2009 in Zagreb wieder aufgetauchte Orchestrierung der Urfassung der Operette aus dem Jahre 1930 gespielt. Samt Folklore-Trio mit Zither, Blaskapelle und Jazz-Combo. Das ist überraschend kraftvoll und spitzt preußisch zu, wo man Operetten-Schmäh erwartet. Und es unterstreicht die perfekte Selbstparodie des Genres. Wenn etwa beim Besuch des österreichischen Kaisers (den Irm Hermann leider nur bis zu sich selbst verfremdet) Österreich so verherrlicht wird, dass es nach preußischem Pomp und Tschingderassabum klingt. Die Geschichte von der Rößl-Wirtin, ihrem Zahlkellner und den deutschen Gästen im österreichischen Urlaubsdomizil ist überschaubarer Boulevard, der auch bei Baumgarten und seiner Truppe mit Tempo gemacht wird und selbst in den (leider nicht immer verständlichen) Dialogen ganz gut amüsiert. Vor allem die hinreißend überdreht spielende und höchst passabel singende Dagmar Manzel geht mit Bravour als Rößl Wirtin Josepha durch. Auch ihr Schauspieler Kollege Max Hopp fällt als Zahlkellner Leopold nicht vom Hochseil zwischen Schauspiel- und Gesangspartie! Kathrin Angerer hat beim Gesang schon eher Mühe, verlässt sich als Fabrikantentochter Ottilie mehr auf Schmollmund und Sissi-Blick. Dirigent Koen Schoots, das Orchester der Komischen Oper, die Schramlmusi und das BVG-Blasorchester, die quicklebindigen Schauspieler und Sänger haben (etwas zu lange) dreieinhalb Stunden alle Hände und Kehlen voll zu tun und ernten dafür reichlich Beifall. Dass es Baumgarten allen Recht machen könnte, war nicht zu erwarten. Das Premierenpublikum behandelte auch ihn freundlich. Wenn er im nächsten Sommer zum Auftakt der Bayreuther Festspiele Wagners Tannhäuser neu inszeniert, und der dort obligatorische Buhsturm losgeht, dann wird ihm sein Ausflug ins Weiße Rößl wie ein Wohlfühlurlaub vorkommen.
Die Entscheidung, das Weiße Rößl in der Komischen Oper zu spielen, mag ihr ambitionierter Intendant Andreas Homoki, neben der musikalischen Fassung, auch damit gerechtfertigt haben, es einem beherzten Regisseur wie Sebastian Baumgarten anzuvertrauen. Dass das Resultat jetzt obendrein auch noch zur Aufbesserung der etwas mageren Auslastungszahlen der Komischen Oper beitragen könnte, ist ein sicher nicht unerwünschter Nebeneffekt seines Mutes zum Risiko. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Licht
Choreographie
Video
Chöre
Dramaturgie
Solisten
Josepha Vogelhuber
Leopold Brandmeyer, Zahlkellner
Wilhelm Giesecke (Fabrikant)
Ottilie
Dr. Erich Siedler, Rechtsanwalt
Sigismund Sülzheimer
Prof. Dr. Hinzelmann, Lehrer
Klärchen
Der Piccolo
Der Kaiser
Briefträgerin Kathi
Pianist
Zeniz
Reiseleiter
Bürgermeister
Brautpaar
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