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Antigona

Tragedia per musica in tre atti

Libretto von Marco Coltellini
Musik von Tommaso Traetta



In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Dauer: 3 ¼  Stunden – eine Pause

Premiere am 30. Januar 2011 im Schiller-Theater Berlin
Besuchte (4.) Aufführung am 8. Februar 2011


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Staatsoper Berlin
(Homepage)
Nicht mehr Barock, noch nicht Klassik

Von Christoph Wurzel / Fotos von Clärchen und Matthias Baus

Keine Ausgrabung zwar, aber doch sehr selten gespielt:  Tommaso Traettas Antigona gibt es nicht oft zu sehen, schon gar nicht an größeren Häusern. Seine Sofonisba, die für die Mannheimer Kurfürstliche Hofoper geschrieben wurde, kam dort am Nationaltheater 2006 nach langem Archivschlaf wieder auf die Bühne. Aus Anlass der 20. Berliner Barocktage hat sich René Jacobs nun Traettas wohl bedeutendstes Bühnenwerk Antigona vorgenommen, das 1772 während des Komponisten Anstellung am St. Petersburger Hof entstand. Traettas Ansehen zu seiner Zeit als Reformer begründet sich in der Überschreitung der überkommenen barocken Seria-Form. Seine Bedeutung von uns aus gesehen besteht darin, dass er besonders mit Antigona auf die dramaturgisch wahrhaftigere Form des musikalischen Dramas vorausweist, wie sie bereits neun Jahre später der sturmbewegte Mozart in seinem Idomeneo zu erster Meisterschaft geführt hat. Und reizvoll ist seine melodisch erfindungsreiche und virtuos ausgezierte Musik.

Szenenfoto

Unerbittlicher König: Creonte (Kurt Streit) mit dem Volk von Theben (Chor)


Ein Zwischenspiel der Operngeschichte also ist diese Antigona: eine wirkliche Tragödie im Inhalt, eng angelehnt an eine der Ur-Tragödien der Geschichte überhaupt, an das antike Drama des Sophokles von der Ödipustochter Antigone, die eher ihrem Gewissen und dem ethischen Gesetz als dem Herrschergebot folgt, indem sie ihren im Kampf gefallenen Bruder Polyneikes gegen den Willen König Kreons / Creontes bestattet und dafür lebendig in ein Verließ eingemauert werden soll. Dieser, und das ist Aufklärung pur, begreift in einem echten Akt der Umkehr am Ende das Unmenschliche seines Befehls – ein Finale weit weg vom konstruierten lieto fine der opera seria. Barock ist an diesem Werk auch sonst nicht mehr viel, allenfalls eine noch mitunter floskelhaft anmutende musikalische Diktion. Traettas Musiksprache zeichnet  im Ausdruck noch keine so ausgeprägt individuellen Charaktere wie die Mozarts. Dennoch durchweht der musikalische Geist des Neuen spürbar das Werk. Besonders die zahlreichen Chorpartien sind in ihrer heftigen Dramatik davon durchzogen, was der Staatsopernchor auch ausnehmend gut umsetzt. Das barocke Arienfeuerwerk ist überwunden, ebenso die Gleichnisarien. Traettas Librettist Marco Coltellini hat stattdessen an den Höhepunkten den Handlungsverlauf geschickt zu bewegenden Szenen aus lebendigen Rezitativen, Accompagnati, Arien und Ensembles verdichtet, was Spannung auf der Bühne erzeugen könnte.

Leider aber hat Regisseurin Vera Nemirova im Verlauf der Handlung erst spät  überzeugende Lösungen gefunden. Erst im 3. Akt findet die Inszenierung ihren Stil, wenn der tragische Konflikt in die Katastrophe treibt und Antigona und ihr Geliebter Emone dem Tode im Gewölbegrab entgegen sehen. Erst hier stellt sich in tragischem Ernst  atmosphärische Dichte her. Im 1. Akt herrscht vornehmlich Unverbindlichkeit und schale Konvention. Der für beide tödliche Kampf der verfeindeten Brüder Eteokles und Polyneikes wird auf der Vorderbühne als Ringkampf gezeigt, eher Show als erschütternd.  Die Einäscherungsszene dann für den verfemten Bruder begleitet der Chor der trauernden Frauen mit peinlichem Schunkeln. Im 2. Akt droht alles sogar in die Klamotte zu kippen. Kreons Krönungsszene wird als albern überzeichnete Ordensverleihung gezeigt, etwas Politsatire gemischt mit Kritik an der opportunistischen Frauenrolle Ismenes, der es entgegen ihrer Schwester Antigona an Widerstandsgeist mangelt. Als Reminiszenz an glücklichere Tage lässt die Regisseurin vier Kinder unbeschwert über die Bühne tollen, was die schicksalhafte Belastung dieser Familie von Ödipus und Jokaste doch zu sehr verharmlost. Einzig die Trauerszene für den gefallenen Bruder, den Antigona stellvertretend im Kind Polyneikes beweint, kann anrühren. Und auch die sehr karge Bühne, die außer verstreuten Lederlappen am Boden nur einen Matchrichterstuhl in der Mitte zeigt, vermag auch mangels ausgeklügelter Lichtregie kaum Atmosphäre zu schaffen.

Szenenfoto

Trauer um den gefallenen Bruder: Antigona (Veronica Cangemi) mit Polyneikes als Kind (Jannis Engelbrecht) und Chor


In der Ausformung der Charaktere ist  die Regisseurin ebenfalls kaum in tiefere Schichten vorgedrungen. Creonte, mit gut geführtem, leicht ansprechenden Tenor von Kurt Streit gesungen, ist anfangs zu plakativ als leichtfüßiger Draufgänger gezeigt – zu leicht, um Bosheit in die tragische Verwicklung zu bringen. Erst in seiner großen Wende-Arie („Ich habe mein Unglück selbst erzeugt...“) findet er vom Klischee zu echten Gefühlen. Veronica Cangemi singt eindrucksvoll, koloraturstark und stimmschön, die Rolle der Titelheldin. In ihrer Anlage der Rolle zeigt sie aber mehr Empfindsamkeit als Entschlossenheit. Den Gegenpart ihrer zaghaft zweifelnden Schwester gibt Jennifer Rivera durchaus glaubhaft. Auch sie singt virtuos und makellos schön. Aus dem insgesamt überzeugenden Gesangsquartett der Hauptfiguren ragt aber Bejun Mehta deutlich heraus. Seine Counterstimme strahlt Glanz und Wärme zugleich aus. Mit ihr entfaltet er eine musikalische Ausdruckspalette, die auch diesem zwischen der Liebe zu Antigona, dem Protest gegenüber dem Vater Creonte und der Hoffnung auf Leben innerlich zerrissenen Rollencharakter eindrucksvoll Gestalt gibt. Schließlich gibt als staatstreuer Adrasto der Tenor Kenneth Tarver eine insgesamt tadellose Gesangsleitung ab.

Aus ihrer nunmehr zwanzigjährigen Zusammenarbeit in der Alten Musik schlagen die Akademie und René Jacobs wieder einmal effektvolle Funken. Dass Jacobs Traettas Musik besonders schätzt, wird Takt für Takt hörbar. Mit großem Engagement formt das Orchester ein vielgestaltiges, plastisches Klangbild, in allen Gruppen veredelt und mit farbigen Bläser-Akzenten durchsetzt sowie Harfe, Hammerklavier und Orgel in den Rezitativen.


Szenenfoto Entschlossen zum gemeinsamen Tod: Emione (Bejun Mehta) und Antigona (Veronica Cangemi)

Das Finale lässt die Regisseurin offen. Antigona und Ermione treten am Schluss aus ihrem Verließ wieder heraus, befreit vom einsichtigen König. Während der Jubel des Volkes wenig zu überzeugen vermag, bleibt die Regie doch eine deutende Antwort schuldig.

FAZIT

Musikalisch bestes Jacobs-Format. Gesanglich durchweg auf hohem und höchstem Niveau. Szenisch leider recht unentschieden.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
René Jacobs

Inszenierung
Vera Nemirova

Bühnenbild
Werner Hutterli

Kostüme
Birgit Hutter

Licht
Olaf Freese

Chöre
Eberhard Friedrich
Frank Markowitsch

Dramaturgie
Detlef Giese
 

Komparserie der Staatsoper

Staatsopernchor Berlin

Akademie für Alte Musik Berlin
 


Solisten

Antigona
Veronica Cangemi

Ismene
Jennifer Rivera

Emone
Bejun Mehta

Creonte
Kurt Streit

Adrasto
Kenneth Tarver





Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Unter den Linden Berlin
(Homepage)



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