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Musiktheater
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The Rake's Progress

Oper von Igor Strawinsky
Text von W. H. Auden und Chester Kallman


In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Veranstaltungsdauer: ca. 3 Std. (eine Pause)

Premiere an der Staatsoper Unter den Linden im Schillertheater Berlin
am 10. Dezember 2010


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Staatsoper Berlin
(Homepage)
Neues aus dem Liebeswohnwagen

Von Roberto Becker / Fotos: Ruth Walz

Der groß und spektakulär gedachte Opern-Auftakt für das als Ausweichspielstätte der Berliner Lindenoper reaktivierte Schillertheater ging bekanntlich nicht nur wegen Christoph Schlingensiefs Tod ziemlich daneben. Und weil der mit der Mailänder Scala koproduzierte Nibelungen-Ring auch mehr in die Kategorie großer Opernzirkus gehört, umwehte die jüngste Premiere immer noch ein Hauch von Anfang. Hinzu kommt, dass Jürgen Flimm den in seinen Jahren als Intendant der Salzburger Festspiele so erfolgreichen Dirigenten Ingo Metzmacher mit dem polnischen Regisseur Krzysztof Warlikowksi für die Produktion von Igor Strawinskys The Rake's Progress zusammengespannt hat.

Der Titel dieser mit musikalischen Erinnerungen und souveränen Rückbezügen aufgeladenen, 1951 uraufgeführten Faust-Mephisto-Opernvariante klingt in der üblichen Übersetzung mit „Karriere eines Wüstlings“ auch nicht viel griffiger als im englischen Original. Strawinskys Librettisten W.H. Auden und Chester Kallman haben sich die Geschichte des Tom Rakewell etwas absonderlich belehrend und stilisiert zurechtgedichtet. Der junge Mann kommt durch eine Erbschaft (und damit endgültig erloschenem eigenen Ehrgeiz, für seinen Lebensunterhalt selbst aufzukommen) vom rechten Lebens-Weg ab. Der hätte ihn mit großer Wahrscheinlichkeit an der Seite der ihn liebenden Anne (mit sprechendem Nachnamen Truelove, also wahre Liebe) und einer vom Schwiegervater besorgten Stellung, mit Kinderschar und Eigenheim sicher in die Rente geführt. Was natürlich gänzlich opernuntauglich wäre.

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Die Zuschauer und die Factory

Da macht ein diabolischer Nachlassverwalter und Ver-Führer wie Nick Shadow entschieden mehr her. Mit dem lernt man Bordelle kennen und das große Leben, der bietet den Kick einer Hochzeit mit der Jahrmarktsattraktion, der bärtigen Türken- Baba, der gaukelt die große Erfindung der Maschine, die aus Steinen Brot machen kann, vor. Dieser Schatten-Mann wird zum Lotsen in die Pleite und den Wahnsinn. Nach ihrer Reise von der Kleinen (Bürger-) in die große (Halb-)Welt landen die beiden schließlich beim Kartenspiel um Toms Seele. Weil der sich aber noch an die Macht der Liebe erinnert, verliert der Teufel diesen Pakt und fährt selbst zur Hölle. Aber auch Tom verliert erst seinen Verstand und dann auch noch sein Leben. Und damit es jeder versteht, gibt es zum Finale noch einmal die Moral von der Geschicht', gerade so, als wär's der Don Gionvanni.

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Anne und Baba beim Plausch

Bei Warlikowski, der in seinen Opern-Inszenierungen gerne mit dem Selbstbild eines aufmüpfigen Schwulen spielt, gibt's auch diesmal allerlei Ingredienzien aus diesem Topf. Beim ihm wird das Lasterleben in London zum Künstlerleben in einem New York, in dem Andy Warhol den Ton angibt. Bei ihm hat folgerichtig Nick Shadow (polternd und immer auf großes Stimmformat aus: Gidon Saks) nicht nur den sprichwörtlichen Hut, sondern eine weißblonde Warhol-Perücke auf. Er lässt bei Sex und Drugs die Puppen tanzen, macht natürlich das schmucke Landei Tom zu seinem Liebhaber und kriecht mit ihm gemeinsam zu der als Siebziger-Jahre-Vollweib auftoupierten Mother Goose (Birgit Remmert) in den Liebes-Wohnwagen, den Ausstatterin Ma³gorzata Szczêœniak in ihre offene Bühnen-Factory schieben lässt. Und in den natürlich eine Handkamera hinein spioniert, um das ganze Drunter-und-Drüber und Jeder-mit-Jedem als Video-Kunst zu vermarkten.

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Nick glaubt noch, dass er gewinnt

Warlikowski betreibt da einigen Statistenaufwand mit eingeöltem und sich (ent-)fesselnden Solo-Tänzer, einer in Gestalt des schlanken Counters Nicolas Ziélinski ungewöhnlich attraktiven (und zickigen) Türkenbaba und einer ganzen Truppe von Ikonen der amerikanischen Pop- und Filmgeschichte. Er zeigt die Kunstszene, spielt mit ihren Ritualen, denunziert damit zugleich das eigene Metier. Weil das alles aber nur von seinem Publikum leben kann, hat er auf einer fahrbaren Galerie im Bühnenhintergrund all jene Kleinbürger als Zuschauer dieser Glamourwelt platziert, denen die Nachahmung lasziver Gesten schon als Illusion von Freiheit genügt. Das macht Sinn, entschleunigt sich aber im zweiten Teil bis an die Ermattungsgrenze. Da wo es eigentlich besonders turbulent zugeht, tritt Warlikowski szenisch auf die Bremse. Das Aufgebot an Pop-Ikonen bleibt so mehr ein illustrierender Nachtrag zu seiner These, dass die überdrehte Kunstwelt a la Warhol nur die Begleitmusik auf dem Weg in den Abgrund ist. Worüber sich ja trefflich streiten ließe. Hat doch jede große und bleibende Kunst die Tendenz zu Anmaßung, auch beim Einverleiben menschlicher Substanz. Szenisch nimmt er großen Anlauf für einen Sprung in die Welt der Kunstproduktion und –Vermarktung, landet dann aber doch nur ziemlich weich bei denen, die immer schon wussten, dass die Sünde in der Großstadt lauert und die Künstler eh alle windige Typen sind.

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Nick und Tom beim Zocken um die Seele

Musikalisch erzählt Ingo Metzmacher eine melancholische Geschichte, ungewöhnlich zart und eher mit einem sehnsüchtigen Blick auf die Quellen, aus denen Strawinsky seine Musik schöpfte. Beim ihm klingt alles sehr nach einem Mozart der feingewebten, schwebenden Töne und ist immer ein wenig traurig und melancholisch. Das ist sicher nicht das, was man von Strawinsky an pointierter Turbulenz erwartet, passt aber in seiner unaufgeregt nachsinnenden Art durchaus zur Szene. Der Beifall für das Ensemble, mit einem überzeugenden Florian Hoffmann als Tom und der jugendlich sympathischen Anna Prohaska als Anne an der Spitze, schloss im Schillertheater auch das Regieteam ein.

FAZIT

Der Inszenierungsansatz von Warlikowski ist zwar schlüssig, doch geht ihm bei der konsequenten szenischen Umsetzung die Puste aus. Musikalisch bleibt Metzmacher konsequenter und macht mit der Staatskapelle vor allem den Mozart hinter Strawinsky hörbar. Das Premierenpublikum hatte keine Probleme mit diesen Perspektiven-Verschiebungen


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Ingo Metzmacher

Inszenierung
Krzysztof Warlikowski

Bühnenbild und Kostüme
Ma³gorzata Szczêœniak

Licht
Felice Ross

Video
Denis Guéguin

Choreographie
Claude Bardouil

Chorleiter
Frank Flade

Dramaturgie
Jens Schroth


Chor der Staatsoper
Unter den Linden

Staatskapelle Berlin


Solisten

Trulove
Andreas Bauer

Anne
Anna Prohaska

Tom Rakewell
Florian Hoffmann

Nick Shadow
Gidon Saks

Mother Goose
Birgit Remmert

Baba the Turk
Nicolas Ziélinski

Sellem
Erin Caves

Wärter des Irrenhauses
James Homann

Darsteller
Fabien Chas
Christophe Linèrè
Alexander Fend
Felix Mathias Ott
Uwe Czebulla
Nathalie Hünermund
Nadja Musil
Uta Rössler
Jutta Bayer
Martina Böckmann
Thomas Höfer
Alin Deleanu
Hans Werner Sander
Jana Timptner



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Unter den Linden Berlin
(Homepage)



Da capo al Fine

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