Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Nick und Andy Von Christoph Wurzel / Fotos von Ruth Walz Von barocken Kupferstichen zur Oper und zurück zur bildenden Kunst – das passt eigentlich nicht schlecht zum Polystilisten Igor Strawinsky. Denn dieser hatte sich für sein 1951 uraufgeführtes einziges Abend füllendes Bühnenwerk von dem Bilderzyklus A Rake’s Progress des Malers und Kupferstechers William Hogarth (ca. 1735) inspirieren lassen. In der Neuinszenierung an der Berliner Staatsoper stellte der polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski die Geschichte vom Niedergang eines Lebemanns infolge seiner Vergnügungs- und Genusssucht direkt in die künstliche Parallelwelt von Andy Warhols „Factory“, wo außer der Kunst auch Drogen- und Sexexzesse wilde Blüten trieben. Vom London des 18. Jahrhunderts und der Gesellschaftskritik am Leben der „Wüstlinge“ des britischen Adels erzählt diese Version nun nichts mehr, dafür stellt die Inszenierung die Ausschweifungen in der Undergroundszene im New York der späten 60iger Jahre auf die Bühne – und dies als recht melancholischen Abgesang auf jenen eskapistischen Lebenshunger mit seinen vergeblichen Glücksblütenträumen. Erste Station des Niedergangs: das Bordell der Mother Goose Die neun Szenen der Oper zeigen wie in einem Bilderbogen den Weg des
biederen und unzufriedenen Tom Rakewell auf der Suche nach dem
Glück, worunter er Reichtum und Ruhm versteht. Als eine Art Mephisto
ermöglicht ihm Nick Shadow diese Wünsche, verlangt aber dafür nach
einem Jahr seine Seele. Zuerst verschafft er ihm eine Erbschaft und
führt ihn dann über Mother Goose’s Freudenhaus zu Baba the Turk, einer
bärtigen Jahrmarkssensation, die er heiratet. Die erfolglose
Vermarktung einer absurden Erfindung stürzt Tom in den wirtschaftlichen
Ruin. Nach Jahresfrist finden sich beide auf einem Friedhof wieder, wo
sie um Toms Seele Karten spielen. Auf wunderliche Weise gewinnt Tom das
Spiel und statt gerettet zu werden, findet er sich im Irrenhaus wieder.
Auf seinem Weg in den Abstieg erscheint immer wieder seine Verlobte
Anne Trulove, die zu ihm hält, bis sie ihn im Irrenhaus für immer
verlässt. Im moralisierenden Epilog, wie wir ihn aus Don Giovanni
kennen, wird gewarnt: Wo es Faule gibt, ist der Teufel nicht weit. Die letzte Karte sticht: Tom Rakewell (links: Florian Hoffmann) und sein Verführer Nick Shadow (Gidon Saks) Nick Shadow, dieser Teufels-Kerl, den Strawinskys Librettisten Auden
und Kallman zu der Hogart-Geschichte hinzu erfunden haben, um den
kreuzbraven, aber leichtfertigen Tom Rakewell (etwas blass in der Rolle
bleibt Florian Hoffmann) zum exzessiven Luxus zu verführen, tritt also
als weißhaariger Andy Warhol in Aktion, als Kunstscharlatan, der Tom
vom schnellen Reichtum gleich wieder in den sicheren Bankrott herunter
stößt und ihm obendrein auch auf eigene Rechnung als Spielball eigener
sexueller Lüste Wunden schlägt. Damit ein solches Konzept auch
aufgeht, braucht es einen Sänger, der verführerisch genug, zugleich
entsprechend grob, roh und gemein agiert, was Gidon Saks im letzten
Fall sehr überzeugend, im ersten nicht so sehr gelingt. Aber Einfühlung ist auch
weniger das Ziel der Inszenierung, sie schildert den moralischen
Verfall der Hauptfigur aus coolem Abstand – und ebenso den seiner
ehedem braven Freundin Anne, die Anna Prohaska mit enormer Intensität
und zauberhaft stimmlicher Energie lebendig macht. Auch sie rutscht auf
seinen Spuren in das verderbte Milieu. Die verspießerten Zuschauer auf
der Bühnen-Galerie betrachten das Treiben der abgedrehten Gesellschaft
allerdings eher gelangweilt und mit Desinteresse. Im Zuschauerraum
dagegen lässt sich eine sehr angenehme Distanz zur Bordell- und
Strichatmosphäre auf der Bühne gewinnen wie auch zum Aufmarsch der
abgedrehtesten US-Pop-Ikonen zwischen Micky Mouse und Spiderman (in
Anspielung an Warhols Film „Flesh and Trash“). Der
anti-illusionistischen Dramaturgie der Oper kommt das durchaus
entgegen. Warlikowski erweist sich als
Perfektionist der theatralischen Mittel. So viel Komparserie, Effekt
und Glamour auch aufgeboten werden, sie werden kalkuliert eingesetzt –
im selben „als-ob“-Habitus wie Strawinsky seine Musik komponiert hat.
Als ob sie klassisch wäre (ein Mozart-Orchester!), gerät sie aber dann
doch immer wieder in eine moderne Schräglage. Und ebenso
anspielungsreich wie Strawinskys Musik sind Warlikowskis szenische
Bilder. So spiegelt sich Warhols Manie des Videofilmens in der
ständigen Gegenwart eines Kameramanns auf der Bühne und der
Liveprojektion seiner Bilder. Überzeugend auch die Besetzung der
„Türkenbaba“ mit dem Counter Nicolas Zielinski, der diese Rolle auch
sängerisch bestens ausfüllt. Die
Friedhofsszene lässt Strawinsky bewusst „trocken“ musizieren: die
beiden Sänger und ein Cembalo, sonst nichts, was dem tödlichen Spiel um
die existentielle Frage ungeheure Dichte verleiht. Hier bei Warlikowski
wird es allerdings optisch zu sehr verkürzt auf die homoerotische
Komponente dieses Teufelspakts. Und etwas ideenarm bleibt auch die
Irrenhausszene, wo das Regiekonzept nicht mehr aufgeht, weil es
auf die mythischen Schichten (Venus und Adonis) dieses außergewöhnlich
poetischen Textbuchs weitgehend verzichtet, wie ebenso auf dessen
satirische Ebene. Einzig das Bild der geschlossenen Türen des
Irrenhauses, in denen sich schließlich das Publikum spiegelt, bleibt
von der Schlussszene aussagekräftig in Erinnerung. Da schließt sich der
Kreis zum Beginn, als der gealterte Tom Rakewell im Publikum sitzend
begrüßt wurde.
Ingo
Metzmacher hat die
Staatskapelle glänzend in den Griff bekommen. Aus dem hoch
gefahrenen
Orchestergraben klingt die Musik erfrischend klar und transparent.
Gerade die kammermusikalische Faktur Strawinskys kommt bestens zur
Geltung. Auch Metzmacher schlägt eher den melancholischen Ton an
und
betont die klassizistische Seite der Musik. Der klaren musikalischen
Diktion kommt die trockene Akustik des Schillertheaters zugute. Wie
überhaupt der Charme der fünfziger Jahre, der durch
Zuschauerraum
und Foyers des Schillertheaters weht, dieser Ausweichstätte der
Staatsoper für dieses Stück besonders gut zu Gesicht steht. Die Qualitäten der
Inszenierung liegen vor allem in ihren kühl konzipierten und perfekt
installierten Bildern. Die Musik kommt in ihrer klaren Schönheit voll
zur Geltung. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung Inszenierung
Malgorzata Szczesniak Video Licht
Choreographie Komparserie der
Staatsoper
Solisten
Trulove
|
© 2011 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de
- Fine -