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The Rake’s Progress

Oper in drei Akten
Text von H. W. Auden und Chester Kallman
Musik von Igor Strawinsky


In englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Dauer: 3 Stunden – eine Pause

Premiere am 10. Dezember 2010
Besuchte (8.) Aufführung am 29. Dezember 2010


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Staatsoper Berlin
(Homepage)
Nick und Andy

Von Christoph Wurzel / Fotos von Ruth Walz

Von barocken Kupferstichen zur Oper und zurück zur bildenden Kunst – das passt eigentlich nicht schlecht zum Polystilisten Igor Strawinsky. Denn dieser hatte sich für sein 1951 uraufgeführtes einziges Abend füllendes Bühnenwerk von dem Bilderzyklus A Rake’s Progress des Malers und Kupferstechers William Hogarth (ca. 1735) inspirieren lassen. In der Neuinszenierung an der Berliner Staatsoper stellte der polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski die Geschichte vom Niedergang eines Lebemanns infolge seiner Vergnügungs- und Genusssucht direkt in die künstliche Parallelwelt von Andy Warhols „Factory“, wo außer der Kunst auch Drogen- und Sexexzesse wilde Blüten trieben. Vom London des 18. Jahrhunderts und der Gesellschaftskritik am Leben der „Wüstlinge“ des britischen Adels erzählt diese Version nun nichts mehr, dafür stellt die Inszenierung die Ausschweifungen in der Undergroundszene im New York der späten 60iger Jahre auf die Bühne – und dies als recht melancholischen Abgesang auf jenen  eskapistischen Lebenshunger mit seinen vergeblichen Glücksblütenträumen.

Vergrößerung in

Erste Station des Niedergangs: das Bordell der Mother Goose

Die neun Szenen der Oper zeigen wie in einem Bilderbogen den Weg des biederen und unzufriedenen Tom Rakewell  auf der Suche nach dem Glück, worunter er Reichtum und Ruhm versteht. Als eine Art Mephisto ermöglicht ihm Nick Shadow diese Wünsche, verlangt aber dafür nach einem Jahr seine Seele. Zuerst verschafft er ihm eine Erbschaft und führt ihn dann über Mother Goose’s Freudenhaus zu Baba the Turk, einer bärtigen  Jahrmarkssensation, die er heiratet. Die erfolglose Vermarktung einer absurden Erfindung stürzt Tom in den wirtschaftlichen Ruin. Nach Jahresfrist finden sich beide auf einem Friedhof wieder, wo sie um Toms Seele Karten spielen. Auf wunderliche Weise gewinnt Tom das Spiel und statt gerettet zu werden, findet er sich im Irrenhaus wieder. Auf seinem Weg in den Abstieg erscheint immer wieder seine Verlobte Anne Trulove, die zu ihm hält, bis sie ihn im Irrenhaus für immer verlässt. Im moralisierenden Epilog, wie wir ihn aus Don Giovanni kennen, wird gewarnt: Wo es Faule gibt, ist der Teufel nicht weit.

Vergrößerung in

Die letzte Karte sticht: Tom Rakewell (links: Florian Hoffmann) und sein Verführer Nick Shadow (Gidon Saks)

Nick Shadow, dieser Teufels-Kerl, den Strawinskys Librettisten Auden und Kallman zu der Hogart-Geschichte hinzu erfunden haben, um den kreuzbraven, aber leichtfertigen Tom Rakewell (etwas blass in der Rolle bleibt Florian Hoffmann) zum exzessiven Luxus zu verführen, tritt also als weißhaariger Andy Warhol in Aktion, als Kunstscharlatan, der Tom vom schnellen Reichtum gleich wieder in den sicheren Bankrott herunter stößt und ihm obendrein auch auf eigene Rechnung als Spielball eigener sexueller Lüste  Wunden schlägt. Damit ein solches Konzept auch aufgeht, braucht es einen Sänger, der verführerisch genug, zugleich entsprechend grob, roh und gemein agiert, was Gidon Saks im letzten Fall sehr überzeugend, im ersten nicht so sehr gelingt.

Aber Einfühlung ist auch weniger das Ziel der Inszenierung, sie schildert den moralischen Verfall der Hauptfigur aus coolem Abstand – und ebenso den seiner ehedem braven Freundin Anne, die Anna Prohaska mit enormer Intensität und zauberhaft stimmlicher Energie lebendig macht. Auch sie rutscht auf seinen Spuren in das verderbte Milieu. Die verspießerten Zuschauer auf der Bühnen-Galerie betrachten das Treiben der abgedrehten Gesellschaft allerdings eher gelangweilt und mit Desinteresse. Im Zuschauerraum dagegen lässt sich eine sehr angenehme Distanz zur Bordell- und Strichatmosphäre auf der Bühne gewinnen wie auch zum Aufmarsch der abgedrehtesten US-Pop-Ikonen zwischen Micky Mouse und Spiderman (in Anspielung an Warhols Film „Flesh and Trash“). Der anti-illusionistischen Dramaturgie der Oper kommt das durchaus entgegen.

Vergrößerung in Willkommen im Club: Anne (Anna Prohaska) und Baba the Turk (Nicolas Zielinski)

Warlikowski erweist sich als Perfektionist der theatralischen Mittel. So viel Komparserie, Effekt und Glamour auch aufgeboten werden, sie werden kalkuliert eingesetzt – im selben „als-ob“-Habitus wie Strawinsky seine Musik komponiert hat. Als ob sie klassisch wäre (ein Mozart-Orchester!), gerät sie aber dann doch immer wieder in eine moderne Schräglage. Und ebenso anspielungsreich wie Strawinskys Musik sind Warlikowskis szenische Bilder. So spiegelt sich Warhols Manie des Videofilmens in der ständigen Gegenwart eines Kameramanns auf der Bühne und der Liveprojektion seiner Bilder. Überzeugend auch die Besetzung der „Türkenbaba“ mit dem Counter Nicolas Zielinski, der diese Rolle auch sängerisch bestens ausfüllt. 

Die Friedhofsszene lässt Strawinsky bewusst „trocken“ musizieren: die beiden Sänger und ein Cembalo, sonst nichts, was dem tödlichen Spiel um die existentielle Frage ungeheure Dichte verleiht. Hier bei Warlikowski wird es allerdings optisch zu sehr verkürzt auf die homoerotische Komponente dieses Teufelspakts. Und etwas ideenarm bleibt auch die Irrenhausszene, wo das  Regiekonzept nicht mehr aufgeht, weil es auf die mythischen Schichten (Venus und Adonis) dieses außergewöhnlich poetischen Textbuchs weitgehend verzichtet, wie ebenso auf dessen satirische Ebene. Einzig das Bild der geschlossenen Türen des Irrenhauses, in denen sich schließlich das Publikum spiegelt, bleibt von der Schlussszene aussagekräftig in Erinnerung. Da schließt sich der Kreis zum Beginn, als der gealterte Tom Rakewell im Publikum sitzend begrüßt wurde.

Vergrößerung in Am Ende nur schwarze Kälte: Nick Shadow (Gidon Saks) und Tom Rakewell (Florian Hoffmann)

Ingo Metzmacher hat die Staatskapelle glänzend in den Griff bekommen. Aus dem hoch gefahrenen Orchestergraben klingt die Musik erfrischend klar und transparent. Gerade die kammermusikalische Faktur Strawinskys kommt bestens zur Geltung. Auch Metzmacher schlägt eher den melancholischen Ton an und betont die klassizistische Seite der Musik. Der klaren musikalischen Diktion kommt die trockene Akustik des Schillertheaters zugute. Wie überhaupt der Charme der fünfziger Jahre, der durch Zuschauerraum und Foyers des Schillertheaters weht, dieser Ausweichstätte der Staatsoper für dieses Stück besonders gut zu Gesicht steht.

FAZIT

Die Qualitäten der Inszenierung liegen vor allem in ihren kühl konzipierten und perfekt installierten Bildern. Die Musik kommt in ihrer klaren Schönheit voll zur Geltung.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Ingo Metzmacher

Inszenierung
Krzysztof Warlikowski

Bühnenbild und Kostüme
Malgorzata Szczesniak

Video
Denis Gueguin

Licht
Felice Ross

Choreographie
Claude Bardouil

Chöre
Frank Flade

Dramaturgie
Jens Schroth
 

Komparserie der Staatsoper

Staatsopernchor Berlin

Staatskapelle Berlin
 


Solisten

Trulove
Andreas Bauer

Anne
Anna Prohaska

Tom Rakewell
Florian Hoffmann

Nick Shadow
Gidon Saks

Mother Goose
Birgit Remmers

Baba the Turk
Nicolas Zielinski

Sellem
Erin Caves

Wärter des Irrenhauses
James Homann



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Unter den Linden Berlin
(Homepage)



Da capo al Fine

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