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Un giorno di regno
(König für einen Tag)


Komische Oper in zwei Akten

Libretto von Felice Romani
M
usik von Giuseppe Verdi

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 15' (eine Pause)

Premiere im Großen Haus des Stadttheaters Bremerhaven am 28. Mai 2011

 

 

 



Stadttheater Bremerhaven
(Homepage)

Vergessener Verdi aus der Rumpelkammer

Von Thomas Molke / Fotos von Heiko Sandelmann

Wenn man Giuseppe Verdi überhaupt mit musikalischer Komödie in Verbindung bringt, denkt man eigentlich nur an sein Spätwerk Falstaff. Doch bereits zu Beginn seines Opernschaffens hat er eine opera buffa im Stil eines Rossini oder Donizetti komponiert, die heute den wenigsten Opernbesuchern bekannt sein dürfte: Un giorno di regno ossia Il finto Stanislao. Diesem 1840 an der Mailänder Scala uraufgeführten Werk war schon zu Lebzeiten des Komponisten kein großer Erfolg gegönnt, fiel es doch bereits bei der Uraufführung beim Publikum, das nach Verdis Erstling Oberto  große Erwartungen in den jungen aufstrebenden Komponisten gesetzt hatte, durch, so dass es nach der Premiere sofort wieder abgesetzt wurde. Von da an schlummerte diese Oper in den Archiven und war selbst in Italien äußerst selten auf den Spielplänen zu finden. Die letzte mir bekannte Produktion datiert aus dem Jahr 2001 und fand an der Mailänder Scala statt. Umso erfreulicher, dass das Stadttheater Bremerhaven dieses vergessene Frühwerk dem deutschen Publikum nahebringt und zu einem Vergleich mit den bekannteren dramatischen Werken des italienischen Meisters anregt.

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Edoardo (Daniel Kim, links) ist verzweifelt, weil seine geliebte Giulietta seinen Onkel heiraten soll. Belfiore (Peter Kubik, rechts) verspricht Hilfe.

Die Oper spielt 1733 in der Bretagne, im französischen Exil des abgesetzten polnischen Königs Stanislaus. Dieser hat sich heimlich nach Warschau begeben, um seine Thronansprüche erneut geltend zu machen. Damit seine Rückkehr nach Polen nicht publik wird, hat er kurzerhand seinem französischen Freund, dem Cavaliere di Belfiore, den Auftrag erteilt, während seiner Abwesenheit die Rolle des Königs zu spielen. Just zu dieser Zeit soll beim Barone di Kelbar eine Doppelhochzeit stattfinden, der der König seinen Segen geben soll. Giulietta, die Tochter des Barons, soll mit dem wohlhabenden Signor La Rocca verheiratet werden, obwohl sie dessen Neffen, den mittellosen Edoardo di Sanvai, liebt. Die Nichte des Barons, die verwitwete Marchesa del Poggio, die die Maskerade des Cavaliere durchschaut, will aus Wut über Belfiores Verhalten den Conte Ivrea heiraten. Nach vielen Verwicklungen führt ein Schreiben des richtigen Königs, das verkündet, dass er seinen Thron wiedererlangt habe, und somit Belfiore erlaubt, seine wahre Identität zu offenbaren, dazu, dass sich doch noch die richtigen Paare finden können.

Regisseur Philipp Kochheim ist sich der dramaturgischen Schwächen des Librettos durchaus bewusst und verzichtet daher in seiner Inszenierung auf eine Aktualisierung der Oberfläche. Er belässt die Figuren der Oper dort, wo er sie vorgefunden hat: in einem verstaubten Winkel der Operngeschichte. Noch vor der Ouvertüre heult ein stürmischer Wind durch das Theater. Der Vorhang öffnet sich und gibt einen Blick auf eine Rumpelkammer frei, in der zwischen zahlreichen zusammenhanglosen Theaterrequisiten die Protagonisten der Oper wie Marionetten liegen. Aus weiter Ferne hört man vereinzelte Klänge aus den großen Verdi-Opern Rigoletto, La Traviata und Don Carlos. Dann tritt Verdi selbst auf, zunächst noch als junger Mann, entstaubt ein Buch und erweckt mit der Ouvertüre die Figuren zu neuem Leben. Zum Ende der Ouvertüre verbeugen sich die Figuren wie zum Ende einer Oper, und der Vorhang fällt.

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Belfiore (Peter Kubik, rechts) überzeugt Signor La Rocca (Uwe Schenker-Primus, links), auf Giulietta zu verzichten, um in Polen eine bessere Partie zu machen.

Während diese Idee zum Einstieg in dieses vergessene Werk trägt, weist die weitere Umsetzung allerdings einige Ungereimtheiten auf. Zum einen lässt Kochheim die komischen Elemente der Oper nahezu in Klamauk abdriften, zum anderen scheint bei den wenigen ernsten Momenten Kochheims Inszenierung, der Qualität des Werkes zu misstrauen. Wenn Giulietta und Edoardo verzweifelt überlegen, wie Giulietta der Hochzeit mit Signor La Rocca entgehen kann, und sich die beiden wie Daedalus und Icarus Flügel anlegen, um zu entfliehen, bricht die Musik ab, und das einsetzende Geheul des Windes und die erneuten Klänge aus dramatischen Verdi-Opern fegen die Figuren nahezu von der Bühne. Gleiches passiert, wenn Baron Kelbar sich mit Signor La Rocca duellieren will, da dieser nun Giulietta nicht mehr heiraten möchte, weil ihm der vermeintliche König eine bessere Partie in Polen versprochen hat. Völlig überzogen treten die beiden mit zahlreichen Blessuren, La Rocca im Rollstuhl, Baron Kelbar mit Beinschiene, auf, bevor der Baron den Signor an den Rollstuhl fesselt und mit Dynamit in die Luft sprengen will. Auch hier wird die Handlung unterbrochen und die Figuren gehen zum Klang anderer Verdi-Opern etwas irritiert von der Bühne. Hat man vor Beginn der Ouvertüre noch den Eindruck, dass das Werk nur im Schatten der großen Verdi-Opern stehe, scheint Kochheim hier vermitteln zu wollen, dass es dort auch bleiben sollte. So kämpfen die Figuren im zweiten Akt fast verzweifelt gegen einen sich schließen wollenden Vorhang an, um die Geschichte noch zum glücklichen Ende zu bringen.

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Streit zwischen Signor La Rocca (Uwe Schenker-Primus, links) und Baron Kelbar (Slavin Peev, rechts). Giulietta (Ann Juliette Schindewolf, links) und die Marchesa (Lilli Wünscher, rechts) versuchen zu schlichten (in der Mitte: Belfiore (Peter Kubik)).

Die Kostüme von Barbara Bloch sind für die Protagonisten sehr klassisch gehalten, wie sie auch in einem leicht verstaubten Archiv vorzufinden wären. Da dieses Archiv aber mit Theaterrequisiten vollgestopft ist, behindert es die Figuren natürlich ein bisschen in ihren Bewegungen, so dass sie, teilweise etwas unmotiviert  auf einem Fahrrad radeln, in einem Teich fischen oder Leitern emporsteigen. Erst am Ende der Oper wird die Rumpelkammer von den Dienern aufgeräumt und die Protagonisten bleiben in einem einsamen Lichtkegel zurück, während sich der Vorhang schließt. Dieses Schlussbild ist genauso stark wie das Bild am Ende des ersten Aktes, wenn die Akteure mit Kordeln ein Netz auf der Bühne spinnen, in dem sie sich alle verstricken. Dieses Netz versinnbildlicht den Strudel der Verwicklungen, in die die einzelnen Figuren geraten und aus dem sie ohne fremde Hilfe, nämlich dem rettenden Brief des wahren Königs, wahrscheinlich nicht herausfinden würden.

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Belfiore (Peter Kubik, links) beobachtet missmutig den Conte Ivrea (Ziad Nehme, rechts), der der Marchesa (Lilli Wünscher, Mitte) Avancen macht (im Hintergrund von links: Baron Kelbar (Slavin Peev), Signor La Rocca (Uwe Schenker-Primus), Edoardo (Daniel Kim) und Giulietta (Ann Juliette Schindewolf)).

Musikalisch ist die Produktion auf sehr hohem Niveau. Das Städtische Orchester Bremerhaven unter der Leitung von Richard Fletcher überzeugt mit einem sehr lebhaften Verdi-Klang, der einerseits schon die großen Bögen der späteren Verdi-Opern erkennen lässt, andererseits aber noch stark dem Belcanto eines Rossini verhaftet ist. Obwohl das Orchester sehr forsch aufspielt, gelingt es Fletcher stets, die Sängerinnen und Sänger nicht zu überdecken. Von den Solisten brillieren vor allem Uwe Schenker-Primus als Signor La Rocca und Peter Kubik in der Titelrolle. Schenker-Primus stattet den wohlhabenden Schatzmeister mit sehr profundem Bass aus, der aufgrund seines komödiantischen Talentes auch szenisch punkten kann. Kubik verfügt über einen jugendlichen Bariton, der, gepaart mit sehr viel Spielfreude, den Charme des Cavaliere glaubhaft über die Rampe bringt. Auch Lilli Wünscher gefällt mit sauberen Koloraturen als recht kecke Marchesa del Poggio, die es versteht, Belfiore gehörig unter Druck zu setzen. Vor allem ihre Arie im zweiten Akt, wenn sie Belfiore androht, den Conte Ivrea zu heiraten, wenn Belfiore seine Maskerade nicht ablegt, kann als ein Höhepunkt der Oper bezeichnet werden.

Die eindringlichste Musik ist dem Liebespaar Edoardo und Giulietta gewidmet. Während Daniel Kim als Edoardo in seinen Arien mit strahlendem Tenor glänzen kann und seine Stimme nur am Ende ganz leichte Ermüdungserscheinungen aufweist, ist Ann Juliette Schindewolfs Mezzosopran für Giulietta teilweise schon ein bisschen zu schwer. Ihre Stimme klingt sehr schön, aber für die Rolle der jugendlichen Giulietta bereits etwas zu reif, was Frau Schindewolf allerdings durch sehr reizendes Spiel wieder ausgleicht. Einzig Slavin Peev bleibt als Barone di Kelbar sehr blass. Sein Bass klingt etwas belegt und fällt gegenüber den anderen Solisten ab. Warum Ziad Nehme als mit Fallschirm landender Conte Ivrea derart notgeil dargestellt wird, dass er den Frauen ständig unter den Rock geht, ist unter den klamaukigen Regieeinfällen Kochheims abzuhaken. Das Publikum jedenfalls feiert die Solisten, die Musiker und das Regieteam mit sehr lang anhaltendem und enthusiastischem Applaus.

FAZIT

Eine lohnende Wiederentdeckung, auch wenn sie es aufgrund der dramaturgischen Schwächen im Libretto sicherlich nicht in die erste Reihe der Verdi-Opern schaffen wird.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Richard Fletcher

Inszenierung
Philipp Kochheim

Ausstattung
Barbara Bloch

Chor

Ilia Bilenko

Dramaturgie
Juliane Piontek

 

Opernchor und Statisterie des
Stadttheaters Bremerhaven

Städtisches Orchester
Bremerhaven



Solisten

Il Cavaliere di Belfiore
Peter Kubik

La Marchesa del Poggio
Lilli Wünscher

Il Barone di Kelbar
Slavin Peev

Giulietta di Kelbar
Ann Juliette Schindewolf

Edoardo di Sanvai
Daniel Kim

Il Signor La Rocca
Uwe Schenker-Primus

Il Conte Ivrea
Ziad Nehme

Delmonte
Kenneth Chan

 


Weitere
Informationen

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Stadttheater Bremerhaven
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