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Das Kreuz mit dem Kreuz
Von Joachim Lange
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Fotos ©Baus
Die Bartholomäusnacht ist eine der finstersten Sternstunden im französischen und europäischen Kollektivgedächtnis. Auch der zu Grunde liegende Konflikt der Religionen ist ja längst nicht ausgestanden. Das Gemetzel, das die Katholiken im August 1572 bei der Hochzeit Heinrichs von Navarra mit Margarete von Valois unter den protestantischen Hugenotten anrichteten, und das, was daraus folgte, hat natürlich die Künste inspiriert. Zu den Großformaten von Literatur (Heinrich Mann) bis Film (Patrice Chereau) gehört seit 1836 unbedingt auch Eugène Scribes und Giacomo Meyerbeers Grand opéra Les Huguenots. Wenn man jetzt in der Brüsseler Oper La Monnaie die jüngsten Selbstentfesselung des Genres bestaunt, fragt man sich unwillkürlich, wieso dieses Werk so selten auf dem Spielplan steht. Mit Blick auf Repertoire und Ressourcen ist die Antwort schnell bei der Hand: Es sprengt alle gewohnten Grenzen. Der Fünfakter im Götterdämmerungs-Format verbindet nämlich Wagnerschen Größenwahn mit italienischem Belcanto- und Emotions-Furor, ist aber dennoch mit französischer Leichtigkeit aufgeschäumt und behandelt obendrein den großen historischen Gegenstand mit Sprengkraft. So schreckt man auch in Zeiten, in denen keine Zensur mehr krampfhaft die Rolle der Katholiken aufzuhübschen versucht, selbst in Paris davor zurück. Der Chef der Brüsseler Oper, Peter de Caluwe, kennt solche Verzagtheiten nicht und krönt seine jüngste, durchweg erfolgreiche Saison mit einer Großtat in Sachen Grand opéra. Am Hofe der Königin
Der längst als Regisseur etablierte Schauspieler Olivier Py erweist sich in Pierre-André Weitz faszinierend wandlungsfähigen Treppen-, Palastfassaden- und Straßenbühnenbild nicht nur als Spezialist fürs Dunkle, sondern zieht auch wieder alle Register, um den untergründig brodelnden Obsession nachzuspüren, was bei Py jede Menge nackter Haut und einen handfeste erotische Sinnlichkeit in der Personenführung, die über das übliche Als-Ob Getue deutlich hinausgeht, einbezieht. Dabei kommt er (in den ersten zwei Stunden) auch schon mal ziemlich weit vom Weg der historischen Erzählung auf die erotisch grundierte Nebenpfade ab, macht aus der Königin Marguerite eine Art Hohepriesterin der Liebe, und zeigt deutlich, woran die Franzosen bei dieser verschwenderisch mit Effekten um sich werfenden Musik auch früher schon nur im Stillen gedacht haben mögen. Die herabgefahrene Scheinwerfer-Batterie auf der dunklen Bühne gleich zu Beginn blieb jedenfalls eine Schrecksekunde minimalistischen Musiktheaters. Sofort gibt dann nämlich ein Mann mit nacktem Oberkörper und einem Kreuz in jeder Hand die Richtung vor, in der es weitergeht. Und da bleibt es vor allem ein Kreuz mit dem Kreuz und dem rechten Glauben. Die Königin und Raoul
Wenn es an das historisch verbürgte, nächtliche Gemetzel geht, dann knallt der der leibhaftige Tod in seiner goldenen Rüstung mit den Kreuzen gegen die Tischplatten, und jedes Mal brechen die aufmarschierten Hugenotten wie vor dem Erschießungskommando zusammen. In dem vorsichtigen Zeitmix zwischen Rüstungen und Roben aus der Zeit Henri IV. (bis hin zu stummen Doubles von Henri und seiner Furie von Schwiegermutter Katherina), der Frack- und Zylinder Mode der Entstehungszeit und nachgerüsteten Handfeuerwaffen von heute, wäre dieser Verweis gar nicht nötig gewesen. Py wahrt nämlich erstaunlich sicher die Balance von zentraler Lovestory zwischen dem Hugenotten-Aktivisten Raoul (grandios mit Steigerung: Eric Cuttler) und der Tochter des Katholikenführers Valentine (eindringlich: Mireille Delunsch) und dem Widerstreit der religiösen Fanatiker, für die auf der einen Seite Raouls Diener Marcel (Jérôme Varnier) stets Luthers Eine feste Burg ist unser Gott wie eine Banner aus der Bassgurgel entrollt und auf der anderen Seite als ebenso bassmächtiger Comte de Saint-Bris drauf haut, bis nicht nur der kompromissbereite Ex-Lover seiner Tochter Comte de Nevers (Jean-Francois Lapointe), sondern auch sie selbst seiner fanatischen Mordlust zum Opfer fallen. Dass Caluwe nicht nur ein Händchen dafür hat die richtigen Stücke mit den passenden Regisseuren Dirigenten, sondern auch die richtigen Sängerdarsteller zusammenzubringen beweisen auch diesmal der exzellente Chor und das Ensemble, aus dem dann doch die in jeder Hinsicht verführerischen Marguerite der in jeder Hinsicht verführerischen Marlis Petersen herausragt. Und bei der es obendrein noch mit der 21jähren russischen Stimmsensation Yulia Lezhneva als Page Urbain eine Entdeckung als Krönung gibt. Mark Minkowski hat sich längst weg vom Image des Barockspezialisten gearbeitet, doch auch bei Meyerbeer vergisst er nichts von dem Furor der Sinnlichkeit, mit dem er bekannt wurde und fährt damit in diese schwelgerisch auftrumpfende Musik, bei deren Genuss, man ganz unwillkürlich über Wagners Lästereien schmunzeln muss. Wenn Meyerbeers Musik so sinnlich zum Aufleuchten gebracht wird und man mit der Story so unverkrampft und gescheit umgeht wie jetzt in Brüssel, dann ist Grand opéra nicht nur große, sondern dann ist sie großartige Oper.
Mit diesen Hugenotten ist der Brüsseler Oper in jeder Hinsicht ein Wurf gelungen. Dieser krönende Abschluss einer spannenden Spielzeit ist ein Argument für die Rehabilitierung dieser Oper, das man nicht ignorieren sollte. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Ausstattung
Licht
Chor
Solisten
Marguerite de Valois
Valentine
Urbain
Raoul de Nangis
Comte de Saint-Bris
Comte de Nervers
De Retz
Marcel
Cossé
Tavannes
Thoré
Méru
Une dame d'honneur
Un coryhée
Deux bohémiennes
Maurevert
Bois-Rosé
Un Valet
Deux jeunes filles catholiques
Un archer du guet
Un étudiant catholique
Trois moines
Trois coryhées
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