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b.09 - Ein deutsches Requiem

Ballett von Martin Schläpfer
Musik von Johannes Brahms
(Ein deutsches Requiem nach Worten der heiligen Schrift
für Sopran, Bariton, Chor und Orchester op. 45)

in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 1h 30' (keine Pause)

Uraufführung am 1. Juli 2011 im Opernhaus Düsseldorf


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Ballett am Rhein / Rheinoper
(Homepage)
Tanzen an der Grenze von Himmel und Erde

Von Stefan Schmöe / Fotos von Gert Weigelt

Ein deutsches Requiem von Johannes Brahms als Ballettmusik? Das mag zwar nicht revolutionär sein (schließlich hat John Neumeier bereits 1981 Bachs Matthäuspassion für das Tanztheater entdeckt), ungewöhnlich bleibt diese Wahl trotzdem. Nach Felix Mendelssohn (Reformationssymphonie) und Robert Schumann (Robert Schumann Tänze zur 3. Symphonie, unsere Rezension) ist Johannes Brahms der Dritte im Bunde der deutschen Romantiker, den Martin Schläpfer in Düsseldorf tänzerisch verarbeitet (und damit eine stringente Wahl), und im Wechsel mit eher spröden Kompositionen wie denen von Morton Feldman (Neither) oder Paul Pavay (Unleashing the Wolf) ist das sehr populäre Deutsche Requiem sicher auch eine sinnvolle Konzession an die konservativeren Teile des Publikums. Aber es bleibt eben doch ein Oratorium, das neben der Musik noch die Textebene (und damit auch eine theologische Dimension) mitbringt – das kann schnell zum Ballast für einen Tanzabend werden.


Vergrößerung "Selig sind, die da Leid tragen" (Ensemble)

Allein logistisch ist das Werk eine Herausforderung, immerhin muss ein Chor in Oratorienstärke irgendwo untergebracht werden. Schläpfer und Bühnenbildner Florian Etti postieren den Chor auf einer Empore an der Bühnenrückwand (ein „himmlisches Parlament", wie das Programmheft verspricht, lässt sich nur mit einiger Abstraktionsarbeit darin erkennen), wodurch der Eindruck eines modernen Kircheninnenraums entsteht. Die gewohnte Perspektive ist dabei gleichsam umgedreht: Der Betrachter schaut wie vom Altarraum in das Kirchenschiff. Ein türhoher Streifen unter dieser Empore, immer wieder hell ausgeleuchtet, deutet so etwas wie die Pforte zum Jenseits an. Etwas beliebig wirken je zwei horizontal an den Seitenwänden verlaufende Lichtsäulen, die in der Höhe verschoben werden (ob das Auf- oder Abstieg bedeuten soll, ist mir dabei nicht klar geworden). Dieser nicht unelegante, durch die Chorempore aber auch etwas bieder anmutende Raum hat durchaus Suggestivkraft und greift das sakrale Kernmotiv des Abends stimmig auf.

Musikalisch dagegen erweist sich die Anordnung als ziemlich problematisch. Die große räumliche Entfernung zwischen Chor (und den beiden Gesangssolisten) und dem Orchester beeinträchtigt zumindest an diesem Premierenabend die Feinabstimmung erheblich. Am Pult der nicht schlechten, aber keinesfalls hervorragenden Düsseldorfer Symphoniker (dazu ist die Klangbalance zu unausgewogen, viele Passagen zu „solistisch" gespielt; die unangenehme Dominanz des tiefen Blechs ist seit jeher ein akustisches Problem des Düsseldorfer Opernhauses) steht GMD Axel Kober, dessen flüssige Interpretation eher auf das transzendent Leichte als auf die erdenschwer pochende Gravität abzielt, aber insgesamt mehr Kanten und Schärfen vertragen könnte. Aber immer wieder passiert es, dass er mit dem Orchester luftig-leicht Fahrt aufnimmt, der Chor durch die große Entfernung aber die entscheidende Nuance zu spät hörbar wird, zudem auch eher breit und flächig singt.

Vergrößerung

" ... und kommen mit Freuden ..." (Ensemble

Dazu neigen die Sängerinnen und Sänger des hauseigenen Opernchores in den leisen Stellen zu starkem Vibrato (vor allem im Sopran) und zu einem kehligen, „solistischen" Ton (vor allem im Tenor) – ein wirklich homogener Chorklang stellt sich nur phasenweise ein. Dass es in den Forte- und Fortissimo-Passagen an klanglicher Substanz fehlt, dürfte wieder in erster Linie auf die unglückliche Positionierung am Bühnenende liegen (wie auch einige unglückliche Echo-Effekte). Außerordentlich gut ist dagegen die Textverständlichkeit. Adrian Sampetrean hat einen jugendlich frischen, sehr noblen Bariton vorzuweisen, steht sich mit holpriger Betonung und abgerissenen Silben wie auch mit manchen rhythmischen Freiheiten ein wenig selbst im Weg. Sylvia Hamvasis klar geführter und höhensicherer, für meinen Geschmack in dieser Partie etwas zu opernhafter Sopran bewältigt die Partie souverän.

Die choreographische Struktur dazu ergibt sich in erster Linie aus der Abfolge von (vielen) Chorpassagen, denen im Wesentlichen Ensembles und Gruppen entgegen gestellt werden, und (wenigen) Soli. Die teils schwarz und hautfarbenen Kostüme sind individuell gestaltet, wie auch in den Ensembles der Balanceakt zwischen perfekter Synchronität und der persönlichen Individualität versucht wird – ganz überzeugend gelingt das noch nicht, muss noch an Selbstverständlichkeit gewinnen. Kostüme wie Bewegungen – etwa das wiederholte Aufstampfen mit der ganzen Sohle (Schuhe gibt es nicht) - erinnern immer wieder an archaische Tanzformen, mitunter auch an afrikanische Tänze. Dadurch gewinnt Schläpfer ein universales Moment über den christlich-evangelischen Gottesdienst hinaus. An einigen Stellen greift Schläpfer christliche Ikonographie deutlich auf, so am Ende des ersten Satzes, wenn sich das Ensemble zum bühnenfüllenden Kreuz formiert. Wenn eine Tänzerin einem Tänzer in die Arme springt, suggeriert das trotz des Geschlechterwechsels in diesem Kontext das Bild einer Pietá (wobei diese Momente nicht die geradezu überrumpelnde Eindringlichkeit haben wie im Tanztheater von Pina Bausch – was jüngst in Wim Wenders Pina-Film noch zu bestaunen war). Eine Tänzerin wird von der Gruppe hochgehoben, gleitet dann herab (das lässt an eine Kreuzabnahme denken), wird schließlich fallen gelassen – darin zeigt sich der Gegensatz von „oben" und „unten", ein Leitmotiv dieser Choreographie.


Vergrößerung "Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth" (Yuko Kato, Jörg Weinöhl)

Manche Bilder wirken plakativ (etwa Tänzer, die aus einer Art Polonaise wie tot zu Boden sinken) oder fast naiv (die - freilich atemberaubend hohen - Sprünge einer Gruppe von Tänzern zum Text „sie kommen mit Freuden und bringen ihre Garben“ im ersten Teil). Ein wenig kurz kommen die intimen Szenen. Da gibt es vor allem einen wunderbaren Pas de deux zwischen Yuko Kato und Jörg Weinöhl zur Musik des vierten Satzes („Wie lieblich sind Deine Wohnungen“), eine verspielte Liebesszene, an deren Ende die großartige Yuko Kato die schier unendliche Bühnendiagonale abschreitet und den nicht weniger grandiosen Jörg Weinöhl allein zurück lässt. Und direkt danach im fünften Satz („Ihr habt nun Traurigkeit“) korrespondiert das Sopransolo mit einem irritierenden, eindringlich getanzten Solo von Marlúcia do Amaral, die (als einzige im ganzen Stück) einen – aber eben nur einen – Ballettschuh trägt und damit auch Spitze tanzt, was dem anderen unbeschuhten Fuß versagt bleibt (der zweite Teil der Szene, der sich zum Pas de Deux mit Remus Sucheana weitet, hat nicht mehr diese Eindringlichkeit).

Vergrößerung

"Ich will euch trösten, wie einen eine Mutter tröstet" (Marlúcia do Amaral)

Nicht immer kann sich der Tanz gegen die Wucht von Musik und Text behaupten. Man mag das als Verzahnung der unterschiedlichen Ebenen begrüßen; die Souveränität (und auch Subversivität), die Schläpfer in seiner genialen Kunst der Fuge gezeigt hat, wird hier nicht erreicht. Um dem Oratorium etwas entgegen zu setzen, dürfte die Choreographie noch frecher sein, sich stärker querstellen, noch radikaler die sakrale Atmosphäre aufbrechen. Letztendlich bleibt das Deutsche Requiem ein großartiges Werk, aber über seine Tauglichkeit als Ballettmusik lässt sich nach diesem Tanzabend weiter streiten. das Premierenpublikum freilich scheint das in seiner Mehrheit anders zu sehen: Stehende Ovationen für alle Beteiligten.


FAZIT

Ohne Frage ein eindrucksvoller Ballettabend, und doch kann Martin Schläpfer trotz großer Momente dem langen Schatten Brahms' nicht ganz entkommen. Musikalisch bleiben einige Wünsche offen.


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Produktionsteam

Choreographie
Martin Schläpfer

Musikalische Leitung
Axel Kober

Bühne
Florian Etti

Kostüme
Catherine Voeffray

Licht
Volker Weinhardt

Chor
Gerhard Michalski


Chor der Deutschen Oper am Rhein

Düsseldorfer Symphoniker

Solisten

* Besetzung der Premiere

Sopran
Sylvia Hamvasi

Bariton
* Adrian Sâmpetrean /
Boris Statsenko

Tänzerinnen und Tänzer

Sachika Abe
Ann-Kathrin Adam
Camille Andriot
Marlúcia do Amaral
Aisha L. Arechaga
Doris Becker
Wun Sze Chan
Mariana Dias
Feline van Dijken
Ana Djordjevic
Carolina Francisco Sorg
Cristina Garcia Fonseca
Yuko Kato
So-Yeon Kim
Emi Kuzuoka
Anne Marchand
Nicole Morel
Louisa Rachedi
Daniela Svoboda
Julie Thirault
Anna Tsybina

Christian Bloßfeld
Andriy Boyetskyy
Jackson Carroll
Martin Chaix
Helge Freiberg
Philip Handschin
Antoine Jully
Sonny Locsin
Bruno Narnhammer
Bogdan Nicula
Chidozie Nzerem
Sascha Pieper
Boris Randzio
Ordep Rodriguez Chacon
Martin Schirbel
Alexandre Simões
Remus Sucheana
Pontus Sundset
Maksat Sydykov
Jörg Weinöhl



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Rheinoper
(Homepage)



Da capo al Fine

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