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Aus dem Liebesleben der Klone
Von Stefan Schmöe / Fotos von Hans-Jörg Michel
Das soll einer glauben? Zwei junge Frauen müssen sich allzu überstürzt und sehr tränenreich von Ihren Liebhabern trennen, und nur ein paar Minuten später erkennen sie diese nicht wieder, weil die sich einen falschen Bart angeklebt haben? Noch dazu verlieben sich die Damen prompt in den Falschen und willigen umgehend in die Hochzeit ein? Nein, glaubwürdig ist das nicht, und deshalb hat Così fan tutte es im 19. Jahrhundert auf den Spielplänen schwer gehabt, bis das Publikum andere Opernwirklichkeiten wahrhaben wollte. Längst gilt die Oper als Meisterwerk, und - mit nur sechs Sängerdarstellern auch von kleinsten Stadttheatern noch irgendwie besetzbar - haben sich unzählige Regisseure daran versucht, die allermeisten ganz sicher mit weniger Ideen, mit weniger ausgefeiltem Konzept als Nicolas Brieger in der Düsseldorfer Neuinszenierung. Und doch weniger langweilig. Wer ist hier Ferrando, wer Guglielmo? Eigentlich egal. Immerhin lässt sich Don Alfonso von den beiden unterscheiden ...
Nein, Brieger glaubt auch nicht an den Realitätsgehalt der Handlung. Er glaubt an die Musik (was zweifellos ehrbar ist), weniger an den Text wobei doch gerade die drei Opern Mozarts auf Libretti von Lorenzo da Ponte als Paradebeispiele für virtuose Zusammenarbeit von Komponist und Textdichter gefeiert werden. Natürlich besteht das Raffinierte der Mozart-da Ponte-Opern darin, dass die Musik permanent den Text unterläuft, und gerade in Così fan tutte nichts so gemeint ist, wie es im Text steht; aber Mozart hat die Musik eben doch genial auf diesen Text hin komponiert - und nicht gegen den Text. Brieger aber inszeniert so, als sei die Musik gut und das Textbuch schlecht. Das betrifft ganz konkret die Partien von Don Alfonso und Despina, die Brieger (er erklärt das alles sehr schön im Programmheft) in der Operntradition verortet, allerdings in einer seiner Meinung nach überholten Operntradition: Der Spielleiter und die Soubrette sind für ihn Figuren aus dem Opernmuseum. Weil sie damit uninteressant sind, werden bei kurzerhand emotional aufgedonnert: Zwei verzweifelte Figuren am Rande des psychischen Zusammenbruchs. Das soll einer glauben? ... und auch die Damen Fiordiligi und Dorabella scheinen geklont; Despina hat immerhin einen anderen Friseur.
Briegers Grundkonstellation: Dorabella und Fiordiligi sind ein und dieselbe Frau, die mit sich ringt, Ferrando und Guglielmo entsprechend ein- und derselbe Mann, ja selbst Despina und Alfonso können als weitere Seitedieses Frauen- bzw. Männerprototyps betrachtet werden. So sieht Dorabella fast ununterscheidbar aus wie Fiordiligi, und Ferrando ist der Klon von Guglielmo (oder umgekehrt?), Despina und Alfonso kann man immerhin noch an der Frisur davon abgrenzen. Nun gut, Mozart hat die Hauptpartien sowohl bei den Frauen wie bei den Männern in weiten Passagen in kaum individualisierten Terzgängen komponiert, die Partien sind stellenweise tatsächlich austauschbar. Aber wenn Fiordiligi gleich Dorabella, wenn Ferrando gleich Guglielmo ist, wer betrügt dann eigentlich wen? Theoretisch mag das alles ja irgendwie hinkommen, in der Bühnenwirklichkeit fragt man sich permanent: Ja und? Weil ohne die Spielsituation, ohne das quiproquo aber auch die an sich ja genialen Rezitative völlig überflüssig werden (aber doch ziemlich lang sind), wird Briegers Regie eine recht zähe, trotz engagierter schauspielerischer Leistungen ziemlich uninspirierte Angelegenheit. Das karge, auf allernotwendigste Requisite reduzierte Bühnenbild, bei dem fast immer alle auf der Bühne sind, unterstützt den akademischen Charakter: Ein mehr als dreieinhalbstündiges Proseminar Einführung in die Psychologie bei Mozart und da Ponte am Beispiel von Così fan tutte. Das kann man in klugen Aufsätzen bereichernd nachlesen. Anschauen auf der Bühne muss man es nicht, da wirkt es ziemlich belanglos. Die Liebe zu spiegelbildlichen Arrangements zeigt sich auch hier. Der Baum dahinter hat sich offenbar aus norddeutschen Seelenlandschaften Caspar David Friedrichs an da Pontes Golf von Neapel verirrt.
Leider schlägt sich das Konzept auch lähmend auf die musikalische Seite nieder. Chefdirigent Axel Kober setzt die Schwerpunkte im zweiten Akt, entsprechend der Regie, die hier in der Krise der Figuren natürlich mehr Potenzial findet als im ersten Aufzug, der ja vor allem die Verwechslungskomödie in Gang bringt. Kober dirigiert hier große bürgerliche Oper, schon mehr im sich ankündigenden heroischen 19. als im ausgehenden 18. Jahrhundert verortet, mit vielen Schattierungen und Eintrübungen, auch mit breitem und sattem" Orchestersound. Der erste Akt klingt dagegen recht neutral, ja stellenweise fast lustlos, trotz so wunderbarer Nummern wie dem Abschiedsquintett und nachfolgendem Terzett, die hier verschenkt" werden. Und der weiche, eher romantische Orchesterklang (allein die Pauke klingt hart") hat nicht die zupackende Brillanz, die beispielsweise Konrad Junghähnel in seiner eindrucksvollen Kölner Entführung aus dem Serail erzielt hat. (Apropos Brillanz, spieltechnisch betrachtet: Natürlich klingt die Overtüre häufig so, als wolle Mozart vor allem die Holzbläser ärgern, aber muss man das auch einem Landeshauptstadtorchester wie den Düsseldorfer Symphonikern anhören? Zum Glück steigern die sich dann doch erheblich.) Hat sich da eine Spur von Theaterspielfreude in das ansonsten akademisch strenge Tableau eingeschlichen? Finale des ersten Akts.
Und nochmals Brillanz: An ihre durch und durch brillante Leistung als La Follia in Rameaus Platée (unser Bericht) kann Sylvia Hamvasi als Fiodiligi nicht ganz anknüpfen, und vielleicht ist das sogar gewollt, weil die Figur ja nicht zu strahlend erscheinen soll dabei hat Mozart doch virtuose Bravourarien komponiert, die auch diese Facette zeigen sollten. Ansonsten bewältigt Frau Hamvasi die Partie durch und durch souverän, sehr beweglich in den Koloraturen und doch mit kraftvollem Impetus. Dagegen fällt Katarzyna Kuncio mit ihrer durchaus soliden, aber zu pauschalem Pathos neigenden Dorabella etwas ab. Aufhorchen lässt der tonschöne, lyrisch warme Ferrando von Jussi Myllys, dessen Tenor hier und da in der Höhe vielleicht noch freier schwingen könnte. Akzeptabel, aber ziemlich neutral klingen Richard veda als Guglielmo und Günes Gürle als Don Alfonso. Elzbieta Szmytka leidet besonders unter der Regie: Eigentlich ist die Despina ja die Paraderolle für Soubretten schlechthin, aber das will die Regie ja nicht haben. Also nichts mit Koketterie. Aber dann bleibt auch für die Sängerin wenig übrig; dieses wenige bewältigt Elzbieta Szmytka ordentlich, es wäre ihr (und dem Publikum) eine echte Despina zu wünschen. Selbst wenn man dafür an unsägliche Verwechslungsgeschichten glauben soll.
Viel Konzept, wenig Theater: Eine arg akademisch geratene Inszenierung hinterlässt sehr zwiespältige Eindrücke, auch musikalisch, weil sie doch viel von dem nimmt, was den Reiz dieser Oper ausmacht. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierungund Bühne
Mitarbeit Bühne und Kostüme
Video
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Fiordiligi
Dorabella
Ferrando
Guglielmo
Despina
Don Alfonso
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