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Walhall im Atomkraftwerk
Von Thomas Molke /
Fotos von Barbara Aumüller Es sei mittlerweile 54 Jahre her, dass John Dew, Intendant des Staatstheaters Darmstadt, vom Ring-Fieber infiziert worden sei. Seit er bei einer Masernerkrankung als kleines Kind eine Übertragung des dritten Aufzuges des Siegfried im Radio gehört habe, habe ihn dieses monumentale Werk nicht mehr losgelassen. Die intensive Beschäftigung damit führte über Wieland Wagners szenische Umsetzung des Werkes als Thema seiner Bachelor-Arbeit bis zu seiner ersten eigenen Ring-Inszenierung 1981 in Krefeld. Seitdem sind weitere 30 Jahre vergangen, in denen Dew als Intendant des Theaters Dortmund mit einer Reihe der französischen Grand opéra über die seit seiner Intendanz in Darmstadt gepflegten Orff-Inszenierungen zahlreiche neue Akzente gesetzt hat. Zeit genug also, sich erneut dem Ring zu widmen. Auch wenn er im Grundansatz seine Inszenierung von 1981 wieder aufgreift, gleicht die Abfolge der Premieren der einzelnen Teile dennoch einem Parforce-Ritt und ist schon beinahe Bayreuth-verdächtig, haben doch der Vorabend und Die Walküre beide im Juni im Abstand von drei Wochen Premiere, während die weiteren beiden Teile im Oktober im vierzehntägigen Abstand folgen werden. Bereits im Foyer wird man von in Gold gekleideten Damen mit als Goldbarren verpackten Schokoladentäfelchen von der wohl auch diese Produktion sponsernden Sparkasse Darmstadt angemessen auf Das Rheingold eingestimmt. Und der Zauber bleibt zunächst auch beim Beginn im Großen Haus erhalten. Generalmusikdirektor Constantin Trinks lässt sich beim Es-Dur-Vorspiel sehr viel Zeit, den Rhein sich ganz langsam in seinem Flussbett entwickeln zu lassen. So differenziert und klar hört man das Vorspiel selten. Im weiteren Verlauf hätte man sich aber bisweilen ein etwas flotteres Dirigat gewünscht, weil Trinks die Bögen nicht gerade sängerfreundlich an einigen Stellen doch überdehnt, was den Abend obendrein auch zehn Minuten länger werden lässt. Die Rheintöchter Wellgunde (Erica Brookhyser, links), Woglinde (Margaret Rose Koenn, Mitte) und Floßhilde (Gae-Hwa Yang, rechts) im Rhein. Heinz Balthes gestaltet im ersten Bild mit wehenden hellblauen Tüchern zwischen hohen wie Baumrinden verkleideten Bühnenwänden einen fast märchenhaft anmutenden Rhein, in dem sich die Rheintöchter Woglinde (Margaret Rose Koenn), Wellgunde (Erica Brookhyser) und Floßhilde (Gae-Hwa Yang) sehr textverständlich mit harmonisch aufeinander abgestimmten Stimmen tummeln. Die schimmernden Lederkostüme von José-Manuel Vázquez lassen sie wie richtige Wassernixen aussehen, so dass schon fast die Hoffnung aufkeimt, man werde eine klassische, fast märchenhafte Umsetzung präsentiert bekommen. Doch der nahende Alberich (Olafur Sigurdarson) ist kein "schwarzes, schwieliges Schwefelgezwerg" sondern ein Bayer im Trachtenanzug, was ihn für die Wasserwesen nicht attraktiver macht. Sehr gelungen ist an dieser Stelle Dews Personenregie, da die musikalische Jagd des Nachtalben auf die Rheintöchter von Sigurdarson darstellerisch mit ganzem Körpereinsatz umgesetzt wird. Alberichs Fluch gelingt ihm mit schwarzem Bass recht ergreifend, wobei das Rheingold in dieser Szene nur durch Lichteffekte angedeutet und erst im dritten Bild in Nibelheim als goldenes Auge (oder wahlweise mit den darüber angebrachten rot schimmernden Lüftungsschlitzen auch als Mund) eindrucksvoll sichtbar wird. Beim Raub schreitet Alberich lediglich unter den nach oben wehenden Tüchern durch den Rhein. Einzug in Walhall: von links Donner (Oleksandr Prytolyuk), Freia (Anja Vincken), Fricka (Gundula Hintz) und Wotan (Ralf Lukas). Das zweite Bild in luftigen Höhen beraubt den Zuschauer der eventuell nach dem Rhein in der ersten Szene noch erhofften Romantik des Bühnenbildes. Wotan (Ralf Lukas) ruht in einer großen roten Sofaecke auf der linken Bühnenseite, während auf der rechten Seite ein moderner Schreibtisch mit Telefon steht, über das er später auch versuchen wird, den ausbleibenden Loge zu erreichen. In seinem Anzug wirkt er wie ein gut bezahlter Manager, wobei das fehlende Auge durch ein dunkles Glas in seiner Brille angedeutet wird. Fricka (Gundula Hintz) ist ganz die mondäne Gattin, die ihrem Mann für Repräsentationszwecke zur Verfügung steht. Donner (Oleksandr Prytolyuk) und Froh (Lucian Krasznec) treten als Generäle auf, die im Ernstfall auch zur Maschinenpistole greifen können, während Freia (Anja Vincken) mit ihrem Dirndl optisch aus irgendeinem Heimatfilm der 50er Jahre stammen könnte. Dew ist im zweiten Bild mit den Figuren also im 20. Jahrhundert angekommen. Der Speer mit den Gesetzesrunen ist nur noch ein Relikt, das in einem Schaukasten wie ein Ausstellungsstück begutachtet werden kann. Ralf Lukas hat als Wotan vor allem in den Höhen leichte Intonationsprobleme, während er die tieferen Passagen mit klarer Diktion und voluminösem Bass vorträgt. Am Ende des Abends machen sich kleinere Ermüdungserscheinungen in der Stimme bemerkbar. Gundula Hintz überzeugt als Fricka mit sehr wohl-timbriertem Mezzo und guter Textverständlichkeit. Letzteres lässt sich Anja Vincken leider nicht attestieren, da sie ohne Übertitel nahezu gar nicht zu verstehen ist. Auch wirkt ihre Stimme für die Göttin der Jugend ein wenig zu schwer. Oleksandr Prytolyuk gefällt als Donner vor allem im vierten Bild, wenn er mit kräftigem Bariton das Gewitter heraufbeschwört. Lucian Krasznec gestaltet die Partie des Froh recht überzeugend. Fasolt (John In Eichen, links) und Fafner (Thomas Mehnert, Mitte) verlangen Freia (Anja Vincken, links). Wotan (Ralf Lukas, rechts) und Fricka (Gundula Hintz, rechts) müssen tatenlos zusehen Die Riesen Fasolt und Fafner (John In Eichen und Thomas Mehnert, beide mit sehr profundem Bass) als Bauarbeiter auftreten zu lassen, ist nichts Außergewöhnliches und passt zu ihrer Funktion im Stück. Eine Überraschung stellt allerdings Arnold Bezuyens Auftritt als Loge dar. Dew stellt ihn als Albert Einstein auf die Bühne und offenbart damit auch endlich, wohin er mit dieser Inszenierung möchte. Der Einzug in Walhall, mit dem die Götter quasi ihren Untergang besiegeln, führt zu Atomreaktoren, die, wie spätestens nach Tschernobyl und Fukushima jedem klar sein dürfte, auch für die Menschen den Untergang bedeuten können. So lässt Dew am Ende zu den letzten Worten der Rheintöchter "falsch und feig' ist, was dort oben sich freut", die die drei Wasserwesen aus dem Zuschauersaal singen, zahlreiche Atomkraftgegner mit Protest-Schildern im Zuschauerraum auftreten. Und was soll nun Albert Einstein in diesem Zusammenhang? Er hat mit seiner Forschung die Nutzung der Atomenergie, unter anderem auch zum Bau der Atombombe, und damit auch die Vernichtung der Menschheit möglich gemacht, auch wenn dies sicherlich von ihm so nicht intendiert war. Genauso verhält es sich bei Loge. Er ist dafür verantwortlich, dass Alberich der Ring der Macht entrissen wird. Aber ist er wirklich so naiv zu glauben, dass Wotan den Ring den Rheintöchtern zurückgeben wird? Man mag diesen Vergleich mögen oder nicht, eine gewisse Stimmigkeit lässt sich diesem Ansatz nicht absprechen. Arnold Bezuyen setzt diesen Ansatz nicht nur szenisch sehr überzeugend um, sondern avanciert mit seinem sauber geführten lyrischen Tenor auch musikalisch zum gefeierten Star des Abends. Erda (Elisabeth Hornung) warnt Wotan (Ralf Lukas) vor dem Ring (oben: die Nornen). Eine große Diskrepanz besteht zwischen der szenischen und musikalischen Umsetzung der Erda-Szene im vierten Bild. Dew zeigt die Urwala als sehr voluminöse Frau mit großen herabhängenden Brüsten in einer sich drehenden Erdkugel, wobei aus ihrem Bauchnabel der Faden der Nornen herauswächst, die als stumme Figuren über dem sich drehenden Globus stehen. Während dieses Bild überaus ergreifend ist, kann Elisabeth Hornung stimmlich in der Rolle der Erda nicht überzeugen. Vielleicht hätte man sie als indisponiert ansagen sollen, vielleicht ist ihr aber auch Trinks' sehr lang gezogenes Dirigat zum Verhängnis geworden. Jedenfalls bricht die Stimme an mehreren Stellen und lässt somit die von der Regie und dem Bühnenbild großartig angelegte Szene verpuffen. Bei dem Gewitter am Ende des vierten Bildes zunächst einen wunderschönen Regenbogen auf die Rückwand projizieren lassen, bevor dahinter der mit Sicherheitskräften abgesperrte Atomreaktor sichtbar wird, in den die Götter dann Einzug halten werden, entbehrt gewiss nicht einer gewissen Plakativität und führt zu einer gemischten Reaktion des Publikums. Zahlreichen Bravorufen am Ende der Vorstellung werden auch einige Buhrufe entgegengehalten. Eine Inszenierung, die polarisiert, um nicht zu sagen, spaltet. FAZIT Dews Inszenierung überzeugt in weiten Teilen und macht neugierig auf die Fortsetzung der Tetralogie.. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung Bühne
Kostüme
Statisterie des Staatsorchester Darmstadt SolistenWotan Donner
Froh Loge
Alberich Mime Fasolt Fafner Fricka Freia Erda Woglinde Wellgunde Floßhilde
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