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Verschenkt!
Von Christoph Wurzel / Fotos von Matthias Creutziger In Dresden hatte Kurt Weill sechsundzwanzigjährig mit seinem expressionistischen Erstling Der Protagonist die Bühne als Opernkomponist betreten. Zeitgenössische Kritiken bescheinigten ihm damals „ausgesprochene Bühnenbegabung“ und „echtes Theatertalent“. Was er dann ja in Zusammenarbeit mit Brecht beim Epischen Musiktheater mit der Dreigroschenoper oder Mahagonny auch schlagend unter Beweis stellen konnte. Die sich Ende der Zwanziger Jahre anbahnende große Karriere in Deutschland und Europa wurde aber jäh durch die Machtergreifung der Nazis unterbrochen und der Sohn eines Synagogen-Kantors aus Dessau musste mit seiner Frau Lotte Lenya nach Amerika flüchten, wo er wiederum schnell auf der Musiktheaterbühne zu großen Erfolgen kam; denn Weill identifizierte sich rasch mit den Gegebenheiten der amerikanischen Kulturszene. Zehn musikalische Bühnenwerke für Broadway-Theater entstanden während der 15 Jahre, die Weill in den USA bis zu seinem Tod 1950 noch blieben. Show und Oper (Roxana Incontrera und Aaron Pegram als italienisches Einwandererpaar Fiorentino)
Eine Konstante in Weills Musik ist bei allen Wechselfällen der geschichtlichen und biografischen Umstände, seiner Themen und Stoffe und der Formen seiner Kompositionen geblieben: die Bühnenwirksamkeit seiner Musik und eine jedem Stück eigene musikalische Originalität. Umso bedauerlicher, dass seine Werke bis auf wenige Ausnahmen so selten auf deutschen Bühnen zu sehen sind. Mit seinem wohl größten Broadway-Erfolgsstück, der ausdrücklich so genannten „amerikanischen Oper“ Street Scene hat die Semperoper Kurt Weill nun nach Dresden zurückgeholt. Street Scene ist szenisch wie musikalisch ein vielschichtiges Werk. Mit dramaturgischem Geschick werden Liebesduette wie in der großen Oper, hochdramatische Szenen, Arien, Gassenhauer, Blues und Kinderlieder kombiniert, Banales und Tragisches, Romantik und Satire, Liebe und Hass, trübe Wirklichkeit und blumige Träume werden hart an einander gefügt. Gerade dies erforderte eine erfahrene Regiehand – doch eine solche muss man bei dieser Produktion leider vermissen. Bettina Bruinier ist diesem komplexen Stück mit seinen vielfältigen und gegensätzlichen Situationen und Charakteren (siehe die umfangreiche Personenliste!) nicht genügend gerecht geworden. Traum kleiner Leute von großen Glück (Simeaon Asper als Sam Kaplan und Carolina Ullrich als Rose Maurrant)
Die Handlung spielt in einem Mietshaus, bzw. auf der Straße davor und schildert alltägliche Probleme der vielen Parteien des Hauses, kleinen Leuten, die im melting pot dieses New Yorker Wohnsilos auf engem Raum miteinander auskommen müssen und dabei noch angenehm leben wollen. Im Mittelpunkt steht die Familie Maurrant mit seinen beiden Kindern: der Mann trunksüchtig, jähzornig und ausländerfeindlich, die Frau frustriert, und aus dem öden Ehealltag ausbrechend hat sie ein Verhältnis mit dem Milchmann begonnen. Die Tochter Rose sucht nach einem Ausweg aus der unerträglichen Familienenge und während der Sohn der jüdischen Einwandererfamilie Kaplan am liebsten mit ihr zusammen in eine bessere Zukunft flüchten möchte, macht sich Roses Vorgesetzter mit großen Versprechungen an sie heran. Am Schluss kulminiert alles in einem tragischen Mord: Als Frank Maurrant unverhofft nach Hause kommt und seine Frau mit dem Milchmann erwischt, erschießt er sie. Danach geht das Leben irgendwie weiter: Rose verlässt diese „Kloake" Vorstadt und zwei sensationsgierige Frauen begaffen den Tatort. Wie überall gibt es auch in diesem Mietshaus klatschsüchtige Nachbarinnen, sich miteinander prügelnde Kinder, heftige politische Diskussionen und einen Hausmeister, der alles mit einer Mischung aus Gleichmut und Melancholie beobachtet. Hans-Joachim Ketelsen verkörpert diese Rolle und darf nun nach Wagner- und Strauss-Partien mit hörbarem Vergnügen mal einen Blues aus der Kehle quetschen. Einer der wenigen Lichtblicke ist der Papa der Familie Fiorentino, der allen an diesem heißen Sommerabend eine Tüte Eis spendiert – Gelegenheit für eine flotte Canzonetta, die Aaron Pegram auch ganz belcantistisch hinlegt. Skeptischer Blick auf die Nachbarin ( Sabine Brohm als Anna Maurrent und Hans-Joachim Ketelsen als Hausmeister Henry Davis)
Doch die Regie lässt ihre Chance zu lebendiger Charakterisierung dieser kontrastreichen Figuren verstreichen, stattdessen begegnen uns auf der Bühne ziemlich blutleere Typen, deren fehlende psychologische Feinzeichnung mit viel Bühnenrummel und Kulissengeschiebe nur mühsam kaschiert wird. Viel Rampengesang wird gegeben und eine Interaktion der Personen bleibt Seltenheit, meist reden und singen sie das Publikum an. Die Tragik gerät zum Sozialkitsch, der provokante Zynismus am Schluss entgleitet zur albernen Farce. Dabei gäbe die Bühnenkonstruktion in der Form eines Querschnitts durch das Mietshaus (in starker Anlehnung übrigens an die Uraufführungs-Kulisse, nur ins Heute versetzt) vielerlei Möglichkeiten zu interessanten szenischen Lösungen. Mit viel Aufwand werden stattdessen in der Kulisse die Texte unnötig verdoppelt, z.B. der Traum Roses vom Bühnenstar durch eine opulente Showeinlage hinter der dafür eigens weggeschobenen Hausfront. Und à propos Text: völlig unverständlich, dass hier eine deutsche Übersetzung unsäglicher Qualität gewählt wurde, wo heute selbst russische oder tschechische Originalsprachen an Häusern wie der Semperoper eine Selbstverständlichkeit sind – wie viel leicher noch wäre es mit dem Englischen! Im Deutschen wird dann so etwas daraus wie die Erkenntnis: „Darauf steht der Tod. Ganz egal. Wär's der Tod – egal allemal". Querschnitt durch das soziale Leben: Bei uns wie auch in Manhattan (Ensemble)
Immerhin wird insgesamt anständig gesungen, teilweise sogar eindrucksvoll. Besonders Sabine Brohm gibt der Rolle der Rose stimmliches Format und als ihr Freund Sam Kaplan verfügt Simeon Asper über lyrischen tenoralen Schmelz. Beachtlich ragt auch Jonas Schmidt als Roses kleiner Bruder Willie heraus, er wurde vom Kinderchor der Dresdner Staatsoperette ausgeliehen. Das Orchester – die Sächsische Staatskapelle mit Broadway-Rhythmen! – meistert die Sache ganz gut, der Schmiss stimmt, der Groove weniger. Aber Jonathan Darlington lässt zumindest in der hier besprochenen Aufführung im 1. Akt zu laut spielen, später kommen Weills raffinierte Klangfarben besser zur Wirkung.
Eine verschenkte Chance, einmal neugierig auf den amerikanischen Weill zu machen: Musikalisch noch eher überzeugend, szenisch aber ein Flop. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Video Artist
Choreographie
Licht
Kinderchor
Dramaturgie
Solisten
Anna Maurrant
Frank Maurrant
Rose Maurrant
Abraham Kaplan
Sam Kaplan
Shirley Kaplan
Henry Davis
Harry Easter
Daniel Buchanan
Greta Fiorentino
Lippo Fiorentino
Emma Jones
George Jones
Mae Jones / Abschlussschülerin
Olga Olsen
Carl Olsen
Dick McGann
Steve Sankey
Mrs. Hildebrand
Jenny Hildebrand
Erstes Kindermädchen
Zweites Kindermädchen
Abschlussschülerin
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