Passend
zum Weltfrauentag
Von
Ursula
Decker-Bönniger /
Fotos von Thomas M. Jauk / Stage Pictures
Wie sehr die am Teatro San Carlo in Neapel
1835 uraufgeführte Oper Lucia di Lammermoor von Gaetano Donizetti
die zeitgenössischen Gemüter bewegte, zeigt u.a. ihre
Rezeption in literarischen Werken des 19. Jahrhunderts. Madame Bovary,
eine emanzipierte Frau, die sich in Flauberts Roman mit heimlichen
Liebschaften gegen die Langeweile ihrer Vernunftehe zu wehren versucht,
besucht eine Aufführung der Lucia di Lammermoor
mit ihrem Ehemann.
Dieser Opernbesuch hält ihr den Spiegel vor. Letztendlich nimmt
sie sich das Leben. Auch der Emanzipationsversuch von Tolstois Anna
Karenina endet tragisch - auch sie besucht die Oper, bricht
öffentlich mit ihrem Mann, um mit ihrem Liebhaber zusammensein zu
können.
Donizettis Lucia, die
ihre Zwangsverheiratung lange hinauszuzögern sucht, hält
ihrem Liebsten die Treue, indem sie ihren Ehemann in der Hochzeitnacht
ermordet. Als sie als Mörderin im blutüberströmten
Brautkleid erscheint, wird sie von Niemandem zur Rechenschaft gezogen.
Sie sucht auch nicht den Freitod, um die Schuld über die erste
Straftat mit einer weiteren, "für alle sichtbaren Todsünde"
zu bereinigen. Ihr Weg ist die Flucht in den Wahnsinn. Schreiber kommt
zu der interessanten These, dass Lucia in der Oper - ähnlich ihrer
Namensheiligen - weit über die Wirklichkeit hinaus zu einer
patriarchalisch motivierten Kultfigur stilisiert wird. "Das Licht, das
sie bringt, ist nicht von dieser Welt, und deshalb muss die
Lichtbringerin in dieser Welt auch nicht für gleichberechtigt
genommen werden".
Enrico
(Simon Neal, vorne links) lässt seine Aggressionen an Normanno
(Stephan Boving, vorne rechts) aus.
Auch in der Dortmunder
Inszenierung von Christian Pade ist Lucia die Reine, Unschuldige, mit
romantischem Lebenspessimismus ausgestattete Liebende, ein Objekt
männlicher Begehrlichkeit, deren Ehe für politische
Zwecke missbraucht wird. Alexander Lintl hat für diese Mixtur symbolisch eine aus
verschiedenen Teilen bestehende Wand konstruiert, deren
Fläche lamellenartig durchbrochen ist und Raum für vor allem
im dritten Akt romantische Lichtinstallationen in blau-, weiß-,
roten Farbschattierungen bietet. Auf einer Drehbühne platziert,
kann dieses abstrakte Kunstobjekt in verschiedensten Formen und
Perspektiven bewundert werden, deutet Szenenwechsel an, wird jedoch
wenig in das Spiel auf der Bühne miteinbezogen. Umrahmt wird die
Drehbühne von einer scherenschnittartigen schwarzen
Berglandschaft, deren Umrisse von einem leuchtend grünen Band
hervorgehoben werden.
Während Pade in den ersten Bildern erzählende
Handlungselemente einbaut - z.B. sticht Enrico, der Bruder
Lucias, aggressiv beim Ausweiden des bei der Jagd erlegten Hirsches zu,
ergötzt sich am Blut, lässt Hass und aufgestaute Aggressionen
an Untergebenen aus - verliert sich die Personenregie immer mehr in
einer sich auf das Wesentliche beschränkenden, symbolisch
aufgeladenen Bildersprache. Da tragen die Protagonisten z.B. ihr
musikalisches Emotionenspiel auf alten und modernen Stühlen
sitzend aus. Da werden Ringe, gepresste Blumen als Unterpfand der Liebe
getauscht. Ehe- und sonstige Verträge wechseln in roter, bzw.
dunklen Unterschriftsmappen den Besitzer. Edgardo überreicht Lucia
symbolisch einen Strauss weißer Lilien, Raimondo, ihr geistlicher
Erzieher, hängt ihr die Goldkette der verstorbenen Mutter
um, um sie auf die Familienpflichten einzuschwören.
Die
Flucht in den Wahnsinn: Lucia (Christina Rümann) nach ihrem Mord
Aber Lucia di
Lammermoor ist in erster Linie die Belcanto-Oper schlechthin.
Exzellent besetzt und umsichtig von Motonori Kobayashi geleitet,
präsentieren Chor, Orchester und Solistenensemble musikalisch
differenziert und auf hohem Niveau Emotionen pur.
Auch schauspielerisch die glühenden Leidenschaften, den Hass und
die Aggressionen immer wieder mit Handgreiflichkeiten und
Drohgebärden untermalend, überzeugt Simon Neals hell
timbrierter, leicht metallisch schwingender, flexibler und klangvoller
Bariton. In Prades Interpretation ist Enrico auch ausschlaggebend
für den Tod Edgardos, der nach dem Tod Lucias die tödliche
Liebesvereinigung geradezu sucht, aber von Enrico den finalen
Todesstoß erhält. Charles Kim in der Rolle des jugendlichen Liebhabers Edgardo steigerte
sich nach einem die Stimme leicht forcierenden Beginn im Laufe der Akte
und fand in der letzten Arie zu dem lyrisch warmen Timbre des Tenore di
grazia. Bart Driessens mit klangvoller Tiefe ausgestatteter Bassbariton
stellt einen kraftvollen, mit angemessener Grandezza ausgestatteten
Raimondo dar, Fausto Reinhart einen klangschönen, hell und klar
timbrierten Arturo. Lyrisch und hell schwingend, textverständlich
singend präsentiert sich Stephan Boving in der Rolle des Normanno,
während Gritt Gnauck in klangschönem, tiefgründig
schwingenden Mezzosopran die Rolle der Lucia begleitenden Hofdame
Alisa verkörpert.
Star des Abend und direkt nach ihrer Auftrittsarie heftig umjubelt war
Christina Rümann in der Titelpartie der Lucia. Wie sie klangvoll,
warm grundiert, mal dramatisch schwingend, mal schlank geführt,
das Publikum zu verzaubern vermag, geschmeidig die Tonsprünge und
-läufe dynamisch variiert, mühelos die höchsten
Höhen im Pianissimo erklingen lässt, um sie dann - einem
freudigen Gedankenblitz gleich - aufleuchten zu lassen, Töne mit
leichten Schleifern und Glissandi verbindet und lange Haltetöne
dynamisch an- und abschwellen lässt....Wie sie mit all ihrer
musikalischen Charakterisierungskunst nicht nur das emotionale Geflecht
sondern vor allem auch die Zerbrechlichkeit der Lucia darstellt, wird
in ihrer letzten Glanznummer, der Wahnsinnsarie, noch einmal
berührend und fantastisch zugleich vor Augen geführt.
FAZIT
Ein
in Regie und Kostümen weniger, musikalisch dafür umso
überzeugenderes
Opernerlebnis
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Meinung
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(Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische
Leitung
Motonori Kobayashi
Inszenierung
Christian Pade
Bühne
Alexander Lintl
Kostüme
Alexander Lintl
Choreinstudierung
Granville Walker
Dramaturgie
Daniel Schindler
Statisterie des
Theater Dortmund
Opernchor des
Theater Dortmund
Dortmunder
Philharmoniker
Solisten
* Premierenbesetzung
Enrico
*Simon Neal /
Brian Dore
Lucia
*Christina Rümann /
Julia Amos
Edgardo
Charles Kim
Arturo
Fausto Reinhart
Raimondo
*Bart Driessen /
Taras Konoshchenko
Alisa
*Grit Gnauck /
Ji-Young Mennekes
Normanno
Stephan Boving
Weitere
Informationen
erhalten Sie vom
Theater Dortmund
(Homepage)
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