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Abschied mit Puccinis TriptychonVon Ursula Decker-Bönniger / Fotos von Thomas M. Jauk / Stage PicturesChristine Mielitz verabschiedet sich in Dortmund mit einer stimmigen, die Besonderheiten der einzelnen Einakter herausarbeitenden Inszenierung von Puccinis Operntriptychon Der Mantel, Schwester Angelica und Gianni Schicchi. Entstanden in der Zeit des Ersten Weltkriegs spiegeln die stilistisch sehr unterschiedlichen Stücke einerseits wie ein Prisma den Wertezerfall der Zeit, verbinden sich veristischer Reißer, erbauliches Mysterienspiel und sarkastische Gesellschaftskomödie andererseits zu einem musikdramatischen Weltbild Puccinis, wo bitonale Milieucharakterisierung à la Strawinsky neben an Debussy erinnernde Quint- und Quartparallelen gesetzt sind, wo in modal-religöser Atmosphäre mit dissonanten Färbungen gespielt wird, wo unterschiedlichen Ausdrucksebenen leitmotivische Strukturen zugeordnet sind. Uraufgeführt im Dezember 1918 an der Metropolitan Opera in New York ging man erst nach dem Zweiten Weltkrieg wieder dazu über, den gesamten, abendfüllenden Zyklus aufzuführen. Carner benennt in der Abfolge der Stücke die ideelle Anlehnung an die ursprünglich auch von Puccini inhaltlich angestrebte Dantesche Dreiteilung und hebt in der zyklischen Darbietung die den Eindruck jeder einzelnen Oper verstärkende Wirkung des Kontrastes hervor. Von dieser Kontrastwirkung lebt auch die Dortmunder Inszenierung von Christine Mielitz. Der Mantel: Die Kontrahenten Luigi und Michele
Das Triptychon beginnt mit einer realistisch-naturalistischen Abbildung der sozialen Verhältnisse des Industriezeitalters. Da werden schwere Container an Seilzügen herabgelassen. Da wird das Publikum in die nächtliche Hafen-Arbeitsatmosphäre mit einbezogen, indem es geblendet vom Scheinwerferlicht auf der Schnürbodenebene die sich als Schatten abbildenden Löscher bei der Nachtarbeit betrachtet. Ähnlich wie die Musik eine vom Fluss ausgehende, schwerlastende Atmosphäre beschwört, die sich über den gesamten Einakter verbreitet, entpuppt sich auf der Bühne eine blau schillernde Wasseroberflächenprojektion zu Beginn als wachsende Wand einer riesigen Containerladung auf zwei Ebenen. In der Mitte lässt eine kleine Ladelücke Platz für einen zwei, drei Quadratmeter umfassenden, fensterlosen, multifunktionalen Raum im Schiffsbauch, der mit einer Leiter zur oberen Ladefläche verbunden ist. Beengt auf diese wenigen, mehrere Ebenen einbeziehenden Quadratmeter spielt sich bewegt ein von dramatischen, expressiven Gesten und Gefühlsausbrüchen geprägtes Leben von schwerer Arbeit, Liebessehnsucht, Ehekonflikt, Eifersucht, Trink- und Tanzvergnügen und Mord ab. Die zwischen variantenreicher Schummerbeleuchtung und bleicher, schattenhafter Gegenlichtatmosphäre wechselnde Lichtgestaltung rundet das Bild zu einem stimmigen, zwischen Identifikation und epischer Distanz wechselnden Ganzen. Maria Hilmes stellt eine dramatisch hell strahlende Frugola dar, während Susanne Schubert als Giorgetta ihre Stimme auch in tiefgründig, warmen Farben und großen Legatobögen aufleuchten lässt. Charles Kim ist ein kraftvoller Luigi, dessen beweglicher, lyrischer Tenor in dynamisch variierenden, gebundenen Melodiebögen glänzte. Simon Neal gestaltet mit seinem sehr flexiblen Bariton stimmlich und musikalisch überzeugend die zwischen erschütterndem Gefühlsausbruch und leidvollem Lamento schwankenden Ausdruckscharaktere. Hinzu kommt eine umsichtige, den Solisten Raum für Gestaltung lassende musikalische Leitung Jac van Steens und eine wunderbar transparenter, spannungs- und ausdrucksvoll gestalteter Musikstrom der Dortmunder Philharmoniker, der bei aller Dramatik das schwingende, wiegende Grundmetrum nicht aus den Augen verliert. Suor Angelica: Ensemble
Als blutleer wurde in der ersten Rezeptionsphase die Suor Angelica kritisiert. Der Mediziner, Sänger und Schriftsteller Giovacchino Forzano stellt hier den nach autoritären Massstäben und Regeln geordneten Alltag eines Nonnenklosters dar. Schwester Angelica, die wegen einer unehelichen Geburt von ihrer adeligen Familie ins Kloster verbannt wurde, erfährt anlässlich des Besuchs einer Tante nach sieben Jahren vom Tod ihres geliebten Kindes. Eigentlicher Anlass des Besuchs ist die mit Vorwürfen gespickte Bitte, zugunsten der Heirat der Schwester auf ihr Erbe zu verzichten. Demoralisiert nimmt sich Angelica das Leben, bittet im Sterben um Vergebung für ihre Todsünde und wird musikalisch zumindest errettet. Keine Klostermauern, kein Bet- oder Empfangsraum. Für diese Oper bleibt die Bühne bis auf ein paar kleine, hellgraue, multifunktionale Kuben leer. Zu dem religiösen Ambiente von Glockengeläut und Ave Maria in der Musik sieht man Frauen in einheitlicher, steril weißer Nonnentracht, die in Reih und Glied aufgestellt, in Gruppen angeordnet den Raum bevölkern. Ein Nebel aus kalten weiß-blauen Lichtfarben wird sich erst gegen Ende lichten. Hier bewegt man sich bewusst gemessenen Schrittes von rechts nach links und links nach rechts, mal geordnet, mal durcheinander, bis im zweiten Teil mit dem Besuch der Tante das Seelendrama der Schwester Angelica in gang kommt. Der monotone Sakralton in der Musik und entstehende Empfindungen von Langeweile, Passivität, Gefühlsleere werden ähnlich dem harmonischen Spiel mit Kirchentonarten und Dissonanzen in der Musik von einer ausgesucht feinsinnigen, beständig variierenden, die Gefühlskälte auch kitschig pastellfarben auflockernden Lichtgestaltung aufgefangen. Svetlana Ignatovich, die kürzlich von der Zeitschrift Opernwelt zur Nachwuchssängerin des Jahres gewählt wurde, singt die Titelpartie mit klangschönem, vollmundigen, weich grundierten Sopran, der dramatisch aufblitzt aber auch die langen, großen Melodiebögen in Senza Mamma kraftvoll gestaltet. Eindrücklich und anrührend ist auch die dichte schauspielerische Darstellung vor allem des Todeskampfes dieser gebrochenen, sich nach Harmonie sehnenden, emotionalen Frau. Gritt Gnauck ist eine mit klangvoller Tiefe ausgestattete, unnahbare Fürstin, Maria Hilmes eine kontrollbewusste Äbtissin. Hinzu kommt eine musikalische Gestaltung Jac van Steens, die die monotone Wirkung des Ganzen durch Gemessenheit und langsames Tempo unterstreicht. Gianni Schicchi: Die eleganten Verwandten am Totenbett
Unterhaltsamer Ausklang des Triptychons mit Transparenz und rhythmischer Leichtigkeit dargeboten - ist die als Farce inszenierte komische Oper Gianni Schicchi, in der die gesellschaftliche Bedeutung von Herkunft, Reichtum und Besitz karikiert wird. Nachdem die der herrschenden Schicht angehörenden Familienmitglieder im Nachlass unberücksichtigt bleiben, soll Schicchi, der bäuerliche Emporkömmling, in Anwesenheit des Notars ein neues Testament diktieren. Schicchi kommt diesem Wunsch nach und betrügt die Familie zugleich ausgesprochen geistreich, indem er seine eigenen Interessen voranstellt - alles natürlich nur, damit die Liebe siegt, d.h. seine Tochter Lauretta den Neffen dieser Familie heiraten kann. Passend zu einer Lamento-artig fallenden Achtelbewegung in Sekundschritten und zu einer im Tongeschlecht schwankenden Harmonie sieht man eine Trauer und Bedauern heuchelnde Angehörigenschar, die sich in eleganten, extravaganten Kostümvariationen in Schwarz und Weiß um ein Totenbett drängen. Entsprechend dem Kompositionsverfahren Puccinis, bei dem die Szenen und Stimmungswechsel unvermittelt und schnell aufeinanderfolgen, beginnt ein spritzig absurdes, dynamisch bewegtes, unterhaltsames Spiel, bei dem Schicchi anbiedernd die Hüften schwingt und die Protagonisten nicht davor zurückschrecken, auf der Suche nach dem Testament die Körperteile des Toten würdelos hochzuheben, Bett und Matratze zu durchwühlen, bzw. ihrem Ärger über den Inhalt Luft machen, indem sie ihn bewerfen oder mit Staub- und Wischwedeln, Besen etc. auf den Toten einschlagen. Julia Amos weiß mit langem Atemstrom, breiten Melodiebögen und lyrisch schwingender Höhe ihren Vater im Arioso O mio babbino caro zu bezirzen, Gritt Gnauck ist eine tiefgründig schillernde Zita, die mit Schminkkoffer und hautengem, seidig glänzenden, kleinen Schwarzen auftrumpft. Bart Driessen ist ein klangvoller Simone und Simon Neal ein schauspielerisch und sängerisch überzeugender, ausdrucksvoll gestaltender Gianni Schicchi. FAZITEine grandiose Abschiedsinszenierung von Christine Mielitz. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Choreinstudierung
Dramaturgie
SolistenIl Tabarro
Michele
Luigi
Tinca
Talpa
Giorgetta
Frugola
Liedverkäufer
Ein Liebespaar
Sopranstimme
Tenorstimme
Schwester Angelica
Die Fürstin
Die Äbtissin
Die Schwester Eiferin
Die Lehrmeisterin der Novizen
Schwester Genovieffa
Schwester Osmina
Schwester Dolcina
Zwei Almosensucherinnen
Zwei Novizen
Zwei Laienschwestern
Gianni Schicchi
Lauretta
Zita
Rinuccio
Gherardo
Nella
Gherardino
Betto von Signa
Simone
Marco
Ciesca
Spinelloccio
Amantio di Nicolao
Pinellino
Guccio
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