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Eene, meene, miste ...
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Matthias Jung ... es rappelt in der Kiste: Die nämlich, oft auch in der Variante Pappkarton, ist das wichtigste Requisit in Barrie Koskys Version von Wagners Weltuntergangsdrama. Es beginnt, noch bevor die Musik eingesetzt hat, mit so einem Karton, hereingeschoben von einer sehr alten, völlig unbekleideten Dame, offenbar Urmutter Erda. Der Kiste entnimmt sie drei Stühle, Sitzgelegenheit für die drei Nornen. In einen Karton wird Brünnhilde verpackt, und Siegfried wird sich zum Sterben wohin zurückziehen? Richtig, in den Pappkarton. Größer ist die Kiste im zweiten Aufzug, da passt dann ein kompletter Männerchor hinein. Wie alles anfängt: Erda (Margareta Waterkamp) und die Nornen (v.l. Ildiko Szönyi, Ieva Prudnikovaite, Francisca Devos)
Kosky soll in Essen den Schlusspunkt setzen unter einen Ring, der vier verschiedenen Regisseuren anvertraut ist. Die besondere Aufgabe besteht folglich darin, jede der vier Opern als autonomes Werk zu inszenieren. Das war Tilman Knabe mit einem in seiner provokativen Bildsprache polarisierenden, aber in sich stringenten Rheingold-Welttheater brillant, Dietrich Hilsdorf in seinem im Geiste Strindbergs erzählten Walküren-Familiendrama immer noch sehr beachtlich gelungen, während sich Anselm Webers Siegfried beziehungs- und orientierungslos im Halbdunkel verlief. Die Götterdämmerung beginnt durchaus vielversprechend. Sicher kommt dem Konzept entgegen, dass die Nornen zunächst viel Vorgeschichte rekapitulieren. Kosky bebildert das durch einen (von Bühnenbildner Klaus Grünberg gedrehten) comichaften Trickfilm, in dem die Weltesche ein Brokkolistrunk ist. Der Mythos als ironisch gebrochene Schablone, das lässt sich zunächst plausibel an. Dann kommt der Schwenk in die Gegenwart: Siegfried und Brünnhilde leben in einem schäbigen Zimmer (das Feuer lodert, wieder im Stile eines Comics, vor der Tür) und sind zunächst damit beschäftigt, unter der Bettdecke kräftig zu fummeln. Dann zieht Siegfried im dreckigen T-Shirt und mit Motorradhelm lässig ab. Eine Geschichte vom Erwachsenwerden? Neckische Liebesspiele: Brünnhilde (Caroline Whisnant) und Siegfried (Jeffrey Dowd)
Bei den smarten Gibichungen, deren eleganter Salon nur eine Wand im leeren Raum ist und falsche Geborgenheit vortäuscht, ist es um den jungen Mann mit schlechten Manieren schnell geschehen, derweil die von den Vorgängen in Walhall sichtlich traumatisierte Waltraute (Ieva Prudnikovaite glänzt mit klar fokussiertem, intensivem Sopran) bei der kindlich-naiven Brünnhilde abblitzt. Das junge Heldenpaarzeigt sich in bitterer Parallelität den Anforderungen der Realität nicht gewachsen. Da scheinen die Handlungsfäden nicht ungeschickt ausgeworfen, doch im zweiten Akt kippt die Inszenierung. Die Erscheinung Alberichs ist eine Karikatur auf einen Juden, mit aufgesetzter Hakennase, abstehenden Ohren und spindeldünnen Ohren (Günter Kiefer singt energisch zupackend). Fortan wird diese Figur immer wieder auftauchen, ohne erkennbar in ein Konzept eingebunden zu sein. Offenbar spielt Kosky (reichlich plump) auf Wagners Antisemitismus an. Dann öffnet Hagen (Attila Jun verleiht der Figur mit gefährlich schwarzer, durch pointiert scharfe Konsonanten gezielt hässlicher Stimme dämonische Züge) seinen Riesenkoffer, und heraus purzeln Dutzende von Neonazis. Na ja. Nazis hatten wir früher ja schon zu Genüge, dann jetzt eben Neonazis. Die tollen herum wie auf dem Kindergeburtstag, trinken viel Dosenbier und wissen offenbar auch nicht so genau, was sie in dieser Inszenierung machen sollen. Aber wir werden sie leider nicht mehr los. (Sie singen, einstudiert von Alexander Eberle, beeindruckend laut, allerdings auch recht martialisch im Ausdruck.) Hyperaktive Gibichungen: Gutrune (Francisca Devos), Hagen (Attila Jun) und Gunther (Heiko Trinsinger)
Die Rheintöchter im dritten Akt sind Revuegirls mit Federboas, und aus den erwähnten Kartons steigen noch allerhand bunt kostümierte Gestalten mit exzessivem Sexualverhalten. Der Jude ist wieder da und hat Analverkehr mit einem gehörnten Germanen, ein Mädchen in knallroten Schuhen und mit Wolfsmaske bevorzugt Oralverkehr mit einem blutbeschmierten Krieger in Pickelhaube. Ab und zu fallen alle um. Die Neonazis setzen sich brav auf Stühle und verhalten sich jetzt ganz ruhig, und Siegfrieds Erzählung wird zum besseren Verständnis auch pantomimisch dargestellt. Die Decke aus etlichen weißen Platten hebt und senkt und hebt und senkt sich sinnfrei, Siegfried ist tot und krabbelt in die Kiste, Hagen ersticht Gunther und dann auch noch Gutrune, und Brünnhilde hat irgendwo ein unglaublich albernes Walkürenkostüm gefunden. Hin und wieder schreitet die nackte Erda vorbei, und irgendwann ist der letzte Ton gesungen und die Wände fahren hoch und die Neonazis gehen zur Seite ab in die Kulissen anderer, besser inszenierter Stücke und nur die nackte Erda bleibt zurück (ein bisschen mehr Theaterzauber zum Weltuntergang hätte Kosky ruhig veranstalten dürfen). Es bleibt der vage Verdacht, der Regisseur könnte sich womöglich doch etwas gedacht haben. Sicher auch etwas in der Art: Das Ganze ist eben Theater, und am Ende ist das Theater vorbei. Das aber ist viel zu unscharf inszeniert. Doppelhochzeit mit Neozanis
Die Sache mit den Kisten hat aber noch eine ganz andere Pointe. Solche Kisten sind ja schnell gepackt und auch verfrachtet. Nach Hannover zum Beispiel. Da inszeniert Kosky nämlich auch, und zwar den kompletten Ring, der bis zur Walküre gediehen ist und noch in dieser Spielzeit zum Abschluss gebracht wird. Es fanden sich im Essener Premierenpublikum so manche Hannoveraner, die schon 'mal schauen wollten, wie es denn weiter geht mit den Wälsungen. Denn wie es scheint, ist diese Götterdämmerung gar nicht der versprochene Monolith im Vier-Regisseure-Ring, sondern schlichtweg die Vorpremiere (oder, anders formuliert, eine Arbeitsfassung) für Koskys Hannover-Götterdämmerung, die im Gegensatz zur Essener Aufführung ja drei Opern Vorgeschichte hat. Das erklärt auch so manches Detail: Das Rheintöchter-Varieté zu Beginn des dritten Aufzugs ist die konsequente Fortsetzung des Rheingolds (nur eben nicht des Essener, sondern des Hannoverschen). Brünnhildes Motorradhelm hat unser niedersächsischer Korrespondent schon in der Walküre gesichtet, wie man hier nachlesen kann. Und was haben die Essener davon, dass sie diese Götterdämmerung nun als erste sehen dürfen? Sie können den Hannoveranern zurufen: Ich hab' zwar vieles nicht kapiert, das aber früher als ihr. Siegfried und die Rheintöchter und allerlei andere Gestalten. Insider, die in Hannover das Rheingold gesehen haben, wissen: Die goldene leicht gebückte Gestalt in der Mitte, das ist das Rheingold.
Der ganz große Pluspunkt dieser Produktion ist die starke Orchesterleistung und das expressive, immer transparente und flüssige Dirigat von Stefan Soltesz. Die Musik drängt mit großer Spannung nach vorn, hat aber auch Ruhepunkte, ohne an Binnenspannung zu verlieren. Problematisch ist die Besetzung der Brünnhilde mit der amerikanischen Sopranistin Caroline Whisnant, deren flackerndes, doch sehr eintöniges Vibrato (das sie mit starken Bewegungen des Unterkiefers erzeugt, was wiederum optisch nicht gerade bühnenwirksam ist) die an sich große und volle, in der Höhe etwas gepresste Stimme in der Ausdrucksfähigkeit stark einschränkt. Dazu kommt der störend starke Akzent (auch die genannten Ivea Prudnikovaite und Attila Jun haben nicht Deutsch als Muttersprache, deklamieren aber ungleich genauer). Jeffrey Dowd wurde als grippegeschwächt angekündigt, schlug sich als Siegfried aber tapfer. Ein schwerer Heldentenor ist er nicht und muss in den extremen Spitzentönen mogeln (was er recht geschickt tut), aber die angenehme Mittellage und auch die nicht strahlende, aber geschmeidige Höhe spricht gut und tragfähig an. Die relativ leichte Stimme passt zudem zur Anlage der Rolle, die den Siegfried als unbedarften Jungen (und nicht als tragischen Helden) zeigt das spielt Dowd sehr gut aus. Imponierend ist der großformatige, strahlkräftige Gunther von Heiko Trinsinger, beachtlich die Gutrune von Francisca Devos. Nornen und Rheintöchter singen durchweg ordentlich.
Glänzendes Orchester, viel Licht und ein kräftiger Schatten bei den Sängern. Der Inszenierung gelingt es nicht ansatzweise, den Essener Ring zu einem überzeugenden Abschluss zu finden erst nach der Premiere der Götterdämmerung in Hannover vom selben Regisseur wird man beurteilen können, wie viel Originäres in Essen auf die Bühne gestellt und wie viel vorweggenommene Zweitverwertung hier schwer genießbar aufgetischt wurde. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild / Licht / Video
Kostüme
Chor
Dramaturgie
Solisten
Siegfried
Gunther
Alberich
Hagen
Brünnhilde
Gutrune
Waltraute
1. Norn
2. Norn
3.Norn
Woglinde
Wellgunde
Floßhilde
Erda (stumme Rolle)
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