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Hercules

Musikalisches Drama in drei Akten
Text von Thomas Broughton

Musik von Georg Friedrich Händel


in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 5' (zwei Pausen)

Premiere im Aalto-Theater Essen am 4. Dezember 2010
 


Logo:  Theater Essen

Theater Essen
(Homepage)
Eifersucht ist eine Höllenplage

Von Thomas Molke / Fotos von Thilo Beu

Dietrich Hilsdorfs Inszenierungen sind am Aalto-Theater in Essen nahezu schon eine Institution. Von seinen zahlreichen Verdi-Interpretationen halten sich beispielsweise Luisa Miller und Un Ballo in Maschera seit vielen Jahren im Repertoire. Seine 21 Jahre alte Aida-Inszenierung ist sogar in der letzten Spielzeit wieder ins Repertoire aufgenommen worden und läuft weiterhin mit großem Erfolg. Mit dem Bühnenbildner Dieter Richter und der Kostümbildnerin Renate Schmitzer hat er sich nach Semele vor drei Spielzeiten erneut einem eher unbekannten Händel-Werk gewidmet. Dabei wurde mit Spannung erwartet, ob er den großen Erfolg, den er mit Semele erzielte, in diesem Jahr wiederholen kann.

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Dejanira (Michaela Selinger) wartet mit Lichas (Marie-Helen Joël) auf Hercules' Rückkehr.

Händels Hercules ist einerseits kein Oratorium im eigentlichen Sinn, da es sich um einen mythologischen und keinen biblischen Stoff handelt, andererseits aber auch keine Oper, da die große Tragödie des Stückes eher eine innere Handlung ist, die sich das Publikum bildlich selbst erschließen muss, und somit ursprünglich nicht für eine szenische Umsetzung bestimmt war. Händel selbst bezeichnet sein Werk als "A Musical Drama" und versucht damit einen Mix zwischen Oper und Oratorium zu etablieren. Die Handlung basiert auf  Sophokles' Tragödie Die Trachinierinnen, Ovids Heroides 9 (einem fiktiven Brief Dejaniras an ihren Gatten Hercules) und Euripides' Herkules-Tragödie. Hercules kehrt aus dem Krieg gegen den König von Oechalia siegreich zurück und bringt dessen Tochter Iole als Kriegsbeute mit. Dejanira sieht in ihr eine Nebenbuhlerin und fürchtet um die Zuneigung ihres Ehemannes. Da erinnert sie sich, einst von dem Zentauren Nessus ein mit seinem Blut getränktes Gewand erhalten zu haben, das denjenigen, der es trägt, in ewige Liebe versetzen soll. Hercules legt das Gewand an. Doch es ist vergiftet, und Hercules leidet unter entsetzlichen Schmerzen, so dass er sich nur noch den Tod wünscht. Sein Sohn Hyllus lässt ihn auf den Berg Oeta bringen und dort auf einem Scheiterhaufen verbrennen, damit er zu den Göttern aufsteigen kann. Dejanira erkennt ihre Tat und bringt sich um. An dieser Stelle enden die antiken Vorlagen. Im Sinne des erforderlichen lieto fine der Zeit folgt in Händels Oper auf göttliche Weisung noch die Eheschließung zwischen Iole und Hyllus.

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Hercules (Almas Svilpa, rechts) ist siegreich aus Oechalia mit Kriegsgefangenen zurückgekehrt und sichert Iole (Christina Clark) zu, dass ihr nichts passieren wird. Lichas (Marie-Helen Joël, links) und Hyllus (Andreas Hermann, hinten) beobachten die Szene.

Zu Beginn versperrt der eiserne Vorhang noch die Sicht auf die Bühne. Ganz plötzlich verlöscht im Zuschauersaal das Licht, und es beginnt mit einem Trommelwirbel, während der eiserne Vorhang im Boden versenkt wird. Der Blick wird frei auf eine sehr opulente Bühne. Man sieht einen riesigen Raum mit hohen Wänden, der seine besten Zeiten hinter sich hat, da überall an den Wänden der Putz abblättert. Vorne links befindet sich der Rest eines Altars, der wohl (durch eine Bombe?) zerstört worden ist. Daneben ein Seil, das in einer hohen breiten Kuppel endet. Wenn man daran zieht, ertönen Kirchenglocken. Im Hintergrund befinden sich Lazarettbetten und ein Adler als Insignie des Kampfes. Auf der rechten Seite ein mit Vorhängen abgetrennter und leicht erhöhter Raum. Auf dem Vorhang sind Höhlenmalereien zu erkennen. Dahinter befindet sich wohl das Schlafgemach Dejaniras. Das ganze Bühnenbild wirkt merkwürdig vertraut, wenn man die eine oder andere Hilsdorf-Inszenierung in Essen schon gesehen hat. Auch die Stühle auf der Bühne erinnern stark an das in Semele  verwendete Mobiliar. Es herrscht Krieg. Das ist wohl die Aussage, die sich hinter Dieter Richters Bühnenbild verbirgt. Auch wenn dieses Bühnenbild in seinen Ausmaßen bombastisch wirkt, würde man sich doch allmählich ein bisschen Abwechslung wünschen.

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Der Chor der Eifersucht (Chor).

Aus den Rängen ertönt der Chor und erfüllt den ganzen Saal mit einem einzigen Wort: "Jealousy" (Eifersucht), das Gefühl, welches Dejaniras Handeln im folgenden Verlauf des Stückes beherrschen wird. Erst danach setzt Dejanira (Michaela Selinger) zu einem Lamento an und gibt ihrer Sorge um den aus dem Krieg noch nicht heimgekehrten Gatten Ausdruck. Renate Schmitzer passt die Farben der opulenten Kostüme Dejaniras genau ihren Gefühlsregungen an. Zunächst trägt sie ein schwarzes Kleid über einem barocken Reifrock. Wenn der Chor ihr dann später mit schwarzen Kostümen und roten Theatermasken die Eifersucht ins Herz pflanzt, trägt sie dunkles Lila. In dieser Farbe beschimpft sie auch Iole (Christina Clark), die im Gegensatz zu ihr in unschuldiges Weiß gekleidet ist. In ihrer späteren Auseinandersetzung mit Hercules (Almas Svilpa) hat sie wieder ein schwarzes Kleid angelegt, da sie um die ihrer Meinung nach vergangene Liebe trauert. In diesem schwarzen Kleid, jetzt ohne Tüll über dem Reifrock, also wesentlich schlanker, beschließt sie auch, mit dem vergifteten Gewand des Nessus einen letzten Versuch zu unternehmen, die Liebe ihres Mannes, die gar nicht verloren ist, zurückzugewinnen, und besiegelt damit Hercules' Todesurteil. Erst nach seinem Tod kleidet Renate Schmitzer sie in unschuldiges Weiß, während Iole nun die schwarze Farbe Dejaniras übernommen hat, in der sie Hyllus zum Altar folgt. Ähnlich aussagekräftig ist die Wahl der Kostüme bei den Männern. Hercules (Almas Svilpa) kehrt mit Löwenmähne aus dem Krieg heim, was als eine Anspielung auf den besiegten nemäischen Löwen verstanden werden kann, da Hercules bei seinen folgenden Taten das Fell dieses Löwen stets als Schutzpanzer angelegt hat. Im Schlafgemach mit seiner Frau trägt er ein königblaues Hemd mit blauen Hosen, blau als Farbe der Treue, was er ja bei Händel auch ist. Nachdem er das Gewand des Nessus angelegt hat, ist sein Körper und Gesicht blutüberströmt, um seine Qual und seine Todessehnsucht zu zeigen. Nach seiner Apotheose erscheint er, zunächst verhüllt, in einem goldenen Gewand, was seiner Göttlichkeit Ausdruck verleihen soll. Hyllus (Andreas Hermann) ist in zartes Blau gekleidet, was die Schwäche dieses Charakters unterstreicht. Auch beim Chor und bei der Statisterie werden keine Kosten und Mühen gescheut, beide mit opulenten barocken Kostümen auszustatten.

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Iole (Christina Clark) wehrt sich gegen Hyllus' (Andreas Hermann) Annäherungsversuche.

Während sich Renate Schmitzers Kostümwahl also sehr gut nachvollziehen lässt, bleiben bei Dietrich Hilsdorfs Inszenierungen einige Fragezeichen. Lobenswert ist auf jeden Fall die Personenregie, was zum einen die Chor- und Statistenszenen, als auch die Szenen der Solisten betrifft. Beim Chor hat man nie das Gefühl, dass er einfach nur herumstehen. Stets ist er sehr gut in die Szene integriert oder ertönt, wenn er sich nicht in die Szene einbauen lässt, als Gewissen oder innere Stimme klanggewaltig von den Rängen. Auch Hyllus' Werben um Iole und deren Ablehnung, Ioles Unschuldsbeteuerungen vor Dejaniras Beschimpfungen und die Szenen zwischen Dejanira und Hercules werden mit ausgeklügelter Personenführung umgesetzt. Den im Libretto auftretenden Priester, der Hercules' Vergöttlichung verkündet und Iole und Hyllus den göttlichen  Auftrag erteilt zu heiraten, als vermummten Hercules auftreten zu lassen, ist als Regieeinfall nicht schlecht. Da Hercules jetzt ein Gott ist, kann er auch als deus ex machina auftreten. Weniger schlüssig ist aber, warum im dritten Akt mit dem unter den Qualen des vergifteten Gewandes leidenden Hercules ein Löwe (ist es der nemäische Löwe?) auftritt, um seine Wunden zu pflegen. Genauso rätselhaft bleibt, wieso im gleichen Akt eine alte Dame würdevoll nach vorne schreitet und "N2" an die Wand schreibt. Soll es Juno / Hera sein, die jetzt doch endlich ihren Erfolg über Hercules davonträgt? Sehr beeindruckend ist dann wieder der brennende Scheiterhaufen im Hintergrund der Bühne. Der wäre für Hilsdorfs Walküre-Inszenierung in Essen auch gar nicht so schlecht gewesen.

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Hercules (Almas Svilpa) rast vor Schmerzen (vorne: Lichas (Marie-Helen Joël)).

Musiziert und gesungen wird auf sehr hohem Niveau. Almas Svilpa gibt schon rein optisch mit seinem muskulösen Äußeren einen sehr glaubwürdigen Titelhelden. Mit scheinbarer Leichtigkeit hebt er die Damen über die Bühne und reißt mit brachialer Gewalt im dritten Akt, die Vorhänge von Dejaniras Gemach herab. Stimmlich weiß er, mit seinem fundierten Bass vor allem in der Wahnsinnsarie im dritten Akt kurz vor seinem Tod zu überzeugen. Die Koloraturen kommen aber bisweilen noch ein bisschen unsauber und könnten noch etwas differenzierter ausgesungen werden. Andreas Hermann bleibt als Hyllus in den Höhen manchmal ein bisschen schwach, verfügt aber ansonsten über einen schönen schlanken Tenor. Marie-Helen Joël vermag, als Herold Lichas vor allem im Botenbericht zu Beginn des dritten Aktes zu überzeugen. Die Stars des Abends sind Christina Clark und Michaela Selinger. Mit leuchtendem hellem Sopran verleiht Christina Clark der Prinzessin Iole die Unschuld, die sie gemäß ihrer Rolle besitzt. Michaela Selinger stellt Dejaniras Leiden mit grandiosem Stimmumfang dar. Dabei scheut sie keine Oktavsprünge und singt die Koloraturen sowohl im hohen als auch tieferen Bereich wunderbar sauber aus. Ihre Wahnsinnsarie kurz vor ihrem Tod wird zu einem musikalischen Höhepunkt des Abends. Auch der Chor unter der Leitung von Alexander Eberle wird den hohen musikalischen Anforderungen vollkommen gerecht. Jos van Veldhoven lässt aus dem Orchestergraben mit den Essener Philharmonikern einen sehr nuancierten Händel-Klang ertönen, der sich nicht scheut, ungewohnte Pausen einzulegen, wenn die Szene es gerade verlangt.

So gibt es am Ende großen Applaus für den hervorragenden Chor, die glänzenden Solisten und ein herrlich aufspielendes Orchester. Warum das Regieteam um Dietrich Hilsdorf sich nicht allein dem Publikum stellt, sondern nur mit den Solisten an die Rampe tritt, bleibt fraglich. Mangelnde Courage zu vermuten, erscheint nicht logisch, da Hilsdorf eigentlich noch nie die Reaktion des Publikums gescheut hat. Vielleicht ist es auch einfach ein bescheidenes Bekenntnis, dass der größte Erfolg dem Ensemble gebührt.


FAZIT

Musikalisch ein großes Barockspektakel in opulenten Kostümen. Nur bei der Regie und beim Bühnenbild bleiben einige Fragen offen. 


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Jos van Veldhoven

Inszenierung
Dietrich W. Hilsdorf

Bühne
Dieter Richter

Kostüme
Renate Schmitzer

Choreinstudierung
Alexander Eberle

Licht
Dirk Beck

Dramaturgie
Norbert Abels

Nils Szczepanski



Opern- und Extrachor

des Aalto-Theaters

Statisterie des Aalto-Theaters


Essener Philharmoniker


Solisten

Hercules
Almas Svilpa

Dejanira, seine Frau
Michaela Selinger

Hyllus, sein Sohn
Andreas Hermann

Iole, Prinzessin von Oechalia
Christina Clark

Lichas, ein Herold
Marie-Helen Jo
ël






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