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Kein Ausweg. Nirgends.
Von Joachim Lange
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Fotos: © Monika Rittershaus Geriete man unvermittelt in die Frankfurter Aufführung von Aulis Sallinens orchestermächtig dräuender Oper Kullervo, dann würde man das Bühnenpersonal sehr bald irgendwo im dunklen geographisch emotionalen Norden Europas wähnen. Dass die Musik zu der vierten Oper des einst an Arnold Schönberg und Alban Berg geschulten finnischen Komponisten noch vergleichsweise neu ist und 1992 in Los Angeles uraufgeführt wurde, darauf käme man nicht so schnell. Denn hier feiern die Nachklänge des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, von Richard Wagner über Richard Strauss bis Alban Berg, Zitat- und Inspirationsurstände. v.l.n.r.: Alfred Reiter (Kalervo), Barbara Zechmeister (Schwester), Peter Marsh (Kimmo; stehend), Ashley Holland (Kullervo) und Heidi Brunner (Mutter)
So wie der 1935 geborene Sallinen die Geschichte in Töne und als sein eigener Librettist in Szene setzt, ist seinem Opus auf jeden Ton und Schritt die Ehrfurcht anzumerken, die man in Finnland offenbar beim Umgang mit den nationalen Epen pflegt. Die sind - wie das Kalevala-Epos, dem sie entstammt für's nationale Selbstverständnis konstituierend. Hier sind die Schattenseiten der menschlichen Existenz in einer geradezu archaisch aneinander geketteten Dorfgemeinschaft miteinander vereint. Zu Brudermord und weitervererbter Rache, Inzest und Quälereien jeder Art und theatralischem Selbstmord kommt obendrein noch eine Portion Täterpsychologie hinzu. Die verharrt freilich in dem Muster: Schwere Kindheit ohne Liebe gleich verkorkster Charakter, der nicht zu retten ist. Ashley Holland (Kullervo) und Jenny Carlstedt (des Schmieds junge Frau)
Die Handlung geht so: Unto hat auf seinen Bruder Kalervo und dessen Familie einen Mordanschlag verübt. Der Titelheld, Kalervos Sohn Kullervo, wächst in dem Glauben bei diesem Onkel auf, er habe als einziger das Flammen-Inferno überlebt. Dann wird er von ihm als Arbeitssklave an einen Schmied verkauft. Als ihn auch die junge Frau des Schmiedes als Mann verhöhnt, bringt er sie kurzerhand um. Zu einer Umkehr auf seinem Weg nach unten hat Kullervo im Grunde nicht die geringste Chance. Selbst als er seine Eltern wiederfindet, die auch überlebt hatten, wollen die nichts mehr von ihm wissen. Dazu kommt noch ein unwissentlicher Inzest und der Selbstmord der Schwester Ainikki, worauf die Familie den Monstersohn verstößt, und der in einem finalen Showdown Unto, dessen Sippe und schließlich sich selbst vernichtet. Hier rast also eine Tragödie antiken Ausmaßes über einen nordischen Dorfplatz ungebremst auf den Abgrund zu. Nichts wird da ausgelassen und mit einem psychologischen Selbsterklärungsetikett versehen.
In der Gestalt Kullervos treffen bei Sallinen der Prügelknabe Wozzeck und der elternlose Siegfried in einer kruden Mischung aufeinander. Der Finsterling, der dabei herauskommt, schlägt mit deutlich mehr Vehemenz als Wozzeck mit seinem Mord an Marie zurück. Dass er das Feuerchen, bei dem er drauf geht, selbst legt, ist für Sallinen dann auch eine Vorlage für ein Finale im Götterdämmerungsformat. Wirklich aufgelockert wird das gruselige Personaltableau weder durch den närrischen Freund Kullervos, Kimmo, noch durch den zwischen die packende, spätromantisch cineastische Orchesterwucht wie ein Fremdkörper gepflanzten Auftritt eines blinden Sängers (Schauspieler Christoph Pütthoff), der in einem Traum Kullervos eine poppige Inzest-Ballade zum Besten gibt. Und doch entfalten der düster sinnliche Sound mit seinen wiedererkennbaren Anspielungen, ob nun auf die Agamemnon-Rufe Elektras oder das Hop, hop von Wozzecks Sohn, den Sallinens tonale, ungeniert auf sofortige Wirkung setzende Musik entfaltet, die oratorisch kommentierenden, oder von den schlimmsten Katastrophen berichtenden Einwürfe des Chores und das vokale Dauerfeuer der Solisten einen packenden Sog. Dabei beeindruckt die Vehemenz, mit der sich Ashley Holland in die Titelfigur hinein steigert. Christoph Pütthoff (blinder Sänger) und Peter Marsh (Kimmo)
Aus dem Ensemble ragt Heidi Brunner als Kullervos Mutter heraus. Und mit Hans Drewanz stand auch der passende Anwalt für diesen ungewohnt düsteren, auf jede Moderneattitüde verzichtenden Opernsolitär aus dem Norden am Pult des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters. Das war überzeugend, auch wenn der zweite Teil des Orchesternamens dabei im Hinblick auf die Musik einen pikanten Beigeschmack von Wahrheit bekommt. Die Bühne von Jens Kilian entfaltet die abstrakte Düsternis eines verkohlten Hausgerippes in der tiefsten Dunkelheit. Diese Optik und Christof Nels Versuch, das Wogen der dörflichen Massen gegen den düsteren Außenseiten, die allgemeine Lähmung und Aussichtslosigkeit ohne ambitionierte Umwege sichtbar zu machen, gibt am Ende Kullervo recht, wenn der meint, dass der Tod auch nicht viel schlimmer sein kann, als das Leben, das er geführt hat.
Die Frankfurter Aufführung ist mit hoher musikalischer Qualität und szenischer Sorgfalt umgesetzt. Wobei die Erstellung einer deutschen Textfassung wohl etwas zu viel des Guten war. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
szenische Analyse
Bühnenbild
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Kullervo
Mutter
Kalervo
Kimmo
Schwester
Des Schmieds junge Frau
Jäger
Unto
Untos
Tiera
1. Mann
2. Mann
Blinder Sänger
Tote Frau
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