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Elektra

Tragödie in einem Aufzug
Text von Hugo von Hofmannsthal
nach der Tragödie von Sophokles
Musik von Richard Strauss


in deutscher Sprache mit französischen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 40' (keine Pause)

Premiere am 10. November 2010 im Grand Théâtre Genève (Genf)


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Grand Théâtre Genève
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Im Alptraum Trümmerfeld

Von Roberto Becker / Fotos von GTG/ Vincent Lepresle


Wenn sich der Vorhang im Grand Théâtre in Genf hebt, dann sind die Frauen schon bei der Arbeit. In dunkel bedeckten bürgerlichen Kostümen sind sie mit Blecheimern ausgestattet und auf Knien beim Großreinemachen. Was ziemlich vergeblich wirkt in der grau dunklen Tristesse um sie herum. Vorn sieht man eine junge Frau etwas abseits, die sich gerade ihre Haare abschneidet, freiwillig die Kennzeichnung als Ausgestoßene, Ausgegrenzte wählt. Eine andere Frau taucht voller Furcht mit einem Säugling in den Armen auf. Wieder eine andere junge, blonde Frau schwebt mit einem völlig deplatzierten Brautschleier und im sommerlich hellen Kleid durch die Szene. Dann taucht ein Uniformierter mit einem Beil in der Hand auf und zieht die Frau, der man eben ihren Säugling entrissen hatte, mit sich fort.

Dieses szenische Auftakt-Gewusel zum Gesang der Mägde über die Zustände im Palast von Mykene hat natürlich Methode. Das, was Peter Konwitschny als stummes Vorspiel seiner Elektra-Deutung in Kopenhagen als Pantomime im familiären Ambiente voran gestellt hatte, jubelt Christof Nel in Genf gleichsam den Mägden unter. Es geht um die Vorschichte jenes Rache-Kapitels in einer Familiensaga, die ihres gleichen sucht. Es ist Klytämnestra, der man (wie einst ihr Mann Agamemnon die Iphigenie) das Kind entreißt, und sie ist es auch, die sich zum Mord an Agamamnon verführen lässt. Mit wenig Widerstand. Das Mädchen mit dem Brautschleier ist Chrysothemis, jene (Beinahe-)Lichtgestalt in diesem Stück über die Nachtseiten der menschlichen Seelenabgründe, die trotz allem immer noch Kinder haben will, bevor ihr Leib verwelkt. In Nels Elektra ist man also sofort mitten drin in der Geschichte von Verstrickung und Ausweglosigkeit, von Vatermord und Blutrache.


Vergrößerung in neuem Fenster Elektra und ihre Schwester allein und verzweifelt

Wenn sich dann die Frau mit den abgeschnittenen Haaren mit ihren Rufen nach dem toten Vater Agamemnon als Elektra zu erkennen gibt, schauen plötzlich Geister aus den Fenster, des irgendwo zwischen Hochhaus- und Palastruine angesiedelten Gemäuers, das Roland Aeschlimann bühnenbeherrschend auf die Drehbühnen gesetzt hat. Es scheint langsam zu versinken, denn eines der fünf Stockwerke liegt schon unter dem Niveau des Erdbodens. Und die Risse in den Mauern sind schon so groß, dass man hindurchgehen kann. An den Balkonen fehlen die Geländer, von den Zwischendecken hängen nur noch die Balken in der Luft. In den Fenstern dieses Baus werden die Geister der Vergangenheit oder die Dämonen der Gegenwart noch öfter spuken, bis am Ende zwei der vier Mauern des Gebäudes völlig einstürzen. Hier hat der Tod ein archaisches Gesicht – die, die da unter Eimern versteckt aus den Fenstern hängen, wirken jedenfalls wie Darsteller in einer antiken Tragödie.


Vergrößerung in neuem Fenster

Aus den Fenstern hängen die Toten

Denn um die vor allem geht es auch Regisseur Christof Nel. Aber nicht im Sinne einer Bebilderung dieses besonders dunklen Kapitels der Familiengeschichte der Atriden. Nel zeichnet sie aber so nach, das man zu jeder der handelnden (oder besser vom Schicksal vor sich her getriebenen) Personen einen Zugang von heute aus findet. Doch immer dann, wenn man sie gerade als Menschen wahrzunehmen beginnt, bröckelt die Fassade, offenbaren sich das Schuldbewusstsein (bei Klytämnestra und Aegisth), die Ängste (bei Chrysothemis) oder die Übermacht der Fremdbestimmung durch das Leben für die Rache wie bei Elektra oder Orest. Denn selbst der verliert die Fassung, als er Elektras Schicksal zu begreifen beginnt. Er muss von seinem Begleiter mit Gewalt zurückgehalten werden, um seine Pläne zur Ermordung der Mutter und ihres Liebhabers nicht zu gefährden.


Vergrößerung in neuem Fenster Zwei Schwestern: der Traum vom Weiberleben und der Wille zur Rache

Für diese subtile Erkundung seiner Figuren vor dem Hintergrund einer schier ausweglosen Verstrickung hat Nel das richtige Ensemble beisammen. Jeder vermag hier, über den bloßen Gesang hinaus, ein differenziertes Porträt zu zeichnen. Erstaunlich wie souverän Eva Marton noch unter der alptraumgeplagten Mörderin an die einst selbst tief verletzte Mutter zu erinnern vermag. Sie muss ihre Klytämnestra dabei weder in den Sprechgesang noch in die überzogene Hysterie treiben. Wenngleich das Lachen, in das sie ausbricht, als sie die Nachricht vom Tode des Orest hört, fast die Wände zum Einsturz bringt. Zu solchen Ausbrüchen vermag sich Jeanne-Michèle Charbonnet zwar nicht aufzuschwingen, aber sie bewältigt ihre Elektra mit imponierender Kondition und kann vor allem in den dialogischen Passagen mit ihrer angenehm timbrierten, klaren Stimme überzeugen. Erika Sunnegardh lässt bei ihrer Chrysothemis nicht nur in ihrem differenzierten Spiel die Sehnsucht nach dem „richtigen“ Leben immer wieder durchscheinen, sondern hinterlässt mit der jugendlichen Leuchtkraft ihrer Stimme einen der stärksten Eindrücke dieses Abends. Da auch der so eloquente wie berührende Orest von Eglis Silins die innere Zerrissenheit von Trauma und Willen zur Rache überzeugend verkörpert, mag man verschmerzen, dass Jan Vacik nicht über eine eher klischeehafte Skizze des Aegisth hinauskommt.


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Alles in Trümmern, die Familie vereint

Vor allem dem, was in dieser Inszenierung an fein differenzierter Figurenzeichnung ausgebreitet wird, kommt der Chef der Aalto Oper in Essen, Stefan Soltesz, am Pult des Orchestre de la Suisse Romande weit entgegen. Man könnte meinen, dass er einen Gegenentwurf zu Daniele Gattis auftrumpfender, alles überdeckender Klangwucht bei den letzten Salzburger Festspielen im Sinne hatte und ihm mehr eine so poetische aufgehellte, eher vom Rosenkavalier inspirierte Lesart wie die von Christian Thielemann in Baden-Baden vorschwebte. Weil dem Genfer Orchester dafür aber dann doch die Perfektion fehlte, hinterließ der Kontrast zwischen dem Klang- und dem Bühnenbild einen irritierenden Eindruck. So behält die Szene das letzte Wort: Mit einer toten Klytämnestra im Schoße ihrer Tochter Chrysothemis, einer darüber zusammenbrechenden Elektra und mit einem Orest, der sich nach seinem Racheblutbad kaum noch auf den Beinen zu halten vermag und von seiner Schwester wohl nur noch einige Momente vor dem Zusammenbruch bewahrt werden kann.


FAZIT

In Genf ist eine von Stefan Soltesz musikalisch gedämpfte, vom Ensemble darstellerisch überzeugende und klug gedachte Elektra zu erleben.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Stefan Soltesz

Inszenierung
Christof Nel

Bühne
Roland Aechslimann

Kostüme
Bettina Walter

Licht
Susanne Reinhardt

Szenische Analyse
Martina Jochem

Chor
Ching-Lien Wu



Chor des
Grand Théâtre Genève

Orchestre de la
Suisse Romande


Solisten

Klytämnestra
Eva Marton

Elektra
Jeanne-Michèle Charbonnet

Chrysothemis
Erika Sunnegårdh

Aegist
Jan Vacik

Orest
Egils Silins

Der Pfleger des Orest
Ludwig Grabmeier

Die Schleppenträgerin
Cristiana Resutti

Ein junger Diener
Manfred Fink

Ein alter Diener
Slobodan Stankovic

Erste Magd
Isabelle Henriquez

Zweier Magd
Olga Privalova

Dritte Magd
Carine Séchaye

Vierte Magd
Sophie Graf

Fünfte Magd
Bénédicte Tauran



Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Grand Théâtre Genève
(Homepage)



Da capo al Fine

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