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Musiktheater
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Götterdämmerung

Dritter Tag des Bühnenfestspiels
für drei Tage und einen Vorabend
von Richard Wagner

Dichtung vom Komponisten

Aufführungsdauer: ca. 5 Stunden 35  Minuten  (zwei Pausen)

Premiere im Opernhaus Hannover am 12. Juni 2011

Staatstheater Hannover (Logo)

Staatsoper Hannover
(Homepage)

Erdadämmerung

Von Bernd Stopka / Fotos Thomas M. Jauk

„Da muß sich manches Rätsel lösen. Doch manches Rätsel knüpft sich auch.“ – Was für die Walpurgisnacht in Goethes Faust I steht, gilt auch für Wagners Götterdämmerung, für Text und Musik und insbesondere auch für eine Inszenierung, die gern jeden möglichen Hexentanz mitnimmt.

In Hannover hat sich der Ring nun geschlossen. Der letzte Tag des Monumentalwerkes wurde allerdings nicht mehr mit ganz so großer Spannung erwartet, denn Regisseur Barrie Kosky, Bühnenbildner Klaus Grünberg und Kostümbildner Klaus Bruns haben ihr Konzept für Hannover – eins zu eins – schon zuvor im Essener Aaltotheater auf die Bühne gestellt, nicht als Co-Produktion, sondern als eigenständige Arbeit in einem Ring, der von vier Regisseuren unabhängig in Szene gesetzt werden sollte. Das spricht zuerst einmal nicht gegen die Inszenierung, hat aber schon ein gewisses „Gschmäckle“, besonders für das Essener Publikum, das die zahlreichen Bezüge auf die drei vorangegangenen hannoverschen Ring-Abende gar nicht verstehen konnte.


Vergrößerung in neuem Fenster Erda (Statistin), die Nornen, im Film die Helden, die den Weltbrokkoli zerlegen

Als Vorspiel vor dem Vorspiel schiebt die alte, nackte, zerbrechliche Erda einen großen Pappkarton (kein Kosky ohne Kisten…) auf die Bühne und stellt ihren drei Nornen-Töchtern Stühle vor den Vorhang. Deren Gesang, der die Geschichte rekapituliert, wird durch einen gewollt witzigen, computeranimierten Film bebildert, aus dem wir erfahren, dass Wotans Raben Menschengesichter haben, die Weltesche in Wahrheit ein Brokkolistrunk ist, Walhall eine Sandburg, dass Wotan wohl zwischenzeitlich in die Filmproduktion eingestiegen ist und „Walhall-Pictures“ gegründet hat und dergleichen mehr. Sehr bewegend bleibt der Moment in Erinnerung, in dem sich die Nornen, die ihr Seil bzw. Filmband selbst zerrissen haben, zärtlich an ihre unbeteiligt wirkende Mutter schmiegen, die derweil auf dem Souffleurkasten Platz genommen hatte und gleich höchstselbst den Vorhang heben wird.

Siegfried und Brünnhilde sind in ihrem schrecklich scheußlichen Wohnzimmer – das in den wohlbekannten Kasten eingebaut ist – mit neckischen (Sex-)Spielchen bei laufendem Fernseher beschäftigt. Den abreisenden Gatten stattet Brünnhilde mit seinem Schwert und ihrem Motorradhelm aus.

In einem engen, aber hohen Salon mit vier bullaugenbewehrten Türen im Halbkreis und einem überdimensionalen Kronleuchter empfangen die Gibichungen Siegfried, nicht ohne dass sich Gunther und Gutrune laut und albern lachend vorher ein Tür auf-Tür zu-Spielchen geliefert hätten, das an störender Albernheit kaum zu übertreffen ist. Die Szene, die nun folgt, vereint Slapstick und Boulevardtheater, Überzogenes und Überdeutliches - erreicht dabei aber nie das Niveau einer guten Parodie. Das scheint aber auch nicht gewollt zu sein. Siegfried benimmt sich schlecht im edlen Hause, zieht seine stinkenden Schuhe aus, nimmt Gutrune erst auf dem Salontisch, dann darunter. Gunther und sich verletzt er im Gesicht, die Blutsbrüderschaft besiegeln sie durch einen blutigen Kuss. Hagens Wacht auf inzwischen aufgeräumter, fast leerer Bühne gehört dann wieder zu den eindringlichen Momenten. Da stört nichts die Musik – bis auf Erda, die mal wieder einen Karton über die Bühne schiebt.

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Siegfried (Robert Künzli), Brünnhilde (Brigitte Hahn)

Im nächsten Bild erscheint Brünnhildes Wohnzimmerkasten ohne die schwarze Verblendung und so wird die ganze Bühnenmaschinerie sichtbar. Waltraute tritt blutverschmiert auf und versucht gleichermaßen vergeblich, sich das Blut abzuwaschen und Brünnhilde zur Rückgabe des Rings zu bewegen. Während man später Siegfried hinten die Treppe hochsteigen sieht, erscheint doch Gunther bei Brünnhilde und dieser Teil der Siegfried-Partie wird auch vom Sänger des Gunther gesungen. Das macht die Illusion der Tarnkappenverwandlung perfekt, führt aber Brünnhildes Bemerkung aus dem zweiten Akt („Ein einz'ger Blick seines blitzenden Auges, das selbst durch die Lügengestalt leuchtend strahlte zu mir…“) ad absurdum. Gunther zwingt Brünnhilde ins Brautkleid, stopft sie dann in einen Karton und verklebt ihn fein säuberlich.


Vergrößerung in neuem FensterHagen (Albert Pesendorfer), Mannen (Männerchor)

Hagen erwartet die Zurückkommenden vor einer schwarzen, schreibtischähnlichen Kiste, die von einer großen Industrielampe beleuchtet wird. Die Stromkabel, die sie speisen, würden dem Schicksalsseil alle Ehre machen. Alberich, als überzeichnete Karikatur eines orthodoxen Juden dargestellt, kriecht in einem Pappkarton über die Bühne, beschwört Hagen, entkleidet sich (entledigt sich der „Verkleidung“ wie schon im Rheingold) und kuschelt sich Trost suchend an seinen Sohn, der nach seinem Abtritt die Kippa und die Nase(-nprothese) seines Vaters verbrennt. Ach ja, zwischendurch schleicht wieder einmal die nackte Erda über die Bühne, aber das ist als Selbstverständlichkeit schon fast nicht mehr erwähnenswert. Siegfried entsteigt der Schreibtischkiste, die Mannen einer bühnenhohen, halb bühnenbreiten Holzkiste. Gunther packt stolz sein Hochzeitsgeschenk aus: Brünnhilde aus dem Karton. Außer Brünnhilde und Gutrune (im gleichen Hochzeitskleid) gibt es keine Frauen bei den Gibichungen. Der komplette Frauenchor wurde gestrichen. Das erklärt vielleicht die vor Testosteron strotzende brutale Energie der Mannen, die als Neonazis und Hooligans kaum zu bändigen sind und Brünnhilde auf erniedrigende Weise demütigen und später dann auch schänden.

Vergrößerung in neuem FensterBrünnhilde (Brigitte Hahn), Gunther (Brian Davis)

Die Verschwörungsszene gehört zu den dichtesten Momenten der Inszenierung. Hier beweist der Regisseur seine Kunst, Personen zu führen und spannend Beziehungen und Bezüge zu beleuchten, ohne großes Brimborium drumherum. Ein Moment allerdings sei erwähnt, weil er symptomatisch ist: Wenn Brünnhilde Gunther mit den Worten „Tief wohl sank das teure Geschlecht, das solche Zagen gezeugt!“ beleidigt, haben diese Worte soviel zerschmetternde Kraft, dass sie nicht noch durch eine Ohrfeige betont werden müssen. Das holt diesen Moment auf eine flache Ebene und unterminiert die viel tiefere Ausdruckskraft, die Text und Musik hier haben. Zum Schluss des Bildes schwenken die Hooligans weiße Fahnen, die Brautpaare setzen sich wie zu einem Hochzeitsbild mit ihnen in die große Kiste, die von Hagen zugeschlagen wird. Klappe zu, Affe tot? Mitnichten. Im dritten Akt geht’s erst richtig los.


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3. Akt, 1. Szene

Das erste Bild des dritten Aktes vereinigt Bilder und Personen aus der Ring-Geschichte und Assoziationen zur gesamten Handlung. Es ist voll gestopft mit Aktionen und Beziehungshinweisen und verbindet das alles mit Elementen des absurden Theaters. Bedeutungsvolles Auf- und Abfahren des weißen Bühnenbodens sowie Senken und Heben der Decke halten die Theatertechnik in Atem. Das Gespräch Siegfrieds mit den Rheintöchtern gerät dabei völlig in den Hintergrund. Warum die Rheintöchter das Rheingold (die goldene Frau aus dem Vorabend) in einem Karton herein schieben, erklärt sich nicht wirklich. Oder ist es eine andere? Ein Ersatz? Aus dem Karton steigen auch zwei blutüberströmte Soldaten mit Pickelhaube, eine Frau mit Bärenkopf (aus dem 1. Siegfried-Akt?), Siegfried wieder als Supermann, ein orthodoxer Jude (Alberich? – der hatte doch aber gerade sein Judentum „ausgezogen“), ein Germane (Wotan?), eine vierte, verdreckte, zerrissene Rheintochter, ein kleiner Supermann….  Zwischendurch tanzen alle, klatschen lachend ab, fallen immer wieder gemeinsam zu Boden, der Jude besteigt den Germanen von hinten – "make love not war"? (Eine weitere umgangssprachliche Variante dieses Bildes ist politisch so unkorrekt, dass ich sie nicht weiter ausführen möchte).

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Erda (Statistin)

Zur zweiten Szene des ersten Bildes werden alle Protagonisten mit dem Bühnenboden hochgefahren. Ach so, ist Erda zwischenzeitlich mal wieder über die Bühne geschlurft? Im Zweifelsfalle ja. Der Jude sitzt unter einem Tisch, der Germane liegt daneben und hat seinen Kopf in seinen Schoß gelegt. Mime taucht in Sieglindes Kleid mit Nudelholz auf, der Waldvogel ist zu einer dicken Frau im weißen Kleid mutiert (in Essen war es pink – eine der wenigen Varianten). Siegfrieds Erzählung wird entsprechend bebildert. Hagen meuchelt Siegfried bestialisch und verpackt ihn  - in einen Karton. Am Schluss wird es noch einmal spannend und logisch. Alle Ring-Träger müssen sterben: Das verdeutlicht Kosky auf bezwingende und geniale Weise: Gunther nimmt dem toten Siegfried den Ring ab, Gutrune nimmt ihn von Gunthers Finger, nachdem Hagen ihn getötet hat. Gutrune wird ebenfalls von Hagen erstochen. Von ihr nimmt Brünnhilde den Ring an sich, um ihn später Erda zu geben. Von solchen Ideen wünscht man sich mehr! „Wie Sonne lauter strahlt mir sein Licht“ singt Brünnhilde – nun im schwarz gewordenen  Brautkleid – zu Erda, ihrer Mutter, die sie zärtlich zu trösten versucht. Dann werden noch einmal alle Darsteller auf die Bühne gefahren, um gleich im Zeitlupentempo abzugehen. Die Technik der Hinter- und Seitenbühnen wird sichtbar, bis das Licht ausgeschaltet wird. Zerbrechlich, verletzt, ausgemergelt, müde, dabei resigniert wirkend, verglüht Erda, die alte Mutter Erde, im strahlend hellen Licht vor einer dunklen Bühne. Was hat man ihr angetan! Ein ganz starkes Bild zum schlimmen Schluss.


Vergrößerung in neuem FensterHagen (Albert Pesendorfer), Brünnhilde (Brigitte Hahn), Siegfried (Robert Künzli), Mannen (Statisterie)

Barrie Kosky vereint in seiner Inszenierung Überdeutliches und Peinliches, Gewolltes und Undurchsichtiges, Provokatives und Lächerliches – aber eben auch sehr intensive Personenregie, berührende Momente und zutiefst bewegende Augenblicke. Mit offenen Umbauten erreicht er Realitätsbezogenheit und Illusionslosigkeit. Indem er die Person der Erda hervorhebt und ihr optisch die zentrale Rolle im Ring zuweist, beleuchtet er einen ökologischen und politischen Aspekt des Rings, der diese Aufmerksamkeit unbedingt verdient. Das Einbringen des Judentums, auch als Hinweis auf Wagners Antisemitismus,  erscheint dagegen nicht als zwingende Notwendigkeit. Auch die Kartons und Kisten laufen sich als optische Leitmotive schnell tot. Immer, wenn einer glaubt, dass ihm etwas/jemand gehört, kommt es in einen Karton, der mit Paketband zugeklebt wird.

Viele versuchte Provokationen laufen ins Leere – in Hannover ist man seit Bieto einiges gewohnt – oder sind einfach nur öde. Warum müssen Reaktionen und Gefühle immer wieder überzeichnet, noch deutlicher als deutlich gemacht werden? Müssen die subtilen, feineren Mittel der Sanges- und Schauspielkunst vor dem Platten und Überzeichneten weichen, damit auch ja jeder es versteht und gut unterhalten wird? Das wird man bei Film und Fernsehen sicher besser. Das Theater kann mit seinen Mitteln andere, tiefer gehende Schwerpunkte setzen.

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Siegfried (Robert Künzli),Rheintöchter, Statisten

Robert Künzli ist auch in der Götterdämmerung ein sehr eindrucksvoller, mit Stimm- und Strahlkraft aufwartender Siegfried, wenn auch insgesamt nicht ganz so begeisternd wie im zweiten Tag der Tetralogie. Brigitte Hahn hat die Brünnhilde genau studiert, singt sie akkurat und stimmtechnisch ausgefeilt, doch für diese Partie fehlen der Stimme Glanz und Durchschlagskraft. So bleibt ihre Brünnhilde trotz intensiven schauspielerischen Einsatzes gesanglich blass und uncharismatisch. Kelly God wertet die undankbare Rolle der Gutrune mit wunderschönem Sopran und Bühnenpräsenz auf. Den Alberich gestaltet Frank Schneiders mit dämonischen, aber kultivierten Tönen, Brian Davis ist auch stimmlich ein nobler Gunther. Monika Walerowicz singt eine ausdrucksstarke, wenn auch in der Tiefe nicht besonders stimmschöne Waltraute. Die eindrucksvollste sängerische Leistung des Abends zeigt Albert Pesendorfer, der dem Hagen mit gewaltigen Basstönen in diversen düsteren Klangfarben Charakter und Profil verleiht. In Vollendung harmonisch klingen sowohl die Nornen, als auch die Rheintöchter. Den Herren- und Extrachor hat Dan Ratiu bestens auf seine Aufgabe vorbereitet.

Wolfgang Bozic gibt in seiner letzten Premiere als Hannovers GMD alles und überzeugt mit einem bezwingenden, leidenschaftlichen und sehr dynamischen Dirigat, dem das Staatsorchester fast unfallfrei folgt. Immer wieder gestaltet Bozic Momente von größter, atemberaubender Intensität und malt Klangfarben, deren adäquate Umsetzung man auf der Bühne oft vermisst. Zu einem der schönsten Bilder dieser Produktion wird denn auch Siegfrieds Rheinfahrt – die bei spektakulär geschlossenem Vorhang gespielt wird.


FAZIT

Musikalisch eindrucksvoll, szenisch mit einigen ganz starken und vielen wenig überzeugenden Lösungen hat sich der Ring in Hannover geschlossen. Warten wir auf den nächsten.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Wolfgang Bozic

Inszenierung
Barrie Kosky

Bühnenbild, Trickfilm
Klaus Grünberg

Kostüme
Klaus Bruns

Chor
Dan Ratiu

Licht
Klaus Grünberg
Susanne Reinhardt 

Dramaturgie
Ulrich Lenz


Niedersächsisches
Staatsorchester Hannover

Chor und Extrachor
der Staatsoper Hannover

Statisterie der
Staatsoper Hannover


Solisten

Siegfried
Robert Künzli

Gunther
Brian Davis

Alberich
Frank Schneiders

Hagen
Albert Pesendorfer

Brünnhilde
Brigitte Hahn

Gutrune
Kelly God

Waltraute
Monika Walerowicz

1. Norn
Julie-Marie Sundal

2. Norn
Mareike Morr

3. Norn
Dorothea Maria Marx


Woglinde
Carmen Fuggiss

Wellgunde
Mareike Morr

Floßhilde
Julie-Marie Sundal

Erda
Evelyn Gundlach



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Hannover
(Homepage)




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