Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-mail Impressum



Die Csárdásfürstin

Operette in drei Akten
Text von Leo Stein und Béla Jenbach
Musik von Emmerich Kálmán
Musikalische Fassung von Gerrit Prießnitz
und Béla Fischer


Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Premiere der Oper Köln im Palladium (Köln-Mülheim) am 30. Dezember 2010
Besuchte Aufführung: 20. Januar 2011

Logo: Oper Köln

Logo: Oper Köln

Oper Köln
(Homepage)

Anders muss man sein

Von Thomas Tillmann / Fotos: Paul Leclaire
Foto kommt später Sylva Varescu (Christoph Marti) ist der Star im Budapester Orpheum.

Was macht den besonderen Erfolg im Leben und auf der Bühne aus? "Anders muss man sein", weiß Boni aus der Csárdásfürstin, und das dachten sich wohl auch Bernd Mottl und sein Team, als sie sich überlegten, wie man Kálmáns Erfolgsoperette im 21. Jahrhundert erzählen kann, in dem Standesunterschiede und -dünkel nicht mehr so offen zutage treten und große Lieben verhindern können wie 1915, als das Werk seine Uraufführung erlebte. Und insofern möchte ich dem älteren Herrn, der vielleicht von der Enge der sieben Stühle pro Tisch genervt war und der bei "Joj, Mamam" kaum wieder aufhören wollte mitzuklatschen, aber in den Schlussapplaus hinein bedeutungsschwanger "Was würde Kálmán wohl dazu sagen?", zu bedenken geben, dass zumindest seine Erben nach sorgfältiger Prüfung ihre Zustimmung zu der Idee gegeben haben, die Sylva Varescu mit Christoph Marti zu besetzen. Und der Schweizer, der bereits 2004 in Bern die Dolly Levi, 2005 in Berlin den Emcee in Cabaret, 2007 Albin/Zaza in La cage aux folles am Münchner Gärtnerplatztheater in der Regie von Helmut Baumann sowie 2009/2010 am Theater St. Gallen die Emma Weideli-Oggenfuss im Musical Bibi Balù gab, ist eine wunderbare Sylva Varescu, er hat Präsenz und Divenqualitäten und den nötigen Geschmack und das schauspielerische Format, um die ganze Veranstaltung bei allem schrillen Spaß nicht zur billigen Provinztravestieklamotte verkommen zu lassen. Es sind neben den großen Shownummern vor allem die ernsten Szenen, in denen er berührt und fesselt, trotz der meiner Meinung nach falschen Entscheidung, die gesamte Rolle mit vermeintlich starkem ungarischen Akzent à la Marika Rökk zu sprechen - das ist eine Weile lustig, erweist sich aber als kontraproduktiv, wenn man Ernstes transportieren möchte (als Ursli Pfister, den er in dem wunderbaren Ensemble "Die Geschwister Pfister" gibt, hat er sich für einen amerikanischen Akzent entschieden, aber bei reinen Unterhaltungsprogrammen mit hinreißend nostalgischer Musik stört das überhaupt nicht). Natürlich ist Marti kein Sopran, und ich will nicht verhehlen, dass ich diese Musik natürlich auch seit frühester Jugend mit wunderbaren Sängerinnen im Ohr habe (besonders ans Herz gewachsen ist mir der große in ungarischer Sprache aufgenommene Querschnitt mit der leider schon 1982 verstorbenen Erszébet Házy, die wie eine Göttin singt und Anneliese Rothenberger und Anna Moffo bei aller Verehrung in die zweite Reihe verweist). Überall dort, wo Marti naturgemäß an Grenzen gekommen wäre, gibt es kleinere "Änderungen in der Melodieführung" (ansonsten verzichtet der musikalische Leiter bewusst und erfreulicherweise auf Umstellungen in den Musiknummern, sonstige Eingriffe oder werkfremde Einlagen), wobei einige der vorgenommenen Oktavierungen den Künstler nun in der tiefen Lage überforderten und er vor allem im Verbund mit den übrigen Sängern zu sehr im Hintergrund blieb. In der besuchten Vorstellung war Marti aber auch gesanglich sicher nicht auf der Höhe seines Könnens, da habe ich ihn in zahllosen Geschwister-Pfister-Shows glanzvoller und einfach schöner singen hören. Allerdings hat er da in der Regel auch professionellere Musikanlagen zur Verfügung gehabt - der wirklich skandalös schlechte Ton ist der größte, aber erhebliche Schwachpunkt dieser Produktion.

Foto kommt später

Auch Boni (Martin Koch, links am Boden) und Feri (Alexander Fedin, rechts am Boden) sind hingerissen vom Charme des Teufelsweibes Sylva (Christoph Marti).

Ansonsten bewundert man den großen Respekt vor dem Werk, von dem die Kölner Neuinszenierung getragen ist: Hier wird bei allen augenzwinkernd-ironischen Einzelideen (etwa in den Zigeunerszenen) nicht ein etwas angestaubtes Oeuvre gehässig vorgeführt und kompromittiert, sondern behutsam für ein Publikum aufbereitet, das nicht nur aus altgedienten Operettenfans besteht. Und zwar ohne die Vorlage pseudointellektuell aufzuhübschen oder die natürlich nicht zu leugnende Prägung durch den Ersten Weltkrieg penetrant in den Vordergrund zu ziehen. Im Kern geht es doch um das Zueinanderkommen zweier scheinbar getrennter Welten: Die Titelfigur möchte als sie selbst angenommen werden, und nicht als jemand, der sie gar nicht ist. Das konnte man 1915 gut vor dem Hintergrund des Kontrasts zwischen Hochadel und Tingeltangelmilieu zeigen, das kann man 2011, wenn man neureichen Geldadel und Travestiemilieu aufeinandertreffen lässt. Nicht zuletzt sprüht Bernd Mottl, der sich in der vergangenen Spielzeit mit dem Doppelabend La voix humaine/Herzog Blaubarts Burg an der Oper Köln vorgestellt hatte, vor Ideen, wenn er etwa beim berühmten "Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht" die Darstellerinnen in typisch männliche Kostüme steckt, aufs Sofa setzt und den Herren en travestie beim Bühnewischen zuschauen lässt, bevor diese sich bis auf goldene Slips ausziehen, wenn er beim "Teufelsweib" Vertreter aller großen Religionen mit typischen Kopfbedeckungen auftreten lässt, die Sylva Varescu das fürchten lehrt, wenn sich die riesige Hochzeitstorte für Sylva und Edwin als Ensemble von Stühlen entpuppt, die von Tänzerinnen und Tänzern dargestellt werden. Ein bisschen vordergründig fand ich indes den Einfall, Sylva Varescu in der entscheidenden Szene die Perücke abnehmen zu lassen (die live übrigens viel besser aussah als auf den Fotos im Programmheft) - die Parallele zu Zazas "I Am What I Am" in La cage aux folles ist augenfällig, meiner Meinung nach aber überflüssig, man versteht auch so die Verzweiflung des ausgegrenzten Künstlers und seinen Befreiungsschlag gegen ein selbstgerechtes Establishment. Edwins spätes Bekenntnis zum nunmehr abgeschminkten, in einen lilafarbenen Anzug gewandeten Partner am Ende wird nichtsdestotrotz zu einem berührenden Plädoyer für die Liebe über Konventionen und Vorurteile hinweg.

Foto kommt später Boni (Martin Koch) verliebt sich in die entzückende Stasi (Csilla Csövári).

Eigens für diese Operettenproduktion hergerichtet hatte man den Nebenraum des eigentlichen Palladium, der mit gleich zwei Bühnen, jede Menge Lüstern und Tischen ausgestattet ist und schon ein wenig an ein Cabaret wie das Orpheum erinnert (ursprünglich war dieses Konzept übrigens für das Gloriatheater vorgesehen gewesen). Die zwei Bühnen sind indes auch ein Problem: In einigen Szenen sitzt jeder Zuschauer und jede Zuschauerin reichlich weit weg vom Geschehen. Wieviel man in solchen Momenten verpasst, realisiert man, wenn man in einzelnen Szenen wirklich hautnah dabei ist (an unserem Tisch etwa wurde der "Ehevertrag" zwischen Edwin und Sylva unterschrieben, da war es schon eine Freude, Martis Mienenspiel zu beobachten). Natürlich ist es auch ein bisschen eng, mitunter tut der Nacken vom Hin- und Hergucken ein wenig weh, aber die Mehrheit des Publikums nimmt das für das Gebotene gern in Kauf. Hinreißend sind die aufwändigen, detailverliebten Kostüme von Friedrich Eggert, nicht nur die der Diva - Sylva Varescu ist im typisch ungarischen Outfit mit roten Stiefeln, dann im großen Showkostüm mit Federnkopfputz und passendem weißen Mantel und in weit ausgestellter hellgrüner Ballrobe mit Nerzstola und einer Perücke zu bewundern, Anhilte etwa trägt Handtasche, Pumps und Sixties-Kleid aus demselben Stoff, und auch bei den zahlreichen Roben der sehr spielfreudigen Chor- und Ballettmitglieder gibt es ganz wunderbare. Letztgenannte setzen die flotten, mitunter auch sehr ironischen Choreografien von Otto Pichler (mit herrlichen Hebefiguren für die Vedette) präzis und mit viel Spielfreude um.

Foto kommt später Wird Edwin (Carsten Süß, von hinten) sich zu seiner Liebe zu Sylva (Christoph Marti) bekennen?

Carsten Süß, der eine bemerkenswerte Opernkarriere hat (an der Kölner Oper gab er den David in den Meistersingern, im Frühjahr ist er an der Oper Frankfurt Leukippos in Daphne, und auch an den Bacchus in Ariadne will er sich in diesem Jahr wagen) ist ein distinguierter, darstellerisch bemühter Edwin, wirkt aber neben Christoph Marti doch etwas steif. Gesanglich lässt er kaum Wünsche offen - ehrlich gesagt hätte ich gern eine Einlage wie "Heut' Nacht hab' ich geträumt von dir" aus "Veilchen von Montmartre" gehört, das Nicolai Gedda in der EMI-Aufnahme singen durfte. Dankbarer ist natürlich die Rolle des Boni, in der Martin Koch sich austoben konnte, und auch Alexander Fedin hatte mit reifem Ton als Feri Bacsi seine Momente. Das wahre Operettenglück brachte aber Csilla Csövári in die Produktion mit ihrem frischen, schlanken, sehr präsenten und auch höhenstarken Sopran und ihrem sehr natürlichen, durchaus witzigen Spiel (sie war mir bereits als Vierte Magd in Elektra sehr positiv aufgefallen). Reinold Louis, den die Kölner nicht nur als Radio- und Fernsehmoderator der Rosenmontagszüge kennen und lieben, war für mich kein Gewinn als Fürst, zu hölzern bewegte er sich auf der Bühne und präsentierte er seine paar Sätze, aber natürlich wird er wie Ludwig Sebus, einer weiteren Karnevalsinstitution, mit der er alterniert, viele Zuschauer anlocken. Mehr Format besaß da Andreja Schneider, die eine hinreißend aussehende Anhilte war (wie funktioniert das mit den scheinbar aufgespritzten Lippen, lieber Maskenbildner?), der man Blasiertheit und Chansonettenvergangenheit in jeder Sekunde abnahm und die eine ganz eigene Komik entfaltete, die diejenigen Kritiker zum Schweigen brachte, die sich gewundert hatten, dass für diese kleine Sprechrolle ein weiterer Gast engagiert worden war (sie ist vielen natürlich als "Fräulein Schneider" bei "Die Geschwister Pfister" an der Seite von Marti und Tobias Bonn bekannt). Burghard Braun komplettierte als trockener, hintergründiger Rohnsdorff das Ensemble. Gerrit Prießnitz, der fest an der Wiener Volksoper engagiert ist und einige Erfahrung mit dem Werk Emmerich Kálmáns mitbringt, hat sein kleines Orchester gut im Griff und weiß die Solistinnen und Solisten, die mitunter sehr weit von ihm entfernt sind, hervorragend und flexibel zu begleiten. Als echter Kálmán-Fan wurde ich indes mit dem doch ein wenig an Salonorchester erinnernden Sound nicht durchgängig glücklich, auch wenn ich verstehe, dass das solistisch besetzte Instrumentalensemble von zwölf Musikern dem intimeren Rahmen der Aufführung Rechnung trägt, für mehr Musiker vermutlich auch kein Platz war und die bereits erwähnte gruselige Verstärkeranlage Anteil an dem etwas dünnen Klang hatte.


FAZIT

Allen Unkenrufen konservativer Operettenfans zum Trotz: Diese etwas andere Neuproduktion der Csárdásfürstin ist fast uneingeschränkt sehens- und hörenswert. Ein Publikumserfolg ist sie allemal, dem Vernehmen nach wird bereits über eine Wiederaufnahme in den nächsten Spielzeiten nachgedacht.

Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Gerrit Prießnitz

Inszenierung
Bernd Mottl

Bühne
und Kostüme
Friedrich Eggert

Licht
Andreas Grüter

Chor
Jens Olaf Buhrow

Choreographie
Otto Pichler

Dramaturgie
Georg Kehren


Chor der Oper Köln

Gürzenich-Orchester Köln


Solisten

Sylva Varescu
Christoph Marti

Edwin von Lippert-Weylersheim
Carsten Süß

Fürst Leopold Maria
Reinold Louis

Anhilte,
seine Gemahlin
Andreja Schneider

Stasi
Csilla Csövári

Graf Boni Káncsianu
Martin Koch

Feri von Kerekes
Alexander Fedin

Eugen von Rohnsdorff
Burghard Braun


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Köln
(Homepage)





Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-mail Impressum

© 2011 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -