Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Köln-kurdische ParallelgesellschaftenVon Stefan Schmöe / Fotos: Paul LeclaireNatürlich ist Mozarts Entführung aus dem Serail keine Oper über den clash of cultures. Dem Zeitgeschmack entsprechend folgt das Sujet dem Typus der Türkenoper, und letztendlich ist der Obertürke nicht einmal echt, sondern ein emigrierter Europäer und sogar der bessere Humanist. Natürlich ist die Entführung auch nicht einfach nur ein Singspiel, auch wenn es als solches tituliert ist. Nicht nur sprengt Mozart mit der halsbrecherischen und emotionsgeladenen Partie der Konstanze die Gattungsgrenzen, auch unter der vermeintlich harmlosen Oberfläche rumort es. Da liegt es in der Regieluft, doch auf das tagesaktuelle Spannungsfeld, nämlich den Konflikt zwischen christlichem Abendland und aggressivem Islam, zuzugreifen und daraus den Spannungsbogen zu konstruieren, der die gesangstechnisch so tückischen Martern aller Arten glaubhaft macht. Frauenbilder: Konstanze und HaremsdamenUwe Eric Laufenberg, inszenierender Intendant der Kölner Oper, riskiert viel, wenn er die Handlung hier in Kurdistan so erfährt man zwischenzeitlich ansiedelt, wo in einer düsteren Fabrikhalle gerade eine Lieferung Maschinengewehre angekommen ist. Ihsan Orthmann spielt den Bassa Selim auf dem schmalen Grat zwischen eloquentem Geschäftsmann und aalglattem Banditen und spricht konsequent kurdisch sein Gehilfe Osmin ist nicht nur ein etwas tumber Kämpfer, sondern auch Dolmetscher. Wolf Matthias Friedrich brilliert nicht nur schauspielerisch, sondern bleibt der Partie auch musikalisch nichts schuldig ein gefährlich scharfer, dann wieder singspielhaft freundlicher Haremswächter von hinreißender Präsenz mit klarem, in allen Registern beweglichen Bass. Mitunter darf er auch komisch sein, denn Laufenberg gibt der Singspiel-Atmosphäre durchaus Raum. Vieles wird nur angerissen, bleibt aber offen. Dieses Nebeneinander von Politkrimi und komischer Oper geht dabei (weitgehend) verblüffend gut auf, auch weil alle Darsteller punktgenau mit hoher Präzision spielen. Konstanze und Bassa Selim Zur Martern-Arie lässt der Bassa Konstanzes Steinigung vorbereiten, die sich schließlich als Scheinhinrichtung erweist. Das Bild strapaziert die Entführung bis zur Zerreißprobe aber die Konzeption hält, weil es sehr gut gespielt ist. Die besungenen Martern bekommen durch die vorgeführte psychische Folter eine greifbare Form (und das Wissen um die Tatsache, dass solche Bilder gar nicht sehr weit hergeholt sind, hinterlässt ein ungutes Gefühl). Olesya Golovneva bewältigt die Partie mit strahlendem, durch recht schnell einsetzendes Vibrato allerdings im Ausdruck mitunter etwas pauschalem Sopran bravourös. Offen bleibt, ob diese Konstanze im Geheimen den Bassa anziehender findet als ihren etwas biederen Verlobten Belmonte (Brad Cooper überzeugt mit nicht sehr großer, aber prägnant geführter Stimme als entschlossen-feuriger Liebhaber mehr als in den Passagen, in denen er dem Singspielton zuliebe in ein etwas mattes Piano verfällt) das ist als Motiv natürlich ziemlich abgegriffen und von Laufenberg wohl bewusst nur als nahe liegende Denkmöglichkeit angerissen. Osmin (r.) und PedrilloEin bisschen schwer tut sich der Pedrillo in dieser Szenerie, der als eindeutig komischer Charakter nicht unbedingt benötigt würde (John Heuzenroeder singt mehr als passabel, bleibt aber stimmlich in der Singspiel-Sphäre für eine Brechung der Figur fehlen die vokalen Mittel). Blonde dagegen kann verbindet gesungene Zärtlichkeit und Schmeicheleien mit einer erotischen Provokation Osmins, was die kulturellen Differenzen unmittelbar sichtbar macht. Verführerisch warm und leuchtend sind die stimmlichen Mittel, die Anna Palimina dafür einsetzt. Wenn sie unmittelbar danach im Liegestuhl unter dem Coca-Cola-Sonnenschirm Mokka schlürfend das westliche Leben feiert, kommen nicht nur Pedrillo Zweifel an der Sinnhaftigkeit solcher dekadenter Lebensart auch da bleibt vieles in der Schwebe. Westliche Lebensart: Pedrillo und Blonde Der Fluchtversuch scheitert, weil sich gleich der komplette Harem anschließen möchte an dieser Stelle kommen Drama und Komödie schön zusammen. Nicht immer kann Laufenberg sich so souverän auf diesem gefährlich schmalen Grat halten; die Balletteinlagen etwa, in denen die Haremsdamen die Burka abwerfen und als Bauchtänzerinnen ein anderes Frauenklischee herbeizitieren, wirken nachgradig peinlich. In der Summe sind es wohl auch reichlich viele Assoziationen, die der Regisseur aufbieten wollte, und nur mit erheblichen inszenatorischen Anstrengungen lassen sie sich zusammenfügen. Allerdings ist die Regie durchgängig spannend, und sie spielt sehr geschickt mit dem Aufführungsort: Dem Palladium, einer Fabrikhalle der Gründerzeit, die inzwischen als Event-Location genutzt wird. Laufenberg greift die Fabrikatmosphäre unmittelbar auf (Bühnenbildner Matthias Schaller setzt letztendlich die Architektur des Raums mit zwei rückwärtigen Wellblechtoren fort) und bespielt den Raum und seine Nähe zum Publikum sehr wirkungsvoll. Ursprünglich als Ausweichquartier während der (ja inzwischen aufgeschobenen) Sanierung des Opernhauses gedacht, ist das keineswegs eine Notlösung, sondern (wie schon bei Hilsdorfs grandioser Krönung der Poppea im Gerling-Quartier) ein Raum, dessen Chancen die Inszenierung konsequent nutzt. Und ein Raum mit glasklarer Akustik. Finale: Belmonte und Konstanze in KettenDavon profitieren auch die ganz ausgezeichneten Musiker des Gürzenich-Orchesters, die unter der Leitung von Konrad Junghänel sehr filigran und transparent, aber auch mit großem dramatischen Furor musizieren. Vom ersten bis zum letzten Akkord ist fast greifbar, dass hier keine Note irgendwie nebenbei gespielt wird, sondern jeder Ton mit einer Unbedingtheit erklingt, die auf die Szenerie zurückspiegelt: Hier geht's, Singspiel hin oder her, eben doch um die ganz großen Gefühle, ohne dass Junghänel deshalb der Partitur Gewalt antun müsste Mozarts früher Geniestreich spricht für sich. Da passt es, dass Osmin im eigentlich so hübsch dahin plätschernden Schlusscouplet seinen Hass nicht nur besingt, sondern mit dem Maschinengewehr die verhassten Europäer niedermetzelt. Oder doch nicht? Die haben natürlich noch ein paar wenige Töne zu singen, was sie quasi konzertant machen. Bis zuletzt lässt Laufenberg offen, was von dieser Entführung zu halten ist. Und zu guter (oder wohl besser zu schlechter) Letzt öffnet sich das hintere Rolltor und gibt den Blick frei auf das (hier nachgebaute) Gelände rund um das Palladium. Kurdistan ist eben längst überall, und vielleicht hat sich alles, was wir gerade gesehen haben, doch in einer Kölner Parallelgesellschaft abgespielt. Ob man Mozart und der Entführung aus dem Serail mit diesem komplexen Ansatz (nicht unbedingt umjubelt, aber Buhs blieben aus) nun gerecht wird? Sicher Geschmackssache. Das Werk selbst jedenfalls hält's aus.
So viel Auseinandersetzung mit dem Islam war bei Mozart selten, und wenn man auch im Detail streiten kann (was an sich ja nicht das Schlechteste für eine Inszenierung ist), so hat Uwe Eric Laufenberg eine ausgesprochen spannende Regiearbeit hingelegt gestützt von einem famosen Dirigenten samt Orchester und guten bis ausgezeichneten Sängern. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Choreographie
Dramaturgie
Solisten
Bassa Selim
Konstanze
Belmonte
Blonde
Pedrillo
Osmin
|
- Fine -