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Alceste

Tragedia in drei Akten, Wiener Fassung von 1767

Libretto von Ranieri de' Calzabigi

Musik von Christoph Willibald Gluck

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 25' (eine Pause)

Premiere im Theater Koblenz am 9. April 2011
(rezensierte Aufführung: 20.04.2011)

 

 

 

 



Theater Koblenz
(Homepage)

Was wäre, wenn...

Von Thomas Molke / Fotos von Matthias Baus

Er gilt als der große Reformator der Oper des 18. Jahrhunderts, der - so äußert er sich in seiner Vorrede zur Partitur der Oper Alceste - sich vorgenommen habe, die Musik wieder zu ihrer wahren Aufgabe zurückzuführen, nämlich dem Libretto und der Situation zu dienen: Christoph Willibald Gluck. Mit seinen Reformopern löste er sich von dem steifen Korsett der damaligen Operntradition, die damals in einem streng vorgeschriebenen Ablauf von Rezitativen und Arien verhaftet war, und machte die ersten Schritte zu durchkomponierten Werken, was dann ein knappes Jahrhundert später von Richard Wagner zur Vollendung geführt wurde. Obwohl seine Alceste neben dem wohl berühmtesten Werk Orfeo ed Euridice ein Meilenstein in der Entwicklung der Operngeschichte darstellt, findet diese Oper nur sehr selten den Weg ins Repertoire. Von daher ist es sehr erfreulich, dass das Theater Koblenz den Versuch unternimmt, dieses Werk dem Vergessen zu entreißen. Schade ist nur, dass bei der erst zweiten Aufführung der Oper bereits zahlreiche Plätze frei blieben. War die mangelnde Zuschauerresonanz dem sonnigen Frühlingswetter oder den Osterferien geschuldet? An fehlender Qualität der Aufführung lag es jedenfalls nicht.

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Alceste (Monica Mascus) mit ihren Kindern Aspasia (Victoria Eicher, links) und Eumelo (Ferdinand Eicher, rechts) vor ihrem toten Gatten (Double) (dahinter: Admeto (Martin Shalita)).

Die Geschichte geht zurück auf eine griechische Tragödie des Euripides. Admeto, der König von Thessalien, erfährt, dass er bald sterben muss und dass er dem Tod nur entgehen könne, wenn sich ein anderer Mensch findet, der bereit ist, für ihn zu sterben. Einzig seine Gattin Alceste ist bereit, dieses Opfer auf sich zu nehmen. Während bei Euripides Admeto dieses Angebot annimmt und die glückliche Wendung in der einen Variante durch das Mitgefühl der Götter über die Opferbereitschaft der Gattin, in der anderen Variante durch Herakles, der gerade am Königshof zu Besuch ist und im Kampf mit dem Tod Alceste zurückgewinnt, herbeigeführt wird, ist Admeto bei Gluck nicht bereit, dieses Opfer anzunehmen, und es kommt zu einer langen Auseinandersetzung der beiden Ehegatten, ob einer das Recht habe, für den anderen zu sterben. Diese Umdeutung ist wohl der Entstehungsgeschichte der Oper in Wien geschuldet, da Gluck das Werk als Traueroper für die Kaiserin Maria Theresia komponierte, nachdem ihr Gatte Franz Stephan zwei Jahre zuvor gestorben war, und mit dieser ersten Oper nach zweijähriger Staatstrauer dem Kaiser gehuldigt werden sollte. Mit diesem Bezug schaffte Gluck es, seinem Ziel, die Oper natürlicher zu machen und an die Lebensrealität der Menschen heranzuholen, einen Schritt näher zu kommen.

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Alceste (Monica Mascus) stellt sich die Frage, ob sie für ihren Mann sterben soll (links: Ismene als Kassiererin (Tamara Weimerich)).

Das gleiche Ziel verfolgt auch das Regieteam um Matthias Schönfeldt, wobei der historische Hintergrund der Entstehungszeit dem Zuschauer im Allgemeinen aber nicht bekannt sein dürfte und daher eine andere Ebene gefunden werden muss, um die eher reflektorische Handlung der Oper dem Publikum näher zu bringen. Man befindet sich nicht mehr an einem Königshof, sondern in einer ganz normalen Familie mit Vater, Mutter und zwei Kindern. Dabei wird Admeto als Hausmann dargestellt, während Alceste erfolgreich im Beruf steht. Der bevorstehende Tod wird nun in einem Videofilm von Sabine Loew als bereits eingetroffen dargestellt. Admeto gerät beim Einkaufen in einem Supermarkt in einen bewaffneten Raubüberfall und wird durch eine Kugel des Räubers tödlich verletzt. Diese Sequenz wird während der Ouvertüre auf einen weißen Vorhang vor der Bühne projiziert. Beim Trauergesang des Chores hebt sich der Vorhang, und man befindet sich in dem Abflugsterminal eines Flughafens. Vorne rechts liegt der erschossene Admeto, wobei die Figur gedoppelt wird. Der Sängerdarsteller Martin Shalita liegt in komplett schwarzer Kleidung - angepasst an den Chor, der hier wohl die auf den übergang in die Unterwelt wartenden Toten darstellt - hinter einem Statisten, der die grüne Jacke und beige Hose der Videosequenz trägt. Während links ein Kofferband das Gepäck für die Ewigkeit aufnimmt und im Hintergrund eine Flughafenangestellte (im Libretto Ismene) vom Chor die Tickets für den Flug in die Ewigkeit entgegennimmt, führt auf der rechten Seite der Bühne Apollo im Designer-Anzug mit dunkler Sonnenbrille und gewissen mafiösen Zügen einen Duty-free-Shop. Von Bühnenhimmel schweben Schuhe, die wohl ebenfalls den übergang in die andere Welt symbolisieren.

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Admeto (Martin Shalita) mit der toten Alceste (Monica Mascus).

In diese Welt fällt nun Alceste in weißem Hosenanzug ein und ist nicht bereit, den Lauf der Geschichte zu akzeptieren. Die Video-Sequenz wird zurückgespult. Dieses Mal ist es Alceste, die nicht in ihr Büro geht, sondern den fatalen Einkauf mit den Kindern macht, an dessen Ende sie von der tödlichen Kugel des Räubers getroffen wird. Doch nachdem sie schon die Schranke zum Abflug passiert hat, wünscht sie sich, noch einmal von ihren Kindern und ihrem Mann Abschied nehmen zu dürfen. Ihr Wunsch wird ihr gewährt. Es gibt eine dritte Video-Sequenz. Dieses Mal geht zwar Admeto mit den Kindern in den Supermarkt. Aber Alceste begibt sich ebenfalls dorthin und kann sich vor dem tödlichen Schuss schützend vor ihren Gatten stellen. Während Admeto glücklich ist, dem Tod entkommen zu sein und noch gar nicht begreift, welches Opfer seine Frau dafür gebracht hat, spielt die komplette Handlung jetzt vor dem Vorhang, gewissermaßen im Supermarkt. Admeto wundert sich über die seltsame Zurückhaltung seiner Frau, bis er begreift, dass sie für ihn sterben wird. An dieser Stelle verlässt die Regie das Libretto und lässt Admeto sich vor dem Vorhang erschießen. Mit diesem Knalleffekt wird das Publikum leicht verwirrt in die Pause entlassen.

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Chaos im Supermarkt: Admeto (Martin Shalita, auf dem Boden liegend) ist nur verletzt (über ihm: Ismene als Kassiererin (Tamara Weimerich). Niemand bemerkt, dass Alceste (Monica Mascus, in weiß) getroffen ist (Chor und Extrachor).

Nach der Pause folgt die reine Reflexion: Was wäre, wenn... Dabei liegen Doubles von Alceste und Admeto in der Flugzeughalle, während die Sängerdarsteller in schwarzer Kleidung der Frage nachgehen, ob ein Mensch wirklich für den geliebten Partner sein Leben opfern darf. Die überlegungen werden dabei sehr symbolträchtig bebildert. So tritt Alceste in einer üppigen Königsrobe auf, um darzustellen, dass sie mit ihrem Tod die Heldin ist, während Admeto als Feigling degradiert wird, da er seinen Tod nicht akzeptieren wollte. Seine Schwäche wird auch noch dadurch unterstützt, dass er sich eine Haushaltsschürze umbindet und Hausarbeiten verrichtet. In einer anderen Sequenz wird Alcestes Sorge thematisiert, dass Admeto sich einer neuen Frau zuwenden könnte und sich dabei nicht mehr um die Kinder kümmern würde. Durch diese Bebilderungen wird dem dritten Akt die Langatmigkeit genommen, die ein heutiger Zuhörer in diesen sehr monolog-lastigen Passagen empfinden könnte, bevor dann Apollo ein Einsehen hat und das Paar wieder zusammenführt. Der Jubel über das glückliche Ende findet erneut vor dem Vorhang statt. Admeto und Alceste gehen in einer letzten Video-Sequenz gemeinsam einkaufen, während sich der Räuber entschließt, die Waffe in den Mülleimer zu werfen.

Musikalisch stellt das Werk vor allem große Anforderungen an die Titelfigur, Admeto und den Chor, der gemeinsam mit dem Extrachor sehr homogen und stimmgewaltig die jeweiligen Emotionen der Menge transportiert und auch darstellerisch zu überzeugen weiß. Martin Shalita verfügt über einen sehr hohen Tenor, den er für die Partie des Admeto stets sehr klangschön und in deutlicher Diktion einsetzt. Dabei klingt seine Stimme in den Höhen stets natürlich und nicht gequetscht. Auch darstellerisch weiß er, in der Video-Sequenz als liebevoller Hausmann absolut zu überzeugen. Sein sehr durchtrainierter Oberkörper mag Alcestes Sorge, dass er sich nach ihrem Tod eine neue Gattin suchen wird, durchaus nachvollziehbar machen. Star des Abends ist aber Monica Mascus in der anspruchsvollen Titelpartie. Mit sehr beweglichem Sopran gelingt es ihr, die Reflexionen Alcestes in allen ihren Schattierungen sehr differenziert über die Bühne zu bringen. Dabei singt sie auch die zahlreichen Höhen sehr geschmeidig aus, ohne schrill zu werden. Darstellerisch ist ihr ebenfalls eine hervorragende Bühnenpräsenz zu attestieren, die das innige Spiel in den Video-Sequenzen mit einschließt.

Tamara Weimerich als Ismene und Daniel Tepša als Evandro bekommen in der Inszenierung besondere Rollen zugedacht, die sie darstellerisch sehr gut ausfüllen. Während sie in der Video-Sequenz die Kassiererin und den Räuber darstellen, sind sie am Flughafen das Personal, das die Fluggäste in die andere Welt führt. Tamara Weimerich gefällt mit sehr weichem Sopran, wohingegen Daniel Tepša sich nicht genau festlegen kann, ob er seine Rolle nun im Falsett oder Tenor anlegen soll. Daher wirkt sein musikalischer Vortrag nicht ganz so überzeugend. Die Rheinische Philharmonie unter der Leitung von Karsten Huschke präsentiert einen sehr geschmeidigen Klang aus dem Orchestergraben, wenn man von anfänglichen Unstimmigkeiten beim Blech absieht, so dass es am Ende großen Applaus für alle Beteiligten gibt. Bei so ambitioniertem Theater hätte man sich nur ein volleres Haus gewünscht. Aber es gibt ja noch ein paar Vorstellungen.

FAZIT

Matthias Schönfeldt gelingt eine sehr stimmige Modernisierung des recht schwierigen Werkes, was durch ein hohes musikalisches Niveau wunderbar abgerundet wird.


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Produktionsteam

*rezensierte Aufführung

Musikalische Leitung
Reinhard Goebel /
*Karsten Huschke

Inszenierung
Matthias Schönfeldt

Bühnenbild und Kostüme
Birgit Angele

Video

Sabine Loew

Dramaturgie
Gabriele Wiesmüller

 

Chor und Extrachor des

Theaters Koblenz

Statisterie des
Theaters Koblenz

Staatsorchester
Rheinische Philharmonie



Solisten

*rezensierte Aufführung

Admeto, Rè di Tessaglia
Martin Shalita

Alceste, sua sposa
*Monica Mascus /
Susanne Pütters

Aspasia
Victoria Eicher /
*Ella Rommel

Eumelo
Ferdinand Eicher /
*Josua Kreuzmann

Ismene
Tamara Weimerich

Evandro
Danilo Tepša

Gran Sacerdote d'Apollo
Rüdiger Nikodem Lasa

Oracolo / Un Nume infernale /
Un banditore
Jongmin Lim

Apollo
Christoph Plessers

Stimmen aus dem Chor
*Sieglinde Coudert /
Takako Masuda
Marco Kilian /
*Hyeon-Joon Kwon
Ji-Soo Kim /
*Tobias Rathgeber
Christiane Thomas /
*Suk Westerkamp

 


Weitere
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