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Schwangerschaften unerwünscht
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Matthias Stutte
Eine "kirchliche Institution für gefallene Frauen": In der Mitte Anna mit ihrem Vater (Le Villi).
Die Willis sind Geistererscheinungen von jungen, früh verstorbenen Frauen. In ihren toten Füßen blieb noch jene Tanzlust, die sie im Leben nicht befriedigen konnten, schrieb Heinrich Heine über diese Gestalten, die Giacomo Puccinis erster Oper Le Villi den Titel geben. Wenn ihnen ein Mensch begegnet, muss er mit ihnen tanzen bis zum Tod. Als ein solcher Geist endet auch die junge Anna, nachdem Robert, ihr Verlobter, ihr untreu wird und ihr damit das Herz bricht. Puccini hat hier das Genre der romantischen Oper mit allen ihren szenischen Unarten auf ein Kurzformat komprimiert viel Opernkonvention, die eine Inszenierung da als Ballast mitschleppen muss. Regisseurin Beverly Blankenship löst dieses Problem, indem sie das Stück als eine Art Wahnvorstellung inszeniert, in die sich Anna hinein steigert. Wenn man da zu Beginn einige Frauen wie Mägde den Boden scheuern sieht, weckt das wohl nicht zufällig Assoziationen an Strauss' (ebenfalls mit einer Magd-Szene beginnende) Elektra, in ihren Rachegelüsten dieser Anna durchaus verwandt. Großreinemachen mit Persil: Rachefantasien im Wirtschaftswunderland (Janet Bartolova als Anna in Le Villi)
Die Bühne ist, so drückt sich das Programmheft aus, eine kirchliche Institution für gefallene Frauen. Ein Schlafsaal wie in einem Sanatorium aus düsteren Zeiten, eine Form von Gefängnis ganz sicher. Hier wird Anna zwangseingeliefert. (Eine andere Insassin ist Schwester Angelica sein, der der zweite Teil des Abends gehört.) Die Frauen werden, wie sich später zeigt, von Priestern sexuell missbraucht, von den Nonnen seelisch und körperlich misshandelt: Ein Ort des Grauens. Anna ist schwanger (und stirbt offenbar bei der Zwangsabtreibung), die Verlobungsszene mit Robert nur ein Traumbild und das Finale mit den todtanzenden Willis eine Art schwarze Messe mit viel (viel!) Theaterblut und einer etwas hölzernen Choreographie (Teresa Rotemberg). Dank des klaren Bühnenbilds (Christian Floeren) geht der szenische Konstrukt recht gut auf. Janet Bartolova, eine körperlich sehr attraktive Anna, singt mit heller, leicht hysterisch flackernder Stimme, der es bei durchaus interessantem, leicht scharfem Timbre ein wenig an Fundament fehlt. Kairschan Scholdybajew als untreuer Roberto imponiert mit italienisch geschmeidigem, dabei standfestem Tenor, Igor Gavrilov steuert als Vater Annas einen zunächst fulminanten, leider recht schnell nachlassenden Bariton bei. Ein anderes Fraauenschicksal in gleichen Gemäuern: Suor Angelica
Auch wenn der Aufbau von Le Villi recht schematisch wirkt, lässt die Qualität der Musik aufhorchen und doch zeigt die 34 Jahre später (mit der Erfahrung der große Erfolgen La Bohème, Tosca und Madama Butterfly ) entstandene Suor Angelica den Abstand zwischen Jugend- und Meisterwerk auf. Dirigent Graham Jackson dirigiert Le Villi sehr effektvoll, glättet nichts oder nur wenig und spielt das Werk als das, was es ist: Ein draufgängerisches Frühwerk. Suor Angelica klingt da im Vergleich viel raffinierter, da wirkt jede Note wirklich notwendig, jede Klangfarbe wohl durchdacht. Die Niederrheinischen Sinfoniker leisten Beachtliches, nicht nur weil sie diesen Unterschied deutlich machen, und auch der (von Maria Benyumova glänzend vorbereitete) Chor singt ungemein klangschön. Suor Angelica: Angelica (Dara Hobbs, links) und die böse Tante (Eva Maria Günschmann)
Es ist aber weniger die Musik aus zwei Schaffensperioden, die den Abend zusammen hält, sondern die Inszenierung, die in Suor Angelica die in Le Villi exponierte Situation fortspinnt. Ist Anna im ersten Teil die verhinderte Rächerin, so ist die unglückliche Schwester Angelica die resignierende Dulderin, die sich selbst tötet, um im himmlischen Leben ihr Kind zu finden. Als unverheiratete Mutter ins Kloster abgeschoben, erfährt sie nach sieben Jahren von der bösen Tante, dass ihr Sohn gestorben ist. Im Dialog der beiden Frauen begehrt Angelica (vergeblich) auf, wirft mit Tisch und Stühlen um sich. Ihr Sterben (sie vergiftet sich) zeigt die Regisseurin dann in beinahe voyeuristischem Realismus; da mag auch der Gedanke mitschwingen, nicht das schöne Sterben so vieler Puccini-Frauen vorzuführen. Dara Hobbs stürzt sich mit selbstzerstörerischer Energie in die Rolle; ihr in der Mittellage voller, in der Höhe etwas enger hochdramatischer Sopran hat zwar technisch hier und da Probleme mit der Partie, verleiht der Figur aber dadurch auch etwas Bodenständiges: Das ist eben kein Operngala-Schöngesang, sondern handfestes Bühnenleben auf höchster Intensität. Eva Maria Günschmann als böse Tante ist mit lyrisch vollem und ausdrucksstarkem Alt ein starker Widerpart. Angelicas Tod
Die Kirchenkritik ist bei Puccini bereits vorgezeichnet. Im Schlussbild fährt die Regie das ganz großes Pathos auf: Da öffnet sich der fundamentalfeministisch gelenkte Blick auf eine vollbusige Frau, die ans Kreuz geschlagen ist (das bringt der Regisseurin die sicher fest einkalkulierten Buhrufe ein). Auch das ist plausibel unter dem Blickwinkel, gegen die verklärende Musik ein Ausrufezeichen zu setzen. Andererseits, und das macht die Wirkung der Inszenierung doch sehr zwiespältig, hat sich Beverly Blankenship die Zustände, die sie so harsch kritisiert, ja eigens geschaffen (insbesondere in Le Villi durch massive Eingriffe in den Handlungsablauf). Ziemlich unverbindlich teilt sie im Programmheft mit, solche Institutionen gab es bis in die jüngste Gegenwart auch in Deutschland (wo eigentlich?). So dick, wie das alles aufgetragen ist, unterbindet das sowieso jede Diskussion: Diese Zustände sind unerträglich, wer würde das bestreiten? Ich hingegen wünsche mir eine Welt, in der es kein Verbrechen ist, ein Kind zu bekommen. ein sicher konsensfähiges Schlusswort. Aber muss man das dann noch auf dem Theater verhandeln? Szenisch endet eine an sich intelligente (und handwerklich souveräne) Inszenierung mit einer unnötig plumpen Schlusspointe.
Beverly Blankenships Regie verklammert die beiden (musikalisch beeindruckend gemeisterten) Frauenstücke plausibel, endet aber ziemlich eindimensional in der feministischen Sackgasse. Die Ausgrabung von Le Villi tut sich dabei trotz erheblicher musikalischen Meriten schwer gegen die dann doch ungleich bessere Suor Angelica. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreographie
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der PremiereLe Villi
Guglielmo
Anna
Roberto
Suor Angelica
Die Fürstin, Angelicas Tante
Die Äbtissin
Schwester Eiferin
Die Lehrmeisterin der Novizen
Schwester Genoveva
Schwester Osmina
Schwester Dolcina
Schwester Pflegerin
1. Almosensucherin
2. Almosensucherin
Novizin
1. Laienschwester
2. Laienschwester
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