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Musiktheater
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Fidelio

Oper in zwei Aufzügen
Libretto von Joseph Sonnleithner mit Revision von Georg Friedrich Treischke
nach Jean-Nicolas Bouillys Libretto Léonore, ou L'Amour conjugal
Mit zusätzlichen Texten von Jorge Luis Borges und Cormac McCarthy
Musik von Ludwig van Beethoven

Die Inszenierung basiert auf der Fassung von 1814 mit der Ouvertüre Leonore III zu Beginn und Beethovens Streichquartett op. 132 a-Moll, Molto adagio (gekürzt) vor dem Finale II

in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere am 21. Dezember 2010 an der Bayerischen Staatsoper München




Bayerische Staatsoper München
(Homepage)

Gegen die Wand

Von Roberto Becker / Fotos von Wilfried Hösl

Was hat es nicht schon alles auf der Bühne gegeben, um Beethovens einzige Oper szenisch möglichst nah an den Lobpreis von Freiheit und Gattenliebe heranzuführen. Das Singspielhafte in all das Pathos einzufügen, ist dabei nur eine Klippe. Sich nicht zu sehr aus der Balance bringen zu lassen, wenn sich die Sänger der angestaubten Sprechtexte annehmen, eine andere. Hinzu kommt die immer etwas heikle Frage, ob die als Fidelio getarnte Leonore die Befreiung ihres eingekerkerten Ehemannes Florestan wirklich bis zu Ende durchdacht hat. Sich einem zu allem entschlossenen Finsterling und Mörder wie Don Pizarro mit einer Pistole und einem „Töt erst sein Weib“ entgegenzuwerfen, wäre wohl ohne das sekundengenau via Signal angekündigte Eintreffen des alles ordnenden Ministers nicht wirklich erfolgversprechend gewesen. Aber es geht ja eh vor allem um die Utopie der Liebe und die Kraft der Freiheit.

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Leonore wird zu Fidelio

Wenn sich einer wie Calixto Bieito an das bürgerliche Bekenntniswerk heranmacht, dann darf man durchaus auf einiges gefasst sein. Aber der Katalane ist nicht nur gut im Bedienen von Erwartungen, sondern kann ebenso mit etwas Unerwartetem überraschen. Er umgeht die Fidelio-Klippen, in dem er so tut, als würde eigentlich Kafka hinter der Geschichte stecken und nicht die Autoren mit ihrem vor zweihundert Jahren noch unschuldig lodernden bürgerlichen Freiheitspathos. Die gesprochenen Dialoge hat Bieito kurzerhand gestrichen und durch knappe andere ersetzt. Das Fehlen des Bekannten löst aber selbst dann, wenn man sich sonst immer an ihnen stört, einen gewissen Phantomschmerz aus. Dafür hat er Leonore (bevor sie sich vor aller Augen in Fidelio verwandelt) Jorge Luis Borges Text "Labyrinth" und Pizarro ein "Credo des Bösen" von Cormac McCarthy in den Mund gelegt.

Das transparente, zweiteilige und bewegliche Labyrinth, mit dem Rebecca Ringst die Münchner Opern-Bühne füllt, hat durchaus die Qualität eines eigenständigen Groß- Kunstwerkes, kommt aber nicht ganz ohne Eigengeräusche und Eigengesetzlichkeiten als Bühnenbild aus. Hier muss man nicht nur ziemlich sportlich klettern können.

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Rocco, Marzelline, Fidelio, Jaquino

Dabei profilieren sich besonders die (auch stimmlich) attraktive Marzelline Laura Tatulescu mit ihren hochhackigen Schuhen, aber auch ihr sportlicher Jaquino, wenngleich Jussi Myllys stimmlich manchmal die Durchschlagskraft fehlt. Auch all die anderen haben ein enormes Laufpensum, sozusagen „gegen die Wand“ zu absolvieren. Irgendwann hat man sich auch an das Klacken der Sicherheitsseile gewöhnt. Und wenn sich der Gefangene, der beim Gefangenenchor zum Leise-Sprechen mahnt und vor dem Belauschtwerden warnt, damit erdrosselt, dann gewinnt dieses technische Utensil inhaltliche Bedeutung. In dem Labyrinth, dessen vorderer Teil im zweiten Aufzug effektvoll nach hinten abkippt, erscheint schon am Anfang ein ziemlich depressiver Florestan im Schlafanzug. Völlig gebrochen, wie ein eingeschüchtertes Kind, streicht er sich immer mal mit dem Kamm durch die Haare. Bei den unmittelbar von der dritten Leonoren-Ouvertüre in ein Flackern des Labyrinthes übergehenden Tönen wird er obendrein geschüttelt wie von Elektroschocks beim Foltern. Zu Bildern direkter Gewalt kommt es sonst nur, wenn sich der pathologisch bösartige Don Pizarro (grandios diabolisch: Wolfgang Koch) selbst mit dem Messer blutig verletzt und wenn ihm Leonore dann so was wie Säure über den Kopf schüttet. Wobei nicht ganz klar ist, wozu Rocco (überzeugend: Franz-Josef Selig) und sie das mit in den Kerker genommen haben.

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Vokal die Spitze: Wolfgang Koch (Don Pizarro) und Franz Josef Selig (Rocco)

Ansonsten entkommen die bekannten Musiknummern nie der beklemmenden Ausweglosigkeit des Labyrinths, das alle seine Bewohner traumatisiert hat. Wenn Don Fernando (solide: Steven Humes) aufkreuzt, dann wird das zu einem surrealen Einbruch aus einer anderen Welt. Er sieht aus wie Jack Nicholson als Joker, meldet sich aus der Loge und erschießt dann als Akt der Befreiung seinen Freund Florestan. Bieito spiegelt in den Repräsentanten des Systems, das dieses Labyrinth ermöglicht, damit die Willkür der Herrschenden, die Gnade oder Verdammung nach Gutdünken aussprechen können. Das wirkt auf den ersten Blick absurd, hat aber durchaus Sinn. Einen wirklichen Coup gibt es in dieser Inszenierung, die fulminant beginnt und dann vorhersehbar abgespult wird, aber doch. Sein Misstrauen gegenüber Beethovens jubelndem Pathos, das bürgerliches Eheglück und Freiheit so machtvoll aufschäumt, übersetzt Bieito in einer musikalisch, szenischen Einfügung mit einem Stück aus dem spätem Streichquartett op. 132 des Komponisten. Dazu schweben die Musiker in drei Käfigen aus dem Schnürboden herab, verharren über dem Labyrinth und stellen damit das folgende Finales eindrucksvoll in Frage. Man mag da zu einer anderen Antwort kommen wie der skeptische Bieito – die Frage aber macht Sinn und ihre ästhetische Form ist originell.

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Das hohe Paar: Anja Kampe als Leonore und Jonas Kaufmann als Florestan

Musikalisch bleibt der Abend zwiespältig. Besondere Erwartungen richteten sich an Startenor Jonas Kaufmann, die er vor allem da, wo er sich in strahlenden Höhen seines Tenors aufschwingt, auch erfüllte. Anja Kampe wirft sich mit darstellerischer und stimmlicher Emphase in ihren Fidelio bzw. ihre Leonore, wobei sie die letzte dramatisch leuchtende Überzeugungskraft schuldig bleibt. Als problematisch erwies sich Danile Gatti am Pult des Staatsopernorchesters. Sein unklar routiniert bleibendes Interpretationsprofil und ein diffuses Drauflos brachten ihm schon nach der Pause kräftige Buhs ein, die sich dann wiederholten. Die Buhs für Bieito gingen in der überwiegenden Zustimmung unter.

FAZIT

Der neue Münchner Fidelio ist szenisch eine Herausforderung und eröffnet einen ungewohnten, aber originellen Blick auf das Werk. Musikalisch bleibt die Produktion hinter den Erwartungen deutlich zurück.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Daniele Gatti

Inszenierung
Calixto Bieito

Bühne
Rebecca Ringst

Kostüme
Ingo Krügler

Licht
Reinhard Traub

Choreographische Mitarbeit
Heidi Aemisegger

Dramaturgie
Andrea Schönhofer

Chöre
Sören Eckhoff



Chor der Bayerischen Staatsoper

Odeon Quartett

Bayerisches Staatsorchester


Solisten

Don Pizarro
Wolfgang Koch

Florestan
Jonas Kaufmann

Leonore
Anja Kampe

Rocco
Franz-Josef Selig

Marzelline
Laura Tatulescu

Jaquino
Jussi Myllys

Erster Gefangener
Dean Power

Zweiter Gefangener
Tareq Nazmi


Weitere
Informationen

erhalten Sie unter

 
Bayerische Staatsoper München
(Homepage)



Da capo al Fine

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