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Angst und Faszination des Fremden
Von Ursula Decker-Bönniger
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Fotos von Michael Hörnschemeyer Die Figur des Holländer in Wagners 1843 uraufgeführten romantischen Oper ist schillernd. Der schwarze, spanische Tracht tragende, zur Ewigkeit verdammte, einsame Wanderer auf den Meeren der Welt wünscht sich nichts sehnlicher als sterben zu können. Wenn sein geisterhaft schnelles Segelschiffes mit schwarzen Masten und blutroten Segeln alle sieben Jahre anlandet, geht der Kapitän erneut an Land, um erlöst zu werden von seinem zeit- und heimatlosen Schicksal. Rettung kann ihm nur eine ewige Treue haltende Liebe bringen. Senta und Holländer in Dalands Haus
Wer verbirgt sich hinter diesem Mythos? Ein in einer globalisierten Welt lebender, getriebener Mensch, dessen narzisstische Psyche von Bindungsängsten und Entwurzelung geprägt ist? Ein romantischer Künstler, der kritisch gegenüber materialistischem Denken und Handeln eingestellt ist, der Probleme wie Unfreiheit und das Individuum bedrohende, gesellschaftliche Zwänge beleuchtet und ihnen die Schönheiten der Natur und Werte, Ideen einer ursprünglichen, unverbildeten Volks- und Arbeitskultur gegenüberstellt eine Nationalidee, die dann im Laufe des 19. Jahrhunderts immer mehr durch restauratives, rassistisches Machtdenken pervertiert werden sollte. Regisseur Andreas Baesler geht in seiner Neuinszenierung des Fliegenden Holländer noch einen Schritt weiter. Für ihn verweisen die Reichtümer und der Texthinweis, der Holländer stehe mit dem Teufel im Bunde auf ein mögliches kriminelles Unterfangen. Provoziert von Dalands Mannschaft, gibt sich im dritten Akt der Geisterchor unvermittelt als eine Handvoll Boatpeople zu erkennen, ein Sammelbecken der geflüchteten und gestrandeten Verlierer der Globalisierung, die den ihren Container eingrenzenden Zaun eintreten. Holländer, Senta und Engel
Die Idee, den Holländer als einen Schleuser darzustellen, Heimat, Faszination und Angst vor dem Fremden zu thematisieren, wird zu wenig ausgeführt, erzählt. Plakative Bilder, wie einen auf einem Container unbeweglich positionierten Holländer, Senta, die Amme und ihre Freundinnen in einheitliche, an Dirndl erinnernde Folklore-Kostüme zu stecken und im Takt wiegend sticken und nähen zu lassen, an der entsprechenden Textstelle einen Menschen mit Flügeln über die Bühnenbretter schreiten, Daland als Geld zählenden Besitzer eines Containerschiffes auftreten zu lassen oder Erik als Jäger auf blitzendem Motorrad, Senta als videosüchtige Tochter mit Kopfhörer und Strickjacke zu präsentieren, schildern noch keine motivierte Geschichte. Auch die Figur der Senta bleibt rätselhaft. Passend zu den aufbrausenden Klang-Elementen der Ouvertüre bewegt sie sich erregt atmend, aufgewühlt, drückt während der Sentaballade eine rote Videokassette innig an ihren Busen, während sie von der Amme kritisch beäugt wird und das Konterfei ihres Idols als Videoprojektion sichtbar ist. Ein Motiv für das Finale, wo sie erst den Holländer und dann sich selbst tötet, wird jedoch zu wenig deutlich. Spinnerei? Damenchor!
Schade um die interessanten, provozierenden Überlegungen, die der Regisseur in einem Interview mit dem Dramaturgen im Programmheft zu erkennen gibt. Es wäre schön gewesen, diese in einer detaillierten Geschichte zu erleben. Lächerlicherweise schoss die rote Farbfontäne im musikalisch höchst dramatischen Moment der Selbsttötung Sentas während der Premiere auch noch um Sekunden verzögert mit einem dicken Puff in den Bühnenhimmel. Chor und Sinfonieorchester Münster musizieren unter der Leitung Fabrizio Venturas kontrastiv im Ausdruck und mit kraftvoller Leidenschaft. Wunderbar der spannungsvoll gestaltete Aufbau der Sentaballade, wenn der Chor in der dritten Strophe im zartesten Pianissimo das Erlösungsmotiv anstimmt. Motorisiert: Erik und Senta
Turid Karlsen ist eine kraftvoll stützende, mit einer großen dynamischen Bandbreite ausgestattete, dramatische Senta, die in höchsten Höhen zu anrührenden, leisen Tönen und großen gebundenen Melodielinien findet. Johannes Schwärsky ist ein unbeweglicher, mit klangschönem Bassbariton ausgestatteter, immerzu feierlich, ernst stehender Holländer. Wolfgang Schwaningers hell timbrierter, in der Höhe manchmal leicht metallisch klingender Tenor stellt einen stürmischen, heftig aufbrausenden Erik dar, der beachtlich schauspielt und textverständlich singt. Klang- und spannungsvoll intoniert auch Andrea Shin als Steuermann sein melodiöses, sehnsüchtiges Lied an das ferne Mädchen. Suzanne McLeod verkörpert eine strenge Erzieherin, Plamen Hidjov überzeugt als kultivierter Daland.
Passende Stimmauswahl und Musikgestaltung, aber eine Regie, die in Andeutungen erstirbt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Chor
Dramaturgie
Solisten
Daland
Senta
Erik
Mary
Der Steuermann
Der Holländer
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- Fine -