Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
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Glücklich ist, wer vergisst... Von
Ursula
Decker-Bönniger /
Fotos von Michael Hörnschemeyer Es
gibt offenbar zwei Möglichkeiten eine Operette zu inszenieren.
Entweder man entrückt fantasievoll den Alltag in die Ferne oder
man trotzt dem grauen Alltag verrückte Anomalien ab. Die 1874 in
Wien uraufgeführte Fledermaus
von Johann Strauss gehört eher zur letzteren Kategorie. Sie spielt
zwischen frühem Abend und frühem Morgen im kaiserlichen Wien
der österreichisch-ungarischen Monarchie – einer Zeit, deren
Lebensgefühl zwischen Börsenkrach und 1873 stattfindender
Weltausstellung schwankt. Hermann Broch spricht von Wertevakuum, Stefan
Zweig von festgefügter, gesellschaftlicher Rangordnung, die von
Intellektuellen oder reichen Unternehmern durchbrochen werden konnte,
indem sie durch Geist oder Geld einen Adelstitel erwarben. abendliches Rendez-vous von Rosalinde und Alfred In Johann Strauß’ Fledermaus will sich Rentier Gabriel von Eisenstein noch kurz vor Antritt seiner 8-tägigen Haftstrafe auf einem Fest vergnügen. Auf den Tip seines Freundes Dr. Falke hin spioniert Ehefrau Rosalinde ihrem Mann nach, um sich für die eigenen Affären nicht entschuldigen zu müssen. Stubenmädchen Adele hat Ausgehverbot und Notar Dr. Falke will sich für den üblen Streich seines Freundes Eisenstein rächen. Ort der Wiederbegegnung all dieser vergnügungssüchtigen, ihre Identität wechselnden Persönlichkeiten und Schichten ist ein Ball beim gelangweilten Prinzen Orlofsky. Und wenn sich im Champagner-Festrausch gegen Ende des 2. Aktes alle duzen, angeregt miteinander plaudern, zum langsamen Walzer drehen und – speisen, wird auf der Bühne eine gesellschaftliche Utopie vorweggenommen, die an Aktualität nichts eingebüßt hat. Intendant
Wolfgang Quetes, der gegen Ende dieser Spielzeit in den verdienten
Ruhestand geht, verabschiedet sich beim musiktheaterbegeisterten
münsterschen Publikum mit einer angestaubten Inszenierung, die
just diesen Rauschmoment, den eigentlichen Höhenpunkt der Operette
ausspart. Hatten vorher phantasievolle Kostüme und kitschige
Beleuchtung die wenig bewegungsfreudige, immer fotogen gestellte
Festgesellschaft in Szene gesetzt, verdunkelt sich zu Beginn des
Soupers, vor dem Finale des 2. Aktes, plötzlich die von blauem,
blendendem Neonlicht umrahmte Guckkastenbühne. Statt Walzer-,
Polkaklängen und Csardas wird das Ohr nun mit Schmatzen, Geschirr-
und Besteckgeklapper verwöhnt. Doch die eventuell als Provokation
gedachte Verfremdung verpufft, weil mit dem anschließenden
Champagnergalopp dieselbe wenig spielerische, spannungslose Darbietung
wiederaufgegriffen wird. In zu langen, farblosen, gesprochenen
Dialogabschnitten wird die Geschichte erzählt. Ironische
Kommentare, Gesten o.ä., die die Figuren näher beleuchten,
ihre Doppelbödigkeit offen legen, fehlen meistens. Bspw.
sitzen Rosalinde, Adele und Eisenstein in ihrem walzerseligen Terzett
„So muss allein ich bleiben“ sittsam und stumpf auf dem Sofa. Stelldichein in der Amtsstube des
Gfängnisses Unter der Leitung Hendrik Vestmanns präsentiert das
Sinfonieorchester Münster eine wienerische Tanzatmosphäre
verbreitende, schwungvolle Ouvertüre mit Tempo rubato und
Verzierungen. Leider verliert sich dieser variantenreiche, musikalische
Fluss im Laufe der Akte und macht zusammen mit Chor und Solisten dem
Gesamteindruck einer solide einstudierten, in vielen Ensembles auch
überzeugenden Darbietung Platz.
Daniel Brenna singt textverständlich. Sein agiler, lyrischer Tenor
stellt einen selbstverliebten, sich plump anbiedernden Gabriel von
Eisenstein dar. Katharina E. Leitgelb übernahm
textverständlich artikulierend und mit klangvoll schwingendem
Sopran in dieser Vorstellung die Rolle der Ehefrau Rosalinde.
Bariton David Pichlmaier ist ein klangvoller Dr. Falke, der in
weißem Jackett und Fliege sein intrigantes Spiel treibt. Judith
Gennrich interpretiert anschaulich den Prinzen Orlofsky. Kleine
Unsicherheiten im Zusammenspiel mit dem Orchester entschädigt
Midaugas Jankauskas mit engagiertem Spiel, als Sänger Alfred fehlt
ihm jedoch das schmachtend Verführerische. Star des Abends ist -
mit leicht gesetzten Spitzentönen, großer, auch mal
komischer Bühnenpräsenz und anschaulicher Interpretation vor
allem der letzten Arie - Henrike Jakob als Stubenmädchen Adele.
FAZIT Eine biedere, in Einzelakte zerfallende, handlungsorientierte, musikalisch solide Inszenierung Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamMusikalische LeitungHendrik Vestmann Regie Wolfgang Quetes Bühne Heinz Balthes Kostüme José Manuel Vázques Lichtdesign Matthias Hönig Choreographie Tomasz Zwozniak Chor Donka Miteva Dramaturgie Wilfried Harlandt
Solisten* Besetzung der rezensierten AufführungGabriel
von Eisenstein Rosalinde
Adele
Dr.
Blind Frank
|
- Fine -