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Spionage, Palastrevolution und Liebe Von
Ursula
Decker-Bönniger /
Fotos von Michael Hörnschemeyer Bei Verdis dritter Oper Nabucco, des Meisters 1842 in Mailand uraufgeführtem, ersten großen Bühnenerfolg, zögern selbst Verdi-Liebhaber mit einem Opernbesuch. Häufig wirken die zu Schlagern erstarrten Chormelodien kitschig und pompös, der dramatische Stoff angesichts heutiger Nahost-Konflikte verkürzt und auf politische und/oder religiöse Gegensätze bzw. den Vorrang monotheistischer Religionen zugespitzt. Hinzu kommen von Shoah und Risorgimento geprägte rezeptionsgeschichtlich bedeutsame, historische Momente, bei denen es von moralischen Zeigefingern nur so wimmelt.
Regisseur Ansgar Haag hat in seiner münsterschen Inszenierung den
der Oper zugrundeliegenden historischen Spagat geschickt
bewältigt. Ohne die Jahrtausende alten politisch-historischen
Grundlagen und Widersprüche außer Acht zu lassen und frei
von allzu moralisierenden Untertönen erzählt er das
vielschichtige Beziehungsdrama detailliert durchdacht, spannungsvoll
und behutsam aktualisiert. Zu den Klängen der Ouvertüre gibt der Vorhang den Blick frei auf eine zunächst sparsam ausgeleuchtete, aufgelockert gestaltete, perspektivisch ausgerichtete Empfangshalle eines modernen Gebäudes. Fensterähnliche Einlassungen ermöglichen eine realistisch anmutende, auf theatralische Wirksamkeit bedachte Lichtregie. Seitliche Säulengänge sorgen - entsprechend der kontrastiven Anlage der Oper - für schnelle Auftritte des großen Chores. Später, im zweiten Bild, wird die restaurierte Hotellounge Mittelpunkt der palastrevolutionären Verschwörungen des babylonischen Oberpriesters und Abigailles bzw. das Gefangenenverlies Nabuccos. Eine breite, großzügige Treppe im rechten Bühnenprospekt bietet Platz für weitere Spielflächen. Abigailles
Liebeswerben bleibt unerwidert Kein zerstörter, salomonischer Tempel zu Jerusalem, keine
hängenden Gärten. Zeugnis der Ausgangssituation der Oper, der
kriegsbedingten Zerstörungen sind mit letzten
Wandmalerei-Renovierungen beschäftigte, schwarz bemantelte,
jüdische Männer und Frauen und ein zunächst schlichter
Haufen kaputter Möbel, dessen immer weiter hinzu kommende
Stücke das Ausmaß der Zerstörung und die Vertreibung
der Juden erahnen lassen. Zu den Ouvertüre-Variationen über
das so volkstümlich gewordene Va
pensiero werden symbolträchtig siebenarmige Leuchter auf
die Spitze des Möbelhaufens gestellt und entzündet. Parallel
zu dem sich kontrastierend anschließenden, vom Orchester
wunderbar leicht und zackig akzentuierten Allegro bricht auf der
Bühne plötzlich lautlose Geschäftigkeit und Hektik aus.
Bewaffnete Wächter herrschen das Volk zur Arbeit an. Zwischen
Almosen und Grausamkeiten wechselnde willkürliche Herrschergesten
komplettieren die Situation der als Zwangsarbeiter eingesetzten
jüdischen Kriegsgefangenen. Haag
nähert sich der der Oper zugrunde liegenden Handlung und ihren
Protagonisten aus der Perspektive eines Spionagefilms. Anstelle
von künstlichen, religiös motivierten Wunderwerken und
mächtigen Ober- und Hohepriestern sieht er - in nicht zu
dramatisch aufgeladenem Erzählton - moderne "Geheimdienstler,
Untergrundkämpfer und Spione" agieren. So verkörpert Ismaele
für ihn eine Art Geheimagent, der im Rahmen eines
Geiselnahme-Auftrags beide Töchter Nabuccos verführte. Beide
verliebten sich in ihn, Ismaele selbst begeht jedoch den Fehler, sich
anlässlich eines Kleidertauschs in Fenena zu verlieben... . bewaffneter Überfall auf die jüdische Gemeinde Überzeugend
auch die stimmige Besetzung und engagierte Darbietung von
Gesangssolisten, Chor und Orchester der städtischen Bühnen
Münster unter der umsichtigen Leitung Hendrik Vestmanns. Star
des Abend war der große Chor - ein rhythmisch homogener
Klangkörper, der textverständlich artikuliert und wunderbar
gedämpft, dynamisch differenziert und effektvoll gestaltet.
Claudia Iten ist eine machthungrige, rachedurstige Abigaille, die die mit zahlreichen Koloraturen gespickte, dramatische Mörderpartie in der Tiefe wie in der Höhe kraftvoll, mit vollmundigem, schwingenden Sopran singt und die musikalischen, hohen Zornesausbrüche z.B. im ersten Teil schneidend zuzuspitzen weiß. Kinga Dobays tiefgründiger Mezzosopran stellt Fenenas empfindsames Wesen mit klangvoll schwingendem, gebundenem Melodiefluss z.B. in der letzten Arie dar. Ensemblemitglied Matteo Suk steigerte sich gesanglich im Laufe des Abends und überzeugt in der Rolle des Nabucco mit klangschönem Bariton und anrührender, schauspielender Gestaltung. Plamen Hidjov ist ein Ruhe und Gelassenheit ausstrahlender, mit klangvoller Tiefe ausgestatteter, solider Zaccaria. Der lyrische Tenor Andrea Shin interpretiert die Rolle des Ismaele. Schade, dass seine Stimme - zumindest an diesem Premierenabend - streckenweise belegt klang und sich in der Höhe nicht recht öffnen wollte.
Eine
in Regie und musikalischer Darbietung stimmige, überzeugende
Inszenierung Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamMusikalische
Leitung
Regie
Bühne
Kostüme
Dramaturgie
Statisterie
der
Solisten* Besetzung der rezensierten AufführungNabucco Abigaille Fenena Ismaele Zaccaria Oberpriester
des Baal Abdallo Anna
|
- Fine -