Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-mail Impressum



Die Walküre


Erster Tag von Der Ring des Nibelungen
Dichtung vom Komponisten
Musik von Richard Wagner

In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 5h (zwei Pausen)

Premiere in Halle 10 (Fliegerhorst)
am 26. Februar 2011

Logo: Oldenburgisches Staatstheater

Oldenburgisches Staatstheater
(Homepage)

Mehr als ein Achtungserfolg

Von Thomas Tillmann / Fotos von Hans Jörg Michel


Zurecht wird im Programmheft zur Oldenburger Neuinszenierung der Walküre darauf hingewiesen, dass es sich in den drei Aufzügen des Ersten Abends "um ausgesprochen intime Kammerspiel-Szenen handelt. So treten ..., wenn man von der gut viertelstündigen Walkürenszene ... absieht, insgesamt nur sechs handelnde Personen auf. Von diesen stehen nur in der Schlussszene des zweiten Aktes ... für einen kurzen Moment mehr als drei Personen zugleich auf der Bühne. Die mit Abstand meisten Passagen der Oper bestehen jedoch aus Gesprächsszenen zwischen zwei, maximal drei Personen. Und in diesen Szenen wiederum steht über lange Strecken hinweg kein äußeres Geschehen im Mittelpunkt, sondern das Gespräch, die Erzählung, die Reflexion und das hierin zum Ausdruck kommende Fühlen und Denken der Figuren."

Und so wirkt die szenische Reduktion, die der leitende Regisseur für das Schauspiel am Oldenburgischen Staatstheater K.D. Schmidt Wagners Musikdrama verordnet, nicht als Notlösung angesichts des Umstandes, dass man mit der Halle 10 des Oldenburger Fliegerhorstes eine Interimsspielstätte mit begrenzten technischen Möglichkeiten zur Verfügung hat, sondern erweist sich bei aller sichtbaren Improvisation als Glücksfall: Tatsächlich wird die "Wahlheimat auf Zeit", der ehemalige "Militär-Ort", zu einem bemerkenswerten, suggestiven "Kunst-Ort" mit "viel Raum für Poesie, für Bilderwelten und Geschichten", in dem man auch akustisch wenig Abstriche machen musste (wenigstens nicht in der vierten Reihe im Parkett, also gar nicht weit weg vom extra für dieses Jahr ausgehobenen Orchestergraben, aber auch Besucher in den hinteren Reihen erzählten, dass sich Orchesterklang und Gesang auf der Bühne gut mischten) und in dem die bekannte Handlung mit einer Handvoll prägnanter Ideen, großer Konzentration auf die Zeichnung der Figuren, auf ihre Interaktion und nicht zuletzt auf die Musik bestechend klar und berührend erzählt wurde.

Vergrößerung Sieglinde (Valérie Suty) lauscht fasziniert den Erzählungen Siegmunds (Christian Voigt).

Wotan ist so etwas wie der auf der Bühne präsente Regisseur, seine Macht beschränkt sich darauf, dieses Kammerspiel aufführen zu lassen, in dem man es weniger mit fernen Göttern, sondern mit Alltagsfiguren zu tun bekommt, oder nach den Winterstürmen die Herren von der Technik die drei Bühnenelemente auseinanderziehen zu lassen, die zuvor Hundings Behausung markiert hatten (Ausstattung: Henrik Ahr und Oliver Helf). Ein repräsentativer Gott ist dieser Wotan schon lange nicht mehr, eher ein in die Jahre gekommener Alt-Achtundsechziger mit strähnigen schulterlangen Haaren und schlabbrigem schwarzen Leinenanzug, der, statt Verantwortung zu übernehmen, erst einmal eine raucht oder verlegen die Hände in den Taschen verschwinden lässt, der natürlich auch Verständnis hat für die entbrennende Liebe eines Geschwisterpaares und der sich völlig darüber im Klaren ist, dass er ein alternder Narr ist, der nicht mehr viel zu sagen hat. In blassen Videoprojektionen sieht man Fricka und Wotan zu Beginn ihrer Ehe, ihr Walhall ist ein spießiges Sammelsurium von billig erstandenen und zusammengesammelten Möbeln aus den letzten Jahrzehnten. Als Zuschauer wird man Zeuge des Auseinanderlebens der beiden, zu unterschiedlich sind die Lebensentwürfe: Aus der unauffälligen Frau mit glatten Haaren ist eine übel gelaunte Dame der Gesellschaft mit üppiger Lowenmähne und Kostümchen geworden, die kalt und unglücklich wirkt, auch der Triumph am Ende des zweiten Aufzugs bleibt schal.

Vergrößerung

Fricka (Zdravka Ambric) liest Wotan (Derrick Ballard) die Leviten.

Gruselig gerät der Walkürenritt: Die Damen sitzen mit hoher Stirn und Rasterzöpfchen und schaurig-schönen Tüllabendkleidern (Kostüme: Falko Herold) auf einfachen Holzstühlen und haben fast nackte Helden in den Armen, die noch zucken, die sich wehren, Kanonfutter für Götter zu werden, natürlich wird da auch ein wenig mit Theaterblut herumgeschmiert, aber vor allem wird hervorragend gesungen, besonders Irina Wischnizkaja als Gerhilde gefällt mit durchdringendem Ton. Sehr dicht gerät der Abschied zwischen Vater und Tochter am Ende, trotz üppiger Optik verwandelt sich Brünnhilde zurück in ein kleines Mädchen, das den Vater tröstet, das noch einmal mit ihm scherzt, sich erinnert an glückliche Tage und versucht, ihm ihren Plan schmackhaft zu machen, sie ist jetzt der eigentlich aktive Part, während Wotan nicht mehr viel mehr einfällt, als seinen Rucksack zu packen und sich als Wanderer gänzlich der Verantwortung für eine Entwicklung zu entziehen, die er in Gang gesetzt hat. Loges Feuer wird ein wenig halbherzig auf die Spielfläche projiziert (einmal mehr war mir nicht klar, ob die schwache Qualität der Videos einer unzureichenden Technik geschuldet oder gewollt war, mitunter brauchte man eine gewisse Zeit, bis man wirklich erkennen konnte, was Oliver Helf im Sinn hatte), was aber an sich gereicht hätte, um die Idee zu transportieren - dass Brünnhilde mit einer Wunderkerze in der Bühnenmitte sitzenbleibt, ist einer der wenigen unglücklichen Einfälle dieses Abends, der manchen Zuschauer eher Schmunzeln ließ als berührte. Zu diesen Ideen gehörte auch die allererste, nämlich die Vorgeschichte während der ersten Takte des Vorspiels nicht nur auf die Bühnenelemente zu projizieren, sondern auch von einem Sprecher erzählen zu lassen - spätestens bei dieser Idee hätte der musikalische Leiter wiedersprechen müssen, zumal wirklich Unvorbereitete bei dem angeschlagenen Tempo kaum etwas mitbekommen haben dürften.

Ansonsten gebührt Thomas Dorsch, der nach Engagements in Hildesheim, Wuppertal und zuletzt als Erster Kapellmeister am Staatstheater Mainz seit der Spielzeit 2009/2010 Musikalischer Oberleiter am Oldenburgischen Staatstheater ist und mit seiner Mannschaft das Orchester wirklich gut vorbereitet zu haben scheint auf dieses Großprojekt, ein wirklich großes Kompliment. Er hält das Spiel der Damen und Herren im Graben stets unter Kontrolle, das trotz insgesamt gesetzter Tempi immer ausreichend Fluß hatte und in den besten Momenten wunderbar schimmernd, duftig und transparent klang, er sorgte dafür, dass Konzentration und Intensität nie nachließen, und er unterstützte nicht zuletzt das Bühnenpersonal aufmerksam und nach Kräften bei ihren fordernden Aufgaben - eine bemerkenswerte Leistung, und ich bin ziemlich sicher, dass in den Folgevorstellungen noch manches Detail prägnanter hervortreten wird.

Vergrößerung Brünnhilde (Rachael Tovey) verkündet Siegmund (Christian Voigt) seinen bevorstehenden Tod.

Rachael Tovey, die an der Königlichen Oper Stockholm bereits alle drei Brünnhilden gesungen hat, ließ sich als leicht erkältet ansagen und vorab für mögliche Indispositionen entschuldigen, die man aber im Laufe des Abends überhaupt nicht bemerkte. Die Engländerin erwies sich als sehr lyrische Brünnhilde, als eine klug phrasierende Sängerin, die um die Grenzen ihres jugendlich-dramatischen, glanzvollen, sehr leicht ansprechenden Soprans weiß, dem auch die vergleichsweise tiefe Lage der Partie keine Probleme machte, und auf kluge Gestaltung setzte (all das erinnerte ein wenig an ihr sehr ökonomisches Singen in der Bonner Turandot), auf das sorgsame, unverkrampfte Aussingen von Phrasen und eine gute Aussprache, auf ein witziges Mienenspiel und aktive Darstellung. Noch besser gefiel mir indes Valérie Suty, Schülerin von Marianne Fischer-Kupfer und Uta Priew und nach einigen Jahren im Mezzofach seit 2003 als jugendlich-dramatischer Sopran erfolgreich, die mit fraulich-vollem, reichen, sehr konzentrierten Ton, aber auch mit herben, metallischen Zwischentönen und einer gewissen Grenze bei entschlossen angegangenen Passagen oberhalb des Systems in bester französischer Tradition eine sehr intensive, tiefgründige Sieglinde gab und zu Beginn des dritten Aufzugs ihrer Kollegin in Sachen Präsenz und vokaler Kraft ein wenig die Show stahl.

Christian Voigt ist seit Dezember 2008 als jugendlicher Heldentenor Ensemblemitglied des Theaters Freiburg und debütierte dort im Januar 2009 mit überwältigendem Erfolg als Siegmund, in der laufenden Spielzeit wird er dort auch beide Siegfriede singen, was einen doch ein wenig die Stirn runzeln lässt nach dem Eindruck dieser Premiere: Das Pfund, mit dem der Sänger wuchern kann, ist seine exzellente Diktion, die das Resultat seiner reichen Erfahrung als Liedsänger ist, natürlich weiß er auch klug und elegant zu phrasieren, und wirft sich schauspielerisch in Parka und Kampfanzug mit Haut und Haaren in die dankbare Partie, aber der Ton ist doch nach wie vor der eines lyrischen Tenors, dessen Höhe durch die starke Beansprachung von Mittellage und Tiefe an Präsenz und Qualität eingebüßt hat, an manchen Stellen fehlt es der Stimme einfach an Farbe, sie klingt zu flach, zu eindimensional und zu hell, und am Ende des zweiten Aufzugs hört man sich dann auch mit Sprechgesang und quälendem Geschrei konfrontiert. Immerhin, er hat genug Atem und Phonstärke für die Wälserufe, ist aber auch klug genug, sich an anderen Stellen ein bisschen Verschnaufpause zu gönnen, er teilt sich die Partie gut ein, das ist nicht wenig, aber mir auch eben nicht genug, um in den Jubel des Publikums für seine Leistung einzustimmen.

Vergrößerung

Brünnhilde (Rachael Tovey, zweite von rechts) erklärt Sieglinde (Valérie Suty, erste von rechts), dass ihr ein Wälsung im Schoß wächst und dass sie für diesen Siegmunds Schwert retten muss. Brünnhildes Schwestern verstehen den tieferen Sinn dieses Unternehmens vermutlich nicht (Ensemble des Oldenburgischen Staatstheaters).

Derrick Ballard, in der Spielzeit 2009/2010 in Oldenburg bereits als Leporello und Méphistophélès in Faust erfolgreich und im Mai 2010 mit dem Erna-Schlüter-Preis ausgezeichnet, konnte auch als Wotan beinahe uneingeschränkt überzeugen, erwies er sich bei durchweg guter Diktion doch als entspannter und zugleich sehr suggestiver Erzähler mit mezza-voce-Qualitäten, der nur in wenigen Augenblicken auf mächtige Entladungen setzte und nur gegen Ende für einige sehr tiefe Töne hörbar arbeiten musste. Zdravka Ambric konnte mit ihrem reschen, herben, etwas rasselnden Mezzo dieses Niveau nicht halten, sie lieferte Text und Noten zwar tadellos ab, aber (für mein Empfinden) ohne allzusehr über dessen Inhalt nachzudenken, sie tat auch, was ihr der Regisseur gesagt hatte, erwies sich dabei aber als etwas hölzerne, eindimensionale Darstellerin. Andrey Valiguras schließlich, der seit der Spielzeit 2007/2008 in Oldenburg verpflichtet ist, war ein schlanker, jugendlich wirkender Hunding, Ähnliches lässt sich für seinen Bass sagen, der aber trotz starken Akzents im Deutschen durchaus präsent war und nur in wenigen Momenten in den Orchesterfluten unterzugehen drohte.



FAZIT

Die Intendanz des Oldenburgischen Staatstheaters hat sich eine Menge getraut, als sie sich entschloss, Wagners komplexes Werk aufzuführen. Es war eine gute Entscheidung.

Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Thomas Dorsch

Inszenierung
K.D. Schmidt

Bühne
Henrik Ahr/
Oliver Helf

Video
Oliver Helf

Kostüme
Falko Herold

Licht
Peter Scharneweber

Dramaturgie
Sebastian Hanusa



Statisterie des
Oldenburgischen
Staatstheaters

Oldenburgisches
Staatsorchester


Solisten



Siegmund
Christian Voigt

Hunding
Andrey Valiguras

Wotan
Derrick Ballard

Sieglinde
Valérie Suty

Brünnhilde
Rachael Tovey

Fricka
Zdravka Ambric

Helmwige
Inga-Britt Andersson

Gerhilde
Irina Wischnizkaja

Ortlinde
Ks. Marcia Parks

Waltraute
Linda Sommerhage

Siegrune
Sharon Starkmann

Grimgerde
Annekathrin Kupke

Schwertleite
Barbara Schmidt-Gaden

Rossweisse
Zdravka Ambric


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Oldenburgischen
Staatstheater

(Homepage)




Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-mail Impressum

© 2011 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -