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Kreta in Gummistiefeln
Fast zwanzig Jahre ist es her, dass Mozarts letztes Werk vor
seiner übersiedlung nach Wien in Wuppertal auf dem Spielplan stand. Und auch in
den anderen Opernhäusern der Region fristet diese große Choroper eher ein
Schattendasein, verdrängt von den anderen berühmten Werken des Salzburger
Genies, was sehr schade ist, da die Geschichte um den König von Kreta, der dem
Meeresgott Neptun seinen Sohn Idamante opfern soll, sowohl musikalisch, als auch
dramaturgisch einiges zu bieten hat. Während das Sujet noch fest der opera seria
verhaftet ist, durchbricht Mozart nämlich stellenweise die Tradition der
affektgeladenen Arien und der die Handlung vorantreibenden Rezitative und ebnet
so bereits den Weg für die Jahrzehnte später entwickelten durchkomponierten
Opern. Inhaltlich bemerkenswert ist, dass es keine antike Dramenvorlage gibt. Idomeneo wird zwar als König Kretas in Homers Ilias
erwähnt, und Vergil schreibt über dessen Vertreibung nach Kalabrien, zur dramatischen Rückkehr nach Kreta
stammt die früheste Quelle allerdings aus dem vierten Jahrhundert. Während bei
früheren Dramatisierungen (Antoine Danchets Libretto für André
Campras Oper Idoménée von 1712 und Prosper Jolyot Crébillons
gleichnamiger Tragödie von 1705) das Menschenopfer vollzogen wird, wird in
Mozarts Oper das Bild der Götter radikal humanisiert und Idamante auch mit Blick
auf das genrespezifische lieto fine gerettet. Idomeneo (Robert Chafin,
links) begegnet nach der Rettung aus den Fluten seinem Sohn Idamante
(Joslyn Rechter, rechts). Mit großer Spannung wurde erwartet, wie sich das
Regieteam um Constanze Kreusch diesem einfallsreichen Werk annähern würde. Und
um es gleich vorwegzunehmen: die Erwartungen wurden bei großen Teilen des
Publikums zumindest teilweise enttäuscht. Ein Problem stellen die
spärlichen Übertitel dar. Während bei der Ouvertüre noch verständlich in
die Ausgangssituation eingeführt wird, werden später komplette Arien auf einen einzigen Satz reduziert, so dass sich der des Italienischen nicht
mächtige Zuschauer häufiger die Frage stellen muss: "Ist das alles, was da
gesungen wird?" Wenn währenddessen auf der Bühne etwas passieren würde, könnte man
die Verknappung der übertitel noch nachvollziehen. Da das Geschehen auf
der Bühne aber statisch bleibt, hätte mancher Zuschauer
vielleicht die Zeit lieber genutzt, um den Text zu verfolgen. Die
Bewegungslosigkeit auf der Bühne ist aber vielleicht dem Bühnenbild von Jürgen Lier
geschuldet, das den Sängern nicht viel Gelegenheit zur Aktion bietet. Die Bühne
wird von drei hohen Wänden hermetisch abgeriegelt, die in tiefem Blau-Grün eine
Unterwasserwelt suggerieren. In der Mitte der Bühne befindet sich ein
großer Teich, durch den die Sänger permanent laufen müssen, daher auch die
Gummistiefel. Soll das der Strand sein? Zumindest wartet dort zu Beginn der Oper
der Chor auf die Rückkehr des Königs. Ilia (Dorothea Brandt) ist
verzweifelt, liebt sie doch den Sohn des Feindes. Der Sturm, der Idomeneos Einlaufen in den heimatlichen Hafen
verhindert, ist sehr schön inszeniert. Die in mehreren Bereichen verschiebbare, hintere Bühnenwand
öffnet sich zunächst unten und Idomeneo
(Robert Chafin) wird hinter hinab-strömendem Wasser sichtbar. Auch die
Lichteffekte (Sebastian Ahrens), mit denen sich das Wasser an
den blau-grünen Wänden spiegelt, wenn Idomeneo allmählich an Land gelangt, sind
sehr eindrucksvoll. Der Effekt des Stroboskoplichtes, welches eingesetzt
wird, als das von Neptun gesandte Meeresungeheuer die Einlösung von Idomeneos
Gelübde verlangt, verpufft leider. Auch die riesige weiße Leinwand, die bei der
öffnung der oberen Ebene sichtbar wird, bleibt größtenteils
völlig ungenutzt. Nur wenn die Stimme des Orakels (Thomas Laske) im dritten Akt
verkündet, dass Idomeneo von seinem Gelübde befreit wird und Idamante nun mit
Ilia über Kreta herrschen soll, wird ein Hacker-Programm eingeblendet, mit dem
aus Zahlencodes die Botschaft des Orakels geknackt wird. Dramaturg Johannes Blum
hatte zwar in der Einführung bereits darauf hingewiesen, dass es sich bei La
voce nicht um die antiken Götter handeln könne, da die Entscheidung eher
einer christlichen Vorstellung geschuldet wird. An dieser Stelle hätte der
Zuschauer aber wahrscheinlich lieber eine einfache Stimme aus dem Off ohne
plumpe Regie-Mätzchen gehabt. Auch dann hätte man die Botschaft verstanden. Das berühmte Quartett des
dritten Aktes "Andrò ramingo e solo" (von links: Elettra (Elena Fink), Ilia
(Dorothea Brandt), Idamante (Joslyn Rechter) und Idomeneo (Robert Chafin)). Die Kostüme von Petra Wilke wirken, zumindest was die Damen
betrifft, recht lieblos aus dem Kostümfundus zusammengesucht. Während der
Ouvertüre treten die Sänger nach und nach in Alltagskleidung auf, um die auf der
Bühne herumliegenden Kostüme überzuziehen. Während bei den Männern auf einen
einheitlichen Dress geachtet wird, der zum einen trojanische Gefangene, zum
anderen Priester und Kreter eindeutig zuordnen lässt, fragt man sich, ob die
Kostüme der Damen des Chors in leichten Pastellfarben überhaupt irgendeine
Aussage haben, passen sie doch eher in eine Spieloper à la Zar und Zimmermann.
Völlig unverständlich bleibt, wieso sie zur Feier der Rückkehr des Königs mit
quallenartigen Hüten und an Tentakeln erinnernde Bänder auftreten und tanzen. Befinden wir uns etwa
doch in einer Unterwasserwelt? Besonders für Elettra (Elena Fink) hätte man sich
ein anderes Kostüm gewünscht. Ihr verknitterter blauer Rock wirkt wie eine
ausgemusterte Übergardine und würde der Figur ihre Bedrohlichkeit nehmen, wenn
Elena Fink nicht so eine enorme Bühnenpräsenz hätte und gegen ihr
unvorteilhaftes Outfit grandios anspielen würde. Ilias rotes Kleid hätte da
schon eher zu ihr gepasst. Jetzt soll Idomeneo (Robert
Chafin, vorne rechts) den geliebten Idamante (Joslyn Rechter, links) opfern (im
Hintergrund: der Oberpriester (Nathan Northrup)). Sehr problematisch ist auch Constanze Kreuschs Personenregie,
besonders beim Chor. Wenn der Chor im dritten Akt endlich von Idomeneo erfahren
hat, dass der König selbst schuld an Neptuns Zorn ist, rennt er bei dem musikalisch
hervorragenden "Oh voto tremendo" völlig unmotiviert über die Bühne, so dass die
Bewegungen in keiner Weise mit der großen Verzweiflung in der Musik
korrespondieren. Warum die Herren des Chores Flaschen mit Wasser in den Teich
schütten müssen, bleibt ebenfalls unverständlich. Die meiste Zeit lässt
Constanze Kreusch den Chor aber nur statisch herumstehen. Wo soll man auch hin?
Die Bühne ist ja voll, und überall ist es nass und es besteht Rutschgefahr,
trotz Gummistiefel. Auch die Solisten werden größtenteils sich selbst
überlassen, schaffen es aber, ein bisschen besser mit dieser Situation umzugehen.
Bewegend inszeniert ist jedoch das berühmte Quartett "Andrò ramingo e solo", bei
dem Idamante, Ilia, Idomeneo und Elettra nicht nur stimmlich zusammenfinden.
überzeugend ist auch die Idee, Idamantes Opferung durch Ertränken in einem Bassin
anzudeuten. Schließlich soll er ja dem Meeresgott geopfert werden und dieser
bekommt seine Opfer meistens durch Ertrinken. Während es szenisch sehr viel in der Inszenierung zu
bemängeln gibt, entschädigt dafür umso mehr die musikalische Umsetzung.
Stimmlich ist der Chor unter der Leitung von Jens Bingert sehr präsent und
meistert stimmgewaltig und homogen die für Mozart doch eher untypische
umfangreiche Aufgabe. Christian Sturm gefällt als Arbace mit klangschönem Tenor,
der jedoch in den Höhen bei seiner Arie "Se il tuo dol" noch
geschmeidiger sein könnte.
Robert Chafin meistert die Titelpartie mit kräftigem Tenor, wobei seine Stimme
in den Höhen stellenweise dünn wird. Große Probleme hat er bei den schwierigen Koloraturläufen, für die seine Stimme (noch) nicht beweglich genug
ist. Darstellerisch gelingt es ihm hervorragend, die Zerrissenheit des Königs
darzustellen, der sich verzweifelt gegen das Schicksal auflehnen will. Elettras (Elena Fink, rechts)
große Schlussarie. Arbace (Christian Sturm), Ilia (Dorothea Brandt), Idamante (Joslyn
Rechter) und Idomeneo (Robert Chafin) schauen entsetzt zu. Die musikalische Krönung des Abends sind die drei Damen.
Elena Fink gestaltet mit dramatischen Koloraturen eine Elettra, die den Hörer
das Fürchten lehrt. Schade, dass die Regie sie dazu zwingt, sich
permanent die Arme zu zerkratzen. Diese Gesten wären bei Elena Fink gar nicht
nötig gewesen, da sie nur mit Blicken und kleinen Bewegungen in der Lage ist, den
psychisch verkorksten Charakter der Tochter Agamemnons, die ihren Bruder zum
Muttermord verleitet hat und jetzt ihren einzigen Ausweg in einer Heirat mit Idamante sieht, hervorragend darzustellen. Ihre Abschlussarie "D'Oreste, d'Aiace",
die in ihrer Virtuosität "Der Hölle Rache" aus der Zauberflöte noch
übertrifft, reißt das Publikum nahezu von den Sitzen. Dorothea Brandt stellt mit ihrem
leuchtend hellen Sopran als Ilia stimmlich und szenisch einen grandiosen
Gegenpart zu Elettra dar. Ihr Sopran ist so warm und weich wie der Charakter der
liebenden Priamos-Tochter. Schade, dass sie in ihrer Auftrittsarie "Padre,
germani, addio!" ständig auf der Bühne hinfallen muss. Das nimmt ihr
die Tragik und wirkt beinahe komisch. Joslyn Rechter hat mit Idamante ihrem
Repertoire nach Hänsel und Cherubino in Wuppertal eine weitere Parade-Hosenrolle
hinzugefügt. Mit wohl-timbriertem Mezzo füllt sie die Rolle des weichherzigen
Prinzen aus, der bereit ist, sich für seinen Vater zu opfern. Gerade im
Zusammenspiel mit Dorothea Brandt versteht sie es, inniges Gefühl zu
vermitteln. Hinzu kommt unter der Leitung von Hilary Griffiths ein hervorragend
aufspielendes Orchester, das einen stets sauberen und akkuraten Mozart-Sound aus
dem Graben ertönen lässt. So gibt es großen Beifall für die musikalische
Umsetzung, das Regieteam wird mit teils heftigen Buh-Rufen bedacht.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne Kostüme
Licht Choreinstudierung
Dramaturgie
Chor der Wuppertaler Bühnen Studierende der
Hochschule Sinfonieorchester Wuppertal Solisten*Besetzung der Premiere
Idomeneo, König von Kreta
Idamante, sein Sohn
Ilia, trojanische Prinzessin
Elettra, Tochter des
Agamemnon
Arbace, Vertrauter des Königs
Oberpriester Neptuns Zwei Kreterinnen Zwei Trojaner Die Stimme
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