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Luisa Miller

Oper in drei Akten
Text von Salvatore Cammarano
nach Kabale und Liebe von Friedrich Schiller
Musik von Giuseppe Verdi

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pausen)

Premiere im Großen Haus des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden
am 4. September 2010

Besuchte Aufführung: 11. September 2010


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Hessisches
Staatstheater
Wiesbaden

(Homepage)
Unheimlich

Von Thomas Tillmann / Fotos von Martin Kaufhold



Unheimlich ist nicht nur ein wichtiger Begriff, um Immo Karamans Regieansatz nachzuvollziehen (ich komme darauf zurück), sondern auch der Eindruck, den ich beim Betreten des Hessischen Staatstheaters hatte: Kaum die Hälfte der Plätze waren bei der erst dritten Vorstellung der zwar nicht allzu populären, aber auch nicht völlig unbekannten Verdioper Luisa Miller besetzt, und diejenigen, die gekommen waren, waren auch noch kaum zum Applaudieren zu bewegen, was sich bereits bei der Begrüßung des Dirigenten zeigte. Dabei war Studienleiter Christoph Stiller der eigentliche Motor dieses Abends und bewies einmal mehr, das eine exzellente Kenntnis des aufzuführenden Werkes ein großer Vorteil ist (und dass man nicht schlecht damit fährt, einem Mitarbeiter, der sonst weitgehend hinter den Kulissen wirkt, mit einer solchen Aufgabe zu betrauen). Und so überzeugte er am Pult des hervorragend disponierten Staatstheaterorchesters von den ersten Takten der Sinfonia an mit stimmigen, pulsierenden Tempi, die nie gehetzt und nie zerdehnt wirkten, mit einer exzellenten Balance innerhalb des Kollektivs, aber auch zwischen Bühne und Graben, mit differenzierter Lautstärke, mit einem klugen Aufbau von Spannungsbögen, mit großer Übersicht auch in den Ensembles, die straff ausgeführt und blitzsauber gelangen - eine Leistung, die, wie gesagt, viel mehr Würdigung seitens der Zuschauer verdient gehabt hätte.

Foto kommt später Luisa Miller (Tatiana Plotnikova) hat unheimliche Angst.

Wie das Publikum am Premierenabend auf die Inszenierung reagiert hat, weiß ich nicht, an diesem Samstag zeigte es sich von zentralen Zutaten der Regie bald genervt: Permanent wird die Rampe, die der zentrale Spielort ist, von Statisten gedreht, die wie ein Bewegungschor wirken und Wurms Melone tragen, permanent werden Schränke ent- oder verhüllt und verschoben, aus denen die handelnden Personen heraustreten oder wieder verschwinden (Ausstattung: Nicola Reichert, unterstützt von Stefan Rinke). Ungeduldig wurden die Zuschauer, als vor dem letzten Bild ein minutenlanger Umbau nötig wurde, im Wesentlichen um ein Schrankgerüst auf der Rampe zu installieren, in dem Luisa und Rodolfo ihre letzten Momente gemeinsam verbringen.

Foto kommt später

Miller (Kiril Manolov, 3. von links) will den Grafen (Bernd Hofmann, 1. von links) erschlagen, Rodolfo (Felipe Rojas Velozo, 2. von links) hält ihn ab, während Luisa (Tatiana Plotnikova) nichts bleibt als tatenlos zuzusehen.

Wozu diese Schränke? Sie illustrieren stimmig, aber auch etwas plakativ und sehr gegenständlich - nachvollziehbar aber wohl nur für die Zuschauerinnen und Zuschauer, die bis zur Seite 45 im Programmheft gekommen sind - Freuds Gedanken über das Unheimliche und Schellings Definition, nach der das Unheimliche etwas sei, "was im Verborgenen hätte bleiben sollen und hervorgetreten ist". Schon während der Sinfonia finden wir eine junge Frau in einem düsteren Bühnenraum auf dem Boden liegend und sich an einen Stuhl klammernd. Vielleicht hat sie eine schaurige Adaption von Schillers Drama gelesen und sich allzusehr mit der Titelheldin identifiziert, in der von der Vertrauten gereichten Teetasse das Gift des Endes vermutet, ihre Schränke als Verstecke der Männer überinterpretiert, die das Mädchen allesamt manipulieren. Oder sie hat während des Kirchgangs einen jungen Mann kennen gelernt, hat ihm vielleicht erklärt, dass sie weder Fräulein, weder schön sei und ungeleitet nach Hause gehn könne, und malt sich aus, was ihr passieren könne, wenn sie der Liebe destruktive Macht (weiter) in ihr Leben lässt. Und so wird der ganze Abend beinahe wie ein (Alp-)Traum Luisas (oder einer nicht genannten jungen Frau aus deren Zeit und in deren schwerem, aufwendigen Kostüm), in den meisten Szenen ist sie als stille, abgewandte Zuhörerin präsent, Bühnennebel suggeriert Unwirkliches. Dieser Ansatz ist zwar nachvollziehbar und grundsätzlich ja nicht schlecht, aber wie so häufig nützt er sich bald ab und trägt keinen ganzen Abend lang.

Foto kommt später Luisa (Tatiana Plotnikova, vorn) ist zu allem bereit, um ihren geliebten Vater zu retten (hinten: Simone Brähler als Laura und die Damen des Chores, des Extra-Chores und der Statisterie).

Und es kann auch nicht angehen, dass die Körpersprache einzelner Statisten bis ins Letzte ausgefeilt wirkt und die Protagonisten gleichzeitig wie allein gelassen daherkommen, sich angesichts großer musikalischer Aufgaben vor dem Dirigenten einfinden, auf der Rampe bewegt werden statt gemeinsam mit dem Regisseur Bewegungen entwickeln zu dürfen und an Arienenden wie vor fünfzig Jahren einen Arm in die Höhe reißen (wie etwa der Darsteller des Miller nach seiner großen Szene). Ebenso ärgerlich ist die vor allem im ersten Teil immer wieder zu beklagende Vorgehensweise, während der Arien und Duette von weiteren Mitwirkenden und Statisten ablenkende Nebenhandlungen aufführen zu lassen, besonders überflüssig im herrlichen Schlussbild, als während der letzten Phrasen des jungen Paares der Rest des Bühnenpersonals bereits deren Beerdigung begeht - misstraut der Regisseur der Wirkung der Oper, der Musik Verdis? Ist es die althergebrachte Skepsis gegenüber einem Werk, das ja nur eine Zurechtstutzung des bürgerlichen Schauspiels auf die dramaturgischen Gesetze der Neapolitaner Operntradition des 19. Jahrhunderts ist und demnach dringend Aufwertung benötigt, etwa dadurch, dass Miller kein Soldat ist, sondern wieder ein Cello in die Hand nimmt (ein überflüssiger, gleichfalls ins Leere laufender Regieeinfall)?

Foto kommt später

Wurm (Hye-Soo Sonn, links) bringt dem Grafen (Bernd Hofmann, rechts) den von Luisa unter Druck geschriebenen Brief.

Die in St. Petersburg geborene Tatiana Plotnikova, die am Opernhaus Kiel bereits viel zu dramatische Partien wie die Gioconda oder die Forza-Leonora und die Tosca gesungen hat und in Wiesbaden immerhin als Donna Anna, Antonia, Violetta, Micaela, Mimì, Gilda, Leonora in Il Trovatore und Alice Ford zu erleben war, ist zweifellos eine erste Besetzung der Luisa, ihr nicht riesiger, aber vor allem in der furchtlos attackierten Höhe sehr durchschlagender, aber nie scharfer, auch in den schnelleren, verzierteren Passagen nie wirklich in Verlegenheit kommender Sopran klingt wunderbar frisch, gesund und jugendlich (und nicht so mütterlich-larmoyant wie Montserrat Caballé in der berühmten Aufnahme), die Stimme ist nicht zu klein (wie die vieler Kolleginnen auf den Live-Mitschnitten und Studioaufnahmen), die Identifikation mit der Rolle und die daraus resultierende Wirkung bemerkenswert. Dass die Luisa trotzdem eine Grenzpartie für die junge Russin ist, zeigten die tiefen Stellen in den dramatischeren Momenten - hier musste sie auf unschönen Sprechgesang umschalten, um sich gegen das Orchester durchzusetzen, das ihr die Sache freilich gar nicht unnötig schwer machte.

Felipe Rojas Velozos Karriere kann sich sehen lassen: Vor seiner Beschäftigung am Staatstheater war der Chilene bereits in Stuttgart, am Nationaltheater Mannheim und an der Deutschen Oper Berlin fest engagiert, zumeist in lyrischeren Rollen des italienischen Fachs, aber auch bereits als Pollione und Riccardo. Den Rodolfo sang er mit viel Herzblut und ohne Fehl und Tadel, besonders in der berühmten Arie und im wenig später zu stehenden "L'ara, o l'avello apprestami" machte er großen Eindruck, ließ aber auch erkennen, dass er sich und seiner noch nicht sehr dramatischen Tenorstimme noch reichlich Zeit lassen sollte, bevor er die ganz großen Brocken des Repertoires akzeptiert, für die sicher die ersten Angebote eingehen. Und ein paar Seufzer und Schluchzer weniger dürften es für meinen Geschmack auch sein, ein bisschen mehr Bemühen um ein klangvolles Piano auch.

Foto kommt später Miller (Kiril Manolov) und seine Tochter (Tatiana Plotnikova) sind wieder vereint.

Kiril Manolov setzte als Miller in erster Linie auf die Wucht seines klangvollen Baritons, für vokale Feinzeichnung und eine nähere Beschäftigung mit dem italienischen Text blieb da wenig Gelegenheit, was man einem Sänger Mitte Dreißig in einer Vaterrolle natürlich noch nachsehen kann. Bernd Hofmann, der meinem Kollegen als Marke im Tristan so gut gefallen hatte, entwickelte als Graf Walter zwar trotz von der Regie verordnetem Alkoholismus (auch ziemlich platt, diese Idee) optisch einige Autorität, musste aber namentlich beim Erreichen der hohen Töne erhebliche Kraft aufwenden, was der Intonation nicht zuträglich war, auch das zum Teil starke Vibrato und der sehr "deutsche" Ton waren mein Fall nicht. Chrysanthi Spitadi hatte sich offenbar damit abgefunden, dass man mit der Partie der Federica nicht so richtig punkten kann, und konzentrierte sich voll auf unaufdringliches Spiel und tadellosen Gesang mit einer schlanken, aber in keiner Lage in Verlegenheit kommenden Stimme. Tadellos gesungen war auch Hye-Soo Sonns Wurm, aber in Erinnerung bleibt nicht der wenig klangvolle, anonyme Bass, sondern die szenische Präsenz, besonders die des zweiten Teils, als er neben der an sich schon prägnanten Körpersprache, die durchaus an das Namen gebende Tier erinnerte, auch noch einige Ticks vorführen dürfte, die dem weniger involvierten Zuschauer illustrieren sollten, dass das schlechte Gewissen den Übeltäter mit dem deformierten Charakter plagt, der aber im Schlussbild dennoch in sarkastisch-mephistophelisches Lachen ausbrechen darf. Simone Brähler schließlich war eine hellstimmige Laura, Jochen Elbert ein engagierter Bauer in seiner kurzen Szene. Christof Hilmer und Anton Tremmel ist für eine mehr als solide Einstudierung von Chor und Extrachor zu danken, da wurde klangschöner und differenzierter gesungen als an manch anderem Haus dieser Kategorie.



FAZIT

Ein großer Wurf ist diese Verdi-Neuproduktion sicher nicht, aber dennoch eine, die - nicht zuletzt wegen der insgesamt ansprechenden Leistung der Protagonistentrias, des Orchesters und seines Dirigenten - Lust macht auf dieses wunderbare Werk, das der Rezensent nie leid wird und an das sich mehr Häuser wagen sollten anstelle alle fünf Jahre einen neuen Rigoletto oder eine neue Traviata zur Diskussion zu stellen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Christoph Stiller

Inszenierung
Immo Karaman

Choreografie
Fabian Posca

Ausstattung
Nicola Reichert

Mitarbeit
Ausstattung
Stefan Rinke

Choreinstudierung
Christof Hilmer
Anton Tremmel

Licht
Klaus Krauspenhaar

Dramaturgie
Wolfgang Haendeler
Andreas Gründel



Statisterie des Hessischen
Staatstheaters Wiesbaden

Chor und Extra-Chor des Hessischen
Staatstheaters Wiesbaden

Hessisches Staatsorchester
Wiesbaden


Solisten



Graf von Walter
Bernd Hofmann

Rodolfo, sein Sohn
Felipe Rojas Velozo

Herzogin Federica,
seine Nichte
Chrysanthi Spitadi

Wurm, Schloss-
verwalter des Grafen

Hye-Soo Sonn

Miller
Kiril Manolov

Luisa, seine Tochter
Tatiana Plotnikova

Laura, eine Freundin
Simone Brähler

Ein Bauer
Jochen Elbert



Weitere Informationen
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Hessischen
Staatstheater
Wiesbaden

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