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Musiktheater
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Bellérophon

Tragédie en musique in einem Prolog und fünf Akten (1679)
Text von Thomas Corneille nach der Theogonie des Hesiod
Musik von Jean-Baptiste Lully


Aufführungsdauer: ca. 2h 45' (eine Pause)

Konzertante Aufführung am 25. Januar 2011 im Theater an der Wien

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Theater an der Wien
(Homepage)

Die Wiederentdeckung einer Lieblingsoper des Sonnenkönigs

Von Bernhard Drobig

Fürwahr, «Habent sua fata libelli – Bücher haben ihre eigenen Schicksale», und so fand Christophe Rousset, der Gründer und Leiter des heuer 20 Jahre bestehenden Ensembles Les Talens Lyriques in einem Pariser Antiquariat ein Exemplar des Erstdrucks von Lullys Bellérophon, – übrigens die erste gedruckte Oper Lullys überhaupt –, und ruhte natürlich nicht, bis er im letzten Sommer in Beaune und später in der jüngst restaurierten Opéra Royale de Versailles – auch live im Internet übertragen –, diese letzte der nicht edierten Opern Lullys konzertant zur Aufführung bringen konnte, in einer Besetzung, die er anlässlich seiner Wiener Produktion von Rameaus Castor et Pollux nun auch im Theater an der Wien vorstellte. Eine Sternstunde, die darzustellen Superlative nicht ausreichen, ein absolut mustergültiges Plädoyer für die Schönheit der ihren eigenen Gesetzen gehorchenden Tragédie lyrique, eine echte Offenbarung, die man glücklicherweise bald auch auf Tonträgern wird nachvollziehen können.


Vergrößerung Christophe Rousset und sein Fund: der Erstdruck (Foto: © Nicky Thomas Media)

Bellérophon zählte zu den Lieblingsopern Ludwigs XIV., der einem zeitgenössischen Bericht zufolge die Vorstellung mehrmals für Wiederholungen anhielt, und der Mercure Français meldete gar, dass Paris das «miracle» wie keines zuvor mit ungewohntem, ja wachsendem Zuspruch aufnahm. Kein Wunder, dass das Werk nach der Uraufführung vom 31. Januar 1679 ganze neun Monate hindurch im Spielplan des Pariser Palais Royal blieb und auch in den Folgejahren immer wieder neu aufgeführt wurde. Vermutlich spielte dabei eine Rolle, dass man in dem über das Dreifachmonster Chimäre siegenden mythischen Helden Bellérophon ein Pendant zum Sonnenkönig als aktuellem Sieger über Holland, Spanien und den habsburgischen Kaiser erkannte, sicher aber auch die Tatsache, dass Lully hier die ungemeine Spannkraft des von Thomas Corneille zusammen mit seinem Neffen Fontanelle entwickelten Eifersuchtsdramas auch seinerseits effektiv zu gestalten verstand.

Im Prolog preisen Apoll und die Musen, sowie Bacchus und Pan mit ihren Gefolgen Ludwig XIV. als Friedensbringer und kündigen zu seinen Ehren ein Schauspiel mit einem mythischen Pendant an: Bellérophon. Dieser hatte die in ihn verliebte Sténobée, Gattin des Königs von Argos, mehrfach abgewiesen, worauf sie ihn unerlaubter Annäherungen beschuldigt. Der König schickt daher Bellérophon nach Lykien zu König Jobate. Er soll Bellérophon töten, unterlässt es aber. Als Witwe versucht es Sténobée dann erneut, Bellérophon für sich zu gewinnen, doch der ist inzwischen in die ihm von Jobate versprochene Philonoé verliebt. Nach ergebnislosen Streitgesprächen mit Jobate und Bellérophon stiftet Sténobée den Magier Amisodar an, mit einem Drache, Löwe und Ziege in sich vereinenden Monster, der Chimäre, die Hochzeit zu verhindern und das Land zu verwüsten. Als sie den König als den eigentlich Schuldigen an der Misere bezichtigt, befragt er das Orakel und hört, ein Sohn des Neptun werde das Monster erlegen und Philonoé heiraten. Bellérophon verzweifelt, da er, der sich für den Sohn des Glaukos hält, gegen die Chimäre keine Chance zu haben scheint, will aber aus Pflicht und Liebe zu Philonoé dennoch gegen das Monster antreten. Er ist bereit zu sterben, allein Pallas Athene verheißt ihm den Beistand der Götter, und wirklich besiegt er auf dem Flügelross Pegasus reitend das Untier. Wenn dann Apollo enthüllt, dass Bellérophon der Sohn Neptuns sei, der nur zur Erziehung bei Glaukos war, gesteht Sténobée ihre Machenschaften und vergiftet sich. Bellérophon aber wird, von Athene geleitet, als Friedensbringer gefeiert und fällt in die Arme Philonoés.


Vergrößerung

Bellérophon in der Opéra Royale de Versailles am 17.12.2010 - in (bis auf den Chor) identischer Besetzung (Foto: © Pierre Terdjman)

Selbstverständlich hat Lully diese Handlung in dem von ihm als Tragédie-Struktur entwickeltem Gegeneinander von Deklamation und Divertissement angelegt, weist jedoch die Begleitung der Rezitative und der in sie integrierten Airs nicht ausschließlich dem Basso continuo zu, sondern steigert passagenweise die Eindringlichkeit ihrer Aussagen bzw. der sie tragenden Affekte auch dadurch, dass er inhaltskonform orchestrale Untermalung vorsieht. Zudem nutzt er die sich ihm bietenden Gelegenheiten wie etwa bei der Beschwörung des Ungeheuers oder der Befragung des Orakels sowie bei festlichen Anlässen dazu, große Chöre in die Handlung einzubeziehen, abgesehen davon, dass er den ohnehin kontrastiv angelegten Szenen von Liebesidylle und Treuebekenntnis mit solchen sie gefährdender Missgunst auch musikalisch das ihnen dienliche Kolorit gibt und Momente der Entspannung nicht nur den Tänzen überlässt. Das Ganze wirkt wie ein Sog, dem man sich bis in die letzten Takte hinein nicht entziehen kann.

Christophe Rousset nahm die Emotionalität deklamatorischer Passagen ebenso ernst wie überhaupt die Verständlichkeit aller Texte und bewies einmal mehr, dass es eben nachhaltigen Studiums und Internalisierens der Rollen bedarf, um die Schönheit französischen Sprechgesangs voll aufleuchten zu lassen. Und indem er auch den Geist der mannigfachen Chöre – großartig das Einfühlungsvermögen des im Haute-Contre um Gäste erweiterten Arnold Schoenberg Chors (22 Personen) – und die Ausdruckskraft rein instrumentaler Passagen mit gleicher Animationskraft freisetzte, gelang ihm, der übrigens vom Cembalo aus dirigierte, jene seltene künstlerische Einheit, in der alles und jeder seinen Platz hatte und doch Einzelpersönlichkeiten ihr individuelles Profil entwickeln konnten. An ihrer Spitze die von Ingrid Perruche facettenreich hochdramatisch gestaltete Femme fatale Sténobée in markantem Doppelkontrast zu ihrer eher ängstlichen Vertrauten Argie, die Jennifer Borghi mit zarterem Timbre abbildete, und zur Liebesrivalin Philonoé, für deren Empfindsamkeit, Sorge, Leidenschaftlichkeit und Glück Céline Scheen berückend variierte Ausdruckwerte fand. Auch der flexible helle Haute-Contre Cyril Auvity als Titelheld, im Spannungsfeld nicht nur zwischen der eifersüchtigen Sténobée und der ihn echt liebenden Philinoé stehend, sondern auch in dem von Pflichtbewusstsein und Hoffnungslosigkeit, verfügte über eine ansehnliche Schattierungspalette. In den gleichfalls überzeugend besetzten Nebenrollen gab vor allem Evgueniy Alexiev mit einem gefällig glatt anmutenden Bass dem hilfreichen König Jobate sympathisches Profil, und zeichnete Jean Teitgen mit härterem Timbre ein adäquates Bild sowohl der Unheimlichkeit des Magiers wie der Distanziertheit des Opferpriesters der Orakelszene. Keine Frage, dass sich das mitgerissene Publikum bei allen Künstlern mit lang anhaltenden Ovationen bedankte.


FAZIT

Schon qua Libretto und Komposition ein frappierender Glücksfall im Opernschaffen Lullys, fand Bellérophon durch Christophe Roussets begeisterten Zugriff ein Optimum an interpretatorischer Durchdringung.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Christophe Rousset


Arnold Schoenberg Chor
Einstudierung: Erwin Ortner

Les Talens Lyriques


Solisten

Apollon
Jean Teitgen

Bacchus
Robert Getchell

Le dieu Pan
Evguenyi Alexiev

Un berger
Cyril Auvity

Bellérophon
Cyril Auvity

Philonoé
Céline Scheen

Sténobée
Ingrid Perruche

Amisodar / Le Sacrificateur /
Un dieu des bois
Jean Teitgen

Argie / Une amazone /
Une dryade / Pallas
Jennifer Borghi

Jobate
Evguenyi Alexiev

La Pythie / Un dieu des bois
Robert Getchell


Weitere Informationen

Theater an der Wien
(Homepage)





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