Hart
erkämpftes glückliches Ende
Von Christoph
Wurzel
/ Fotos von Werner Kmetitsch
Es
wird
tatsächlich heftig gekämpft in dieser actionreichen
Aufführung von
Händels Rodelinda,
für deren
szenische Umsetzung Philipp Harnoncourt verantwortlich zeichnet,
während sein Vater Nikolaus mit dem Concentus Musicus eher mit
scheinbarer Leichtigkeit und doch auch straff und prägnant eine
dramatisch atmende Musik beisteuert. Aus der vermeintlich verstaubten
Langobarden-Geschichte ist am Theater an der Wien ein echtes Drama mit
Musik geworden, das die Spannung locker über fast vier Stunden
Spieldauer halten kann.
Nikolaus
Harnoncourt und der Concentus Musicus im Graben des Theater an der
Wien; auf der Bühne Konstantin Wolff als Garibaldo
Nikolaus Harnoncourt ist
für
diese Produktion nach einigen Jahren wieder mit „seinem“ Ensemble an
dieses Haus zurückgekehrt, wo seit kurzem wieder die Barockoper
neu
auflebt. Und er setzt damit erneut einen weiteren Glanzpunkt. So
war es selbstredend schon allein deswegen ein Ereignis, an diesem Ort
einen üppigen Händelschen Opernschmaus genießen zu
können. Es war
musikalische Klangrede mit gleichsam doppelt authentischer Aura zu
hören, geboten von einem Ensemble, das seit über fünfzig
Jahren nichts
Anderes macht, als historisch informiert zu musizieren. Als Urahn
dieser Aufführungsweise hat der Concentus Musicus das ganze
wechselvolle Spektrum der Alte Musik-Praxis durchlebt und ist
inzwischen bei einer souveränen Natürlichkeit und lockeren
Lebendigkeit
angelangt, als würde die Musik aus dem Moment entstehen und
könne gar
nicht anders klingen, als sie eben gerade erklingt. Und der
81jährige Harnoncourt kombiniert am Pult seine überragende
Erfahrung
mit jugendlicher Ungezwungenheit, dass es nur eine Lust ist. Über
den
Schlussbeifall, der orkanartig über die Mitwirkenden hereinbricht,
scheint gerade er sich am unbefangensten, spontansten zu freuen.
Musikalisch ist dieser
Händel-Abend auch wirklich sensationell. Das Orchester ist in
Hochform,
lotet Händels Klangaffekte exzellent aus, zaubert Klangfarben
reinster
und schönster Leuchtkraft hervor, schmettert dramatisch, federt
leicht
und seufzt ergreifend diese wunderbare Musik. Ein exzellentes
Sängerensemble gibt zudem sein ganzes Können in diesem
szenisch rasant
ablaufenden spannenden Operngeschehen. Alle spielen enorm präsent
ihre
Rollen und erweisen sich sängerisch auf dem Höhepunkt ihrer
Kunst.
Danielle de Niese (Rodelinda) und Bejun Mehta
(ihr Gatte Bertarido) beim Abschiedsduett des 2. Aktes
Danielle de Niese gibt die
Titelheldin als eine Persönlichkeit mit starken
Gefühlen, die
sich den Avancen des Usurpators Grimoaldo nicht nur selbstbewusst und
entschieden widersetzt, sondern auch in ihrem Schmerz über den
(vermeintlichen) Tod ihres Gemahls Bertarido in ein heftiges
Gefühlschaos fällt. Ihre Darstellung der langobardischen
Königin
steigert sich bis hin zu tragischem Medea-Format, wenn Rodelinda sich
der zudringlichen Macht Grimoaldos nur noch dadurch erwehren kann, dass
sie ihn auffordert, als Preis der Vermählung mit ihr ihren und
Bertaridos Sohn Flavio zu töten. Diese Szene des 2. Aktes wird zu
einer
der dramatischsten dieser an zwingender Bühnenrealität
reichen
Aufführung.
Der
Countertenor
Bejun Mehta, einer der besten momentan seines Fachs, zeigt
den vetriebenen und für tot gehaltenen Langobardenkönig
Bertarido als
ergreifend sensiblen Charakter, schwankend zwischen seiner Trauer
über
den Verlust der geliebten Familie und der Hoffnung auf Rückkehr
auf den
Thron. Im ergreifenden Liebes- und Abschiedsduett des 2. Akts, nachdem
der neue Machthaber Grimoaldo den zurückgekehrten König
gefasst und zum
Tode bestimmt hat, mischen sich die Stimmen Mehtas und de Nieses zu
einem erschütternden Lamento, das dank dem von Harnoncourt
sensibel geführten Orchester direkt zu Herzen geht.
Auf
der
Seite der Schurken in diesem bösen Eroberungsdrama finden wir
Grimoaldo, den Eindringling in das Langobardenreich. Die Regie zeichnet
ihn als einen seinem Begehren gegenüber Rodelinda völlig
ausgelieferten
Mann, der umso unberechenbarer und gefährlicher wird, je
weniger
er zum Ziel kommt. Als er erkennen muss, dass Rodelinda ihn nicht
erhören wird, ritzt er sich ein blutendes Herz in die Haut. Kurt
Streit
spielt die Rolle fast erschreckend realistisch und wird ihr zudem
sängerisch glänzend gerecht. Garibaldo, den intriganten,
zynischen
Drahtzieher, der vor allem aus Eigennutz alles dransetzt, Grimoaldo mit
Rodelinda zu verkuppeln, verkörpert brillant Konstantin Wolff. Man
bedauert, dass er nur eine Arie in der Oper hat, die der Bariton
höchst
charaktervoll gestaltet.
Kurt
Streit als Grimoaldo mit Malena Ernman als Eduige, Schwester des
verbannten Königs Bertarido.
In diesem von heftigen
Kämpfen
geprägten Beziehungsgestrüpp nehmen zwei Figuren vermittelnde
Positionen ein. Da ist zuerst Bertaridos Schwester Eduige, die sich
nicht eindeutig zwischen Verlobtem (Grimoaldo) und Schwägerin
(Rodelinda) entscheiden will und sich schon einmal aus Frust eine
schnelle Nummer mit Garibaldo gönnt. Es ist eine Altrolle,
für die hier
die Schwedin Malena Ernman ein außergewöhnlich markantes
Stimmformat
mit großem Volumen mitbringt und diesen Bühnencharakter
aufregend
präsent gestaltet. Und schließlich gibt es noch den edlen
Helfer
Unulfo, der als eine Art Doppelagent für die neuen Machthaber wie
auch
für den vertriebenen Bertarido arbeitet und diesen endlich aus dem
Kerker befreit. Der im Vergleich zu Mehta stimmlich wesentlich
leichtere Counter Matthias Rexroth singt diese Rolle gleichwohl ganz
ausgezeichnet.
Labyrinth
fast
ohne Entrinnen: Die Bühne aus einem drehbaren Gebäude-Kubus.
Als grausames Spiel der Zerstörung familiärer Geborgenheit
hat Philipp
Harnoncourt diese Oper inszeniert. So ist der Raum ein in allen
Dimensionen offener Kubus aus Pfeilern, Treppen und Ebenen, der auf der
Drehbühne immer wieder neue Perspektiven eröffnet. Nirgendwo
sind
Schutz und Geborgenheit möglich. Zu ihrer Auftrittsarie, in der
sie
ihre Verlassenheit und ihren Protest ausdrückt, bleibt der
vom
Feind bedrängten Rodelinda nur, sich in den Kleiderschrank zu
verkriechen. Ein Gegenbild zu der zerstörten Familie Rodelindas,
Bertaridos und ihres Sohnes Flavio wird immer wieder in Gestalt von
Unulfos intakter Familie vorgeführt, freilich bisweilen mit einem
Gran
Ironie gewürzt. In starkem Kontrast dazu sind die Eindringlinge,
Grimoaldo mit seinen brutalen Bodygards, gezeichnet. Ohne
vordergründige Parallelen zu ziehen ist dennoch ein packendes
Gegenwartsdrama gelungen – nicht zuletzt auch dank einer subtilen
Personenführung und intensiver darstellerischer Kraft. Das auch in
dieser Oper trotz erschütternder Verwicklungen
unvermeintliche lieto fine wird auch vom Publikum regelrecht ersehnt –
Entspannung mit echt kathartischer Wirkung.
FAZIT
Barockoper: szenisch ganz in
der Gegenwart verortet, musikalisch aus dem Geist und mit dem Wissen
der Tradition gestaltet. Eine faszinierende Kombination aus Alt und Neu.
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Produktionsteam
Musikalische
Leitung
Nikolaus Harnoncourt
Inszenierung
Philipp Harnoncourt
Ausstattung
Herbert Murauer
Mitarbeit
Ausstattung
Barbara Pral
Licht
Bernd Purkrabek
Choreografie
Thom Stuart
Statisterie des Theater an der Wien
Concentus Musicus Wien
Solisten
Rodelinda
Danielle de Niese
Bertarido
Bejun Mehta
Grimoaldo
Kurt Streit
Garibaldo
Konstantin Wolff
Eduige
Malena Ernman
Unulfo
Matthias Rexroth
Schauspieler:
Flavio
Luis Neuhold
Flavios Freund
Angelo Margiol
Hausbewohner
Irene Budischowsky
Daniela Klassen
Lisa Mersi
Andreas Gräbe
Adem Karaduman
Eric Lomas
Rochus Weiser
Weitere
Informationen
erhalten Sie von der
Theater
an
der Wien
(Homepage)
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