Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Belcanto trifft auf zeitgenössische Musik
Von Thomas Molke
/
Fotos von Annemie Augustijns (Vlaamse Opera)
Gaetano Donizettis unvollendete Oper Le Duc d'Albe musste einen großen
Umweg über beinahe zwei Jahrhunderte machen, bevor sie in ihrer ursprünglichen
französischen Fassung, komplettiert durch den zeitgenössischen Komponisten
Giorgio Battistelli, nun in Antwerpen ihre Uraufführung erlebte. 1839 komponierte
Donizetti für die Opéra in Paris die ersten beiden Akte auf ein Libretto von
Eugène Scribe. Die für 1840 geplante Uraufführung wurde aber zugunsten seiner
Oper La Favorite auf Eis gelegt, und auch wenn Donizetti wahrscheinlich
glaubte, dass das Werk doch noch ins Programm genommen würde, und er für den
dritten und vierten Akt der Oper zum großen Teil zumindest die Vokallinien und
Instrumentalphrasen komplettierte, sollte er eine Aufführung nicht mehr erleben.
Erst 34 Jahre nach seinem Tod komplettierte ein ehemaliger Schüler von ihm,
Matto Salvi, das unvollständige Werk, wobei er das Libretto von Angelo Zanardini
ins Italienische übersetzen ließ und auch die Namen der Hauptfiguren Henri und
Hélène in Marcello und Amelia umwandelte, da Scribes Libretto mit den
ursprünglichen Namen mittlerweile für Verdis Oper Les vêpres sicilienne
umgearbeitet worden war und mögliche Verwechslungen ausgeräumt werden sollten.
Nach einigen erfolgreichen Aufführungen schlummerte diese italienische Fassung
lange Jahre in den Archiven, bevor Thomas Schippers sie 1959 für das Spoleto
Festival in einer überarbeiteten Fassung herausbrachte, die dann 1979
im La Monnaie in Brüssel in einer Produktion von Luchino Visconti auf dem
Programm stand und schließlich 2007 beim Festival de Radio France et
Montpellier Languedoc-Roussilon erneut auf CD aufgenommen wurde.
Die spanischen Besatzer (Chor, oben) knechten das
flämische Volk.
An der Vlaamse Opera widmet man sich nun erstmalig dem französischen Original.
Dabei lassen sich rund 85 % aus dem nahezu vollständig orchestrierten ersten und
zweiten Akt und den Vokalpartituren für den dritten und vierten Akt von
Donizetti rekonstruieren. Für einen großen Teil des restlichen dritten und
vierten Aktes wird Salvis Orchestrierung gewählt, da er sich als Schüler
Donizettis angemessen in den Stil seines Lehrers einarbeiten konnte. Für die
Tenor-Arie zu Beginn des vierten Aktes wird Salvis komponierte Arie "Angelo
casto e bel" aufgrund von Donizettis Anmerkungen in der Partitur allerdings gegen eine Arie
ausgetauscht, die Donizetti unter dem Titel "Ange si pur" für La Favorite
verwendete, da diese Arie Donizettis Vorstellungen wohl eher entsprochen haben
dürfte. Schließlich baute er auch Hélènes große Arie aus dem zweiten Akt "Ton
ombre murmure, o mon père" unter dem Titel "O mon Fernande" in die 1840
uraufgeführte Oper ein. Fragmentarisch bleiben nach diesen Ergänzungen noch der
Beginn des dritten Aktes und das Finale des vierten Aktes mit jeweils einer
großen Arie für die Titelfigur, die Battistelli für diese Aufführung vollendet
hat, wobei er keineswegs versucht, Donizetti zu kopieren, sondern bei
allem Respekt vor der Dramaturgie des Stückes die ursprünglichen Harmonien
ausweitet und die weitere musikalische Entwicklung seit dem 19. Jahrhundert
deutlich macht..
Daniel (Igor Bakan, Mitte) bereitet mit dem Volk
(Chor) einen Aufstand vor.
Die Handlung der Oper geht zurück auf den dritten Herzog von Alba, Fernando
Álvarez de Toledo y Pimentel, der zur Zeit der spanischen Besetzung der
Niederlande als Statthalter von 1567 bis 1573 in Flandern ein regelrechtes
Schreckensregiment über die Bevölkerung führt, was zu Vorbereitungen eines
Aufstands führt. An der Spitze der
Rebellen stehen Hélène d'Egmont, deren Vater von den spanischen Besatzern
grausam ermordet worden ist, und ihr Geliebter Henri, in dem der Herzog von Alba
einen Sohn aus einer früheren Ehe erkennen muss. Hin- und hergerissen zwischen
väterlicher Liebe und der vaterländischen Pflicht, hart gegen die Aufständischen
vorzugehen, gibt sich der Herzog seinem Sohn zu erkennen und bietet ihm eine
Position in der spanischen Armee an. Als Henri empört ablehnt, droht der Herzog,
die gefangenen Rebellen, darunter auch Hélène, hinrichten zu lassen, wenn Henri
ihn nicht als Vater akzeptiert. Widerwillig lenkt dieser ein, schlägt sich aber erneut
auf die Seite der Rebellen. Hélène ist ob Henris Einfluss beim Herzog
misstrauisch geworden und fordert ihn auf, als Treuebeweis einen Anschlag auf
den Herzog durchzuführen. Henri gesteht ihr, dass er der Sohn des Herzogs sei
und diesen deshalb nicht töten könne. Folglich beschließt Hélène, den Herzog
selbst zu ermorden. Bei den Feierlichkeiten zur Abreise des Herzogs aus
Antwerpen stürzt sie sich mit einem Messer auf ihn. Der Anschlag wird aber von
Henri vereitelt, der sich schützend vor den Vater wirft und tödlich verletzt zu
Boden sinkt.
Der Herzog von Alba (George Petean, rechts) im
Gespräch mit seinem Sohn Henri (Ismael Jordi).
Das Regie-Team um Carlos Wagner inszeniert das Werk relativ zeitlos, um einen
Bezug zu aktuellen Konflikten herzustellen. Dabei wird der religiöse Aspekt, der
in derartigen Auseinandersetzungen meist eine große Rolle spielt, durch eine
Madonnenfigur ausgedrückt, die während der Ouvertüre auf einen Prospekt
projiziert wird und dabei mehrere Male explodiert. Später befindet sie sich als lebensgroße Figur im
Quartier des Herzogs, und der Herzog trägt ihren Kopf auch als Tattoo auf seinem
Oberkörper. An dieser Tätowierung erkennt sich letztendlich auch Henri als
Sohn des Herzogs. Wirkt das Madonnenmotiv in diesem Zusammenhang noch plausibel,
wird nicht klar, warum der kahle Kopf des Herzogs und die Beine ebenfalls
vollständig tätowiert sind und auch die spanischen Besatzer eine Tätowierung am
Hals haben. Die Übermacht der Besatzer wird durch riesengroße Soldatenfiguren
beschrieben, die der Bühnenbildner Alfons Flores mal drohend in Marschbewegung
über der Szene schweben lässt, mal als gewaltige Wächter mit Maschinenpistolen
am Eingang zum Quartier des Herzogs als Schutz positioniert. Ansonsten arbeitet Flores mit zwei Brücken, die aus dem Schnürboden herabgefahren werden können,
wobei eine Treppe auf die Bühne herabgelassen werden kann. Auf diesen Brücken bewegen
sich die Spanier, während die geknechtete flandrische Bevölkerung darunter ihren Aufstand
plant.
Hélène (Rachel Harnisch) fordert Henri (Ismael
Jordi) auf, als Treuebeweis den Herzog zu töten.
An Vandevorst und Filip Arickx statten die spanischen Besatzer mit schwarzen
Kostümen aus, während die Flandern sandfarbene Kostüme tragen. Vielleicht soll
damit ihre Arbeit im Untergrund ausgedrückt werden, da sie auch im zweiten Akt Sand
mit großen Schaufeln auf der Bühne schippen und in den Sandsäcken die
gelieferten Waffen zu verbergen versuchen. Hélènes herausragende Stellung wird
durch ein weißes langes Kleid angedeutet, dass sie aber im weiteren Verlauf
hinter einer kämpferischen Rüstung verbirgt, so dass sie wie eine Amazone wirkt.
Henri trägt ebenfalls ein dunkles Kostüm, was vielleicht andeuten soll, dass er
sich als Sohn des Herzogs zwischen den Aufständischen und den Spaniern bewegt.
Besonders beeindruckend gelingen beim Finale die hohen Anzüge mit den fehlenden
Köpfen, so dass die Aufständischen während ihrer Freude über die Abreise des
Herzogs wie eine enthauptete Masse wirken, was nach dem missglückten Attentat
Hélènes durchaus nachvollziehbar erscheint. Ist an dieser Stelle Wagners
Regieansatz nachvollziehbar, vertraut er allerdings an anderer Stelle der
Vorlage nicht. So wirft sich Henri im vierten Akt nicht freiwillig ins Messer,
sondern wird von Sandoval, dem Vertrauten des Herzogs, an der geplanten Flucht
gehindert und stößt eher unfreiwillig mit dem Herzog zusammen, so dass Hélène
ihn statt des Herzogs erdolcht. Über die Notwendigkeit dieser Umdeutung kann man
geteilter Meinung sein.
Das Volk (Chor) bejubelt die Abreise des Herzogs
von Alba.
Musikalisch stellt das Werk ein Belcanto-Juwel der späteren Schaffensphase
Donizettis dar und überzeugt vor allem durch große Melodienbögen, die Paolo
Carignani mit dem Symphonischen Orchester der Vlaamse Opera differenziert
und klangschön herausarbeitet, und grandiose Chorpassagen des
unterdrückten flämischen Volkes, die der Chor der Vlaamse Opera unter der
Leitung von Yannis Pouspourikas stimmgewaltig und homogen umsetzt. Auch die
Arien und Duette für die beiden Protagonisten Henri und Hélène stellen an die
Solisten große Anforderungen und bergen für entsprechende Interpreten ein
enormes Potenzial zu brillieren. Mit Rachel Harnisch und Ismael Jordi hat die
Vlaamse Opera zwei Sängerdarsteller verpflichtet, die die hohen Erwartungen in
jeder Hinsicht erfüllen. Harnisch begeistert mit ihrem dunkel timbriertem Sopran
vor allem in ihrem Gebet des zweiten Aktes "Ton ombre murmure, o mon père!", in
dem sie ihren verstorbenen Vater um Unterstützung für ihren Geliebten Henri
bittet. Auch darstellerisch weiß sie als kämpferische Frau zu überzeugen. Der
Spanier Jordi stellt nicht nur optisch eine Idealbesetzung für den jungen Henri
dar, sondern glänzt auch bis in die hohen Töne mit einem kräftig strahlenden
Tenor, der mit der Rolle absolut in Einklang steht. So erntet er wie Harnisch
schon während der Aufführung immer wieder Szenenapplaus. In den kleineren
Partien überzeugen Igor Bakan als Wirt Daniel mit kämpferischem Bass-Bariton und
Vladimir Baykov als unsympathischer spanischer Hauptmann Sandoval mit düsteren
Tönen.
Battistellis Ergänzungen unterscheiden sich deutlich von den Kompositionen
Donizettis und seines Schülers Salvi, ohne dabei zu einem musikalischen Bruch zu
führen. So findet er nach einigen leicht dissonanten Klängen mit der großen Arie
des Herzogs zu Beginn des dritten Aktes "Oui je fus bien coupable", in der
dieser nach langen Überlegungen beschließt, sich seinem Sohn zu erkennen zu
geben, zu einem tonalen Stil zurück, der vielleicht nur ein bisschen
blechlastiger als die übrigen Donizetti-Passagen ist und somit an Carl Maria von
Webers Freischütz erinnert. George Petean wächst in dieser Arie mit
großartigem Bariton über sich hinaus und versteht es auch ansonsten, den Herzog
in innerer Zerrissenheit zwischen liebendem Vater und erbarmungslosem Tyrann
glaubhaft darzustellen. Besonders eindringlich gelingt Battistelli die
Komposition der Sterbeszene Henris. Mit immer schwächer werdenden am Belcanto
orientierten Bögen, haucht Jordi als sterbender Henri sein Leben regelrecht aus.
Der Abschlusschor "Jour d'ivresse et de délire", in dem das Volk die Abreise des
Herzogs bejubelt, hebt sich bewusst vom Belcanto-Stil ab und passt sich mit seinen
leichten Disharmonien der trügerischen Freude der Bevölkerung an, da das
misslungene Attentat gewiss nicht ungestraft bleiben wird, wie Regisseur Wagner
mit dem Chor in den kopflosen Kostümen auch in der Inszenierung deutlich macht.
So gibt es auch für Battistelli am Ende der Vorstellung begeisterten Applaus des
Publikums, auch wenn er sich sehr lange bitten lässt, bis er endlich mit dem
Rest des Ensembles vor den Vorhang tritt. FAZIT
Anhänger des Belcanto werden musikalisch in dieser Produktion voll auf ihre
Kosten kommen. Auch die Inszenierung überzeugt in weiten Strecken, selbst wenn
nicht jeder Regie-Einfall gelungen ist. Ob diese Version die ebenfalls absolut
selten gespielte italienische Variante Il duca d'Alba ablösen wird,
bleibt abzuwarten. |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme Licht
Chor Dramaturgie
Solisten*rezensierte Aufführung Hélène d'Egmont Henri de Bruges
Le Duc d'Albe Sandoval
Daniel
Carlos / Balbuena
Un tavernier
|
© 2012 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de