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Le Duc d'Albe

Oper in vier Akten
Libretto von Eugène Scribe und Charles Duveyrier
Musik von Gaetano Donizetti, vollendet von Giorgio Battistelli


in französischer Sprache mit niederländischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere in der Vlaamse Opera Antwerpen am 6. Mai 2012




Vlaamse Opera
(Homepage)

Belcanto trifft auf zeitgenössische Musik

Von Thomas Molke / Fotos von Annemie Augustijns (Vlaamse Opera)

Gaetano Donizettis unvollendete Oper Le Duc d'Albe musste einen großen Umweg über beinahe zwei Jahrhunderte machen, bevor sie in ihrer ursprünglichen französischen Fassung, komplettiert durch den zeitgenössischen Komponisten Giorgio Battistelli, nun in Antwerpen ihre Uraufführung erlebte. 1839 komponierte Donizetti für die Opéra in Paris die ersten beiden Akte auf ein Libretto von Eugène Scribe. Die für 1840 geplante Uraufführung wurde aber zugunsten seiner Oper La Favorite auf Eis gelegt, und auch wenn Donizetti wahrscheinlich glaubte, dass das Werk doch noch ins Programm genommen würde, und er für den dritten und vierten Akt der Oper zum großen Teil zumindest die Vokallinien und Instrumentalphrasen komplettierte, sollte er eine Aufführung nicht mehr erleben. Erst 34 Jahre nach seinem Tod komplettierte ein ehemaliger Schüler von ihm, Matto Salvi, das unvollständige Werk, wobei er das Libretto von Angelo Zanardini ins Italienische übersetzen ließ und auch die Namen der Hauptfiguren Henri und Hélène in Marcello und Amelia umwandelte, da Scribes Libretto mit den ursprünglichen Namen mittlerweile für Verdis Oper Les vêpres sicilienne umgearbeitet worden war und mögliche Verwechslungen ausgeräumt werden sollten. Nach einigen erfolgreichen Aufführungen schlummerte diese italienische Fassung lange Jahre in den Archiven, bevor Thomas Schippers sie 1959 für das Spoleto Festival  in einer überarbeiteten Fassung herausbrachte, die dann 1979 im La Monnaie in Brüssel in einer Produktion von Luchino Visconti auf dem Programm stand und schließlich 2007 beim Festival de Radio France et Montpellier Languedoc-Roussilon erneut auf CD aufgenommen wurde.

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Die spanischen Besatzer (Chor, oben) knechten das flämische Volk.

An der Vlaamse Opera widmet man sich nun erstmalig dem französischen Original. Dabei lassen sich rund 85 % aus dem nahezu vollständig orchestrierten ersten und zweiten Akt und den Vokalpartituren für den dritten und vierten Akt von Donizetti rekonstruieren. Für einen großen Teil des restlichen dritten und vierten Aktes wird Salvis Orchestrierung gewählt, da er sich als Schüler Donizettis angemessen in den Stil seines Lehrers einarbeiten konnte. Für die Tenor-Arie zu Beginn des vierten Aktes wird Salvis komponierte Arie "Angelo casto e bel" aufgrund von Donizettis Anmerkungen in der Partitur allerdings gegen eine Arie ausgetauscht, die Donizetti unter dem Titel "Ange si pur" für La Favorite verwendete, da diese Arie Donizettis Vorstellungen wohl eher entsprochen haben dürfte. Schließlich baute er auch Hélènes große Arie aus dem zweiten Akt "Ton ombre murmure, o mon père" unter dem Titel "O mon Fernande" in die 1840 uraufgeführte Oper ein. Fragmentarisch bleiben nach diesen Ergänzungen noch der Beginn des dritten Aktes und das Finale des vierten Aktes mit jeweils einer großen Arie für die Titelfigur, die Battistelli für diese Aufführung vollendet hat, wobei er keineswegs versucht, Donizetti zu kopieren, sondern bei allem Respekt vor der Dramaturgie des Stückes die ursprünglichen Harmonien ausweitet und die weitere musikalische Entwicklung seit dem 19. Jahrhundert deutlich macht..

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Daniel (Igor Bakan, Mitte) bereitet mit dem Volk (Chor) einen Aufstand vor.

Die Handlung der Oper geht zurück auf den dritten Herzog von Alba, Fernando Álvarez de Toledo y Pimentel, der zur Zeit der spanischen Besetzung der Niederlande als Statthalter von 1567 bis 1573 in Flandern ein regelrechtes Schreckensregiment über die Bevölkerung führt, was zu Vorbereitungen eines Aufstands führt. An der Spitze der Rebellen stehen Hélène d'Egmont, deren Vater von den spanischen Besatzern grausam ermordet worden ist, und ihr Geliebter Henri, in dem der Herzog von Alba einen Sohn aus einer früheren Ehe erkennen muss. Hin- und hergerissen zwischen väterlicher Liebe und der vaterländischen Pflicht, hart gegen die Aufständischen vorzugehen, gibt sich der Herzog seinem Sohn zu erkennen und bietet ihm eine Position in der spanischen Armee an. Als Henri empört ablehnt, droht der Herzog, die gefangenen Rebellen, darunter auch Hélène, hinrichten zu lassen, wenn Henri ihn nicht als Vater akzeptiert. Widerwillig lenkt dieser ein, schlägt sich aber erneut auf die Seite der Rebellen. Hélène ist ob Henris Einfluss beim Herzog misstrauisch geworden und fordert ihn auf, als Treuebeweis einen Anschlag auf den Herzog durchzuführen. Henri gesteht ihr, dass er der Sohn des Herzogs sei und diesen deshalb nicht töten könne. Folglich beschließt Hélène, den Herzog selbst zu ermorden. Bei den Feierlichkeiten zur Abreise des Herzogs aus Antwerpen stürzt sie sich mit einem Messer auf ihn. Der Anschlag wird aber von Henri vereitelt, der sich schützend vor den Vater wirft und tödlich verletzt zu Boden sinkt.

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Der Herzog von Alba (George Petean, rechts) im Gespräch mit seinem Sohn Henri (Ismael Jordi).

Das Regie-Team um Carlos Wagner inszeniert das Werk relativ zeitlos, um einen Bezug zu aktuellen Konflikten herzustellen. Dabei wird der religiöse Aspekt, der in derartigen Auseinandersetzungen meist eine große Rolle spielt, durch eine Madonnenfigur ausgedrückt, die während der Ouvertüre auf einen Prospekt projiziert wird und dabei mehrere Male explodiert. Später befindet sie sich als lebensgroße Figur im Quartier des Herzogs, und der Herzog trägt ihren Kopf auch als Tattoo auf seinem Oberkörper. An dieser Tätowierung erkennt sich letztendlich auch Henri als Sohn des Herzogs. Wirkt das Madonnenmotiv in diesem Zusammenhang noch plausibel, wird nicht klar, warum der kahle Kopf des Herzogs und die Beine ebenfalls vollständig tätowiert sind und auch die spanischen Besatzer eine Tätowierung am Hals haben. Die Übermacht der Besatzer wird durch riesengroße Soldatenfiguren beschrieben, die der Bühnenbildner Alfons Flores mal drohend in Marschbewegung über der Szene schweben lässt, mal als gewaltige Wächter mit Maschinenpistolen am Eingang zum Quartier des Herzogs als Schutz positioniert. Ansonsten arbeitet Flores mit zwei Brücken, die aus dem Schnürboden herabgefahren werden können, wobei eine Treppe auf die Bühne herabgelassen werden kann. Auf diesen Brücken bewegen sich die Spanier, während die geknechtete flandrische Bevölkerung darunter ihren Aufstand plant.

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Hélène (Rachel Harnisch) fordert Henri (Ismael Jordi) auf, als Treuebeweis den Herzog zu töten.

An Vandevorst und Filip Arickx statten die spanischen Besatzer mit schwarzen Kostümen aus, während die Flandern sandfarbene Kostüme tragen. Vielleicht soll damit ihre Arbeit im Untergrund ausgedrückt werden, da sie auch im zweiten Akt Sand mit großen Schaufeln auf der Bühne schippen und in den Sandsäcken die gelieferten Waffen zu verbergen versuchen. Hélènes herausragende Stellung wird durch ein weißes langes Kleid angedeutet, dass sie aber im weiteren Verlauf hinter einer kämpferischen Rüstung verbirgt, so dass sie wie eine Amazone wirkt. Henri trägt ebenfalls ein dunkles Kostüm, was vielleicht andeuten soll, dass er sich als Sohn des Herzogs zwischen den Aufständischen und den Spaniern bewegt. Besonders beeindruckend gelingen beim Finale die hohen Anzüge mit den fehlenden Köpfen, so dass die Aufständischen während ihrer Freude über die Abreise des Herzogs wie eine enthauptete Masse wirken, was nach dem missglückten Attentat Hélènes durchaus nachvollziehbar erscheint. Ist an dieser Stelle Wagners Regieansatz nachvollziehbar, vertraut er allerdings an anderer Stelle der Vorlage nicht. So wirft sich Henri im vierten Akt nicht freiwillig ins Messer, sondern wird von Sandoval, dem Vertrauten des Herzogs, an der geplanten Flucht gehindert und stößt eher unfreiwillig mit dem Herzog zusammen, so dass Hélène ihn statt des Herzogs erdolcht. Über die Notwendigkeit dieser Umdeutung kann man geteilter Meinung sein.

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Das Volk (Chor) bejubelt die Abreise des Herzogs von Alba.

Musikalisch stellt das Werk ein Belcanto-Juwel der späteren Schaffensphase Donizettis dar und überzeugt vor allem durch große Melodienbögen, die Paolo Carignani mit dem Symphonischen Orchester  der Vlaamse Opera differenziert und klangschön herausarbeitet, und grandiose Chorpassagen des unterdrückten flämischen Volkes, die der Chor der Vlaamse Opera unter der Leitung von Yannis Pouspourikas stimmgewaltig und homogen umsetzt. Auch die Arien und Duette für die beiden Protagonisten Henri und Hélène stellen an die Solisten große Anforderungen und bergen für entsprechende Interpreten ein enormes Potenzial zu brillieren. Mit Rachel Harnisch und Ismael Jordi hat die Vlaamse Opera zwei Sängerdarsteller verpflichtet, die die hohen Erwartungen in jeder Hinsicht erfüllen. Harnisch begeistert mit ihrem dunkel timbriertem Sopran vor allem in ihrem Gebet des zweiten Aktes "Ton ombre murmure, o mon père!", in dem sie ihren verstorbenen Vater um Unterstützung für ihren Geliebten Henri bittet. Auch darstellerisch weiß sie als kämpferische Frau zu überzeugen. Der Spanier Jordi stellt nicht nur optisch eine Idealbesetzung für den jungen Henri dar, sondern glänzt auch bis in die hohen Töne mit einem kräftig strahlenden Tenor, der mit der Rolle absolut in Einklang steht. So erntet er wie Harnisch schon während der Aufführung immer wieder Szenenapplaus. In den kleineren Partien überzeugen Igor Bakan als Wirt Daniel mit kämpferischem Bass-Bariton und Vladimir Baykov als unsympathischer spanischer Hauptmann Sandoval mit düsteren Tönen.

Battistellis Ergänzungen unterscheiden sich deutlich von den Kompositionen Donizettis und seines Schülers Salvi, ohne dabei zu einem musikalischen Bruch zu führen. So findet er nach einigen leicht dissonanten Klängen mit der großen Arie des Herzogs zu Beginn des dritten Aktes "Oui je fus bien coupable", in der dieser nach langen Überlegungen beschließt, sich seinem Sohn zu erkennen zu geben, zu einem tonalen Stil zurück, der vielleicht nur ein bisschen blechlastiger als die übrigen Donizetti-Passagen ist und somit an Carl Maria von Webers Freischütz erinnert. George Petean wächst in dieser Arie mit großartigem Bariton über sich hinaus und versteht es auch ansonsten, den Herzog in innerer Zerrissenheit zwischen liebendem Vater und erbarmungslosem Tyrann glaubhaft darzustellen. Besonders eindringlich gelingt Battistelli die Komposition der Sterbeszene Henris. Mit immer schwächer werdenden am Belcanto orientierten Bögen, haucht Jordi als sterbender Henri sein Leben regelrecht aus. Der Abschlusschor "Jour d'ivresse et de délire", in dem das Volk die Abreise des Herzogs bejubelt, hebt sich bewusst vom Belcanto-Stil ab und passt sich mit seinen leichten Disharmonien der trügerischen Freude der Bevölkerung an, da das misslungene Attentat gewiss nicht ungestraft bleiben wird, wie Regisseur Wagner mit dem Chor in den kopflosen Kostümen auch in der Inszenierung deutlich macht. So gibt es auch für Battistelli am Ende der Vorstellung begeisterten Applaus des Publikums, auch wenn er sich sehr lange bitten lässt, bis er endlich mit dem Rest des Ensembles vor den Vorhang tritt.

FAZIT

Anhänger des Belcanto werden musikalisch in dieser Produktion voll auf ihre Kosten kommen. Auch die Inszenierung überzeugt in weiten Strecken, selbst wenn nicht jeder Regie-Einfall gelungen ist. Ob diese Version die ebenfalls absolut selten gespielte italienische Variante Il duca d'Alba ablösen wird, bleibt abzuwarten.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Paolo Carignani

Inszenierung
Carlos Wagner

Bühnenbild
Alfons Flores

Kostüme
A. F. Vandevorst

Licht
Fabrice Kebour

Chor
Yannis Pouspourikas

Dramaturgie
Anne-Mie Lobbestael

 


Chor der Vlaamse Opera

Symphonisches Orchester der Vlaamse Opera


Solisten

*rezensierte Aufführung

Hélène d'Egmont
Rachel Harnisch

Henri de Bruges
*Ismael Jordi /
Marc Laho

Le Duc d'Albe
George Petean

Sandoval
Vladimir Baykov

Daniel
Igor Bakan

Carlos / Balbuena
Gijs Van der Linden

Un tavernier
Stephan Adriaens


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Vlaamse Opera
(Homepage)




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