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Rauchende Trümmer
Von Joachim Lange / Fotos von Iko Frese/drama-berlin.de Mit seinem Tannhäuser war Sebastian Baumgraten im sommerlichen Bayreuth ja ziemlich angeeckt (unsere Rezension). Da hatten sich die Sänger bei ihrem Wettstreit in einem zu hermetischen Bühnenbild verlaufen. Denn eine musikalisch beglaubigte Personenführung war auch da als Qualität erkennbar. Bei seiner Carmen, an der Komischen Oper, verläuft sich jetzt keiner. Da finden sie alle an einem, wenn auch ungewöhnlichen, Ort zueinander. Thilo Reuther hat eine Plattenbaufassade auf die Bühne gesetzt. Davor rauchen die Aschentonnen und die Trümmer eines halb abgerissenen Vorbaus. Der entpuppt sich als Eingang zur Zigarettenfabrik, wo vor Geilheit sabbernde Männer auf die Mittagspause der Frauen warten. Und durch den Carmen, im großen Reifrock und als Tod geschminkt, ihren Aufritt mit böser Ironie und zugleich als Kommentar zu den Habanera-Auftritten aller Carmens der Operngeschichte zelebriert. Ensemble vor hoffentlich krisenfester spanischer BankDieses Changieren zwischen der Geschichte, ihrem ernsten Hintergrund und dem Spiel mit den spanischen Carmen-Klischees von Bizets Opéra comique durchzieht den ganzen Abend. Wobei sich die Video-Einspielungen von Jan Speckenbach als ästhetisch eigenständiger Beitrag sinnvoll einfügen. All das macht diese Produktion zu einer Herausforderung und interessant. Stellenweise sogar amüsant. Etwa, wenn Baumgarten die Operettenanklänge als solche ausstellt und nicht mit Opernpathos tragisch auflädt. Der recht trottlige Leutnant Zuniga und seine Truppe scheinen hier einem Comic entsprungen - wofür Jens Larsen genau der Richtige ist. Micaela kommt gleich als Heilige herein geschwebt und bringt eine riesige Kitsch-Postkarte von der Mutter mit. Carmen (Stella Doufexis) Anstelle der tränenschluchzenden opernrealistischen Magie des unverwüstlichen Repertoirelieblings gibt es in Berlin also jede Menge reflektierenden und vor allem vom Chor lustvoll umgesetzten Spielwitz. Mit schönen Frauen und schicken Kleider (Ellen Hofmann), aber ohne Folklore, die sich ernst nimmt. Das ist alles weit weg vom etablierten spanischen Carmen-Klischee eines Georges Bizet. Und doch nimmt Baumgarten das Stück ernst. Sogar todernst. Wenn in den desillusionierenden Resten einer Zivilisation der traurig kraftvolle Flamenco zur (eingefügten) Begleitmusik wird. Oder wenn der Stierkampf vom Hintergrundereignis beim Eifersuchts-Mord zum kommentierten Sinnbild für den Zusammenhang von obsessivem Begehren und Tod, also zum Symbol für die Machtkämpfe und Unterwerfungsrituale einer Machogesellschaft schlechthin avanciert. Bis hin zu einem Escamillo, dem bei seinem ersten Auftritt alsbald der Schrecken ins Gesicht geschrieben steht und die triumphierenden Worte ersterben. Die Angst des Toreros vor dem finalen Stich - das hat man so auch noch nie gesehen. Micaela (Ina Kringlborn) und Don José (Timothy Richards)In Filmeinspielungen gibt es zwischendurch immer wieder Ausschnitte aus den Verhören Don Josés bei der Polizei. Ganz prosaisch. Mit einer in die Vorlage von Prosper Mérimeé für Bizets Oper hinein erweiterten Biografie. Wenn dann dunkle Gestalten die Ruinen okkupieren und ihre schwarzen Fahnen mit dem Loch in der Mitte (so wurde die einstige Fahne der DDR bei den Demonstrationen dem bevorstehenden Untergang angepasst) schwenken und Porträts von Marx und Lenin auf sperrigen Holz-Gerippen durch die Szene geistern, dann schlägt bei Baumgarten in der brodelnden Freiheitsgier einer Carmen, der Alptraum einer verloren gegangenen Utopie durch. Escamillo (Günter Papendell) Für Puristen ist das zwar kein Argument, aber Baumgarten gelingt es tatsächlich, die bekannte Geschichte, deren Weiterungen in Vorlage, Umfeld der Entstehung und Relevanz für die Gegenwart gleichzeitig zu erzählen und die Oper mit ihren Rezeptionsklischees mit dunkler, aber nie nur denunzierender Ironie zu kommentieren. Das muss man erst mal hinbekommen. Das Publikum war offenbar darauf eingestellt und spielte mit. Da man die Komische Oper ohnehin vor allem wegen interessanter Inszenierungen besucht, verwundert es nicht, dass eine Vertretungspersonalie das musikalisch Interessanteste an dem Abend war. Am Pult war nämlich ziemlich kurzfristig der junge, künftige Heidelberger GMD, Yordan Kamdzhalov, mit einem furiosen und der Bühnendominanz angemessenen Dirigat eingesprungen. Der Chor dieses Hauses ist eh eine Extra-Klasse für sich. Bei den Sängern bleiben, trotz mehr (bei Ina Kringelborns Micaela und dem Escamillo von Günter Papendell) oder weniger (Stella Doufexis als Carmen und Timothy Richards als Don José) stimmlicher Abstriche, zumindest darstellerisch überzeugende Leistungen zu vermelden.
Mit seiner Carmen-Inszenierung weicht Sebastian Baumgarten vom üblichen Klischee dieser Oper ab und macht daraus aus eine interessante Herausforderung. Musikalisch überzeugten vor allem das Orchester und der Chor der Komischen Oper. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Dramaturgie
Chöre
Licht
Video
Solisten
Carmen
Don José
Micaela
Escamillo
Zuniga
Manuela
Frasquita
Mercedes
Dancairo
Remendado
Morales
Gitarristen
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