Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Wahrheiten in Traum und Wirklichkeit Von Christoph Wurzel / Fotos von Monika Rittershaus 1956 hatte die Komische Oper
in Berlin mit Janaceks Das Schlaue
Füchslein Operngeschichte geschrieben. Die Inszenierung von
Walter Felsenstein begriff Janaceks Oper in ihrem Wesen zwar noch als
eine putzige Tiergeschichte, wurde aber immerhin zu einer Art Urmuster
des modernen Musiktheaters. Über acht Spielzeiten hinweg brachte es die
legendäre Produktion auf stolze 218 Aufführungen und galt damals als
der eigentliche Durchbruch für diese Oper auf deutschen Bühnen. Nun
gibt es wieder eine höchst gelungene Neuinszenierung dieses Werks an
demselben Haus. Der zum Ende dieser Spielzeit scheidende Intendant
Andreas Homoki hat einen schlüssigen, vielschichtigen Ansatz für das
schwierige Werk gefunden, der ebenso wie seinerzeit Felsensteins
Inszenierung der Rezeption dieser Oper sicherlich neue Impulse geben
wird. Glückliche Planung oder
Zufall: An der Staatsoper gab es nur einen Tag später ebenfalls eine
Janacek-Premiere. Hier wurde Patrice Chéreaus Inszenierung Aus einem Totenhaus gezeigt,
perfekt und neu einstudiert für dieses Haus, nachdem die Produktion
schon in Wien, Amsterdam, Aix-en-Provence, New York und Mailand zu
sehen war. Eine TV-Fassung samt DVD existiert ebenfalls bereits.
Despektierlich wurde daher die Berliner Übernahme als Recycling
bezeichnet, in diesem Fall aber kann sich glücklich schätzen, wer
Gelegenheit hat, diese in allem großartige Aufführung auch hier erleben
zu können; denn selten geriet eine Opernaufführung zu einem derart
packenden musiktheatralischen Ereignis. Die Sehnsucht nach Freiheit: Aus einem Totenhaus an der Staatsoper im Schillertheater Nicht allein
die zeitliche Nähe der Premieren legt einen Vergleich nahe, auch die
Bühnenrealisationen dieser beiden Alterswerke Janaceks, die er in einem
Abstand von ca. 4 Jahren in seinem siebten Lebensjahrzehnt schrieb,
machen bemerkenswerte Parallelen, aber auch Unterschiede zwischen
diesen beiden Opern deutlich und lassen sie geradezu als zwei Pole
seines Opernschaffens erkennen. Die Wahrhaftigkeit und der tiefe
Humanismus, Grundtendenz in allen Opern Janaceks, sind in beiden
Inszenierungen die verbindenden Gedanken, die singuläre Ästhetik
seiner Opern wird in beiden Inszenierungen auf adäquate Weise
verwirklicht.
Für die Tierparabel von der Füchsin Schlaukopf, die hier in präziserer Anlehnung an die Übersetzung des Originaltitels Füchsin Spitzohr heißt, hat Andreas Homoki einen ironisch-phantastischen Ansatz gefunden. Er stellt eine Art Traumspiel auf die Bühne, in dem die Individualitäten zwischen Tier und Mensch verschwimmen. Blitzschnell wechseln die Darsteller ihre Rollen, setzen die Tierköpfe auf oder ab: der frustrierte Pfarrer spielt den spießigen Dachs, der unglücklich verliebte Schulmeister den stolzierenden Hahn und die zänkische Förstersfrau die tratschsüchtige Eule. Wie in jeder richtigen Fabel schärfen die Tierfiguren auch hier die menschlichen Charaktere. Der Füchsin kommt dabei eine ausschließlich positive Rolle zu, sie ist als Naturwesen die Inkarnation jugendlicher Ungezwungenheit und unbedingten Freiheitswillens. Keck mischt sie die Klasse der plötzlich zu Hühnern mutierten Schulmädchen auf und heizt den behäbigen alten Männern im Wirtshaus aufreizend ein. Selbstbewusst bandelt sie mit dem jungen feschen Förster an und feiert mit ihm als hübschem Fuchs fröhlich die freie Liebe. Immer wieder wandelt sie sich in gleich bleibend erfrischender Spontanität zum jungen Mädchen, wie es Janacek auch im Textbuch freilich nur an einer Stelle als Vision nahe legt. Der melancholische Förster: Jans Larsen und (liegend) Caren van Oijen als Försterin /Eule Die Rolle des Försters, der
als Einziger nicht Tiergestalt annimmt, hat Homoki stärker akzentuiert
als im Libretto vorgesehen, er bleibt in der Oberfläche der Handlung
einerseits Gegenspieler der Füchsin, andererseits wird er aber auf der
Ebene der Phantasie auch zu ihrem Partner. Dann gewinnt die
Inszenierung eine melancholische Dimension, die von Reminiszenzen
des Försters an eigene Lebensstationen bestimmt wird: an Hochzeit,
Entbehrung und Tod. Und da die männliche Hauptfigur hier unverkennbar
eine äußere Ähnlichkeit mit dem Komponisten selbst aufweist, scheinen
es Anklänge an Janaceks eigenes Lebensschicksal zu sein, an seine
krisenvolle unglückliche Ehe, die inspirierende Liebe zu der viel
jüngeren Kamila Stösslová und zum schmerzlichen Verlust der gerade
einmal 2ojährigen Tochter Olga. Vor allem in den orchestralen
Zwischenspielen lässt es die Regie zwischen Förster und Füchsin bzw.
der jungen Frau zu kurzen anrührenden Begegnungen kommen, am
eindrücklichsten, wenn er das tote Mädchen, das die vom Wilderer
erschossene Füchsin ist, liebevoll in seinen Arm nimmt. So gewinnt die
Inszenierung neben der ironischen eben auch eine gefühlvolle, zutiefst
persönliche Seite. Doppelte Rolle: Brigitte Geller als Füchsin und Mädchen
Am Pult wird der Musikalische
Direktor des Moskauer Bolschoi-Theaters Alexander Vedernikov der
Farbigkeit von Janaceks Partitur vollauf gerecht. Wie
impressionistische Miniaturen werden die Naturszenen subtil ausgehört
und erfrischende Lebensfreude versprühen die volkstümlichen
Tanznummern. Vedernikov lässt äußerst transparent musizieren und
zügelt den Orchesterklang so, dass die Solisten immer
durchdringen können. Auch bei reduziertem Volumen bleibt die Intensität
des Klangs erhalten. Erst am versöhnlichen Ende, wenn der Förster den
Frieden mit sich und der Natur gefunden hat, blüht der Klang triumphal
auf. Das Orchester der Komischen Oper zeigt sich am Premierenabend von
seiner besten Seite und gibt der Musik des Schlauen Füchslein den
spritzigen Ton und die heitere Note, die sie verdient. Aus einem Totenhaus: Misshandlung
des Gefangenen Gorjantschikow (Willard White und Jiri Sulzenko,
links, als Platzkommandant) Patrice Chéreau hat die
einzelnen Situationen in dieser eigentlich nahezu handlungslosen Oper
zwingend zu einer szenischen Reportage über den deprimierenden Alltag
in diesem Straflager ausgestaltet, in der jeder der Akteure im grauen
Kollektiv der Gefangenen eigene Individualität annimmt, auch wenn er
nur einen kurzem Moment heraustritt. Chereaus geniale Regiehand formt
präzise Charaktere aus den Bühnengestalten, legt ihre seelische Lage
schonungslos direkt frei und glänzende Sängerdarsteller geben ihr
Äußerstes an Darstellungskunst und sängerischer Kraft. Stefan Margita
(als vulgärer Luka Kusmitsch, dessen Tod am Schluss doch auch Mitlied
erregt), John Mark Ainsley (als zusehends wahnsinnig werdender
Skuratow) und Pavlo Hunka (als verzweifelt aggressiver Schischkow)
lassen in den drei großen Monologen jeweils im Mittelpunkt eines
Aktes genau das aufscheinen, was Janacek meint, wenn er schreibt,
dass er mit der Komposition dieser Oper in die Seele von Verbrechern
vorgedrungen sei und in jedem von ihnen „einen göttlichen Funken“
gefunden habe, nämlich deren menschliche Würde. Selbst sind sie zwar
Verbrecher, aber doch auch Opfer des menschenverachtenden Lagersystems,
repräsentiert durch die gnadenlosen Wachen, einen betrunkenen
Kommandanten und den zynisch herablassenden Popen, die den
Gefangenen anlässlich des Feiertages eine Theateraufführung gönnen.
Pantomimisch verzerrt das groteske Spiel im Spiel die Lage der
Gefangenen ins Absurde. Auch gerade in den rein orchestralen Passagen
formt Rattle Janaceks herben, klanglich direkten Expressionismus, die
kleinteiligen Vokabeln seiner Sprachmelodien scharf aus. In der
Pauke hört man plastisch die Bastonade, die Gorjantschikow hinter der
Bühne erleiden muss, man hört das Rasseln der Ketten und das Pfeifen
von Peitschen. Warme und lyrische Töne nimmt die Musik an Stellen
menschlicher Zuwendung an, die es in dieser Oper auch gibt in Gestalt
der väterlichen Fürsorge des politischen Häftlings Gorjantschikow (von
Willard White eindrucksvoll dargestellt) für den jungen Aleja
(unschuldig jung: Eric Stocklossa).
Eindrucksvolle
Sängerdarsteller: Pavlo Hunka als Schischkow (Mitte) mit Heinz Zednik
(Der ganz alte Sträfling, hinten) und Ján Galla (Tscherewin, links)
Aus dieser Situation gibt es
für fast alle Gefangenen kein Entrinnen, in nackte, graue Betonwände
sind sie eingezwängt, nichts Natürliches existiert in dieser kalten
Umgebung. Die Szenerie ist durch nichts historisch oder geografisch
konkretisiert, es geht um ganz elementare Situationen menschlicher
Entwürdigung und des verzweifelten Versuchs darin zu überleben. Wenn es
im Schlauen Füchslein das Reich der Phantasie, des Traums war, in der
sich die wahre Natur des Menschen realisieren kann, ist in diesem
Totenhaus die Bewahrung des Menschlichen vielleicht nur noch im
Wahnsinn wie bei Skuratow möglich, der sich am Schluss wie ein Sieger
in seinem Krankenbett aufbäumt. Im Lager verrückt geworden: Skuratow (John Mark Ainsley) FAZITDie beiden
Pole in Janaceks Opernschaffen wurden in Berlin in zwei kongenialen
Inszenierungen gegeben: An der Komischen Oper Das schlaue Füchslein als
phantastische heiter-nachdenkliche Burleske und an der Staatsoper in
schonungslosem Realismus das expressionistische Ausnahmewerk Aus
einem Totenhaus; beide Male auch musikalisch in großartiger Form.
Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteams Komische Oper: Das schlaue Füchslein Musikalische
Leitung Inszenierung
Bühnenbild
und Kostüme André Kellinghaus Licht Rosalia Amato Chorsolisten
der SolistenFüchsin
Spitzohr Sir Simon Rattle Inszenierung Patrice Chéreau Künstlerische Mitarbeit Thierry Thieu Niang Bühnenbild Richard Peduzzi Kostüme Caroline De Vibaise Chöre Eberhard Friedrich Licht Bertrand Couderc Staatsopernchor Komparserie der Staatsoper Berlin Staatskapelle Berlin SolistenAlexander
Petrowitsch
Komischen Oper |
© 2011 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de
- Fine -