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Das schlaue Füchslein

Oper in drei Akten
von Leos Janácek
Text vom Komponisten
Deutsche Textfassung von Werner Hinze

In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln
Dauer: ca 1 ½  Stunden – keine Pause

Premiere am 2. Oktober 2011 in der Komischen Oper Berlin


Aus einem Totenhaus

Oper in drei Akten
von Leos Janácek
Text vom Komponisten nach dem Roman „Aufzeichnungen aus einem Totenhaus“
von F.J. Dostojewski


In tschechischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Dauer: ca 1 ¾  Stunden – keine Pause

Premiere am 3. Oktober 2011 in der Staatsoper im Schillertheater Berlin

Koproduktion der Wiener Festwochen mit dem Holland Festival Amsterdam, dem Festival d’Aix-en-Provence, The Metropolitan Opera New York und dem Teatro alla Scala di Milano





Komische Oper
(Homepage)




Staatsoper Berlin
(Homepage)
Wahrheiten in Traum und Wirklichkeit

Von Christoph Wurzel / Fotos von Monika Rittershaus

1956 hatte die Komische Oper in Berlin mit Janaceks Das Schlaue Füchslein Operngeschichte geschrieben. Die Inszenierung von Walter Felsenstein begriff Janaceks Oper in ihrem Wesen zwar noch als eine putzige Tiergeschichte, wurde aber immerhin zu einer Art Urmuster des modernen Musiktheaters. Über acht Spielzeiten hinweg brachte es die legendäre Produktion auf stolze 218 Aufführungen und galt damals als der eigentliche Durchbruch für diese Oper auf deutschen Bühnen. Nun gibt es wieder eine höchst gelungene Neuinszenierung dieses Werks an demselben Haus. Der zum Ende dieser Spielzeit scheidende Intendant Andreas Homoki hat einen schlüssigen, vielschichtigen Ansatz für das schwierige Werk gefunden, der ebenso wie seinerzeit Felsensteins Inszenierung der Rezeption dieser Oper sicherlich neue Impulse geben wird.

Vergrößerung inDas schlaue Füchslein  an der Komischen Oper Berlin

Glückliche Planung oder Zufall: An der Staatsoper gab es nur einen Tag später ebenfalls eine Janacek-Premiere. Hier wurde Patrice Chéreaus Inszenierung Aus einem Totenhaus gezeigt, perfekt und neu einstudiert für dieses Haus, nachdem die Produktion schon in Wien, Amsterdam, Aix-en-Provence, New York und Mailand zu sehen war. Eine TV-Fassung samt DVD existiert ebenfalls bereits. Despektierlich wurde daher die Berliner Übernahme als Recycling bezeichnet, in diesem Fall aber kann sich glücklich schätzen, wer Gelegenheit hat, diese in allem großartige Aufführung auch hier erleben zu können; denn selten geriet eine Opernaufführung zu einem derart packenden musiktheatralischen Ereignis.

Vergrößerung in

Die Sehnsucht nach Freiheit: Aus einem Totenhaus an der Staatsoper im Schillertheater

Nicht allein die zeitliche Nähe der Premieren legt einen Vergleich nahe, auch die Bühnenrealisationen dieser beiden Alterswerke Janaceks, die er in einem Abstand von ca. 4 Jahren in seinem siebten Lebensjahrzehnt schrieb, machen bemerkenswerte Parallelen, aber auch Unterschiede zwischen diesen beiden Opern deutlich und lassen sie geradezu als zwei Pole seines Opernschaffens erkennen. Die Wahrhaftigkeit und der tiefe Humanismus, Grundtendenz in allen  Opern Janaceks, sind in beiden Inszenierungen die verbindenden Gedanken,  die singuläre Ästhetik seiner Opern wird in beiden Inszenierungen auf adäquate Weise verwirklicht.

Für die Tierparabel von der Füchsin Schlaukopf, die hier in präziserer Anlehnung an die Übersetzung des Originaltitels Füchsin Spitzohr heißt, hat Andreas Homoki einen ironisch-phantastischen Ansatz gefunden. Er stellt eine Art Traumspiel auf die Bühne, in dem die Individualitäten zwischen Tier und Mensch verschwimmen. Blitzschnell wechseln die Darsteller ihre Rollen, setzen die Tierköpfe auf oder ab: der frustrierte Pfarrer spielt den spießigen Dachs, der unglücklich verliebte Schulmeister den stolzierenden Hahn und die zänkische Förstersfrau die tratschsüchtige Eule. Wie in jeder richtigen Fabel schärfen die Tierfiguren auch hier die menschlichen Charaktere. Der Füchsin kommt dabei eine ausschließlich positive Rolle zu, sie ist als Naturwesen die Inkarnation jugendlicher Ungezwungenheit und unbedingten Freiheitswillens. Keck mischt sie die Klasse der plötzlich zu Hühnern mutierten Schulmädchen auf und heizt den behäbigen alten Männern im Wirtshaus aufreizend ein. Selbstbewusst bandelt sie mit dem jungen feschen Förster an und feiert mit ihm als hübschem Fuchs fröhlich die freie Liebe. Immer wieder wandelt sie sich in gleich bleibend erfrischender Spontanität zum jungen Mädchen, wie es Janacek auch im Textbuch freilich nur an einer Stelle als Vision nahe legt.

Vergrößerung inDer melancholische Förster: Jans Larsen und (liegend) Caren van Oijen als Försterin /Eule

Die Rolle des Försters, der als Einziger nicht Tiergestalt annimmt, hat Homoki stärker akzentuiert als im Libretto vorgesehen, er bleibt in der Oberfläche der Handlung einerseits Gegenspieler der Füchsin, andererseits wird er aber auf der Ebene der Phantasie auch zu ihrem Partner. Dann gewinnt die Inszenierung eine melancholische Dimension, die von Reminiszenzen  des Försters an eigene Lebensstationen bestimmt wird: an Hochzeit, Entbehrung und Tod. Und da die männliche Hauptfigur hier unverkennbar eine äußere Ähnlichkeit mit dem Komponisten selbst aufweist, scheinen es Anklänge an Janaceks eigenes Lebensschicksal zu sein, an seine krisenvolle unglückliche Ehe, die inspirierende Liebe zu der viel jüngeren Kamila Stösslová und zum schmerzlichen Verlust der gerade einmal 2ojährigen Tochter Olga. Vor allem in den orchestralen Zwischenspielen lässt es die Regie zwischen Förster und Füchsin bzw. der jungen Frau zu kurzen anrührenden Begegnungen kommen, am eindrücklichsten, wenn er das tote Mädchen, das die vom Wilderer erschossene Füchsin ist, liebevoll in seinen Arm nimmt. So gewinnt die Inszenierung neben der ironischen eben auch eine gefühlvolle, zutiefst persönliche Seite.

Vergrößerung in

Doppelte Rolle: Brigitte Geller als Füchsin und Mädchen


Dieser Wechsel der Bühnenrealität wird durch einen klugen Einsatz der Drehbühne verstärkt: immer derselbe Raum kommt zum Vorschein, doch ist der Ort jeweils verschieden. Wirklichkeit und Phantasie gehen buchstäblich in einander über. In der Mitte hinter der Tür bleibt stets die Natur des Waldes zu sehen, vorn sieht man den immer gleichen kargen Büroraum im Stil der Entstehungszeit der Oper - mal Stube, mal Schule, mal Gasthaus. So bekommt die Handlung eine spannende Dynamik und gespielt wird exzellent. Die Rollen sind bestens besetzt. Brigitte Geller ist ein charmantes Füchslein mit frei schwebendem Sopran. Jens Larsen gibt dem Förster mit kräftigem Bariton Stimme und durch subtiles Spiel deutlich Gestalt. Glänzend auch Karolina Gumos als junger Fuchs. Treffende  Charakterstudien liefern als trinkfreudiger Dorflehrer Andreas Conrad und als larmoyanter Pfarrer Frank van Hove. Die Tiermasken und Kostüme von Caroline De Vibaise charakterisieren die Figuren präzise.


Vergrößerung in Aufregung im Hühnerhof

Am Pult wird der Musikalische Direktor des Moskauer Bolschoi-Theaters Alexander Vedernikov der Farbigkeit von Janaceks Partitur vollauf gerecht. Wie impressionistische Miniaturen werden die Naturszenen subtil ausgehört und erfrischende Lebensfreude versprühen die volkstümlichen Tanznummern. Vedernikov lässt äußerst transparent musizieren und zügelt  den Orchesterklang so, dass die Solisten immer durchdringen können. Auch bei reduziertem Volumen bleibt die Intensität des Klangs erhalten. Erst am versöhnlichen Ende, wenn der Förster den Frieden mit sich und der Natur gefunden hat, blüht der Klang triumphal auf. Das Orchester der Komischen Oper zeigt sich am Premierenabend von seiner besten Seite und gibt der Musik des Schlauen Füchslein den spritzigen Ton und die heitere Note, die sie verdient.

Nur einen Abend später steht kein versöhnlicher Schluss, sondern ausweglose Düsterkeit am Ende der Aufführung. Janaceks letzte Oper Aus einem Totenhaus endet zwar mit der Entlassung eines Gefangenen aus dem sibirischen Straflager, das den hermetischen Ort dieser Oper bildet, als Hoffnung bleibt dennoch für alle übrigen weniger als ein schwacher Funke übrig: nur das hölzerne Modell eines Adlers, der niemals selbständig wird fliegen können. Die Musik dieser Schlussszene lässt Simon Rattle mit der Berliner Staatskapelle kompromisslos hart und brutal spielen, einen Marsch so unerbittlich, dass das Publikum sekundenlang stumm gebannt ist, ehe überhaupt Beifall aufkommen mag. So endet eine in ihrem beklemmenden Bühnenrealismus atemberaubend packende und bis in jede Bewegung hinein subtil durchchoreografierte Aufführung.

Vergrößerung in

Aus einem Totenhaus: Misshandlung des Gefangenen Gorjantschikow  (Willard White und Jiri Sulzenko, links, als Platzkommandant) 

Patrice Chéreau hat die einzelnen Situationen in dieser eigentlich nahezu handlungslosen Oper zwingend zu einer szenischen Reportage über den deprimierenden Alltag in diesem Straflager ausgestaltet, in der jeder der Akteure im grauen Kollektiv der Gefangenen eigene Individualität annimmt, auch wenn er nur einen kurzem Moment heraustritt. Chereaus geniale Regiehand formt präzise Charaktere aus den Bühnengestalten, legt ihre seelische Lage schonungslos direkt frei und glänzende Sängerdarsteller geben ihr Äußerstes an Darstellungskunst und sängerischer Kraft. Stefan Margita (als vulgärer Luka Kusmitsch, dessen Tod am Schluss doch auch Mitlied erregt), John Mark Ainsley (als zusehends wahnsinnig werdender Skuratow) und Pavlo Hunka (als verzweifelt aggressiver Schischkow) lassen in den drei großen Monologen jeweils im Mittelpunkt eines Aktes  genau das aufscheinen, was Janacek meint, wenn er schreibt, dass er mit der Komposition dieser Oper in die Seele von Verbrechern vorgedrungen sei und in jedem von ihnen „einen göttlichen Funken“ gefunden habe, nämlich deren menschliche Würde. Selbst sind sie zwar Verbrecher, aber doch auch Opfer des menschenverachtenden Lagersystems, repräsentiert durch die gnadenlosen Wachen, einen betrunkenen Kommandanten und den  zynisch herablassenden Popen, die den Gefangenen anlässlich des Feiertages eine Theateraufführung gönnen. Pantomimisch verzerrt das groteske Spiel im Spiel die Lage der Gefangenen ins Absurde. Auch gerade in den rein orchestralen Passagen formt Rattle Janaceks herben, klanglich direkten Expressionismus, die kleinteiligen Vokabeln seiner  Sprachmelodien scharf aus. In der Pauke hört man plastisch die Bastonade, die Gorjantschikow hinter der Bühne erleiden muss, man hört das Rasseln der Ketten und das Pfeifen von Peitschen. Warme und lyrische Töne nimmt die Musik an Stellen menschlicher Zuwendung an, die es in dieser Oper auch gibt in Gestalt der väterlichen Fürsorge des politischen Häftlings Gorjantschikow (von Willard White eindrucksvoll dargestellt) für den jungen Aleja (unschuldig jung: Eric Stocklossa).

Vergrößerung inEindrucksvolle Sängerdarsteller: Pavlo Hunka als Schischkow (Mitte) mit Heinz Zednik (Der ganz alte Sträfling, hinten) und Ján Galla (Tscherewin, links)

Aus dieser Situation gibt es für fast alle Gefangenen kein Entrinnen, in nackte, graue Betonwände sind sie eingezwängt, nichts Natürliches existiert in dieser kalten Umgebung. Die Szenerie ist durch nichts historisch oder geografisch konkretisiert, es geht um ganz elementare Situationen menschlicher Entwürdigung und des verzweifelten Versuchs darin zu überleben. Wenn es im Schlauen Füchslein das Reich der Phantasie, des Traums war, in der sich die wahre Natur des Menschen realisieren kann, ist in diesem Totenhaus die Bewahrung des Menschlichen vielleicht nur noch im Wahnsinn wie bei Skuratow möglich, der sich am Schluss wie ein Sieger in seinem Krankenbett aufbäumt.

Vergrößerung in

Im Lager verrückt geworden: Skuratow (John Mark Ainsley)

FAZIT

Die beiden Pole in Janaceks Opernschaffen wurden in Berlin in zwei kongenialen Inszenierungen gegeben: An der Komischen Oper Das schlaue Füchslein als phantastische heiter-nachdenkliche Burleske und an der Staatsoper in schonungslosem  Realismus das expressionistische Ausnahmewerk Aus einem Totenhaus; beide Male auch musikalisch in großartiger Form.


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Produktionsteams

Komische Oper:
Das schlaue Füchslein

Musikalische Leitung
Alexander Vedernikov

Inszenierung
Andreas Homoki

Bühnenbild und Kostüme
Christian Schmidt

Dramaturgie
Werner Hintze

Chöre
André Kellinghaus

Licht
Rosalia Amato

Chorsolisten der
Komischen Oper Berlin

Komparserie der
Komischen Oper Berlin

Orchester der
Komischen Oper Berlin

Solisten

Füchsin Spitzohr
Brigitte Geller

Förster
Jens Larsen

Försterin / Eule
Caren van Oijen

Schulmeister / Hahn
Andreas Conrad

Pfarrer / Dachs
Frank van Hove

Fuchs
Karolina Gumos

Harasta
Carsten Sabrowski

Dackel / Pepik
Katarina Morfa

Wirtin / Eichelhäher
Adriana Strahl

Wirt
Matthias Gummelt

Frosch
Yuhei Sato

Grille
Jan Proporowitz

Heuschrecke
Saskia Krispin

Schopfhenne
Elke Sauermann

Mücke
Andrea Willert


Specht
Frank Baer

Frantík
Britta Süberkrüb,
Judith Weinreich


 


Staatsoper:
Aus einem Totenhaus

Musikalische Leitung
Sir Simon Rattle

Inszenierung
Patrice Chéreau

Künstlerische Mitarbeit
Thierry Thieu Niang

Bühnenbild

Richard Peduzzi

Kostüme
Caroline De Vibaise

Chöre
Eberhard Friedrich

Licht
Bertrand Couderc


Staatsopernchor

Komparserie der
Staatsoper Berlin

Staatskapelle Berlin

Solisten

Alexander Petrowitsch
Gorjantschikow
Willard White

Aleja, ein junger Tartar
Eric Stoklossa

Filka Morozow
al. Luka Kusmitsch
Stefan Margita

Der große Sträfling
Peter Straka

Der kleine Sträfling
Vladimir Chmelo

Platzkommandant
Jiri Sulzenko

Der ganz alte Sträfling
Heinz Zednik

Skuratov
John Mark Ainsley

Tschekunov
Ján Galla

Der betrunkene Sträfling
Florian Hoffmann

Koch / Schmied
Alfredo Daza

Pope
Arttu Kataja

Der junge Sträfling
Oliver Dumait

Platzkommandant
Juri Sulzenko

Dirne
Susannah Haberfeld

Sträfling in der Rolle
des Don Juan und
des Brahminen
Ales Jenis

Kedril
Marian Pavlovic

Schapkin
Peter Hoare

Schischkow
Pavlo Hunka

Tscherewin / Wache
Stephan Rügamer

Schauspieler
Roberto Adriani
Stefano Annoni
Paolo Bufalino
Jeff Burchfield
Alessio Calciolari
Fabrizio Cantaro
Antonio Caporilli
Daniele Gaggianesi
Pietro Gandini
Enzo Giraldo
Igor Loddo
Michael Melkovic
Pierpaolo Nizzola
Lorenzo Piccolo
Franco Reffo
Damiyr Shuford






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und der

Staatsoper Berlin
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