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Alles was ist, endet
Von Joachim Lange / Fotos von Bernd Uhlig
Lasst alle Hoffnung fahren so könnte man diese Erinnerungstheater überschreiben. Mit ihm rückt Andrea Breth Alban Bergs Lulu auf den Leib. Diesmal verändert - ausgerechnet diese Lordsiegelbewahrerin der überlieferten Texte sogar das bisher Gewohnte ziemlich drastisch. Nun ist Lulu allerdings eh der Opern-Torso schlechthin. Schon bevor Alban Bergs Witwe bis zu ihrem Tod 1976 den Komplettierungs-Ehrgeiz der Nachwelt ausbremste, hatten dafür prädestinierte Zeitgenossen des Opernrevolutionärs die dienende Vollendung der Entwürfe abgelehnt. Erst Friedrich Cerha riskierte es. Seine theater- und stücksensible Komplettierung des dritten Aufzuges hat sich seit der Pariser Uraufführung 1979 auf den Bühnen durchgesetzt. Gleichwohl ist sie nicht so sakrosankt, als dass es nicht immer wieder den Versuch gäbe, den Intentionen Bergs auf andere Weise, neu zu folgen. Aufmerksamkeit sichert so was allemal. So war vor zwei Jahren in Kopenhagen weniger Stefan Herheims entfesselte Arena-Wundertüte das Lulu-Ereignis, als mehr die nur mäßig zündende Neuvertonung des dritten Aktes durch Eberhard Kloke. Lulu (Mojca Erdmann)
Die von der Lindenoper nun bei David Robert Coleman in Auftrag gegebene Neuvertonung ist direkt auf Andrea Breths mehr operative als pathologische Ambitionen zugeschnitten, mit denen sie dem einst so verstörenden Frauenbild-Monument auf die Spur zu kommen versucht. Sie hinterlässt mit ihrer aufgelockerten Instrumentierung und dem zugig-frischen Soundlüftchen weniger Eindruck (oder auch Reibung) als Breths Regiepranke. Die schert sich nämlich nicht um irgendwelche Ateliers, Salons oder Abstiegen. Und auch nicht um die Insignien sozialer Milieus oder ein erkennbares Nacheinander von Ereignissen oder wenigstens zu Tode kommenden Männern. Sie apostrophiert stattdessen die Gleichzeitigkeit aufsteigender Erinnerungen. Zwischen den Resten der Welt
An Stelle des gestrichenen Prologs beginnt alles nach einem Kierkegaard-Zitat des am Boden liegenden alten Medizinalrates Goll mit einem martialischen Todes-Schrei Lulus vom Band zum wuchtigen Orchesterauftakt. Der wirft uns dann in einen beklemmenden Backstage-Raum des Lebens, den Erich Wonder in eine morbide Halle gebaut hat. Mit Autowracks, die von der Decke gestürzt sind und sich zu einem Haufen türmen. Mit rätselhaften Oberlichtern, angedeuteten Galerien und mit einem Labyrinth von Traumfluchtwegen zwischen Stellgitterwänden ins Nichts. An einer davon wird Lulu am Ende von Schigolch festgenagelt. Ganz so, als wäre sie selbst jenes LuluBild, das die Geschwitz mitgebracht hat. Die Todesfälle passieren hier so bei- wie zwangsläufig. Lulu bleibt immer das zarte Wesen im glitzernden Kleidchen, das über die Welt und sich selbst staunt. Und nie anders kann. Im raffiniert wechselnden Licht ergibt das eine beklemmende Grundstimmung der Todesnähe und sehnsucht. Da müssten ganz am Ende die Flammen gar nicht so penetrant züngeln, als wäre man auf dem Brünnhildenfelsen. Man wusste auch so, dass es sich um die Hölle oder zumindest ihren irdischen Eingangsbereich gehandelt hat. Spätestens, wenn Deborah Polaski als Geschwitz mit der wuchtigen Eleganz einer Maria-Walküren-Gestalt im langen blauen Gewand mit weißen Lilien wie zu einer Todesverkündigung schreitet, ist das klar. Ein Athlet (Georg Nigl), Lulu (Mojca Erdmann) und Doppelgängerin (Liane Oßwald), Schigolch (Jürgen Linn); im Hintergrund Alwa (Thomas Piffka)
In der Konsequenz, mit der die Breth hier das Leben auf den Erinnerungsmoment vor dem Tod reduziert, ist sie als Interpretin des dunklen Zuges der Musik grandios. Dass sie dafür die Welt des schönen, bürgerlichen Scheins und damit zugleich jegliche Fallhöhe opfert, belegt ihren Mut, dem österlichen Festtagspublikum schwere Kost vorzusetzten. Und den Puristen einen beherzten Eingriff in das überlieferte Material. Prolog und Paris-Bild sind kurzerhand gestrichen. Ein paar andere Kleinigkeiten auch. Die Musik im London-Akt ist neu. Obendrein verweigert Breth jegliche narrative Hilfestellung. Dafür zeigt sie eine Art Lulu-Universum, in der die Protagonisten in zum Teil mehrfacher Gestalt stets anwesend sind und ihren Obsessionen folgen. Das entfaltet seinen eigenen szenischen Reiz und lenkt die Aufmerksamkeit stärker auf den Text. Lulu (Mojca Erdmann), und Jack the Ripper (Michael Volle)
Vor allem aber auf das, was Daniel Barenboim mit der Staatskapelle im Graben an schaurig schöner Lulu-Musik zaubert. Nach viel Beifall ist einem danach nicht, aber was will man machen, wenn es die mädchenzarte Mojca Erdmann als Lulu, Deborah Polaski als Geschwitz oder den wunderbaren Michael Volle als Dr. Schön und all die andren zu würdigen gilt, die einen sehr eigenen, weit neben dem Üblichen liegenden Blick auf Lulu fertiggebracht haben. FAZITAndrea Breth gleich zwei Mal kurz hintereinander und mit Werken desselben Komponisten zur Oper zu verführen, das ist eine bemerkenswerte Leistung von Intendant Jürgen Flimm. Dass ihre Lulu kontroverser aufgenommen wurde, als der Wozzeck, liegt an der eigensinnigen Konsequenz dieser Regisseurin, die sich um die Erwartungshaltungen des Publikums weit weniger sorgt als um ihre künstlerische Glaubwürdigkeit! Die musikalische Qualität der Produktion steht hingegen außer Frage. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Licht
Video
Dramaturgie
Solisten
Lulu
Gräfin Geschwitz
Eine Theatergardrobiere
Der Maler / Ein Neger
Dr. Schön & Jack the Ripper
Alwa
Ein Athlet
Schigolch
Der Prinz / Ein Kammerdiener
Der Theaterdirektor
Der Medizinalrat
Doppelgängerin Lulus
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