Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Orpheus in der Unterwelt
(Orphée aux enfers)


Operette von Jacques Offenbach
Libretto von Nector Crémieux und Ludovic Halévy
Fassung von Christoph Israel und Thomas Pigor


In deutscher Sprache mit Übertiteln

Veranstaltungsdauer: ca. 2h 30' Std. (eine Pause)

Premiere an der Staatsoper Unter den Linden im Schillertheater am 16. Dezember 2011


Homepage

Staatsoper Berlin
(Homepage)
Schlittenfahren ohne Schnee

Von Roberto Becker / Fotos: Matthias Baus

Natürlich kann Kunst alles, wenn sie es kann. Und sie darf auch alles, wenn sie es will. Einer wie Frank Castorf etwa hat sich durchaus schon an Musiktheater-Klassikern wie der Fledermaus (in Hamburg) oder gar den Meistersingern (am eigenen Haus) vergriffen. Er hat sie nicht einfach nur gegen den Strich inszeniert, sondern gründlich durchgeschüttelt und dabei bis zur Kenntlichkeit entstellt. Bei einem opernkundigen und theateroffenen Publikum bleiben bei solchen Theater-Geländefahrten durch die Staubpisten der Wirklichkeit, oder Schlittenfahren ohne Schnee, zwar einige blaue Flecke zurück, aber auch etliche Einsichten und das pure Vergnügen an der Subversion. Was ja vor allem zu dem Stammkapital der Operette gehört, das auch heute noch satte Zinsen abwirft.

Vergrößerung in
neuem Fenster

Entführung: Pluto als Schäfer getarnt

Einer wie Christoph Marthaler ist der Spezialist für das pure Vergnügen an der subversiven Operette – seine Versionen vom Pariser Leben oder der Großherzogin von Gerolstein sind Beispiele dafür, wie man das Genre auch jenseits jeden Verdachts ein seniorenfreundlicher Kassenfüller zu sein, hintergründig zum Leuchten bringen kann. Was aber die Staatsoper unter dem Offenbach-Logo jetzt über die Bühne des Schillertheaters tingeln lässt, nimmt der Operette vor allem musikalisch den Wind aus den Segeln, geniert sich für das teuflisch zündende Beinewerfen des Cancan, und liefert ihn statt dessen nur als ein Rudern mit den Armen, die aus Löchern in bemalten Pappkulissen ragen. Da vertändelt sich die nette Idee mit den aufklappbaren Kleinbühnenbildern, von der Schäferhütte über die Höllengrotte bis zum Olymp, nicht nur gänzlich zur Kinderzimmerversion, sondern wird zur Kapitulation des Regisseurs vorm Genre.

Vergrößerung in
neuem Fenster

Bruchlandung auf dem Olymp

Man hat den Eindruck, als wollte Philipp Stölzl die gute alte Operette aus der Mottenkisten holen, textlich in Richtung Gegenwart aufmotzen und ihr mit einem Promiaufgebot von Schauspielern Beine machen, die sie dann dem vielbeschworenen jungen Publikum in die Arme treibt. Das funktioniert bei der öffentlichen Meinung, die hier in Gestalt von Cornelius Obonya männlich und partout auf einen Wertediskurs mit dem Publikum aus ist, noch halbwegs. Und wenn Stefan Kurt als Orpheus den Ich-will-sie-gar-nicht-wiederhaben-Italiener mit Geige gibt, dann macht er das in seiner Stilisierung in sich schlüssig und den schnarrenden Gesang erträglich. Oder wenn Hans Michael Rehberg als John Styx einen Hamlet-Prinzen aus Nord-Lappalien gibt, dann ist das sogar ein hinreißendes Kabinettstück. Doch schon der ziemlich alberne Comedy-Jupiter von Gustav Peter Wöhler, ob nun zu Fuß oder als Brummer in den Seilen schwebend, oder der aufgescheucht wuselnde Damenchor bremsen diesen Operettenklassiker auf Vorstadt-Bühnenniveau aus.

Vergrößerung in
neuem Fenster

Die Chefs unter sich: Jupiter und Pluto

Nicht nur, weil Evelin Novak als Eurydice die einzige professionelle Sängerin ist, gibt vor allem die musikalische Abmagerungskur, bei der in Christoph Israels Bearbeitung gerade mal eine 22köpfige, von Julien Salemkour dirigierte Orchesterbesetzung übrig bleibt, dem ganzen Abend den Rest. Mit Brummel, Schnarren, Sprechsingen und Schrammeln kann man sich als Sprechbühne durchaus an eine Operette heranpirschen. Aber wenn die Staatsoper das macht, dann landet sie fast zwangsläufig in einer Sackgasse.

Als dann Ben Becker vom inkognito Bioprodukte produzierenden Schäfer zu einem Pluto im, bildlich gesprochen, eindeutig zu groß geratenen klassischen Mephisto-Kostüm seinen so ungeliebten wie vergnügungssüchtigen Verwandtenbesuch samt Jupiter, Orpheus und öffentlicher Meinung wie ein Fremdenführer auf Thementour durch sein Reich führt, fehlt auch der Blick ins rot angeleuchtete Publikum nicht. Sie alle seien dazu verdammt, sich dieses Stück immer wieder anzusehen, heißt es da in Thomas Pigors zwischen Kaulauern und pointierter Vergegenwärtigung changierender Textversion. In den willigen Lachern, die es da gibt, schwingt natürlich das Bewusstsein mit, dass sich der Gott der Unterwelt da gewaltig irrt.

Vergrößerung in
neuem Fenster

Der Prinz von Nord-Lappalien

Der mittlerweile auch mit einer Handvoll Opern erfolgreiche Philipp Stölzl, die Schauspielerpromis auf Gesangsabwegen und der Restbestand von Staatsopernpersonal haben sich im Schillertheater für die Verführungskraft der musikalischen Reißer Offenbachs zu sehr geniert und sie zu verstecken versucht. Statt wie damals, im Frankreich vom 1858, das Publikum zu amüsieren und der Gesellschaft den Spiegel vor die Nase zu halten, haben sie sich im Seilgewirr ihrer Kindereien verheddert.

FAZIT

Philipp Stölzl landet mit seiner Staatsopern-Variante von Offenbachs Orpheus in der Unterwelt im Schillertheater szenisch und musikalisch auf dem Trocknen. Eine Konkurrenz zu Sebastian Baumgartens Weißem Rössl an der Komischen Oper ist das jedenfalls nicht. Am Ende reicht es nicht mal für Schadenfreude.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Julien Salemkour

Inszenierung
Philipp Stölzl

Co-Regie und Choreographie
Mara Kurotschka

Bühnenbild
Conrad Moritz Reinhardt
Philipp Stölzl

Kostüme
Ursula Kudrna

Licht
Olaf Freese

Chorleiter
Frank Flade

Arrangement
Christoph Israel
Ingo Ludwig Frenzel
Bernd Wefelmeyer

Dramaturgie
Jens Schroth


Chor der Staatsoper
Unter den Linden

Staatskapelle Berlin


Solisten

Eurydice
Evelin Novak

Öffentliche Meinung
Cornelius Obonya

Orpheus
Stefan Kurt

Pluto
Ben Becker

Jupiter
Gustav Peter Wöhler

John Styx
Hans-Michael Rehberg

Juno
Irene Rindje



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Unter den Linden Berlin
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2011 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -