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Pure Leidenschaft
Von Joachim Lange / Fotos stellt das Theater Basel uns leider nicht zur Verfügung
Wie für die Stiere in der Kampfarena, so ist Calixto Bieito für manchen Opernfreund ein rotes Tuch. Berserker, Blut- und Sperma-Regisseur diesen Ruf hatte der Katalane, spätestens nach einer Amoklauf-Entführung aus dem Serail in Berlin und dem Hannoveraner Trovatore, erst mal weg. Sicher schießt er mit seinen Mitteln mitunter übers Ziel hinaus. Manchmal kriegen die Werke, die er sich vornimmt, auch einen Spritzer zu viel ab. Dass sich Bieito jedoch, zumindest an deutschen Bühnen, aber auch daheim in Spanien oder in Holland und Belgien, nicht nur des Feuilletonzuspruchs, sondern längst auch einer Fangemeinde sicher sein kann, liegt nicht an der Lust an sich immer weiter überbietenden Skandalen. So was nutzt sich bekanntlich ziemlich schnell ab. Mag sein, dass er durch seine Schocker-Optik berühmt wurde, dauerhaft erfolgreich ist wegen etwas ganz anderem. Und das kann man jetzt am Beispiel seiner Carmen am Theater in Basel exemplarisch studieren. Seine Interpretation zeigt ihn nämlich als einen Meister des packenden Bühnenrealismus. Dabei versteckt er sich weder hinter folkloristischen Bühnenklischees, noch hinter übergestülpten Dramaturgen-Konzepten. Bieitos Carmen ist zwar eindeutig im spanischen Vorstadtmilieu von heute angesiedelt. Doch um das zu verdeutlichen, reichen sparsame Versatzstücke. Auf der kargen, unten schwarz und oben weiß ausgeschlagenen Bühne von Alfons Flores genügen ein Fahnenmast und eine Telefonzelle, etwas spanisches Fahnentuch, der Hut für den Torero und ein halbes Dutzend Rostlauben der Marke Benz für die Schmuggler. Der Clou ist ein riesiger Stier aus der Brandy-Werbung, die heuer von den Hügeln in der spanischen Landschaft grüßt und der mit großem Effekt umgeworfen und demontiert wird. Der Rest ist eine packende Imagination, die allein aus dem Spiel und der Musik erwächst. Dabei gibt es sogar Soldaten, Arbeiterinnen und Volk in geschlossener Formation mit Blick ins Publikum. Aber Rampe ist eben nicht gleich Rampe. So wie hier hinterm Absperrseil die Lebensfreude vor dem Stierkampf ausbricht und die Vitalität explodiert, hat man das selten erlebt. Das geht unmittelbar unter die Haut. Und weil sich Bieito ohne irgendwelche Brechungs-Umwege direkt von der von Gabriel Feltz mit dramatisch aufgerautem Furor mit dem Sinfonieorchester Basel beigesteuerten Musik tragen lässt, gelingen seinen durchweg überzeugenden Protagonisten glaubwürdige Rollenporträts, die selbstbewusst so etwas wie eine weiterexistierende Authentizität behaupten. Dabei ist das vokale Niveau in Basel durchweg höher als in der ja vergleichbaren Komischen Oper in Berlin, wo Sebastian Baumgarten gerade eine eher reflektierende Carmen-Version inszeniert hat. An der mezzosatten vokalen Verführungskraft, mit der Tanja Ariane Baumgartner zu ihrer Habanera in der Telefonzelle anhebt, ist ebenso wenig zu deuteln, wie am ausgelebten Selbstbewusstsein, mit dem sie sich in einer Macho-Welt, als Frau mit quasi männlicher Coolness behauptet. Bieito gesteht aber nicht nur Carmens Freundinnen das Recht auf Zurückgrabschen, sondern auch Micaëla (Svetlana Ignatovich) mehr zu, als nur das brave Mädchen vom Lande zu sein. Auch Will Hartmanns (konditionsstarker und emotionaler) Don José ist nicht nur der einsame Looser, sondern in seiner Leidenschaft erstaunlich nachvollziehbar. Überhaupt liegt die Überzeugungskraft dieser Inszenierung in ihrer Konzentration aufs Wesentliche, nämlich den singenden und spielenden Menschen. Und damit sieht seine (eigentlich schon über zehn Jahre alte) Inszenierung verdammt neu, unverbraucht und frisch aus.
Dass Koproduktionen oder Übernahmen von Inszenierungen angeblich Kosten sparen oder möglicherweise umfassender Vermarktung nützen, wird immer wieder behauptet. Selbst, wenn man es nicht gleich so weit treibt wie Leipzig, wo das Repertoire, nach und nach, mit alten Inszenierungen Peter Konwitschnys bestückt wird, ist diese Praxis längst zu einer Unsitte geworden. Dass es gleichwohl Sinn machen kann, die eine oder andere exemplarische Interpretation andernorts neu zu beleben, dafür ist diese wirkungsmächtige, aufs Wesentliche reduzierte Carmen in Basel ein sehr gutes Beispiel.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Mitarbeit Regie, Einstudierung
Chorleitung
Dramaturgie
Solisten
Don José
Escamillo
Remendado
Dancairo
Zuniga
Morales
Carmen
Michaela
Frasquita
Mercedes
Lillas Pastia
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