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Musiktheater
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Manon Lescaut

Lyrisches Drama in vier Akten
Text von Ruggero Leoncavallo, Marco Praga,
Domenico Oliva, Luigi Illica,
Giuseppe Giacosa, Giulio Ricordi,
Giuseppe Adami und Giacomo Puccini
nach der Histoire du Chevalier Des Grieux et de Manon Lescaut
des Abbé Prevost
Musik von Giacomo Puccini


in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Bonn am 25. September 2011
Besuchte Vorstellung: 30. September 2011


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Theater Bonn
(Homepage)

Gesellschaftskritik zu bemerkenswerten Pucciniklängen

Von Thomas Tillmann / Fotos von Thilo Beu


Natürlich verweigert Christine Mielitz den Zuschauerinnen und Zuschauern der Oper Bonn "das geschwätzige und geschminkte Milieu des Settecento" (Fraccaroli) bei ihrer Neuinszenierung der Manon Lescaut, sie lässt das Stück vor der geschäftigen Glitzerkulisse eines amerikanischen Spielerparadieses spielen, vor der sich amüsierwütige, sexualisierte, überdrehte Männer und Frauen einfinden und sich von Conférencier Edmond antreiben lassen.

Szenenfoto

Manon Lescaut (Galina Shesterneva) und Renato Des Grieux (Michael Ende) glauben der oberflächlichen Party- und Spielergesellschaft entfliehen zu können.

Manon Lescaut und Renato Des Grieux (anders als die anderen "Reisenden" mit schlichtem Rucksack respektive kleinem Trolley) wirken zunächst wie Fremdkörper mit ihrer Sehnsucht nach wahrer Liebe und echten Gefühlen, aber natürlich gehen sie unter in diesem Strudel. Im Zentrum des Bühnenbilds von Hartmut Schörgdorfer steht die Spitze einer riesigen Kugel (die Welt?), auf der eine Art Brücke installiert ist, die bald als Gangway, bald als Rampe fungiert und immer wieder in Bewegung ist. Und so kann man sehr augenfällig miterleben, wie in dieser Welt für Träume von echter Liebe und Reichtum kein Raum ist und diese zwangsläufig ins Leere führen. Statt des Boudoirs wird man Zeuge eines aufwändigen Fotoshoots, Manon posiert vor einer meterlangen Stoffbahn (Corinna Crome hat sich viel Mühe gegeben mit schicken, aufwändigen, zum Teil sehr verspielten Kostümen unserer Zeit, ich persönlich mochte das rot-blaue Ballonkleid für den zweiten Akt nicht, das sie in heruntergekommener Variante auch im dritten Akt trägt, aber das ist Geschmackssache) und wird von Fotografen und Kamerateams geradezu verfolgt. Wie gefährlich ihr Leben in dieser Szene und zwischen zwei Männern ist, wie einsam auch letztlich, unterstreicht ihre Auffahrt in luftige Höhen auf einer goldenen, mit Ballons verzierten Schaukel. Dass sich die Kugel teilen würde und das Paar sich am Ende in einer schwarzen Metallwüste wiederfinden würde, hatte man bereits geahnt, dank des hier besonders atmosphärischen Lichts von Max Karbe erinnert man sich aber dennoch an sehr starke Bilder. Natürlich stirbt Manon, aber Mielitz stellt eben auch die Frage, was aus Des Grieux wird, der bereits im dritten Akt eine Schnapsflasche bei sich hatte und nun vielleicht doch Gebrauch machen wird von der Waffe, die er im Schlussbild in den Händen hält. Jede Menge Kritik also an einer kapitalistisch dominierten Jetztzeit - das kann man mögen oder nicht, aber es funktioniert erstaunlich gut.

Szenenfoto

Model Manon (Galina Shesterneva) trifft ihren Bruder (Mark Morouse) in Gerontes Haus wieder.

Und doch: Bei allem technischen Aufwand, bei allem Respekt vor dem handwerklichen Können, dem Sinn für kraftvolle und auch sensible Bilder und Stimmungen, für ein klar erkennbares, nachvollziehbares (aber eben auch sehr plakatives) Konzept, für die überragenden Leistungen von Christine Mielitz in den vergangenen Jahrzehnten: Ein bisschen angestaubt und überholt wirkt diese Art von Regietheater inzwischen doch, man hat vieles davon einfach zu oft gesehen und weiß auch zu oft, wie es weitergeht, man wird nervös angesichts des Aktionismus dieser Erzählweise, die kaum Momente zum Durchatmen kennt, man wird ärgerlich angesichts des Umstands, dass das Bühnenpersonal selbst in den ariosen Passagen in höchsten Höhen oder auf unsicherem Grund agieren oder etwa Manon in "Sola, perduta, abandonata" von der Kugel rutschen muss, ich persönlich mag es auch überhaupt nicht, wenn durchsichtige, mit Projektionen belegte Vorhänge erst in der Mitte eines Aktes verschwinden. Und dann werden zweieinhalb Stunden lang (für einige Zuschauer wohl besonders, weil auch noch die Übertitelung bereits im ersten Teil des Abends den Geist aufgab), auch wenn die musikalische Seite des Abends hervorragend ausfiel.

Szenenfoto

Manon (Galina Shesterneva) steht im Zentrum der bunt glitzernden Modelwelt, die Geronte (Kurt Guysen) für sie finanziert.

Das liegt zuallererst an der wirklich tadellosen, beglückenden Leistung von Galina Shesterneva, die als Gast vom Nationaltheater Mannheim (wo ich sie in vielen Rollen des dramatischen Sopranfachs erleben konnte und wo sie allein in dieser Spielzeit als Ballo-Amelia, Lady Macbeth, Gioconda, Butterfly, Tosca und Turandot zu erleben sein wird) die Titelpartie kreierte. Die Russin hat eben auch in der Tiefe und in der Mittellage genügend Fundament und Kraft, um Puccinis Heroine gerecht werden zu können, die gern zu leicht besetzt wird, ihre dynamische Bandbreite und ihre Farbpalette sind reich, sie hat ganz offenbar auch lange über den Text nachgedacht und weiß diesen entsprechend nuancenreich zu präsentieren, und elektrisierende, runde Spitzentöne hat sie auch zu bieten. Und sie scheint eine großherzige Person zu sein: Manche Kollegin hätte vermutlich gestreikt, über so lange Zeit in akustisch ungünstigen Positionen im hinteren Teil der Bühne zu singen.

Szenenfoto

Allein, verloren und verlassen findet sich Manon (Galina Shesterneva) in einer Wüste wieder.

Einen exzellenten Eindruck hinterließ auch Michael Ende, der in Bonn auch als Fritz in Der ferne Klang gastiert, als leidenschaftlicher Des Grieux, der im ersten Akt noch einige Nervosität zu überwinden hatte, aber neben dem dunklen Material, viel Herzblut und bemerkenswerter Italianità bereits viel Gespür für leisere Zwischentöne, eine raffinierte messa di voce, aber leider auch einen S-Fehler hören ließ, der mich auf Dauer doch etwas irritierte. Und doch bewunderte man seine Kraftreserven, sein stetes Sichsteigern von Akt zu Akt, eine gute Wahl auch er also.

Szenenfoto

Manon (Galina Shesterneva) ist tot, Des Grieux (Michael Ende) spielt mit dem Gedanken, ebenfalls aus dem Leben zu scheiden.

Mark Morouse war mit virilem Ton und kräftiger Mittellage ein adäquater, expressiver, aber nicht zu Begeisterungsstürmen hinreißender Lescaut, Kurt Gysen erwies sich als keineswegs greiser Geronte mit markantem, vitalem Bass als echter Konkurrent Des Grieux' um die Gunst Manons. Tansel Akzeybek dominierte als Edmond den Beginn des ersten Aktes und ließ mit seinem hellen, flinken, höhenstarken Tenor auch vokal aufhorchen. Etwas mehr Ausstrahlung hätte Kathrin Leidigs Musiker nicht geschadet - hier natürlich in weißem Frack als Revuegirl aktiv -, Johannes Marx war ein diskreter Wirt, Aram Mikayelyan ein ebensolcher Ballettmeister, Josef Michael Linnek ein Lampenanzünder mit denkbar unattraktivem Timbre; Egbert Herold und Sven Bakin ergänzten das Ensenble als See-Kapitän und Sergeant. Es ist kein geringes Kompliment, wenn ich festhalte, dass der von Sibylle Wagner betreute Chor trotz mancher darstellerischer und auch tänzerischer Aufgabe (Choreografie: Bärbel Stenzenberger) sehr zuverlässig sang, das erlebt man häufig anders.

Nur Gutes hatte man nach der Premiere über die Leistung des Beethoven Orchester Bonn gehört, das unter Stefan Bluniers gleichermaßen umsichtiger wie mitreißender Leistung wirklich einen exzellenten Puccini spielte und dabei jedes unangenehme Extrem vermied, stattdessen auf moderate Kontraste und kontrollierte Ekstase setzte, und so geriet das Intermezzo eben wegen der Dezenz der Ausführung zu einem wohltuenden lyrischen Ruhepunkt zu Beginn des zweiten Teils.


FAZIT

Angesichts einer solch begeisternden Leistung am Spielzeitbeginn sollten sich verwirrte Lokalpolitiker hüten, öffentlich weiterhin über eine Schließung dieses Opernhauses nachzudenken, das die größeren Institute in der Umgebung nicht zum ersten Mal auf die Plätze verweist.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Stefan Blunier

Inszenierung
Christine Mielitz

Bühne
Hartmut Schörghofer

Kostüme
Corinna Crome

Licht
Max Karbe

Video
Thomas Zengerle

Choreographie
Bärbel Stenzenberger

Choreinstudierung
Sibylle Wagner

Dramaturgie
Ulrike Schumann


Chor des Theater Bonn
Statisterie des Theater Bonn
Beethoven Orchester Bonn


Solisten

Manon Lescaut
Galina Shesterneva

Lescaut, Sergeant
Mark Morouse

Renato Des Grieux
Michael Ende

Geronte de Ravoir
Kurt Gysen

Edmond
Tansel Akzeybek

Der Wirt
Johannes Marx

Ein Musiker
Kathrin Leidig

Ein Ballettmeister
Aram Mikayelyan

Ein Lampenanzünder
Josef Michael Linnek

Ein See-Kapitän
Egbert Herold

Ein Sergeant
Sven Bakin



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