Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
Aufführungsdauer: ca. 2 h 30' (eine
Pause) Premiere auf dem Burgplatz in Braunschweig am 20.
August
2011 Turandot (Irina Rindzuner)
Ein ebenso ästhetischer
wie unnötiger Pas de deux
verkündet
die Ankunft der Prinzessin. Der dämlich grinsende persische Prinz
im Samtsakko mit
übermäßig üppigem Halsschmuck besteigt den Tisch
des Kaisers zu seiner
Hinrichtung. Turandot selbst schwingt das Schwert, bleibt aber am Hals
des
Prinzen stehen (vielleicht kommt sie nicht durch den Gold- und
Perlenschmuck
hindurch) und – das konnte ich von meinem Platz aus nicht sehen –
küsst den
Verurteilten? So wäre das noch dämlichere Grinsen zu
erklären, mit dem er dann
vom Tisch hinabsteigt, nach hinten geht und von Parteimitgliedern
fortgejagt
wird. Während die Konferenzteilnehmer aus der Pause kommen,
schlägt Calaf den Gong und erklärt sich damit zum
nächsten Anwärter um Turandots Hand, der sich den
Rätseln der rachedürstigen Prinzessin stellen will.
Liù sinkt effektvoll ohnmächtig zu Boden. Die Minister
Ping, Pang und Pong erscheinen
mit angedeuteten
Hasenmasken und singen von einem Leben in Frieden auf dem Lande, fern
von den
Schrecken und der Niedertracht des von Turandots Manie beherrschten
Hofes. Doch
dazu lassen sie sich von Liù mit einem Tabledance unterhalten
und deuten
anschließend an, dass sie sie auch weitergehend sexuell
missbrauchen. Die acht Weisen halten die
Lösungen der Rätsel in
Metallkoffern verschlossen. Zum Lösen der Rätsel sitzt Calaf
am Tisch des Kaisers, der
hier ein Kabinettstückchen allererster Güte zeigt. Nach dem
ersten Rätsel
deutet sich im ansonsten so versteinerten Gesicht des von der
eigensinnigen
Tochter Geplagten ein verschämtes Lächeln an, das aber
sogleich wieder
kontrolliert wird. Nach dem zweiten Rätsel steigert sich das und
die Lösung des
dritten Rätsels lässt ihn sich beruhigt zurücklehnen und
seine Gesichtszüge
entspannen sich. Die Abgeordneten jubeln, indem sie ihre
Parteitagsunterlagen wie einen Papierregen durch die Luft wirbeln
lassen. Calaf
steht hinter dem Kaiser, der sich inzwischen erhoben hat und bewegt
seine Hand
langsam auf dessen Hals zu. Das Attentat wird verhindert, indem der
Kaiser sich
hinsetzt. Sind Calafs Beweggründe in Wirklichkeit politisch und
nicht liebesleidenschaftlich? Turandot
(Irina Rindzuner), Liù (Jung Nan Yoon), Zum „Nessun dorma“ wird Calaf – nun im
schwarzen Glanzanzug
mit roter Krawatte samt Einstecktuch – durch einen sechsfachen
Tabledance
animiert. Ping, Pang und Pong versuchen, ihm mit halbnackten
Mädchen und Geld
seinen Namen zu entlocken. Timur wird brutal zusammengeschlagen und
Liù
entzieht sich der Folter nicht durch einfachen Selbstmord, sondern
indem sie
sich in das Messer aus ihrem Dutt stürzt, das sie Turandot zuvor
in die Hand
gelegt hat. Sie bleibt aber nicht passiv, sondern stößt
ihrerseits zu. Denn SIE
bestimmt, wo es langgeht! Mitleidsvoll, mit traurigen Augen, kniet der
Kaiser am
Boden und hält die tote Liù in den Armen, bevor die Leiche
von Timur
orientierungslos auf dem Servierwagen zwischen den Tischen
umhergefahren wird. Der Regisseur
betont einerseits den
politischen Aspekt,
verschreibt sich aber mit der Personenregie ganz und gar der
Künstlichkeit des
Theaters mit nur ganz wenigen natürlich anmutenden Augenblicken,
wie z. B. die
oben beschriebene Szene des Kaisers bei der Rätselszene und – und
das ganz
außerordentlich intensiv – bei der Charakterisierung der
Liù. Auch wenn Turandot
nicht gerade die tiefsinnigste Oper der Welt ist, so ist sie doch ein
Märchen,
das eine Geschichte mit Hintergründen erzählt. Welch
Schrecken bleibt, wenn die
das Rätsel nicht lösenden Prinzen strafgeküßt und
nicht geköpft werden? Welche
Sehnsucht und Zerrissenheit zwischen Pflicht und Gefühl bleibt bei
den drei
Ministern, wenn sie von Frieden und Häuslichkeit singen und sich
dabei von Liù
sexuell reizen lassen? Welche Emotionalität bleibt, wenn Calaf
beim „non piangere, Liù“ -
vielleicht die intimste, innigste Szene der
ganzen Oper - die Angesungene nicht ein
einziges Mal anschaut? Wie erklärt sich eine alles beherrschende,
rachesüchtige
Prinzessin in einer Volksrepublik? ‚Es war einmal ein Prinz auf einem
kommunistischen Parteitag im roten China…’ funktioniert als
Märchen nicht
wirklich. Dennoch wirkt
das Regiekonzept in seiner
Gesamtheit in
sich schlüssig und nachvollziehbar. Man darf nur nicht tiefer
unter die
Oberfläche blicken. Es gelingen viele eindrucksvolle Momente und
wenige
fragliche, von denen aber keiner so Effekt heischend platt ist wie das
Schlussbild. Dennoch macht auch das Eindruck und wer die Oper nicht
näher
kennt, wird nett unterhalten. Arthur Shen
beeindruckt als Calaf mit
enormer Stimmkraft. Er
hat außerordentlich viel Glanz in der Stimme und atemberaubende
Strahlkraft in
den Spitzentönen. Von der Regie entsprechend gezeichnet, singt er
die Partie
jedoch in einem Dauerforte, das lyrische Passagen oder ein Piano
vermissen
lässt. Sein fulminantes „Nessun dorma“ war Spitzenklasse. Irina Rindzuner spielt und singt rollenadäquat
eine zickige,
kalte, emotionsarme Turandot. Die Stimme klingt oft angestrengt und
für die
satten und großen Klänge wünscht man sich mehr
Substanz. Besonders die
Spitzentöne werden von einem ausufernden Vibrato beherrscht.
Selçuk Hakan Tiraşoğlu klingt als Timur ebenso eindrucksvoll
wie Orhan Yildiz als Mandarin. Anatoli Golev hat als Kaiser Altoum die
kleinste
Gesangspartie, aber als Darsteller die größte
Bühnenpräsenz. Mit einer
Bewegung, einem Blick fasziniert und fesselt er – eine grandiose
schauspielerische Leistung. Malte Roesner, Tobias Haaks und Steffen
Doberauer
sind als Ping, Pang und Pong ein harmonisches Ministerterzett. Die größten Glücksmomente
des Abends sind aber Jung Nan Yoon
zu danken. Mit einer bis ins feinste Detail ausgefeilten Stimmtechnik
gestaltet
sie farben- und facettenreich die Partie der Liù. Mit
Klängen von schönster
Reinheit und Klarheit, zart, lieblich, dabei ausdrucksstark seelenvoll,
mit wundervollen
Piani beglückt sie das Ohr und berührt die Seele. Eine
hinreißende Liù, die
keine Wünsche offen lässt. Braunschweigs GMD Alexander Joel leitet das
gut
disponierte
Staatsorchester mit der nötigen Souveränität, die eine
Open-Air-Vorstellung verlangt. Georg Menskes und Tadeusz Nowakowski
haben Chor, Extrachor und
Kinderchor des Staatstheaters ausgesprochen gut auf ihre umfangreiche
Aufgabe
vorbereitet. Musikalische
Leitung
Inszenierung
Bühnenbild Kostüme Dramaturgie
Altoum Timur Calaf Liù Ping Pang Pong Mandarin Weitere
Informationen
Turandot
Lyrisches Drama in drei
Akten und fünf Bildern
von Giuseppe Adami und Renato Simoni
Musik von Giacomo Puccini
Finale rekonstruiert von Franco Alfano
in italienischer Sprache
Staatstheater Braunschweig
(Homepage)
Es war
einmal
im roten China...
Von Bernd
Stopka / Fotos Karl-Bernd Karwasz
Ping (Malte Roesner), Pang (Tobias
Haaks),
Pong (Steffen Doberauer), Liù (Jung Nan Yooner)
Pang (Tobias Haaks)
Abgeordnete (Chor)
Altoum (Anatoli Golev), Calaf (Arthur Shen)
Pang (Tobias Haaks), Liù (Jung Nan Yoon), Calaf
(Arthur Shen),
Timur (Selcuk Hakan Tiraşoğlu)
FAZIT
Ein überwiegend schlüssiges Regiekonzept, das durch die
intensive Teilbeleuchtung des politischen Aspekts einen großen
Teil der
Emotionalität auf der Strecke bleiben lässt. Arthur Shen ist
ein kraftvoll
strahlender Calaf, Jung Nan Yoon eine hinreißende Liù.
Ihre
Meinung
?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
Produktionsteam
Alexander Joel
Robert Lehmeier
Tom Musch
Ingeborg Bernerth
Georg Menskes
Kinderchor
Tadeusz Nowakowski
Daniela Brendel
Staatsorchester Braunschweig
Chor, Extrachor
und Kinderchor des
Staatstheaters Braunschweig
Statisterie des
Staatstheaters Braunschweig
Solisten
Turandot
Irina Rindzuner
Anatoli Golev
Selçuk
Hakan
Tiraşoğlu
Arthur Shen
Jung Nan Yoon
Malte Roesner
Tobias Haaks
Steffen Doberauer
Orhan Yildiz
Daniela Indrizzi
Kamil Warchulski
erhalten Sie vom
Staatstheater
Braunschweig
(Homepage)
© 2011 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de
- Fine -