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Musiktheater
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Turandot

Lyrisches Drama in drei Akten und fünf Bildern
von Giuseppe Adami und Renato Simoni
Musik von Giacomo Puccini
Finale rekonstruiert von Franco Alfano

in italienischer Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2 h 30' (eine Pause)

Premiere auf dem Burgplatz in Braunschweig am 20. August 2011

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Staatstheater Braunschweig
(Homepage)

Es war einmal im roten China...

Von Bernd Stopka / Fotos Karl-Bernd Karwasz

Wie jeden Sommer seit 2001 zeigt das Staatstheater Braunschweig in einer eigens errichteten Arena auf dem Burgplatz eine Opernproduktion. Auch wer Open-Air-Veranstaltungen skeptisch gegenübersteht, ist immer wieder beeindruckt von der besonderen Atmosphäre und der exzellenten Beschallungsanlage. In diesem Jahr zeigt man Giacomo Puccinis märchenhafte Turandot, die Regisseur Robert Lehmeier im Bühnenbild von Tom Musch und mit den Kostümen von Ingeborg Bernerth ins rote China verlegt hat und so vor allem eine politische Geschichte erzählt.

Vergrößerung in neuem Fenster Abgeordnete des Parteitages (Chor)
 
Auf knallrotem Bodenbelag stehen acht runde Konferenztische mit Telefon, Mikrofonen und Tee- oder Kaffeebechern. Der Braunschweiger Löwe hat zwei Junge bekommen, die von den Seiten einer Empore, welche um das Standbild herumgebaut ist, den Parteitag im Besonderen bewachen, während das Elterntier, in die entgegengesetzte Richtung blickend, das Reich der Mitte im Allgemeinen im Blick behält. Vor dem Sockel hängt der Gong, im Hintergrund ein übergroßes Portrait des Kaisers Altoum aus seinen jüngeren Jahren. Der sitzt daselbst an einem eigenen Tisch: erhaben, elegant, ganz in schwarz gekleidet, mit Gehstock und versteinerter Miene. Die Parteimitglieder tragen Einheitskleidung: graue, schlecht sitzende Filzanzüge, weiße Hemden und Handschuhe, rote Krawatten, schwarze Hornbrillen und schwarze Mao-/Altoum-Frisuren. Auch ihre Gestik und Mimik ist überwiegend konform und wenig individuell. Aus irgendeinem Grund zieht sich jeweils einer am Tisch pinkfarbene Gummihandschuhe an. Sie wühlen in ihren Unterlagen, beraten, entscheiden einstimmig und applaudieren sich gegenseitig zu, wie man es von kommunistischen Parteitagen aus der Vergangenheit kennt.


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Turandot (Irina Rindzuner)

Allerdings haben sie ein Sicherheitsproblem, das so gar nicht in diese Strukturen passen will. Wie kann es sein, das ein fremder Mann im Dinner-Jacket (er sieht aus wie ein Rex-Gildo-Verschnitt) sich frei zwischen den Tischen bewegen kann?  Schlüssiger wäre es, wenn Calaf ein Kellner wäre, der sich dann als Prinz offenbart. Auch das Wiedertreffen mit seinem Vater Timur, der hier der mobilitätseingeschränkte Oberkellner ist, wäre dann logisch erklärt. Liù gehört zur Gruppe der Bedienungen, die immer wieder Tee nachgießen. Sie tragen einheitlich schwarze Röcke, rote Blazer und Messer im Haarknoten.

Ein ebenso ästhetischer wie unnötiger Pas de deux verkündet die Ankunft der Prinzessin. Der dämlich grinsende persische Prinz im Samtsakko mit übermäßig üppigem Halsschmuck besteigt den Tisch des Kaisers zu seiner Hinrichtung. Turandot selbst schwingt das Schwert, bleibt aber am Hals des Prinzen stehen (vielleicht kommt sie nicht durch den Gold- und Perlenschmuck hindurch) und – das konnte ich von meinem Platz aus nicht sehen – küsst den Verurteilten? So wäre das noch dämlichere Grinsen zu erklären, mit dem er dann vom Tisch hinabsteigt, nach hinten geht und von Parteimitgliedern fortgejagt wird. Während die Konferenzteilnehmer aus der Pause kommen, schlägt Calaf den Gong und erklärt sich damit zum nächsten Anwärter um Turandots Hand, der sich den Rätseln der rachedürstigen Prinzessin stellen will. Liù sinkt effektvoll ohnmächtig zu Boden.


Vergrößerung in neuem Fenster Ping (Malte Roesner), Pang (Tobias Haaks),
Pong (Steffen Doberauer), Liù (Jung Nan Yooner)

Die Minister Ping, Pang und Pong erscheinen mit angedeuteten Hasenmasken und singen von einem Leben in Frieden auf dem Lande, fern von den Schrecken und der Niedertracht des von Turandots Manie beherrschten Hofes. Doch dazu lassen sie sich von Liù mit einem Tabledance unterhalten und deuten anschließend an, dass sie sie auch weitergehend sexuell missbrauchen.

Die acht Weisen halten die Lösungen der Rätsel in Metallkoffern verschlossen. Zum Lösen der Rätsel sitzt Calaf am Tisch des Kaisers, der hier ein Kabinettstückchen allererster Güte zeigt. Nach dem ersten Rätsel deutet sich im ansonsten so versteinerten Gesicht des von der eigensinnigen Tochter Geplagten ein verschämtes Lächeln an, das aber sogleich wieder kontrolliert wird. Nach dem zweiten Rätsel steigert sich das und die Lösung des dritten Rätsels lässt ihn sich beruhigt zurücklehnen und seine Gesichtszüge entspannen sich. Die Abgeordneten jubeln, indem sie ihre Parteitagsunterlagen wie einen Papierregen durch die Luft wirbeln lassen. Calaf steht hinter dem Kaiser, der sich inzwischen erhoben hat und bewegt seine Hand langsam auf dessen Hals zu. Das Attentat wird verhindert, indem der Kaiser sich hinsetzt. Sind Calafs Beweggründe in Wirklichkeit politisch und nicht liebesleidenschaftlich?

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Turandot (Irina Rindzuner), Liù (Jung Nan Yoon),
Pang (Tobias Haaks)

Zum „Nessun dorma“ wird Calaf – nun im schwarzen Glanzanzug mit roter Krawatte samt Einstecktuch – durch einen sechsfachen Tabledance animiert. Ping, Pang und Pong versuchen, ihm mit halbnackten Mädchen und Geld seinen Namen zu entlocken. Timur wird brutal zusammengeschlagen und Liù entzieht sich der Folter nicht durch einfachen Selbstmord, sondern indem sie sich in das Messer aus ihrem Dutt stürzt, das sie Turandot zuvor in die Hand gelegt hat. Sie bleibt aber nicht passiv, sondern stößt ihrerseits zu. Denn SIE bestimmt, wo es langgeht! Mitleidsvoll, mit traurigen Augen, kniet der Kaiser am Boden und hält die tote Liù in den Armen, bevor die Leiche von Timur orientierungslos auf dem Servierwagen zwischen den Tischen umhergefahren wird.

Nachdem Calaf Turandot selbst seinen Namen verraten hat, kniet er wie zuvor der persische Prinz auf dem Tisch und erwartet Turandots Entscheidung. Doch dann springt er vom Tisch und verschwindet. Als Turandot verkündet, dass Calaf ihr Gemahl wird, schaut sie vergeblich nach ihm aus. Das Kaiserbild im Hintergrund sinkt zusammen und man sieht Calaf auf der Hebebühne eines roten Baggers (der jedem Fafner im Siegfried Ehre machen würde) emporfahren und wie Jung-Siegfried das Schwert präsentieren, das Turandots Markenzeichen war.


Vergrößerung in neuem FensterTurandot (Irina Rindzuner), Calaf (Arthur Shen),
Abgeordnete (Chor)

Der Regisseur betont einerseits den politischen Aspekt, verschreibt sich aber mit der Personenregie ganz und gar der Künstlichkeit des Theaters mit nur ganz wenigen natürlich anmutenden Augenblicken, wie z. B. die oben beschriebene Szene des Kaisers bei der Rätselszene und – und das ganz außerordentlich intensiv – bei der Charakterisierung der Liù. Auch wenn Turandot nicht gerade die tiefsinnigste Oper der Welt ist, so ist sie doch ein Märchen, das eine Geschichte mit Hintergründen erzählt. Welch Schrecken bleibt, wenn die das Rätsel nicht lösenden Prinzen strafgeküßt und nicht geköpft werden? Welche Sehnsucht und Zerrissenheit zwischen Pflicht und Gefühl bleibt bei den drei Ministern, wenn sie von Frieden und Häuslichkeit singen und sich dabei von Liù sexuell reizen lassen? Welche Emotionalität bleibt, wenn Calaf beim „non piangere, Liù“  - vielleicht die intimste, innigste Szene der ganzen Oper -  die Angesungene nicht ein einziges Mal anschaut? Wie erklärt sich eine alles beherrschende, rachesüchtige Prinzessin in einer Volksrepublik? ‚Es war einmal ein Prinz auf einem kommunistischen Parteitag im roten China…’ funktioniert als Märchen nicht wirklich.

Dennoch wirkt das Regiekonzept in seiner Gesamtheit in sich schlüssig und nachvollziehbar. Man darf nur nicht tiefer unter die Oberfläche blicken. Es gelingen viele eindrucksvolle Momente und wenige fragliche, von denen aber keiner so Effekt heischend platt ist wie das Schlussbild. Dennoch macht auch das Eindruck und wer die Oper nicht näher kennt, wird nett unterhalten.


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Pong (Stefen Doberauer), Ping (Malte Roesner), Pang (Tobias Haaks),
Altoum (Anatoli Golev), Calaf (Arthur Shen)

Arthur Shen beeindruckt als Calaf mit enormer Stimmkraft. Er hat außerordentlich viel Glanz in der Stimme und atemberaubende Strahlkraft in den Spitzentönen. Von der Regie entsprechend gezeichnet, singt er die Partie jedoch in einem Dauerforte, das lyrische Passagen oder ein Piano vermissen lässt. Sein fulminantes „Nessun dorma“ war Spitzenklasse. Irina Rindzuner spielt und singt rollenadäquat eine zickige, kalte, emotionsarme Turandot. Die Stimme klingt oft angestrengt und für die satten und großen Klänge wünscht man sich mehr Substanz. Besonders die Spitzentöne werden von einem ausufernden Vibrato beherrscht. Selçuk Hakan Tiraşoğlu klingt als Timur ebenso eindrucksvoll wie Orhan Yildiz als Mandarin. Anatoli Golev hat als Kaiser Altoum die kleinste Gesangspartie, aber als Darsteller die größte Bühnenpräsenz. Mit einer Bewegung, einem Blick fasziniert und fesselt er – eine grandiose schauspielerische Leistung. Malte Roesner, Tobias Haaks und Steffen Doberauer sind als Ping, Pang und Pong ein harmonisches Ministerterzett.


Vergrößerung in neuem FensterPang (Tobias Haaks), Liù (Jung Nan Yoon), Calaf (Arthur Shen),
Timur (Selcuk Hakan Tiraşoğlu)

Die größten Glücksmomente des Abends sind aber Jung Nan Yoon zu danken. Mit einer bis ins feinste Detail ausgefeilten Stimmtechnik gestaltet sie farben- und facettenreich die Partie der Liù. Mit Klängen von schönster Reinheit und Klarheit, zart, lieblich, dabei ausdrucksstark seelenvoll, mit wundervollen Piani beglückt sie das Ohr und berührt die Seele. Eine hinreißende Liù, die keine Wünsche offen lässt.

Braunschweigs GMD Alexander Joel leitet das gut disponierte Staatsorchester mit der nötigen Souveränität, die eine Open-Air-Vorstellung verlangt. Georg Menskes und Tadeusz Nowakowski haben Chor, Extrachor und Kinderchor des Staatstheaters ausgesprochen gut auf ihre umfangreiche Aufgabe vorbereitet.

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FAZIT


Ein überwiegend schlüssiges Regiekonzept, das durch die intensive Teilbeleuchtung des politischen Aspekts einen großen Teil der Emotionalität auf der Strecke bleiben lässt. Arthur Shen ist ein kraftvoll strahlender Calaf, Jung Nan Yoon eine hinreißende Liù.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Alexander Joel

Inszenierung
Robert Lehmeier

Bühnenbild
Tom Musch

Kostüme
Ingeborg Bernerth

Chor
Georg Menskes

Kinderchor
Tadeusz Nowakowski

Dramaturgie
Daniela Brendel


Staatsorchester Braunschweig

Chor, Extrachor
und Kinderchor des
Staatstheaters Braunschweig

Statisterie des
Staatstheaters Braunschweig


Solisten


Turandot
Irina Rindzuner

Altoum
Anatoli Golev

Timur
Selçuk Hakan Tiraşoğlu

Calaf
Arthur Shen

Liù
Jung Nan Yoon

Ping
Malte Roesner

Pang
Tobias Haaks

Pong
Steffen Doberauer

Mandarin
Orhan Yildiz

Tänzer
Daniela Indrizzi
Kamil Warchulski

Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Braunschweig
(Homepage)




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