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Studien zum menschlichen Paarungsverhalten
Von Stefan Schmöe / Fotos von Hans-Jörg Michel
Rosina ist ein hübscher Schmetterling, im Netz der Spinne Bartolo gefangen und umschwirrt von der liebestollen Hummel Almaviva, während Schmeißfliege Figaro aufgeregt um alle und alles herumflattert. Claus Guth hat Rossinis Barbier von Sevilla in das Insektenreich versetzt, und das schon vor einigen Jahren: 2005 erlebte die Produktion am Theater Basel ihre erfolgreiche Premiere (unser Bericht) und war auch am Münchner Gärtnerplatztheater zu sehen. Jetzt krabbeln die possierlichen Tierchen also über die Düsseldorfer Bühne. Ganz so kindergeburtstagsmäßig harmlos, wie das auf den ersten Blick aussieht, ist die Sache allerdings nicht. Dicker Brummer: Graf Almaviva (hier: José Manuel Zapata) und Herrenchor
Guth und sein Bühnenbildner Christian Schmidt wollen das Stück keineswegs verniedlichen, sondern das archetypische Moment daran verdeutlichen: Eine Frau zwischen zwei um sie balzenden Männern, von denen jeder auf seine Art unmöglich ist da geht es nicht um individuelle Befindlichkeiten, sondern nicht ohne ein gewissen Maß an Zynismus um wiederkehrend beobachtbare Mechanismen, wie sie in der commedia dell'arte typisch sind. Rossini unterwirft das seiner virtuos schnurrenden Opernautomatik unter Verzicht auf eine genauere Psychologisierung. Die Übertragung ins Tierreich treibt die Typisierung der Figuren nur konsequent auf die Spitze, ändert sie aber nicht. Allerdings fehlt dieser Düsseldorfer Wiederaufnahme ein wenig der Feinschliff; allzu oft wiederholen sich die Bewegungsabläufe, manches wirkt redundant. So ganz problemlos scheinen sich die klugen, deshalb aber auch alles andere als einfachen Regiearbeiten Guths wohl nicht übertragen zu lassen (das war auch beim aus Zürich übernommenen Tristan zu bemerken). Schöner Schmetterling und listige Fliege: Rosina (Lena Belkina) und Figaro (Dmitri Vargin)
Bezeichnenderweise nimmt der Abend dann an Fahrt auf, wenn im zweiten Akt die Insektenkostüme abgelegt sind und die Darsteller konventionell, wenn auch deutlich überzeichnet agieren. Natürlich kalkuliert Guth darauf, dass man die Insektensphäre weiter mitdenkt, und das funktioniert auch wie gewünscht. Die Personen agieren dabei auf einer Art Versuchstisch, und wie vorher die Tiere untersucht wurden, so ist jetzt menschliches Paarungsverhalten unmittelbar Gegenstand einer wissenschaftlichen Betrachtung. Das ist amüsant und aufschlussreich, und insofern ist die Wiederbelebung dieser Inszenierung keine schlechte Idee. (Warum aber verschweigt das Programmheft konsequent, dass es sich gar nicht um eine Neuinszenierung handelt?) Wer geht da wem ins Netz? Figaro (Dmitri Vargin), Graf Almaviva (hier: José Manuel Zapata), Bartolo (Bruno Balmelli), Berta (Romana Noack) und Don Basilio (hier: Sami Luttinen)
In der hier besprochenen Vorstellung passt die Sängerbesetzung optisch wie musikalisch ganz hervorragend (Ob das wohl immer so ist? Die Partien sind drei-, vier- oder fünffach besetzt). Lena Belkina ist eine juge und sehr attraktive Rosina mit einer beweglichen, dabei aber vollen und warm timbrierten Stimme, die (nach anfänglichen Schärfen in der Mittellage) immer freier wird. Dmitri Vargin gibt einen agilen und (auch stimmlich) kraftvollen Figaro, optisch ein schmieriger Typ mit teilblondierten Haaren, vokal überaus präsent und mit vielen ironischen Brechungen. Bruno Balmellis Bartolo hat manche rhythmischen Unschärfen und der Text ist hier und da geschickt vernuschelt, um im Parlando in der Spur zu bleiben, die Figur hat aber klare (nicht nur komödiantische) Konturen. Sehr leicht ist der nicht unangenehme und recht koloratursichere Tenor von Jörg Schneider in der Partie des Almaviva, was gerade in dieser überzeichnenden Inszenierung passend ist. Adam Palka ist ein Musiklehrer Basilio mit klar gefasster Riesenstimme, mit Romana Noack ist das Dienstmädchen Berta hochkarätig besetzt. Der Herrenchor singt passabel, die von der Regie vorgeschriebene gelegentliche Verwendung von Tröten und Kindertrommeln erscheint entbehrlich. Bartolo (Bruno Balmelli), Rosina (Lena Belkina), Graf Almaviva (hier: José Manuel Zapata), Figaro (Dmitri Vargin)
Eine Zuspitzung wie in der Regie ist in der musikalischen Umsetzung nicht zu beobachten, vielmehr setzt GMD Axel Kober auf die Zwischentöne, kosten zwar den Funken sprühenden Witz der Partitur aus, behält aber auch den schönen Klang bei. Ihm gelingt eine sehr feine, nuancierte Interpretation, die den Figuren mehr Gefühle und Zwischenwerte zugesteht als die Inszenierung. Die Klangbalance zwischen den Instrumentengruppen im ganz neu sanierten (und akustisch nachgerüsteten) Orchestergraben und auch zwischen Graben und Bühne ist ausgezeichnet. Die Düsseldorfer Symphoniker spielen sehr ordentlich, auch wenn in den schnellen Noten die allerletzte Präzision und damit auch Schärfe fehlt.
Musikalisch gelingt der Rheinoper ein sehr ansprechender Abend. Die aus Basel übernommene Inszenierung von Claus Guth hat bei ihrer klammheimlichen Verfrachtung rheinabwärts zwar an Vitalität eingebüßt, ist des raffinierten Konzepts wegen trotzdem nicht uninteressant. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild und Kostüme
Licht
Video
Spielleitung
Chor
Dramaturgie
Solisten
Graf Almaviva
Figaro
Bartolo
Rosina
Don Basilio
Fiorillo
Berta
Ein Offizier
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