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Operette im großen FormatVon Stefan Schmöe / Fotos von Björn Hickmann / Stage PicturesMan nehme ein gut aufgelegtes und spielfreudiges Ensemble, stecke es in ansehnliche Kostüme und stelle es in opulentes Bühnenbild - und vertraue dann auf die Wirkung des Stücks: So leicht kann Operette sein. Stimmt natürlich nicht, denn was so leicht aussieht, muss zuvor hart erarbeitet werden. Was den Charme der Dortmunder Neuinszenierung von Lehárs Lustiger Witwe ausmacht, ist neben den genannten Elementen die Fähigkeit, Sänger und Tänzer bühnenwirksam auf- und abtreten zu lassen und ein Gespür für das richtige Timing. Kurz gesagt: Das Handwerkszeug, das einen guten Regisseur (auch) ausmacht. Matthias Davids versteht sein Handwerk offenbar ganz ausgezeichnet. Steht sehr effektvoll im Mittelpunkt: Hanna Glawari (Christiane Kohl) - 1. Akt
Die Premiere ausgerechnet auf den Sylvesterabend zu legen, ist ja nicht ganz risikolos: Zwar darf man auf ein Publikum in Champagnerlaune hoffen (und ein volles Haus soll es auch gegeben haben), ein Rohrkrepierer darf die Aufführung dann aber unter gar keinen Umständen werden. Ein Sylvesterpublikum ist sicher auch eher auf gute Unterhaltung aus und nicht auf regietheatrale Umdeutungen, das weiß auch der Regisseur und so muss man schon sehr genau hinschauen, um kleine Anzeichen für Brüche oder Regiezutaten zu finden. Da ist eine im Grunde erzkonservative, dabei sehr gut gemachte Regie nicht das schlechteste. (In der hier besprochenen zweiten Aufführung holt der Alltag das Theater dann wieder ein: Ein nur halb gefülltes, ohnehin zu großes Haus mit einem Wochentagspublikum, das sich nur sehr allmählich in Partylaune versetzen lässt. Am Ende klappt aber auch das.) Operettenintrigen: Baron Zeta (Hannes Brock, rechts) und Graf Danilo (Gabriel Bermudez). Hanna (Christiane Kohl) schaut im Hintergrund zu.
In der Lustigen Witwe verbirgt sich hinter dem Fantasiestaat Pontevedro kaum kaschiert der Balkanstaat Montenegro, und eine Uhr mit dem Portrait eines Generals darf man wohl als Anspielung auf den jugoslawischen Staatsgründer Tito verstehen das ist eine der wenigen versteckten Pointen, die über das Libretto hinaus gehen. Wichtiger noch ist freilich die gewundene Treppe, die große Auftritte ermöglicht und die Graf Danilo bei seinem ersten Auftritt sehr eindrucksvoll herabstürzt. Bei so viel spielerischer Virtuosität und Eleganz nimmt man dem Spanier Gabriel Bermudez auch seinen Akzent ab, was in den gesprochenen Passagen ja schnell störend sein kann (hier aber zu verschmerzen ist). Bermudez singt mit voller, runder Stimme und dem rechten Maß an Operettenschmelz. Christiane Kohl in der Titelrolle der Witwe Hanna Glawari erreicht nicht ganz die szenische Bühnenpräsenz ihres Gegenüber (und könnte sicher auch noch effektvoller gekleidet werden - für alle anderen Darsteller hat sich Judith Peter glanzvollere Kostüme ausgedacht). Mit ihrer großen, tragfähigen Stimme (sie singt auch die Senta im Fliegenden Holländer, unsere Rezension), immer sehr kontrolliert geführt, besitzt sie aber musikalisch die Ausstrahlung einer Diva, was diese Partie ja braucht. In beider Auftreten ist aber jederzeit klar: Paris liegt ihnen näher als der Kleinstaat, dessen Herrscherportraits dringend einer Restaurierung bedürften. Verbotene Liebe: Valencienne (Tamara Weimerich) und Camille de Rossillon (John Zuckerman)
Das Bühnenbild zum zweiten Aufzug ist in mehrfacher Hinsicht eine Provokation. Zum einen des Motivs wegen: Einen Bergsee vor schneebedeckten Gipfeln sucht man in Paris, wo die Handlung angesiedelt ist, sicher vergebens. Zum anderen ist das eigentlich antiquierte Kulissenmalerei wie im Barocktheater, gerahmt von gestaffelten Vorhängen mit überdimensionierten Blüten. Zu allem Überfluss stehen auch noch allerlei puttenartige Statuen von aufreizender Naivität herum. Im Gegensatz dazu gibt es doch noch ganz sachlich den ausgiebig besungenen Pavillon, und auch wieder eine Treppe, auf der sich das Personal hervorragend arrangieren lässt. Das ist alleroperettenseligster Kitsch - und gleichzeitig von einer schwer zu beschreibenden Schönheit, weil es dann doch viel raffinierter ist, als es auf den ersten Blick aussieht. Je nach Beleuchtung ergeben sich verblüffende perspektivische Effekte. Damit ist ein doppelter Boden eingezogen, wird die Operette als eminent theatralisches Ereignis vorgeführt und somit der vordergründige Realismus der Regie durchbrochen. Im dritten Akt dann ist das Etablissement Maxim's mit Blick auf einen expressionistisch gestürzten Eiffelturm, ein grandioser Effekt. Das Bühnenbild von Marina Hellmann ist ein Ereignis. Es sollte ihr letztes werden: Einige Tage vor der Premiere ist Marina Hellmann unerwartet verstorben. Großes Finale mit Eiffelturm
Es macht sich natürlich gut, in so einer Operette ein paar Tänzerinnen und Tänzer aufzubieten, die auch ordentlich Walzer tanzen können; Chor und Gesangsensemble kann man dann ganz gut dahinter verstecken. Trotzdem hätte die Choreographie von Melissa King ruhig etwas mutiger ausfallen dürfen. Die Can-Can-Atmosphäre im Schlussakt ist solide, nicht mehr und nicht weniger; die Volkstänze im Mittelakt werden sicher einem Teil des Publikums gefallen, sie fallen allerdings unmotiviert aus der Handlung heraus und haben einen etwas anbiedernden Revue-Charakter, der ansonsten glücklicherweise nicht auszumachen ist. Der Chor singt ausgezeichnet (Einstudierung: Granville Walker), und der Regisseur, das sei noch einmal gesagt, weiß sehr genau, wer wann wo sein und wohin gehen soll. Das klingt banal, führt aber dazu, dass die Figuren auch in dieser unaufgeregten Regie Profil gewinnen. Da sind die sängerisch etwas dünnen, aber witzig karikierten Charmeure Cascada (Thomas Günzler) und St. Brioche (Darius Scheliga), der eifersüchtige Bogdanowitsch (Georg Kirketep) sowie der orientalisch angehauchte Kanzlist Njegus (Frederick Jan Hofmann), die einfach gut schauspielern und den Raum dafür bekommen. John Zuckerman ist ein stimmlich zwar leichtgewichtiger, aber beweglicher Rossilon mit angenehmen Tenorhöhen, Tamara Weimerich als von ihm umschwärmte (aber anderweitig verheiratete) Valencienne singt und spielt sehr charmant mit angenehmer, nicht zu kleiner Stimme. Hannes Brock gibt einen grundsoliden Baron Zeta ab. Kapellmeister Philipp Armbruster lässt die guten Dortmunder Philharmoniker an entscheidenden Stellen süffig und mit vollem Klang aufspielen und trifft den Lehár-spezifischen Tonfall sehr gut. Das ist die Grundierung, vor der die einzelnen Nummern dann auch kammermusikalischen Charme entwickeln können. Rubati und Verzögerungen setzt er sparsam und unprätentiös, aber gezielt ein; in Kitschverdacht gerät er dabei nie. Lehárs Musik kann so ihre großen Qualitäten entfalten. Viel Applaus. FAZITSylvesterparty- und alltagstauglich: Eine konventionell, dabei sorgfältig und opulent inszenierte Operette auf sehr ordentlichem musikalischen Niveau. Allzu nahe liegende Anspielungen auf die aktuelle Finanzkrise hat sich die Regie dankenswerterweise verkniffen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Choreographie
Bühne
Kostüme
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung Baron Mirko Zeta
Valencienne, seine Frau
Graf Danilo Danilowitsch
Hanna Glawari
Camille de Rossillon
Vicomte Cascada
Bogdanowitsch, pontevedrinischer Konsul
Sylviane, seine Frau
Kromow, Gesandtschaftsrat
Olga, seine Frau
Praskowia, seine Frau
Tänzerinnen und Tänzer
Raoul de St. Brioche
Pritschitsch, Militärattaché
Njegus, Kanzlist
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